Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Aufgaben der Cultus ist. So entsteht die Kirchengemeinde. Die
Kirchengemeinde aber ist schon wesentlich von der Dorfgemeinde ver-
schieden. In ihr ist bereits das ständische Element des geistlichen
Berufes in das Dorf aufgenommen. Es fordert mit vollem Recht Theil-
nahme an der Verwaltung, so weit die kirchliche Aufgabe reicht. So
entsteht für diese Gemeinde eine Verfassung, die bereits zwei Elemente
hat, das Element des reinen Grundbesitzes, und das der Vertretung
der Kirche. Es ist der Uebergang von der Geschlechterordnung zur
Ständeordnung im Gemeindewesen, und mit ihm der Beginn des
Systems des Gemeindewesens; denn die Kirchengemeinde wird meistens
eine Anzahl Dorfgemeinden umfassen, und dadurch Interessen, For-
derungen und Principien in das Gemeindeleben hineinbringen, welche
das letztere nicht versteht. Daraus bildet sich dann naturgemäß eine
neue Thatsache. An die Kirchengemeinde schließen sich alsbald die Ver-
waltungsaufgaben, welche überhaupt auf geistiger Grundlage beruhen,
namentlich das Schulwesen und das Armenwesen. Und so wird
aus der Kirchengemeinde zugleich die Schul- und die Armengemeinde,
beide in ihrer Verfassung mit dem Princip, daß der geistliche Beruf
in ihnen vertreten sein muß, in ihrer Verwaltung dagegen mit dem
Grundsatz, daß nur die wirklich Steuerzahlenden Mitglieder sind. Es
ist die erste Bildung eines Systems der Gemeinden.

Die zweite große Aufgabe ist dann die Rechtspflege. Natürlich
genügt für sie die Dorfschaft nicht. Zwar ist sie für sich selbst ein
Rechtskörper, und verwaltet ursprünglich ihr Recht für ihre Mitglieder
selber. Allein für die Rechtsfragen zwischen den Gliedern verschiedener
Dorfschaften untereinander muß sich ein neues, gemeinschaftliches Organ
bilden. Dieß kann verschieden sein. Aber wie bei der Kirche das
Element des Berufes in die größere Gemeinde eintritt, so auch bei der
Rechtspflege. Hier wird das Richteramt zum Berufe, und dieser Beruf
schließt sich naturgemäß an die Staatsgewalt, welche ihm die Kraft
zur Ausübung seiner Pflichten gibt. So entstehen die Gerichtsgemein-
den; die Verfassung derselben ist in der ganzen germanischen Welt
gleichartig
. Sie besteht aus zwei Elementen, gerade wie die Kirchen-
gemeinde. Das eine ist die Vertretung des bäuerlichen Grundbesitzes,
der Schöffe; das zweite ist die Vertretung des berufsmäßigen Richter-
amts, der königliche Beamtete. Es ist ein zweites System der
Gemeinde, auch hier durch die Verbindung des ständischen Elements
mit dem Geschlechterelement, entstanden.

