der Zünfte, Innungen und anderer Vorrechte gefallen. Die Landschaft war im Parlament des einzelnen Landes vertreten. Dieser Gestaltung der Dinge stand nun, wie wir bereits oben gesehen, die mächtige könig- liche Verwaltung gegenüber als eine für sich abgeschlossene Welt, mit eigenen Principien, eigener Gesetzgebung und eigenem Gericht. Sie war schon damals das eigentliche Frankreich.
Jetzt kam die Revolution. Sie brachte ihrerseits allerdings die staatsbürgerliche Gesellschaft zur Herrschaft; aber gerade die Gewalt, mit der sie das vollbrachte, zwang sie, die Verwaltung nicht etwa machtlos zu machen, sondern ihr noch mehr Macht zu geben als sie je gehabt. Allerdings unterwarf sie diese Verwaltung als Ganzes der Volksvertretung, fordernd, daß sie nichts sein solle, als der Ausdruck des Willens der letztern; aber im Einzelnen mußte sie diese Verwaltung um so freier gewähren lassen, je rücksichtsloser sie das Princip der administrativen Verantwortlichkeit gegen dieselbe durchführte. Bei der furchtbaren Schnelligkeit, mit welcher die neuen Ideen nicht bloß etwa die Staatsverfassung, sondern auch die Besitzverhältnisse angriffen und umgestalteten, so weit eben die letzten die Grundlagen der ständischen Unterschiede und Rechte bildeten, konnte man die Selbstverwaltung geradezu unmöglich auf die freie Zustimmung der Besitzenden begründen. Man hätte, wenn man den letztern eine Selbstbestimmung oder gar ein eigenes, unter eigener örtlicher Wahl stehendes Organ und diesem Organ eine gesetzlich begründete vollziehende Gewalt verliehen oder be- lassen hätte, die Gefahr laufen müssen, daß die Hälfte Frankreichs dem Willen der gesetzgebenden Versammlungen nicht gehorcht, und in dieser örtlichen Selbstverwaltung namentlich auf dem flachen Lande das stän- dische Element wieder zur vollen Geltung gebracht hätte. Die neue Ordnung der Dinge war daher nur um Einen Preis durchzusetzen; man mußte das alte Recht der königlichen Verwaltung in der revolu- tionären Staatsordnung grundsätzlich nicht bloß durchführen, sondern man mußte es zum Princip der Verwaltung machen. Man mußte die neuen Verwaltungen, um sie vor dem Einfluß der ständischen Unter- schiede sicher zu stellen, überhaupt der Bevölkerung so weit thunlich entziehen. Die Revolution herrschte im Gebiete des Geistes durch ihre Ideen; im Gebiete des wirklichen Lebens konnte sie nur durch die Macht der örtlichen Verwaltung durchgeführt werden. Und so geschah es, daß die staatsbürgerliche Gesellschaft eben weil sie durch die Vernichtung des Rechts der ständischen Gesellschaft zur Herrschaft gelangte, diese Herr- schaft auch nur durch Aufgeben ihres eigenen Rechts an die staatlichen Verwaltungsorgane erhalten konnte; denn jede Herrschaft erhält sich nur durch die Mittel, welche sie selbst erzeugt haben.
der Zünfte, Innungen und anderer Vorrechte gefallen. Die Landſchaft war im Parlament des einzelnen Landes vertreten. Dieſer Geſtaltung der Dinge ſtand nun, wie wir bereits oben geſehen, die mächtige könig- liche Verwaltung gegenüber als eine für ſich abgeſchloſſene Welt, mit eigenen Principien, eigener Geſetzgebung und eigenem Gericht. Sie war ſchon damals das eigentliche Frankreich.
