der bürgerlichen (oder "politischen") Gemeinden geradezu unmöglich machte, so sehr, daß auch in Frankreich und Oesterreich die Kirchengemeinden der evangelischen Bekenntnisse durchaus selbständige Verwaltungskörper sind, an welche sich dann oft die Schulgemeinden anschlossen, was stets von örtlichen Verhältnissen bedingt ist. Faßt man nun aber das Obige zusammen, so sieht man hier ein vielgestaltiges Bild zunächst innerhalb des Begriffes der ländlichen Selbstverwaltung entstehen. Und zu dieser Vielgestaltigkeit kommt nun zum Schlusse noch Eins hinzu, was wiederum auf der Unfähigkeit der Verhältnisse, englische Verwal- tungsgemeinden zu erzeugen, beruht.
Allerdings war nämlich für das städtische Leben das allgemeine Princip des Gemeinderechts zur Geltung gekommen. Allein es gibt gerade in Deutschland eine Menge sehr kleiner Städte und Ortschaften, die in engbegränztem Weichbild dennoch eine zum Theil sogar geschicht- lich berühmte Selbständigkeit haben, aber bei weitem nicht groß genug waren, um für Verwaltungsaufgaben zu genügen, die irgend eine aus- gedehntere Bedeutung haben. Da mit den Landgemeinden hier keine Gemeinschaft aus den oben erwähnten Gründen zu erzielen war, so konnten auch diese Verwaltungsaufgaben diesen städtischen Gemeinden nicht füglich überlassen werden, und die Amtskörper mußten trotz der Gemeindeverfassung und des Rechts der Selbstverwaltung die eigentliche Verwaltung weiter leiten. Dieß Verhältniß gestaltete sich nun, zum Theil nach dem französischen Vorgange der Classificirung der Städte für die Steuervertheilung, zu jener Deutschland ganz eigenthümlichen Er- scheinung, nach welcher das Maß der städtischen Selbstverwal- tung von der Größe der Gemeinde abhängig gemacht, oder Klassen der städtischen Gemeinderechte gebildet werden -- nach dem all- gemeinen Grundsatze, daß der Antheil an der Verwaltung mit dem Umfange der Städte steigt und fällt, natürlich in der Weise, daß das Amt im umgekehrten Verhältniß eine um so größere Gewalt hat, je kleiner die Ortsgemeinde ist. Es ist falsch, dieß den Regie- rungen zum Vorwurf zu machen; es ging vielmehr einfach aus dem Mangel an Verwaltungsgemeinden hervor, durch welche England jenem sonst allerdings kaum zu vermeidenden Mißverhältniß entgangen ist, und wird auch nicht anders werden, bis diese Organisationen ins Leben treten. Als Minimum der Rechte der Gemeinde gilt dabei die Ver- waltung des eigenen Vermögens und die Ortspolizei; mit dem Umfange wächst das Gebiet der Verwaltungsaufgaben, bis dieselben in den großen Hauptstädten allerdings zur völligen Selbstverwaltung sich er- heben. Der größte Uebelstand aber ist dabei, daß auch die Mittel- organe der örtlichen Selbstverwaltung, die Kreis- und Landtage, es
der bürgerlichen (oder „politiſchen“) Gemeinden geradezu unmöglich machte, ſo ſehr, daß auch in Frankreich und Oeſterreich die Kirchengemeinden der evangeliſchen Bekenntniſſe durchaus ſelbſtändige Verwaltungskörper ſind, an welche ſich dann oft die Schulgemeinden anſchloſſen, was ſtets von örtlichen Verhältniſſen bedingt iſt. Faßt man nun aber das Obige zuſammen, ſo ſieht man hier ein vielgeſtaltiges Bild zunächſt innerhalb des Begriffes der ländlichen Selbſtverwaltung entſtehen. Und zu dieſer Vielgeſtaltigkeit kommt nun zum Schluſſe noch Eins hinzu, was wiederum auf der Unfähigkeit der Verhältniſſe, engliſche Verwal- tungsgemeinden zu erzeugen, beruht.
