Special Sessions. Das sind Sitzungen von zwei oder mehreren Friedens- richtern innerhalb der County, für deren Competenz kein bestimmtes Princip angegeben werden kann. Die Special Sessions namentlich be- ziehen sich jedoch auf administrative Akte, nach Gneist (II. §. 53) vor- waltend auf Ernennungen von amtlichem Personal. Sie enthalten Verwaltungsfunktionen, welche sich auf mehrere Verwaltungsgemein- den erstrecken, ohne daß man dabei die Aufgabe einer Landschaft zum Grunde legen könnte.
So nun greifen in England die Verwaltungsgemeinde, der frie- densrichterliche Kreis als Bezirk, und die Landschaft in einander; und es wird jetzt wohl klar sein, daß für die Ortsgemeinde nicht viel Raum mehr da ist, weil alle Thätigkeiten der örtlichen Selbstver- waltung bereits in den obigen Organen erschöpft sind. Dennoch bestehen diese Ortsgemeinden fort, und die größte Schwierigkeit in der Dar- stellung des Organismus der Selbstverwaltung liegt eben deßhalb darin, für jene Ortsgemeinden noch ein eigenes Lebensgebiet aufzustellen. Und hier müssen wir für England nun einen Begriff herbeiziehen, und auf Grund desselben den Versuch machen, die so sehr schwierigen Verhält- nisse, um welche es sich gerade bei der englischen Ortsgemeinde handelt, auf möglichst einfache Form zurückzuführen. Es wird dabei von großem Nutzen sein, die continentalen Begriffe zur Vergleichung stets gegen- wärtig zu halten.
Der erste Grundsatz für das englische Ortsgemeindewesen ist, daß es gar keine ländlichen Ortsgemeinden als Landgemeinden gibt, sondern nur Stadtgemeinden. Das nun beruht darauf, daß alle Funktionen der Gemeinde, wie bereits gesagt, in den Verwaltungs- gemeinden und der Kreisverwaltung aufgegangen sind. Als bloßer Selbstverwaltungskörper ist die Landgemeinde namentlich dadurch über- flüssig, daß Kirchen- und Armenangelegenheiten in der parish erledigt werden, während die Communicationsmittel und das Sanitätswesen wieder ihre Verwaltung haben. So weit daher eine Gemeinde nur durch den Titel der Selbstverwaltung motivirt erscheint, ist sie eben in England überhaupt nicht motivirt. Es kann daher gar keine Local- gemeinde geben; der Begriff und das Recht derselben fehlt in England gänzlich.
Wenn es nun trotz dieser Sätze dennoch in England Stadt- gemeinden gibt, und zwar als die einzige Form der Ortsgemeinden, so sind wohl zwei Dinge klar. Erstlich wird diese Stadtgemeinde nur sehr untergeordnete Aufgaben haben, insofern sie eine andere Form der Selbstverwaltung bedeuten soll als die Verwaltungsgemeinde. Zwei- tens aber wird ihr Entstehungs- und Rechtstitel nicht mehr, wie bei
Special Sessions. Das ſind Sitzungen von zwei oder mehreren Friedens- richtern innerhalb der County, für deren Competenz kein beſtimmtes Princip angegeben werden kann. Die Special Sessions namentlich be- ziehen ſich jedoch auf adminiſtrative Akte, nach Gneiſt (II. §. 53) vor- waltend auf Ernennungen von amtlichem Perſonal. Sie enthalten Verwaltungsfunktionen, welche ſich auf mehrere Verwaltungsgemein- den erſtrecken, ohne daß man dabei die Aufgabe einer Landſchaft zum Grunde legen könnte.
So nun greifen in England die Verwaltungsgemeinde, der frie- densrichterliche Kreis als Bezirk, und die Landſchaft in einander; und es wird jetzt wohl klar ſein, daß für die Ortsgemeinde nicht viel Raum mehr da iſt, weil alle Thätigkeiten der örtlichen Selbſtver- waltung bereits in den obigen Organen erſchöpft ſind. Dennoch beſtehen dieſe Ortsgemeinden fort, und die größte Schwierigkeit in der Dar- ſtellung des Organismus der Selbſtverwaltung liegt eben deßhalb darin, für jene Ortsgemeinden noch ein eigenes Lebensgebiet aufzuſtellen. Und hier müſſen wir für England nun einen Begriff herbeiziehen, und auf Grund deſſelben den Verſuch machen, die ſo ſehr ſchwierigen Verhält- niſſe, um welche es ſich gerade bei der engliſchen Ortsgemeinde handelt, auf möglichſt einfache Form zurückzuführen. Es wird dabei von großem Nutzen ſein, die continentalen Begriffe zur Vergleichung ſtets gegen- wärtig zu halten.