Die dritte große Aufgabe ist sehr unbestimmt. Sie umfaßt alle
Gebiete der innern Verwaltung; es läßt sich nicht feststellen, was ihr
alles angehören kann. Aber was ihr namentlich zuerst angehören muß,

Aufgaben der Cultus iſt. So entſteht die Kirchengemeinde. Die
Kirchengemeinde aber iſt ſchon weſentlich von der Dorfgemeinde ver-
ſchieden. In ihr iſt bereits das ſtändiſche Element des geiſtlichen
Berufes in das Dorf aufgenommen. Es fordert mit vollem Recht Theil-
nahme an der Verwaltung, ſo weit die kirchliche Aufgabe reicht. So
entſteht für dieſe Gemeinde eine Verfaſſung, die bereits zwei Elemente
hat, das Element des reinen Grundbeſitzes, und das der Vertretung
der Kirche. Es iſt der Uebergang von der Geſchlechterordnung zur
Ständeordnung im Gemeindeweſen, und mit ihm der Beginn des
Syſtems des Gemeindeweſens; denn die Kirchengemeinde wird meiſtens
eine Anzahl Dorfgemeinden umfaſſen, und dadurch Intereſſen, For-
derungen und Principien in das Gemeindeleben hineinbringen, welche
das letztere nicht verſteht. Daraus bildet ſich dann naturgemäß eine
neue Thatſache. An die Kirchengemeinde ſchließen ſich alsbald die Ver-
waltungsaufgaben, welche überhaupt auf geiſtiger Grundlage beruhen,
namentlich das Schulweſen und das Armenweſen. Und ſo wird
aus der Kirchengemeinde zugleich die Schul- und die Armengemeinde,
beide in ihrer Verfaſſung mit dem Princip, daß der geiſtliche Beruf
in ihnen vertreten ſein muß, in ihrer Verwaltung dagegen mit dem
Grundſatz, daß nur die wirklich Steuerzahlenden Mitglieder ſind. Es
iſt die erſte Bildung eines Syſtems der Gemeinden.

Die zweite große Aufgabe iſt dann die Rechtspflege. Natürlich
genügt für ſie die Dorfſchaft nicht. Zwar iſt ſie für ſich ſelbſt ein
Rechtskörper, und verwaltet urſprünglich ihr Recht für ihre Mitglieder
ſelber. Allein für die Rechtsfragen zwiſchen den Gliedern verſchiedener
Dorfſchaften untereinander muß ſich ein neues, gemeinſchaftliches Organ
bilden. Dieß kann verſchieden ſein. Aber wie bei der Kirche das
Element des Berufes in die größere Gemeinde eintritt, ſo auch bei der
Rechtspflege. Hier wird das Richteramt zum Berufe, und dieſer Beruf
ſchließt ſich naturgemäß an die Staatsgewalt, welche ihm die Kraft
zur Ausübung ſeiner Pflichten gibt. So entſtehen die Gerichtsgemein-
den; die Verfaſſung derſelben iſt in der ganzen germaniſchen Welt
gleichartig
. Sie beſteht aus zwei Elementen, gerade wie die Kirchen-
gemeinde. Das eine iſt die Vertretung des bäuerlichen Grundbeſitzes,
der Schöffe; das zweite iſt die Vertretung des berufsmäßigen Richter-
amts, der königliche Beamtete. Es iſt ein zweites Syſtem der
Gemeinde, auch hier durch die Verbindung des ſtändiſchen Elements
mit dem Geſchlechterelement, entſtanden.

Die dritte große Aufgabe iſt ſehr unbeſtimmt. Sie umfaßt alle
Gebiete der innern Verwaltung; es läßt ſich nicht feſtſtellen, was ihr
alles angehören kann. Aber was ihr namentlich zuerſt angehören muß,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0466" n="442"/>
Aufgaben der <hi rendition="#g">Cultus</hi> i&#x017F;t. So ent&#x017F;teht die <hi rendition="#g">Kirchengemeinde</hi>. Die<lb/>
Kirchengemeinde aber i&#x017F;t &#x017F;chon we&#x017F;entlich von der Dorfgemeinde ver-<lb/>
