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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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administratif am bezeichnendsten aus I. 2. (Ministres) -- les Ministres ne
reflechissent pas aupres du president une majorite politique, ils ne forment
point son conseil necessaire, ils ne sont que les chefs des departements
administratiß"
-- und da sie zugleich keine Verantwortlichkeit haben, so sind
sie in der That gar keine Minister im verfassungsmäßigen Sinne mehr. Es ist
mit vollständiger Gewißheit vorherzusagen, daß die freiere Gestaltung der fran-
zösischen Verfassung den Ministern ihre Selbständigkeit und damit auch ihre
Verantwortlichkeit wieder geben wird. Nirgend sind die Wirkungen der allge-
meinen Gesetze, welche das Staatsleben beherrschen, stärker, aber auch klarer
erkennbar, als eben in Frankreich.

In Deutschland sehen wir dagegen eine Vielgestaltigkeit dieses Organis-
mus, die man, um sie zu verstehen, allerdings auf zwei Gründe zurückführen
muß. Der erste ist die sehr verschiedene Größe der Staaten, welche für den
größten Theil der deutschen Bundesstaaten vielleicht das Princip, gewiß aber
nicht die organische Eintheilung des Ministeralsystems möglich macht, und man
muß sagen, daß eine Gemeinschaft, welche nicht einmal die fünf Hauptministerien
erzeugen und beschäftigen kann, vor der Wissenschaft nicht den Charakter eines
Staats, sondern nur den einer sonverainen Landschaft haben kann. Alle dahin
gehörigen Besonderheiten und unklaren Organismen der kleineren Territorien
übergehen wir daher als Uebergangsbildungen. Der zweite Grund aber ist das
Verhalten der verfassungsmäßigen Verwaltung; und hier wird die Geschichte der
Verfassungen zur Geschichte der Ministerialsysteme.

Offenbar muß man nämlich in Deutschland zwischen zwei Principien, die in
der Organisation geltend geworden und namentlich im Ministerialsystem zum
Ausdruck gekommen sind, wohl unterscheiden, und dieselben zeichnen sich auch
äußerlich sehr bestimmt neben einander ab. Wir möchten das erste das rein
administrative, das zweite das verfassungsmäßige nennen. Das erste
stammt aus der Napoleonischen Zeit, das zweite ist Deutschland eigenthümlich,
wenn es auch in vieler Beziehung ein Reflex der Auffassungen der französischen
Revolution war. Das erste beginnt schon mit dem Anfange dieses Jahrhunderts,
und geht seinen Weg unbekümmert um Verfassung oder Verfassungslosigkeit;
das zweite dagegen schließt sich an das Entstehen der Verfassungen, und bildet
die Form, in welcher die Verfassungsmäßigkeit ihre Anerkennung auch in der
Verwaltung findet. Der Charakter des ersten besteht darin, daß es das
ganze Beamtensystem, namentlich aber die höchsten Stellen nach den Forde-
rungen der centralen Bureaukratie ordnet, wozu die Ministerialordnung eine
höchst passende Organisation darbot; das zweite dagegen legt die Möglichkeit
der Verantwortlichkeit zum Grunde und macht dadurch die Elemente der Orga-
nisation zu einem Theile der Verfassung selbst. Das erste entsteht daher rein
durch Verordnungen, das zweite durch Gesetze. Beide Grundformen laufen nun
eine Zeit lang parallel neben einander, dem eigenthümlich deutschen Verhältniß
entsprechend, nach welchem ein Theil Deutschlands, namentlich der Süden
verfassungsmäßig gebildet ist, ein Theil dagegen nicht. Allmählig aber siegt
das verfassungsmäßige Princip und damit wird die Organisation auch in die
Gesetzgebungen unmittelbar aufgenommen, um mit der verfassungsmäßigen