Allerdings war nämlich für das ſtädtiſche Leben das allgemeine Princip des Gemeinderechts zur Geltung gekommen. Allein es gibt gerade in Deutſchland eine Menge ſehr kleiner Städte und Ortſchaften, die in engbegränztem Weichbild dennoch eine zum Theil ſogar geſchicht- lich berühmte Selbſtändigkeit haben, aber bei weitem nicht groß genug waren, um für Verwaltungsaufgaben zu genügen, die irgend eine aus- gedehntere Bedeutung haben. Da mit den Landgemeinden hier keine Gemeinſchaft aus den oben erwähnten Gründen zu erzielen war, ſo konnten auch dieſe Verwaltungsaufgaben dieſen ſtädtiſchen Gemeinden nicht füglich überlaſſen werden, und die Amtskörper mußten trotz der Gemeindeverfaſſung und des Rechts der Selbſtverwaltung die eigentliche Verwaltung weiter leiten. Dieß Verhältniß geſtaltete ſich nun, zum Theil nach dem franzöſiſchen Vorgange der Claſſificirung der Städte für die Steuervertheilung, zu jener Deutſchland ganz eigenthümlichen Er- ſcheinung, nach welcher das Maß der ſtädtiſchen Selbſtverwal- tung von der Größe der Gemeinde abhängig gemacht, oder Klaſſen der ſtädtiſchen Gemeinderechte gebildet werden — nach dem all- gemeinen Grundſatze, daß der Antheil an der Verwaltung mit dem Umfange der Städte ſteigt und fällt, natürlich in der Weiſe, daß das Amt im umgekehrten Verhältniß eine um ſo größere Gewalt hat, je kleiner die Ortsgemeinde iſt. Es iſt falſch, dieß den Regie- rungen zum Vorwurf zu machen; es ging vielmehr einfach aus dem Mangel an Verwaltungsgemeinden hervor, durch welche England jenem ſonſt allerdings kaum zu vermeidenden Mißverhältniß entgangen iſt, und wird auch nicht anders werden, bis dieſe Organiſationen ins Leben treten. Als Minimum der Rechte der Gemeinde gilt dabei die Ver- waltung des eigenen Vermögens und die Ortspolizei; mit dem Umfange wächst das Gebiet der Verwaltungsaufgaben, bis dieſelben in den großen Hauptſtädten allerdings zur völligen Selbſtverwaltung ſich er- heben. Der größte Uebelſtand aber iſt dabei, daß auch die Mittel- organe der örtlichen Selbſtverwaltung, die Kreis- und Landtage, es
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[502/0526]
der bürgerlichen (oder „politiſchen“) Gemeinden geradezu unmöglich machte,
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der evangeliſchen Bekenntniſſe durchaus ſelbſtändige Verwaltungskörper
ſind, an welche ſich dann oft die Schulgemeinden anſchloſſen, was ſtets
von örtlichen Verhältniſſen bedingt iſt. Faßt man nun aber das
Obige zuſammen, ſo ſieht man hier ein vielgeſtaltiges Bild zunächſt
innerhalb des Begriffes der ländlichen Selbſtverwaltung entſtehen. Und
zu dieſer Vielgeſtaltigkeit kommt nun zum Schluſſe noch Eins hinzu,
was wiederum auf der Unfähigkeit der Verhältniſſe, engliſche Verwal-
tungsgemeinden zu erzeugen, beruht.
Allerdings war nämlich für das ſtädtiſche Leben das allgemeine
Princip des Gemeinderechts zur Geltung gekommen. Allein es gibt
gerade in Deutſchland eine Menge ſehr kleiner Städte und Ortſchaften,
die in engbegränztem Weichbild dennoch eine zum Theil ſogar geſchicht-
lich berühmte Selbſtändigkeit haben, aber bei weitem nicht groß genug
waren, um für Verwaltungsaufgaben zu genügen, die irgend eine aus-
gedehntere Bedeutung haben. Da mit den Landgemeinden hier keine
Gemeinſchaft aus den oben erwähnten Gründen zu erzielen war, ſo
konnten auch dieſe Verwaltungsaufgaben dieſen ſtädtiſchen Gemeinden
nicht füglich überlaſſen werden, und die Amtskörper mußten trotz der
Gemeindeverfaſſung und des Rechts der Selbſtverwaltung die eigentliche
Verwaltung weiter leiten. Dieß Verhältniß geſtaltete ſich nun, zum
Theil nach dem franzöſiſchen Vorgange der Claſſificirung der Städte für
die Steuervertheilung, zu jener Deutſchland ganz eigenthümlichen Er-
ſcheinung, nach welcher das Maß der ſtädtiſchen Selbſtverwal-
tung von der Größe der Gemeinde abhängig gemacht, oder
Klaſſen der ſtädtiſchen Gemeinderechte gebildet werden — nach dem all-
gemeinen Grundſatze, daß der Antheil an der Verwaltung mit dem
Umfange der Städte ſteigt und fällt, natürlich in der Weiſe, daß
das Amt im umgekehrten Verhältniß eine um ſo größere Gewalt
hat, je kleiner die Ortsgemeinde iſt. Es iſt falſch, dieß den Regie-
rungen zum Vorwurf zu machen; es ging vielmehr einfach aus dem
Mangel an Verwaltungsgemeinden hervor, durch welche England jenem
ſonſt allerdings kaum zu vermeidenden Mißverhältniß entgangen iſt,
und wird auch nicht anders werden, bis dieſe Organiſationen ins Leben
treten. Als Minimum der Rechte der Gemeinde gilt dabei die Ver-
waltung des eigenen Vermögens und die Ortspolizei; mit dem Umfange
wächst das Gebiet der Verwaltungsaufgaben, bis dieſelben in den
großen Hauptſtädten allerdings zur völligen Selbſtverwaltung ſich er-
heben. Der größte Uebelſtand aber iſt dabei, daß auch die Mittel-
organe der örtlichen Selbſtverwaltung, die Kreis- und Landtage, es
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/526>, abgerufen am 22.11.2024.
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