&#x017F;chieden. In ihr i&#x017F;t bereits das <hi rendition="#g">&#x017F;tändi&#x017F;che</hi> Element des gei&#x017F;tlichen<lb/>
Berufes in das Dorf aufgenommen. Es fordert mit vollem Recht Theil-<lb/>
nahme an der Verwaltung, &#x017F;o weit die kirchliche Aufgabe reicht. So<lb/>
ent&#x017F;teht für die&#x017F;e Gemeinde eine Verfa&#x017F;&#x017F;ung, die bereits zwei Elemente<lb/>
hat, das Element des reinen Grundbe&#x017F;itzes, und das der Vertretung<lb/>
der Kirche. Es i&#x017F;t der Uebergang von der Ge&#x017F;chlechterordnung zur<lb/>
Ständeordnung im Gemeindewe&#x017F;en, und mit ihm der Beginn des<lb/><hi rendition="#g">Sy&#x017F;tems</hi> des Gemeindewe&#x017F;ens; denn die Kirchengemeinde wird mei&#x017F;tens<lb/>
eine Anzahl Dorfgemeinden umfa&#x017F;&#x017F;en, und dadurch Intere&#x017F;&#x017F;en, For-<lb/>
derungen und Principien in das Gemeindeleben hineinbringen, welche<lb/>
das letztere nicht ver&#x017F;teht. Daraus bildet &#x017F;ich dann naturgemäß eine<lb/>
neue That&#x017F;ache. An die Kirchengemeinde &#x017F;chließen &#x017F;ich alsbald die Ver-<lb/>
waltungsaufgaben, welche überhaupt auf gei&#x017F;tiger Grundlage beruhen,<lb/>
namentlich das <hi rendition="#g">Schulwe&#x017F;en</hi> und das <hi rendition="#g">Armenwe&#x017F;en</hi>. Und &#x017F;o wird<lb/>
aus der Kirchengemeinde zugleich die Schul- und die Armengemeinde,<lb/>
beide in ihrer Verfa&#x017F;&#x017F;ung mit dem Princip, daß der gei&#x017F;tliche Beruf<lb/>
in ihnen vertreten &#x017F;ein muß, in ihrer Verwaltung dagegen mit dem<lb/>
Grund&#x017F;atz, daß nur die wirklich Steuerzahlenden Mitglieder &#x017F;ind. Es<lb/>
i&#x017F;t die <hi rendition="#g">er&#x017F;te</hi> Bildung eines Sy&#x017F;tems der Gemeinden.</p><lb/>
                  <p>Die zweite große Aufgabe i&#x017F;t dann die <hi rendition="#g">Rechtspflege</hi>. Natürlich<lb/>
genügt für &#x017F;ie die Dorf&#x017F;chaft nicht. Zwar i&#x017F;t &#x017F;ie für &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ein<lb/>
Rechtskörper, und verwaltet ur&#x017F;prünglich ihr Recht für ihre Mitglieder<lb/>
&#x017F;elber. Allein für die Rechtsfragen zwi&#x017F;chen den Gliedern ver&#x017F;chiedener<lb/>
Dorf&#x017F;chaften untereinander muß &#x017F;ich ein neues, gemein&#x017F;chaftliches Organ<lb/>
bilden. Dieß kann ver&#x017F;chieden &#x017F;ein. Aber wie bei der Kirche das<lb/>
Element des Berufes in die größere Gemeinde eintritt, &#x017F;o auch bei der<lb/>
Rechtspflege. Hier wird das Richteramt zum Berufe, und die&#x017F;er Beruf<lb/>
&#x017F;chließt &#x017F;ich naturgemäß an die Staatsgewalt, welche ihm die Kraft<lb/>
zur Ausübung &#x017F;einer Pflichten gibt. So ent&#x017F;tehen die Gerichtsgemein-<lb/>
den; die Verfa&#x017F;&#x017F;ung der&#x017F;elben i&#x017F;t in der <hi rendition="#g">ganzen germani&#x017F;chen Welt<lb/>
gleichartig</hi>. Sie be&#x017F;teht aus <hi rendition="#g">zwei</hi> Elementen, gerade wie die Kirchen-<lb/>
gemeinde. Das eine i&#x017F;t die Vertretung des bäuerlichen Grundbe&#x017F;itzes,<lb/>
der <hi rendition="#g">Schöffe</hi>; das zweite i&#x017F;t die Vertretung des berufsmäßigen Richter-<lb/>
amts, der königliche <hi rendition="#g">Beamtete</hi>. Es i&#x017F;t ein zweites Sy&#x017F;tem der<lb/>
Gemeinde, auch hier durch die Verbindung des &#x017F;tändi&#x017F;chen Elements<lb/>