administratif am bezeichnendſten aus I. 2. (Ministres) — les Ministres ne
réfléchissent pas auprès du président une majorité politique, ils ne forment
point son conseil nécessaire, ils ne sont que les chefs des départements
administratiß“
— und da ſie zugleich keine Verantwortlichkeit haben, ſo ſind
ſie in der That gar keine Miniſter im verfaſſungsmäßigen Sinne mehr. Es iſt
mit vollſtändiger Gewißheit vorherzuſagen, daß die freiere Geſtaltung der fran-
zöſiſchen Verfaſſung den Miniſtern ihre Selbſtändigkeit und damit auch ihre
Verantwortlichkeit wieder geben wird. Nirgend ſind die Wirkungen der allge-
meinen Geſetze, welche das Staatsleben beherrſchen, ſtärker, aber auch klarer
erkennbar, als eben in Frankreich.

In Deutſchland ſehen wir dagegen eine Vielgeſtaltigkeit dieſes Organis-
mus, die man, um ſie zu verſtehen, allerdings auf zwei Gründe zurückführen
muß. Der erſte iſt die ſehr verſchiedene Größe der Staaten, welche für den
größten Theil der deutſchen Bundesſtaaten vielleicht das Princip, gewiß aber
nicht die organiſche Eintheilung des Miniſteralſyſtems möglich macht, und man
muß ſagen, daß eine Gemeinſchaft, welche nicht einmal die fünf Hauptminiſterien
erzeugen und beſchäftigen kann, vor der Wiſſenſchaft nicht den Charakter eines
Staats, ſondern nur den einer ſonverainen Landſchaft haben kann. Alle dahin
gehörigen Beſonderheiten und unklaren Organismen der kleineren Territorien
übergehen wir daher als Uebergangsbildungen. Der zweite Grund aber iſt das
Verhalten der verfaſſungsmäßigen Verwaltung; und hier wird die Geſchichte der
Verfaſſungen zur Geſchichte der Miniſterialſyſteme.

