Englands und der deutschen. Derselbe liegt vielmehr in dem zweiten Punkte.
Zweitens nämlich muß nun die Frage entstehen, in welchem Verhältniß diese incorporated boroughs zu dem Systeme der Ver- waltungsgemeinde stehen. Und hier ist natürlich eine langdauernde, von vielen theils örtlichen, theils juristischen Momenten bestimmte Ver- schiedenheit dieser Stadtgemeinden vorhanden gewesen, bis nach viel- fachen Gesetzen und Kämpfen endlich die letzte Städteordnung von 1835 (An Act to provide for the regulation of Municipal in England and Wales, publ. 9. Sept. 1835) diesen Verhältnissen eine ziemlich bestimmte Gestalt gegeben hat. Wir können dieselbe auf zwei Hauptpunkte zu- rückführen.
Zuerst haben alle Städte, welche unter diesen Akt fallen, ihr eigenes Vermögen zu verwalten; das ist die Grundlage des historischen Rechts, durch welche es eben noch Ortsgemeinden in England gibt.
Zweitens haben dieselben nun einen Theil an der Funktion der Verwaltungsgemeinden, und hiefür gibt es ein doppeltes Verhältniß.
Zunächst erscheinen sie als örtliche Vollziehungskörper für die Ver- waltungsgemeinde, gerade wie in Deutschland, indem sie für den ört- lichen Körper der Stadt theils das Sanitäts- und Verkehrswesen, Straßen, Beleuchtung, Reinigung, Häfen u. s. w., theils aber auch die örtliche Sicherheitspolizei und zwar meistens durch einen Polizei- ausschuß des Magistrats, der als Watch Committee funktionirt und die Gemeindewächter anstellt, verwalten.
Dann aber erscheinen sie bei großen Städten als selbständige Verwaltungskreise, indem sie selbst als friedensrichterliche Kreise auftreten; das Friedensrichteramt erscheint bei ihnen aber als eine Commission of the peace, und gehört damit unter das städtische Be- amtenthum. Nach Gneist waren bis 1839 139 Städte solche Friedens- richterkreise. Jedoch sind diese städtischen Friedensgerichte nicht compe- tent für Strafjustiz; für diese bleibt nach wie vor die Landschaft mit den Quarter Sessions competent. Ebenso bilden sich in diesen Städten die andern Verwaltungsgemeinden als Local Boards und Commissions, namentlich für Sanitätsangelegenheiten; die Stadt ist für sie nur die örtliche Zuständigkeit, und selbst da, wo sie aus den städtischen Organen gebildet werden, machen sie keinen Theil der städtischen Verwaltung in unserem Sinne aus, sondern stehen unmittelbar unter dem Home Secre- tariat. Daneben aber haben dieselben für das bürgerliche Recht ein eigenes Stadtgericht, welches durch den Recorder, Stadtrichter, ver- waltet wird. Dieser Recorder aber, der die Civiljurisdiction des Friedensrichters für das Stadtgebiet besitzt, ist eben deßhalb gerade
Englands und der deutſchen. Derſelbe liegt vielmehr in dem zweiten Punkte.
Zweitens nämlich muß nun die Frage entſtehen, in welchem Verhältniß dieſe incorporated boroughs zu dem Syſteme der Ver- waltungsgemeinde ſtehen. Und hier iſt natürlich eine langdauernde, von vielen theils örtlichen, theils juriſtiſchen Momenten beſtimmte Ver- ſchiedenheit dieſer Stadtgemeinden vorhanden geweſen, bis nach viel- fachen Geſetzen und Kämpfen endlich die letzte Städteordnung von 1835 (An Act to provide for the regulation of Municipal in England and Wales, publ. 9. Sept. 1835) dieſen Verhältniſſen eine ziemlich beſtimmte Geſtalt gegeben hat. Wir können dieſelbe auf zwei Hauptpunkte zu- rückführen.
Zuerſt haben alle Städte, welche unter dieſen Akt fallen, ihr eigenes Vermögen zu verwalten; das iſt die Grundlage des hiſtoriſchen Rechts, durch welche es eben noch Ortsgemeinden in England gibt.
Zweitens haben dieſelben nun einen Theil an der Funktion der Verwaltungsgemeinden, und hiefür gibt es ein doppeltes Verhältniß.
Zunächſt erſcheinen ſie als örtliche Vollziehungskörper für die Ver- waltungsgemeinde, gerade wie in Deutſchland, indem ſie für den ört- lichen Körper der Stadt theils das Sanitäts- und Verkehrsweſen, Straßen, Beleuchtung, Reinigung, Häfen u. ſ. w., theils aber auch die örtliche Sicherheitspolizei und zwar meiſtens durch einen Polizei- ausſchuß des Magiſtrats, der als Watch Committee funktionirt und die Gemeindewächter anſtellt, verwalten.