Jetzt kam die Revolution. Sie brachte ihrerſeits allerdings die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft zur Herrſchaft; aber gerade die Gewalt, mit der ſie das vollbrachte, zwang ſie, die Verwaltung nicht etwa machtlos zu machen, ſondern ihr noch mehr Macht zu geben als ſie je gehabt. Allerdings unterwarf ſie dieſe Verwaltung als Ganzes der Volksvertretung, fordernd, daß ſie nichts ſein ſolle, als der Ausdruck des Willens der letztern; aber im Einzelnen mußte ſie dieſe Verwaltung um ſo freier gewähren laſſen, je rückſichtsloſer ſie das Princip der adminiſtrativen Verantwortlichkeit gegen dieſelbe durchführte. Bei der furchtbaren Schnelligkeit, mit welcher die neuen Ideen nicht bloß etwa die Staatsverfaſſung, ſondern auch die Beſitzverhältniſſe angriffen und umgeſtalteten, ſo weit eben die letzten die Grundlagen der ſtändiſchen Unterſchiede und Rechte bildeten, konnte man die Selbſtverwaltung geradezu unmöglich auf die freie Zuſtimmung der Beſitzenden begründen. Man hätte, wenn man den letztern eine Selbſtbeſtimmung oder gar ein eigenes, unter eigener örtlicher Wahl ſtehendes Organ und dieſem Organ eine geſetzlich begründete vollziehende Gewalt verliehen oder be- laſſen hätte, die Gefahr laufen müſſen, daß die Hälfte Frankreichs dem Willen der geſetzgebenden Verſammlungen nicht gehorcht, und in dieſer örtlichen Selbſtverwaltung namentlich auf dem flachen Lande das ſtän- diſche Element wieder zur vollen Geltung gebracht hätte. Die neue Ordnung der Dinge war daher nur um Einen Preis durchzuſetzen; man mußte das alte Recht der königlichen Verwaltung in der revolu- tionären Staatsordnung grundſätzlich nicht bloß durchführen, ſondern man mußte es zum Princip der Verwaltung machen. Man mußte die neuen Verwaltungen, um ſie vor dem Einfluß der ſtändiſchen Unter- ſchiede ſicher zu ſtellen, überhaupt der Bevölkerung ſo weit thunlich entziehen. Die Revolution herrſchte im Gebiete des Geiſtes durch ihre Ideen; im Gebiete des wirklichen Lebens konnte ſie nur durch die Macht der örtlichen Verwaltung durchgeführt werden. Und ſo geſchah es, daß die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft eben weil ſie durch die Vernichtung des Rechts der ſtändiſchen Geſellſchaft zur Herrſchaft gelangte, dieſe Herr- ſchaft auch nur durch Aufgeben ihres eigenen Rechts an die ſtaatlichen Verwaltungsorgane erhalten konnte; denn jede Herrſchaft erhält ſich nur durch die Mittel, welche ſie ſelbſt erzeugt haben.
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der Zünfte, Innungen und anderer Vorrechte gefallen. Die Landſchaft
war im Parlament des einzelnen Landes vertreten. Dieſer Geſtaltung
der Dinge ſtand nun, wie wir bereits oben geſehen, die mächtige könig-
liche Verwaltung gegenüber als eine für ſich abgeſchloſſene Welt, mit
eigenen Principien, eigener Geſetzgebung und eigenem Gericht. Sie
war ſchon damals das eigentliche Frankreich.
Jetzt kam die Revolution. Sie brachte ihrerſeits allerdings die
ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft zur Herrſchaft; aber gerade die Gewalt,
mit der ſie das vollbrachte, zwang ſie, die Verwaltung nicht etwa
machtlos zu machen, ſondern ihr noch mehr Macht zu geben als ſie je
gehabt. Allerdings unterwarf ſie dieſe Verwaltung als Ganzes der
Volksvertretung, fordernd, daß ſie nichts ſein ſolle, als der Ausdruck
des Willens der letztern; aber im Einzelnen mußte ſie dieſe Verwaltung
um ſo freier gewähren laſſen, je rückſichtsloſer ſie das Princip der
adminiſtrativen Verantwortlichkeit gegen dieſelbe durchführte. Bei der
furchtbaren Schnelligkeit, mit welcher die neuen Ideen nicht bloß etwa
die Staatsverfaſſung, ſondern auch die Beſitzverhältniſſe angriffen und
umgeſtalteten, ſo weit eben die letzten die Grundlagen der ſtändiſchen
Unterſchiede und Rechte bildeten, konnte man die Selbſtverwaltung
geradezu unmöglich auf die freie Zuſtimmung der Beſitzenden begründen.
Man hätte, wenn man den letztern eine Selbſtbeſtimmung oder gar
ein eigenes, unter eigener örtlicher Wahl ſtehendes Organ und dieſem
Organ eine geſetzlich begründete vollziehende Gewalt verliehen oder be-
laſſen hätte, die Gefahr laufen müſſen, daß die Hälfte Frankreichs dem
Willen der geſetzgebenden Verſammlungen nicht gehorcht, und in dieſer
örtlichen Selbſtverwaltung namentlich auf dem flachen Lande das ſtän-
diſche Element wieder zur vollen Geltung gebracht hätte. Die neue
Ordnung der Dinge war daher nur um Einen Preis durchzuſetzen;
man mußte das alte Recht der königlichen Verwaltung in der revolu-
tionären Staatsordnung grundſätzlich nicht bloß durchführen, ſondern
man mußte es zum Princip der Verwaltung machen. Man mußte die
neuen Verwaltungen, um ſie vor dem Einfluß der ſtändiſchen Unter-
ſchiede ſicher zu ſtellen, überhaupt der Bevölkerung ſo weit thunlich
entziehen. Die Revolution herrſchte im Gebiete des Geiſtes durch ihre
Ideen; im Gebiete des wirklichen Lebens konnte ſie nur durch die Macht
der örtlichen Verwaltung durchgeführt werden. Und ſo geſchah es, daß
die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft eben weil ſie durch die Vernichtung des
Rechts der ſtändiſchen Geſellſchaft zur Herrſchaft gelangte, dieſe Herr-
ſchaft auch nur durch Aufgeben ihres eigenen Rechts an die ſtaatlichen
Verwaltungsorgane erhalten konnte; denn jede Herrſchaft erhält ſich nur
durch die Mittel, welche ſie ſelbſt erzeugt haben.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/501>, abgerufen am 22.11.2024.
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