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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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dem ist so, und es ist die Entwicklung dieses organisirenden Principes,
welches den wissenschaftlichen Inhalt des Systems des Regierungs-
organismus bildet. Von ihm aus ist der Charakter jedes Staates und
jeder Zeit zu bestimmen.

Offenbar nun hat die Staatsform der Geschlechtsordnung keinen
Regierungsorganismus, und kann keinen haben. In der ständischen
Epoche dagegen ist das Objekt der Verwaltung in der Wirklichkeit die
Summe der Besitzthümer und der Rechte, welche das Königthum als
Vertreter des Staats besitzt. Der Organismus seiner öffentlichen Thätig-
keit ist daher durch die Zahl und den Umfang, der Name der Organe
durch die wirthschaftliche oder administrative Natur der Objekte gegeben.
Man kann mit einem Worte sagen, daß das System der Regalien die
Grundlage des Systems des Regierungsorganismus bildet; die vor-
liegenden Verhältnisse des einzelnen Landes haben das dann im Einzelnen
gestaltet; aber es ist kein Zweifel, daß das Studium der Verwaltungs-
organe einen wesentlichen Beitrag zum Studium dieses Rechtsgebietes
abgebe. Als dann mit dem Siege des Königthums die Selbständigkeit
der Grundherrschaft und die Theilnahme des Volkes an der Gesetzgebung
verschwindet, nimmt der Organismus einen höchst centralen Charakter
an, und gipfelt in einem geheimen Cabinet und ersten Minister, ohne
daß eine andere Regel als der Wille des Fürsten maßgebend wäre,
während die Gebiete der eigentlichen Verwaltung ganz ihre frühere
Ordnung behalten. Erst mit der staatsbürgerlichen Gesellschaft und der
Verfassung wird das anders.

Das innere Staatsleben unter der Verfassung nämlich wird von
zwei einfachen Grundsätzen beherrscht, die auch in dem Organismus
durchgreifen. Das sind die Gleichartigkeit und Einheit der Verwaltung
einerseits, und die Verantwortlichkeit der Verwaltung gegenüber der
Gesetzgebung andererseits. Die große Aufgabe der neuen Staatenbildung,
wie sie mit der Epoche der Verfassungen entstanden sind, war es nun,
einen Organismus zu bestimmen, der beiden Aufgaben zugleich zu ent-
sprechen im Stande war. Es war klar, daß der frühere Organismus
diese Fähigkeit nicht besaß; er geht deßhalb unter, sowie die Ver-
fassungen auftreten, und an seine Stelle tritt mit dem letztern ein
System, das in zwei großen Grundformen jene zwei Grundforderungen
der neuen Ordnung verwirklicht. Diese beiden Grundformen sind das
Ministerialsystem und das Behördensystem. Der Charakter
des Ministerialsystems ist auf allen Punkten bedingt durch das Princip,
daß die Ordnung der Regierung die Verantwortlichkeit möglich
machen müsse; das Behördensystem dagegen hat die Aufgabe, unter
dem Ministerialsystem die Gleichartigkeit und Einheit der eigentlichen

dem iſt ſo, und es iſt die Entwicklung dieſes organiſirenden Principes,
welches den wiſſenſchaftlichen Inhalt des Syſtems des Regierungs-
organismus bildet. Von ihm aus iſt der Charakter jedes Staates und
jeder Zeit zu beſtimmen.

Offenbar nun hat die Staatsform der Geſchlechtsordnung keinen
Regierungsorganismus, und kann keinen haben. In der ſtändiſchen
Epoche dagegen iſt das Objekt der Verwaltung in der Wirklichkeit die
Summe der Beſitzthümer und der Rechte, welche das Königthum als
Vertreter des Staats beſitzt. Der Organismus ſeiner öffentlichen Thätig-
keit iſt daher durch die Zahl und den Umfang, der Name der Organe
durch die wirthſchaftliche oder adminiſtrative Natur der Objekte gegeben.
Man kann mit einem Worte ſagen, daß das Syſtem der Regalien die
Grundlage des Syſtems des Regierungsorganismus bildet; die vor-
liegenden Verhältniſſe des einzelnen Landes haben das dann im Einzelnen
geſtaltet; aber es iſt kein Zweifel, daß das Studium der Verwaltungs-
organe einen weſentlichen Beitrag zum Studium dieſes Rechtsgebietes
abgebe. Als dann mit dem Siege des Königthums die Selbſtändigkeit
der Grundherrſchaft und die Theilnahme des Volkes an der Geſetzgebung
verſchwindet, nimmt der Organismus einen höchſt centralen Charakter
an, und gipfelt in einem geheimen Cabinet und erſten Miniſter, ohne
daß eine andere Regel als der Wille des Fürſten maßgebend wäre,
während die Gebiete der eigentlichen Verwaltung ganz ihre frühere
Ordnung behalten. Erſt mit der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft und der
Verfaſſung wird das anders.