Dann aber erſcheinen ſie bei großen Städten als ſelbſtändige Verwaltungskreiſe, indem ſie ſelbſt als friedensrichterliche Kreiſe auftreten; das Friedensrichteramt erſcheint bei ihnen aber als eine Commission of the peace, und gehört damit unter das ſtädtiſche Be- amtenthum. Nach Gneiſt waren bis 1839 139 Städte ſolche Friedens- richterkreiſe. Jedoch ſind dieſe ſtädtiſchen Friedensgerichte nicht compe- tent für Strafjuſtiz; für dieſe bleibt nach wie vor die Landſchaft mit den Quarter Sessions competent. Ebenſo bilden ſich in dieſen Städten die andern Verwaltungsgemeinden als Local Boards und Commissions, namentlich für Sanitätsangelegenheiten; die Stadt iſt für ſie nur die örtliche Zuſtändigkeit, und ſelbſt da, wo ſie aus den ſtädtiſchen Organen gebildet werden, machen ſie keinen Theil der ſtädtiſchen Verwaltung in unſerem Sinne aus, ſondern ſtehen unmittelbar unter dem Home Secre- tariat. Daneben aber haben dieſelben für das bürgerliche Recht ein eigenes Stadtgericht, welches durch den Recorder, Stadtrichter, ver- waltet wird. Dieſer Recorder aber, der die Civiljurisdiction des Friedensrichters für das Stadtgebiet beſitzt, iſt eben deßhalb gerade
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Englands und der deutſchen. Derſelbe liegt vielmehr in dem zweiten
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Zweitens nämlich muß nun die Frage entſtehen, in welchem
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waltungsgemeinde ſtehen. Und hier iſt natürlich eine langdauernde,
von vielen theils örtlichen, theils juriſtiſchen Momenten beſtimmte Ver-
ſchiedenheit dieſer Stadtgemeinden vorhanden geweſen, bis nach viel-
fachen Geſetzen und Kämpfen endlich die letzte Städteordnung von 1835
(An Act to provide for the regulation of Municipal in England and
Wales, publ. 9. Sept. 1835) dieſen Verhältniſſen eine ziemlich beſtimmte
Geſtalt gegeben hat. Wir können dieſelbe auf zwei Hauptpunkte zu-
rückführen.
Zuerſt haben alle Städte, welche unter dieſen Akt fallen, ihr
eigenes Vermögen zu verwalten; das iſt die Grundlage des hiſtoriſchen
Rechts, durch welche es eben noch Ortsgemeinden in England gibt.
Zweitens haben dieſelben nun einen Theil an der Funktion der
Verwaltungsgemeinden, und hiefür gibt es ein doppeltes Verhältniß.
Zunächſt erſcheinen ſie als örtliche Vollziehungskörper für die Ver-
waltungsgemeinde, gerade wie in Deutſchland, indem ſie für den ört-
lichen Körper der Stadt theils das Sanitäts- und Verkehrsweſen,
Straßen, Beleuchtung, Reinigung, Häfen u. ſ. w., theils aber auch die
örtliche Sicherheitspolizei und zwar meiſtens durch einen Polizei-
ausſchuß des Magiſtrats, der als Watch Committee funktionirt und
die Gemeindewächter anſtellt, verwalten.
Dann aber erſcheinen ſie bei großen Städten als ſelbſtändige
Verwaltungskreiſe, indem ſie ſelbſt als friedensrichterliche Kreiſe
auftreten; das Friedensrichteramt erſcheint bei ihnen aber als eine
Commission of the peace, und gehört damit unter das ſtädtiſche Be-
amtenthum. Nach Gneiſt waren bis 1839 139 Städte ſolche Friedens-
richterkreiſe. Jedoch ſind dieſe ſtädtiſchen Friedensgerichte nicht compe-
tent für Strafjuſtiz; für dieſe bleibt nach wie vor die Landſchaft mit
den Quarter Sessions competent. Ebenſo bilden ſich in dieſen Städten
die andern Verwaltungsgemeinden als Local Boards und Commissions,
namentlich für Sanitätsangelegenheiten; die Stadt iſt für ſie nur die
örtliche Zuſtändigkeit, und ſelbſt da, wo ſie aus den ſtädtiſchen Organen
gebildet werden, machen ſie keinen Theil der ſtädtiſchen Verwaltung in
unſerem Sinne aus, ſondern ſtehen unmittelbar unter dem Home Secre-
tariat. Daneben aber haben dieſelben für das bürgerliche Recht ein
eigenes Stadtgericht, welches durch den Recorder, Stadtrichter, ver-
waltet wird. Dieſer Recorder aber, der die Civiljurisdiction des
Friedensrichters für das Stadtgebiet beſitzt, iſt eben deßhalb gerade
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/498>, abgerufen am 22.11.2024.
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