mit dem Ge&#x017F;chlechterelement, ent&#x017F;tanden.</p><lb/>
                  <p>Die dritte große Aufgabe i&#x017F;t &#x017F;ehr unbe&#x017F;timmt. Sie umfaßt alle<lb/>
Gebiete der innern Verwaltung; es läßt &#x017F;ich nicht fe&#x017F;t&#x017F;tellen, was ihr<lb/>
alles angehören kann. Aber was ihr namentlich zuer&#x017F;t angehören <hi rendition="#g">muß</hi>,<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[442/0466] Aufgaben der Cultus iſt. So entſteht die Kirchengemeinde. Die Kirchengemeinde aber iſt ſchon weſentlich von der Dorfgemeinde ver- ſchieden. In ihr iſt bereits das ſtändiſche Element des geiſtlichen Berufes in das Dorf aufgenommen. Es fordert mit vollem Recht Theil- nahme an der Verwaltung, ſo weit die kirchliche Aufgabe reicht. So entſteht für dieſe Gemeinde eine Verfaſſung, die bereits zwei Elemente hat, das Element des reinen Grundbeſitzes, und das der Vertretung der Kirche. Es iſt der Uebergang von der Geſchlechterordnung zur Ständeordnung im Gemeindeweſen, und mit ihm der Beginn des Syſtems des Gemeindeweſens; denn die Kirchengemeinde wird meiſtens eine Anzahl Dorfgemeinden umfaſſen, und dadurch Intereſſen, For- derungen und Principien in das Gemeindeleben hineinbringen, welche das letztere nicht verſteht. Daraus bildet ſich dann naturgemäß eine neue Thatſache. An die Kirchengemeinde ſchließen ſich alsbald die Ver- waltungsaufgaben, welche überhaupt auf geiſtiger Grundlage beruhen, namentlich das Schulweſen und das Armenweſen. Und ſo wird aus der Kirchengemeinde zugleich die Schul- und die Armengemeinde, beide in ihrer Verfaſſung mit dem Princip, daß der geiſtliche Beruf in ihnen vertreten ſein muß, in ihrer Verwaltung dagegen mit dem Grundſatz, daß nur die wirklich Steuerzahlenden Mitglieder ſind. Es iſt die erſte Bildung eines Syſtems der Gemeinden. Die zweite große Aufgabe iſt dann die Rechtspflege. Natürlich genügt für ſie die Dorfſchaft nicht. Zwar iſt ſie für ſich ſelbſt ein Rechtskörper, und verwaltet urſprünglich ihr Recht für ihre Mitglieder ſelber. Allein für die Rechtsfragen zwiſchen den Gliedern verſchiedener Dorfſchaften untereinander muß ſich ein neues, gemeinſchaftliches Organ bilden. Dieß kann verſchieden ſein. Aber wie bei der Kirche das Element des Berufes in die größere Gemeinde eintritt, ſo auch bei der Rechtspflege. Hier wird das Richteramt zum Berufe, und dieſer Beruf ſchließt ſich naturgemäß an die Staatsgewalt, welche ihm die Kraft zur Ausübung ſeiner Pflichten gibt. So entſtehen die Gerichtsgemein- den; die Verfaſſung derſelben iſt in der ganzen germaniſchen Welt gleichartig. Sie beſteht aus zwei Elementen, gerade wie die Kirchen- gemeinde. Das eine iſt die Vertretung des bäuerlichen Grundbeſitzes, der Schöffe; das zweite iſt die Vertretung des berufsmäßigen Richter- amts, der königliche Beamtete. Es iſt ein zweites Syſtem der Gemeinde, auch hier durch die Verbindung des ſtändiſchen Elements mit dem Geſchlechterelement, entſtanden. Die dritte große Aufgabe iſt ſehr unbeſtimmt. Sie umfaßt alle Gebiete der innern Verwaltung; es läßt ſich nicht feſtſtellen, was ihr alles angehören kann. Aber was ihr namentlich zuerſt angehören muß,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/466
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/466>, abgerufen am 01.06.2024.