Der erſte Grundſatz für das engliſche Ortsgemeindeweſen iſt, daß es gar keine ländlichen Ortsgemeinden als Landgemeinden gibt, ſondern nur Stadtgemeinden. Das nun beruht darauf, daß alle Funktionen der Gemeinde, wie bereits geſagt, in den Verwaltungs- gemeinden und der Kreisverwaltung aufgegangen ſind. Als bloßer Selbſtverwaltungskörper iſt die Landgemeinde namentlich dadurch über- flüſſig, daß Kirchen- und Armenangelegenheiten in der parish erledigt werden, während die Communicationsmittel und das Sanitätsweſen wieder ihre Verwaltung haben. So weit daher eine Gemeinde nur durch den Titel der Selbſtverwaltung motivirt erſcheint, iſt ſie eben in England überhaupt nicht motivirt. Es kann daher gar keine Local- gemeinde geben; der Begriff und das Recht derſelben fehlt in England gänzlich.
Wenn es nun trotz dieſer Sätze dennoch in England Stadt- gemeinden gibt, und zwar als die einzige Form der Ortsgemeinden, ſo ſind wohl zwei Dinge klar. Erſtlich wird dieſe Stadtgemeinde nur ſehr untergeordnete Aufgaben haben, inſofern ſie eine andere Form der Selbſtverwaltung bedeuten ſoll als die Verwaltungsgemeinde. Zwei- tens aber wird ihr Entſtehungs- und Rechtstitel nicht mehr, wie bei
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Special Sessions. Das ſind Sitzungen von zwei oder mehreren Friedens-
richtern innerhalb der County, für deren Competenz kein beſtimmtes
Princip angegeben werden kann. Die Special Sessions namentlich be-
ziehen ſich jedoch auf adminiſtrative Akte, nach Gneiſt (II. §. 53) vor-
waltend auf Ernennungen von amtlichem Perſonal. Sie enthalten
Verwaltungsfunktionen, welche ſich auf mehrere Verwaltungsgemein-
den erſtrecken, ohne daß man dabei die Aufgabe einer Landſchaft zum
Grunde legen könnte.
So nun greifen in England die Verwaltungsgemeinde, der frie-
densrichterliche Kreis als Bezirk, und die Landſchaft in einander; und
es wird jetzt wohl klar ſein, daß für die Ortsgemeinde nicht viel
Raum mehr da iſt, weil alle Thätigkeiten der örtlichen Selbſtver-
waltung bereits in den obigen Organen erſchöpft ſind. Dennoch beſtehen
dieſe Ortsgemeinden fort, und die größte Schwierigkeit in der Dar-
ſtellung des Organismus der Selbſtverwaltung liegt eben deßhalb darin,
für jene Ortsgemeinden noch ein eigenes Lebensgebiet aufzuſtellen. Und
hier müſſen wir für England nun einen Begriff herbeiziehen, und auf
Grund deſſelben den Verſuch machen, die ſo ſehr ſchwierigen Verhält-
niſſe, um welche es ſich gerade bei der engliſchen Ortsgemeinde handelt,
auf möglichſt einfache Form zurückzuführen. Es wird dabei von großem
Nutzen ſein, die continentalen Begriffe zur Vergleichung ſtets gegen-
wärtig zu halten.
Der erſte Grundſatz für das engliſche Ortsgemeindeweſen iſt, daß
es gar keine ländlichen Ortsgemeinden als Landgemeinden
gibt, ſondern nur Stadtgemeinden. Das nun beruht darauf, daß
alle Funktionen der Gemeinde, wie bereits geſagt, in den Verwaltungs-
gemeinden und der Kreisverwaltung aufgegangen ſind. Als bloßer
Selbſtverwaltungskörper iſt die Landgemeinde namentlich dadurch über-
flüſſig, daß Kirchen- und Armenangelegenheiten in der parish erledigt
werden, während die Communicationsmittel und das Sanitätsweſen
wieder ihre Verwaltung haben. So weit daher eine Gemeinde nur
durch den Titel der Selbſtverwaltung motivirt erſcheint, iſt ſie eben in
England überhaupt nicht motivirt. Es kann daher gar keine Local-
gemeinde geben; der Begriff und das Recht derſelben fehlt in England
gänzlich.
Wenn es nun trotz dieſer Sätze dennoch in England Stadt-
gemeinden gibt, und zwar als die einzige Form der Ortsgemeinden,
ſo ſind wohl zwei Dinge klar. Erſtlich wird dieſe Stadtgemeinde nur
ſehr untergeordnete Aufgaben haben, inſofern ſie eine andere Form der
Selbſtverwaltung bedeuten ſoll als die Verwaltungsgemeinde. Zwei-
tens aber wird ihr Entſtehungs- und Rechtstitel nicht mehr, wie bei
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/496>, abgerufen am 22.11.2024.
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