Offenbar muß man nämlich in Deutſchland zwiſchen zwei Principien, die in
der Organiſation geltend geworden und namentlich im Miniſterialſyſtem zum
Ausdruck gekommen ſind, wohl unterſcheiden, und dieſelben zeichnen ſich auch
äußerlich ſehr beſtimmt neben einander ab. Wir möchten das erſte das rein
adminiſtrative, das zweite das verfaſſungsmäßige nennen. Das erſte
ſtammt aus der Napoleoniſchen Zeit, das zweite iſt Deutſchland eigenthümlich,
wenn es auch in vieler Beziehung ein Reflex der Auffaſſungen der franzöſiſchen
Revolution war. Das erſte beginnt ſchon mit dem Anfange dieſes Jahrhunderts,
und geht ſeinen Weg unbekümmert um Verfaſſung oder Verfaſſungsloſigkeit;
das zweite dagegen ſchließt ſich an das Entſtehen der Verfaſſungen, und bildet
die Form, in welcher die Verfaſſungsmäßigkeit ihre Anerkennung auch in der
Verwaltung findet. Der Charakter des erſten beſteht darin, daß es das
ganze Beamtenſyſtem, namentlich aber die höchſten Stellen nach den Forde-
rungen der centralen Bureaukratie ordnet, wozu die Miniſterialordnung eine
höchſt paſſende Organiſation darbot; das zweite dagegen legt die Möglichkeit
der Verantwortlichkeit zum Grunde und macht dadurch die Elemente der Orga-
niſation zu einem Theile der Verfaſſung ſelbſt. Das erſte entſteht daher rein
durch Verordnungen, das zweite durch Geſetze. Beide Grundformen laufen nun
eine Zeit lang parallel neben einander, dem eigenthümlich deutſchen Verhältniß
entſprechend, nach welchem ein Theil Deutſchlands, namentlich der Süden
verfaſſungsmäßig gebildet iſt, ein Theil dagegen nicht. Allmählig aber ſiegt
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[323/0347] administratif am bezeichnendſten aus I. 2. (Ministres) — les Ministres ne réfléchissent pas auprès du président une majorité politique, ils ne forment point son conseil nécessaire, ils ne sont que les chefs des départements administratiß“ — und da ſie zugleich keine Verantwortlichkeit haben, ſo ſind ſie in der That gar keine Miniſter im verfaſſungsmäßigen Sinne mehr. Es iſt mit vollſtändiger Gewißheit vorherzuſagen, daß die freiere Geſtaltung der fran- zöſiſchen Verfaſſung den Miniſtern ihre Selbſtändigkeit und damit auch ihre Verantwortlichkeit wieder geben wird. Nirgend ſind die Wirkungen der allge- meinen Geſetze, welche das Staatsleben beherrſchen, ſtärker, aber auch klarer erkennbar, als eben in Frankreich. In Deutſchland ſehen wir dagegen eine Vielgeſtaltigkeit dieſes Organis- mus, die man, um ſie zu verſtehen, allerdings auf zwei Gründe zurückführen muß. Der erſte iſt die ſehr verſchiedene Größe der Staaten, welche für den größten Theil der deutſchen Bundesſtaaten vielleicht das Princip, gewiß aber nicht die organiſche Eintheilung des Miniſteralſyſtems möglich macht, und man muß ſagen, daß eine Gemeinſchaft, welche nicht einmal die fünf Hauptminiſterien erzeugen und beſchäftigen kann, vor der Wiſſenſchaft nicht den Charakter eines Staats, ſondern nur den einer ſonverainen Landſchaft haben kann. Alle dahin gehörigen Beſonderheiten und unklaren Organismen der kleineren Territorien übergehen wir daher als Uebergangsbildungen. Der zweite Grund aber iſt das Verhalten der verfaſſungsmäßigen Verwaltung; und hier wird die Geſchichte der Verfaſſungen zur Geſchichte der Miniſterialſyſteme. Offenbar muß man nämlich in Deutſchland zwiſchen zwei Principien, die in der Organiſation geltend geworden und namentlich im Miniſterialſyſtem zum Ausdruck gekommen ſind, wohl unterſcheiden, und dieſelben zeichnen ſich auch äußerlich ſehr beſtimmt neben einander ab. Wir möchten das erſte das rein adminiſtrative, das zweite das verfaſſungsmäßige nennen. Das erſte ſtammt aus der Napoleoniſchen Zeit, das zweite iſt Deutſchland eigenthümlich, wenn es auch in vieler Beziehung ein Reflex der Auffaſſungen der franzöſiſchen Revolution war. Das erſte beginnt ſchon mit dem Anfange dieſes Jahrhunderts, und geht ſeinen Weg unbekümmert um Verfaſſung oder Verfaſſungsloſigkeit; das zweite dagegen ſchließt ſich an das Entſtehen der Verfaſſungen, und bildet die Form, in welcher die Verfaſſungsmäßigkeit ihre Anerkennung auch in der Verwaltung findet. Der Charakter des erſten beſteht darin, daß es das ganze Beamtenſyſtem, namentlich aber die höchſten Stellen nach den Forde- rungen der centralen Bureaukratie ordnet, wozu die Miniſterialordnung eine höchſt paſſende Organiſation darbot; das zweite dagegen legt die Möglichkeit der Verantwortlichkeit zum Grunde und macht dadurch die Elemente der Orga- niſation zu einem Theile der Verfaſſung ſelbſt. Das erſte entſteht daher rein durch Verordnungen, das zweite durch Geſetze. Beide Grundformen laufen nun eine Zeit lang parallel neben einander, dem eigenthümlich deutſchen Verhältniß entſprechend, nach welchem ein Theil Deutſchlands, namentlich der Süden verfaſſungsmäßig gebildet iſt, ein Theil dagegen nicht. Allmählig aber ſiegt das verfaſſungsmäßige Princip und damit wird die Organiſation auch in die Geſetzgebungen unmittelbar aufgenommen, um mit der verfaſſungsmäßigen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/347>, abgerufen am 23.11.2024.