Das innere Staatsleben unter der Verfaſſung nämlich wird von
zwei einfachen Grundſätzen beherrſcht, die auch in dem Organismus
durchgreifen. Das ſind die Gleichartigkeit und Einheit der Verwaltung
einerſeits, und die Verantwortlichkeit der Verwaltung gegenüber der
Geſetzgebung andererſeits. Die große Aufgabe der neuen Staatenbildung,
wie ſie mit der Epoche der Verfaſſungen entſtanden ſind, war es nun,
einen Organismus zu beſtimmen, der beiden Aufgaben zugleich zu ent-
ſprechen im Stande war. Es war klar, daß der frühere Organismus
dieſe Fähigkeit nicht beſaß; er geht deßhalb unter, ſowie die Ver-
faſſungen auftreten, und an ſeine Stelle tritt mit dem letztern ein
Syſtem, das in zwei großen Grundformen jene zwei Grundforderungen
der neuen Ordnung verwirklicht. Dieſe beiden Grundformen ſind das
Miniſterialſyſtem und das Behördenſyſtem. Der Charakter
des Miniſterialſyſtems iſt auf allen Punkten bedingt durch das Princip,
daß die Ordnung der Regierung die Verantwortlichkeit möglich
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[300/0324] dem iſt ſo, und es iſt die Entwicklung dieſes organiſirenden Principes, welches den wiſſenſchaftlichen Inhalt des Syſtems des Regierungs- organismus bildet. Von ihm aus iſt der Charakter jedes Staates und jeder Zeit zu beſtimmen. Offenbar nun hat die Staatsform der Geſchlechtsordnung keinen Regierungsorganismus, und kann keinen haben. In der ſtändiſchen Epoche dagegen iſt das Objekt der Verwaltung in der Wirklichkeit die Summe der Beſitzthümer und der Rechte, welche das Königthum als Vertreter des Staats beſitzt. Der Organismus ſeiner öffentlichen Thätig- keit iſt daher durch die Zahl und den Umfang, der Name der Organe durch die wirthſchaftliche oder adminiſtrative Natur der Objekte gegeben. Man kann mit einem Worte ſagen, daß das Syſtem der Regalien die Grundlage des Syſtems des Regierungsorganismus bildet; die vor- liegenden Verhältniſſe des einzelnen Landes haben das dann im Einzelnen geſtaltet; aber es iſt kein Zweifel, daß das Studium der Verwaltungs- organe einen weſentlichen Beitrag zum Studium dieſes Rechtsgebietes abgebe. Als dann mit dem Siege des Königthums die Selbſtändigkeit der Grundherrſchaft und die Theilnahme des Volkes an der Geſetzgebung verſchwindet, nimmt der Organismus einen höchſt centralen Charakter an, und gipfelt in einem geheimen Cabinet und erſten Miniſter, ohne daß eine andere Regel als der Wille des Fürſten maßgebend wäre, während die Gebiete der eigentlichen Verwaltung ganz ihre frühere Ordnung behalten. Erſt mit der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft und der Verfaſſung wird das anders. Das innere Staatsleben unter der Verfaſſung nämlich wird von zwei einfachen Grundſätzen beherrſcht, die auch in dem Organismus durchgreifen. Das ſind die Gleichartigkeit und Einheit der Verwaltung einerſeits, und die Verantwortlichkeit der Verwaltung gegenüber der Geſetzgebung andererſeits. Die große Aufgabe der neuen Staatenbildung, wie ſie mit der Epoche der Verfaſſungen entſtanden ſind, war es nun, einen Organismus zu beſtimmen, der beiden Aufgaben zugleich zu ent- ſprechen im Stande war. Es war klar, daß der frühere Organismus dieſe Fähigkeit nicht beſaß; er geht deßhalb unter, ſowie die Ver- faſſungen auftreten, und an ſeine Stelle tritt mit dem letztern ein Syſtem, das in zwei großen Grundformen jene zwei Grundforderungen der neuen Ordnung verwirklicht. Dieſe beiden Grundformen ſind das Miniſterialſyſtem und das Behördenſyſtem. Der Charakter des Miniſterialſyſtems iſt auf allen Punkten bedingt durch das Princip, daß die Ordnung der Regierung die Verantwortlichkeit möglich machen müſſe; das Behördenſyſtem dagegen hat die Aufgabe, unter dem Miniſterialſyſtem die Gleichartigkeit und Einheit der eigentlichen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/324>, abgerufen am 26.06.2024.