der Selbstverwaltung aufzustellen. Wir werden in ihnen den eigent- lichen Inhalt des Charakters unseres Jahrhunderts in dieser Beziehung zu suchen, und an ihnen die gegebenen Zustände zu messen haben. Dieselben können wir bezeichnen als das Princip, das System und das Recht der Selbstverwaltung oder des Gemeindewesens in seinem höhern Sinn.
Das Princip der Organisation und des Rechts dieses Gemeinde- wesens ist bedingt davon, ob die staatsbürgerliche Gesellschaft ganz oder zum Theil zur Herrschaft gediehen ist. Der Hauptausdruck dieser That- sache im Systeme der Selbstverwaltung besteht in dem Charakter der Ortsgemeinde, und namentlich in dem Unterschied zwischen Stadt und Land. Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist der Unter- schied zwischen dem gewerblichen und dem Grundbesitz im Allgemeinen, zwischen Gemeinde und Herrschaft im Besondern. Er ist überhaupt nur da möglich, wo die beiden großen Formen des Besitzes noch unver- mittelt neben einander stehen, und wo daher noch das alte System der herrschaftlichen Rechte fortbesteht. Er verschwindet dagegen, wo die ständischen Unterschiede nicht mehr als Unterschiede des öffentlichen Rechts auftreten. Die erste Bedingung ist dabei die, daß der kleine Grund- besitz nur überhaupt erst einmal frei sei; der große Proceß der Grund- entlastung ist hier von der höchsten Wichtigkeit geworden; ohne ihn ist überhaupt keine Landgemeindeordnung denkbar. Nur ist derselbe in sehr verschiedener Weise geschehen, und die Grundlage großer Verschie- denheiten geworden.
Das System der Selbstverwaltung hat, während das Princip derselben in der Verschmelzung von Stadt und Land zur Gemeinde überhaupt seinen Ausdruck findet, seinen Schwerpunkt in der Organi- sirung desjenigen, was wir die Verwaltungsgemeinde genannt haben. Ihrem Wesen nach fordert die staatsbürgerliche Gesellschaft die Selbstverwaltung auch in der Verwaltungsgemeinde. Allein während sie in dem Unterschiede von Stadt und Land auf die socialen Unter- schiede der Stände und ihrer öffentlichen Rechte trifft, trifft sie in der Verwaltungsgemeinde auf die Gewalt und den Organismus des Be- hördensystems. Dasselbe verhält sich seiner Natur nach abweisend gegen die Selbstverwaltung, theils mit Recht, theils mit Unrecht. Es fordert für sich, während es im Grunde die Ortsgemeinde und ihre lokalen Rechte und Thätigkeiten mit einer gewissen Gleichgültigkeit be- trachtet, gerade die Aufgabe der Verwaltungsgemeinde als sein eigen- thümliches Gebiet, während andererseits das Princip der Selbverwal- tung gerade in denjenigen Gebieten, welche wir Verwaltungsgemeinden genannt haben, am bedeutsamsten sein würde. Und hier entsteht
der Selbſtverwaltung aufzuſtellen. Wir werden in ihnen den eigent- lichen Inhalt des Charakters unſeres Jahrhunderts in dieſer Beziehung zu ſuchen, und an ihnen die gegebenen Zuſtände zu meſſen haben. Dieſelben können wir bezeichnen als das Princip, das Syſtem und das Recht der Selbſtverwaltung oder des Gemeindeweſens in ſeinem höhern Sinn.
Das Princip der Organiſation und des Rechts dieſes Gemeinde- weſens iſt bedingt davon, ob die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft ganz oder zum Theil zur Herrſchaft gediehen iſt. Der Hauptausdruck dieſer That- ſache im Syſteme der Selbſtverwaltung beſteht in dem Charakter der Ortsgemeinde, und namentlich in dem Unterſchied zwiſchen Stadt und Land. Der Unterſchied zwiſchen Stadt und Land iſt der Unter- ſchied zwiſchen dem gewerblichen und dem Grundbeſitz im Allgemeinen, zwiſchen Gemeinde und Herrſchaft im Beſondern. Er iſt überhaupt nur da möglich, wo die beiden großen Formen des Beſitzes noch unver- mittelt neben einander ſtehen, und wo daher noch das alte Syſtem der herrſchaftlichen Rechte fortbeſteht. Er verſchwindet dagegen, wo die ſtändiſchen Unterſchiede nicht mehr als Unterſchiede des öffentlichen Rechts auftreten. Die erſte Bedingung iſt dabei die, daß der kleine Grund- beſitz nur überhaupt erſt einmal frei ſei; der große Proceß der Grund- entlaſtung iſt hier von der höchſten Wichtigkeit geworden; ohne ihn iſt überhaupt keine Landgemeindeordnung denkbar. Nur iſt derſelbe in ſehr verſchiedener Weiſe geſchehen, und die Grundlage großer Verſchie- denheiten geworden.
Das Syſtem der Selbſtverwaltung hat, während das Princip derſelben in der Verſchmelzung von Stadt und Land zur Gemeinde überhaupt ſeinen Ausdruck findet, ſeinen Schwerpunkt in der Organi- ſirung desjenigen, was wir die Verwaltungsgemeinde genannt haben. Ihrem Weſen nach fordert die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft die Selbſtverwaltung auch in der Verwaltungsgemeinde. Allein während ſie in dem Unterſchiede von Stadt und Land auf die ſocialen Unter- ſchiede der Stände und ihrer öffentlichen Rechte trifft, trifft ſie in der Verwaltungsgemeinde auf die Gewalt und den Organismus des Be- hördenſyſtems. Daſſelbe verhält ſich ſeiner Natur nach abweiſend gegen die Selbſtverwaltung, theils mit Recht, theils mit Unrecht. Es fordert für ſich, während es im Grunde die Ortsgemeinde und ihre lokalen Rechte und Thätigkeiten mit einer gewiſſen Gleichgültigkeit be- trachtet, gerade die Aufgabe der Verwaltungsgemeinde als ſein eigen- thümliches Gebiet, während andererſeits das Princip der Selbverwal- tung gerade in denjenigen Gebieten, welche wir Verwaltungsgemeinden genannt haben, am bedeutſamſten ſein würde. Und hier entſteht
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der Selbſtverwaltung aufzuſtellen. Wir werden in ihnen den eigent-
lichen Inhalt des Charakters unſeres Jahrhunderts in dieſer Beziehung
zu ſuchen, und an ihnen die gegebenen Zuſtände zu meſſen haben.
Dieſelben können wir bezeichnen als das Princip, das Syſtem und
das Recht der Selbſtverwaltung oder des Gemeindeweſens in ſeinem
höhern Sinn.
Das Princip der Organiſation und des Rechts dieſes Gemeinde-
weſens iſt bedingt davon, ob die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft ganz oder
zum Theil zur Herrſchaft gediehen iſt. Der Hauptausdruck dieſer That-
ſache im Syſteme der Selbſtverwaltung beſteht in dem Charakter der
Ortsgemeinde, und namentlich in dem Unterſchied zwiſchen Stadt
und Land. Der Unterſchied zwiſchen Stadt und Land iſt der Unter-
ſchied zwiſchen dem gewerblichen und dem Grundbeſitz im Allgemeinen,
zwiſchen Gemeinde und Herrſchaft im Beſondern. Er iſt überhaupt
nur da möglich, wo die beiden großen Formen des Beſitzes noch unver-
mittelt neben einander ſtehen, und wo daher noch das alte Syſtem der
herrſchaftlichen Rechte fortbeſteht. Er verſchwindet dagegen, wo die
ſtändiſchen Unterſchiede nicht mehr als Unterſchiede des öffentlichen Rechts
auftreten. Die erſte Bedingung iſt dabei die, daß der kleine Grund-
beſitz nur überhaupt erſt einmal frei ſei; der große Proceß der Grund-
entlaſtung iſt hier von der höchſten Wichtigkeit geworden; ohne ihn iſt
überhaupt keine Landgemeindeordnung denkbar. Nur iſt derſelbe in
ſehr verſchiedener Weiſe geſchehen, und die Grundlage großer Verſchie-
denheiten geworden.
Das Syſtem der Selbſtverwaltung hat, während das Princip
derſelben in der Verſchmelzung von Stadt und Land zur Gemeinde
überhaupt ſeinen Ausdruck findet, ſeinen Schwerpunkt in der Organi-
ſirung desjenigen, was wir die Verwaltungsgemeinde genannt
haben. Ihrem Weſen nach fordert die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft die
Selbſtverwaltung auch in der Verwaltungsgemeinde. Allein während
ſie in dem Unterſchiede von Stadt und Land auf die ſocialen Unter-
ſchiede der Stände und ihrer öffentlichen Rechte trifft, trifft ſie in der
Verwaltungsgemeinde auf die Gewalt und den Organismus des Be-
hördenſyſtems. Daſſelbe verhält ſich ſeiner Natur nach abweiſend
gegen die Selbſtverwaltung, theils mit Recht, theils mit Unrecht. Es
fordert für ſich, während es im Grunde die Ortsgemeinde und ihre
lokalen Rechte und Thätigkeiten mit einer gewiſſen Gleichgültigkeit be-
trachtet, gerade die Aufgabe der Verwaltungsgemeinde als ſein eigen-
thümliches Gebiet, während andererſeits das Princip der Selbverwal-
tung gerade in denjenigen Gebieten, welche wir Verwaltungsgemeinden
genannt haben, am bedeutſamſten ſein würde. Und hier entſteht
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/485>, abgerufen am 22.11.2024.
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