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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Dieß sind die Grundzüge des preußischen Systems der örtlichen Selbst-
verwaltung, für die wir im Allgemeinen auf Rönnes vortreffliches Werk ver-
weisen. Es ist wichtig, weil es in der That der Ausdruck der gesammten Auf-
fassung der letzteren in Deutschland bietet, und zeigt uns auf allen Punkten
zwei Hauptthatsachen, welche eben die letztere überall charakterisiren. Die erste
ist, daß das System der selbständigen Ortsgemeinden das System der
mittleren und oberen Organe der örtlichen Selbstverwaltung
bedingt
; das zweite ist, daß in diesem System durch das Wegfallen der Ver-
waltungsgemeinden die eigentliche Selbstverwaltung in dem Kreise der Orts-
gemeinden liegt, und eben dadurch weder jetzt von großer Bedeutung ist, noch
auch es jemals werden kann, selbst dann nicht, wenn die ständische Orts-
gemeinde einmal gänzlich beseitigt sein sollte -- was übrigens bei dem höchst
beschränkten Standpunkt, den die preußische Grundentlastung einnimmt, so lange
nicht möglich sein wird, bis das freie österreichische Princip in Preußen zur
Anwendung kommt. Möge man in Preußen nie vergessen, daß die wahre Basis
der örtlichen Selbstverwaltung nicht in der einfachen Negation der ständischen
Rechte, sondern wesentlich in der Herstellung eines vollkommen freien, bäuer-
lichen Grundbesitzes liegt!

Wir wollen jetzt zur Vergleichung einige andere Systeme der örtlichen
Selbstverwaltung hinzufügen.

Bayern. Bayern ist das erste Land, welches die ständischen und staats-
bürgerlichen Elemente seiner Bevölkerung theils in socialer, theils aber in
administrativer Beziehung gesetzlich regelte. Daraus ging dann das erste
System seiner örtlichen Selbstverwaltung hervor, welches auf den verschiedenen
Edikten von 1818 beruhte. In ihm war der Unterschied zwischen den ständischen
und staatsbürgerlichen Körpern der Selbstverwaltung noch sehr scharf bestimmt.
Erst mit dem Jahre 1848 trat der mächtige Proceß der Grundentlastung nach-
drücklich in Thätigkeit, und damit zugleich eine Bewegung, welche mit einer
fast vollständigen Auflösung der herrschaftlichen Landgemeinde mit den gutsherr-
lichen Rechten begonnen hat, und mit der Beseitigung auch der standesherrlichen
Verwaltungsrechte seiner Zeit enden wird. Das nun hat für das zweite,
gegenwärtig geltende System entscheidend gewirkt, indem dasselbe nunmehr ein
eigenes Mittelorgan der örtlichen Selbstverwaltung in den Distriktsgemeinden
erzeugt, und damit die gegenwärtige Epoche zu einer festen Gestalt gebracht
hat. Dieß System ist folgendes.

A. Ortsgemeinden. Die Ortsgemeinden zeigen auch hier die beiden
Gruppen, die staatsbürgerliche in den Stadt- und Landgemeinden, und
die ständische in den Guts- und Standesherrschaften. Die ersteren sind
hier jedoch wieder in drei Klassen getheilt, die sich durch ein verschiedenes
Maß der Selbstverwaltung unterscheiden; die ganze Abtheilung der Land-
gemeinden ist ihrerseits im Grunde nichts anderes, als die vierte Klasse der
Stadtgemeinden, mit noch geringerem Recht. Die ständischen Gemeinden haben
ihre Selbständigkeit wesentlich in Ortspolizei und Gerichtsbarkeit. In der
Pfalz gilt das französische Municipalsystem. Es ist auf den ersten Blick klar,
daß wir in diesem System nur einen Uebergangszustand vor uns haben, der

Dieß ſind die Grundzüge des preußiſchen Syſtems der örtlichen Selbſt-
verwaltung, für die wir im Allgemeinen auf Rönnes vortreffliches Werk ver-
weiſen. Es iſt wichtig, weil es in der That der Ausdruck der geſammten Auf-
faſſung der letzteren in Deutſchland bietet, und zeigt uns auf allen Punkten
zwei Hauptthatſachen, welche eben die letztere überall charakteriſiren. Die erſte
iſt, daß das Syſtem der ſelbſtändigen Ortsgemeinden das Syſtem der
mittleren und oberen Organe der örtlichen Selbſtverwaltung
bedingt
; das zweite iſt, daß in dieſem Syſtem durch das Wegfallen der Ver-
waltungsgemeinden die eigentliche Selbſtverwaltung in dem Kreiſe der Orts-
gemeinden liegt, und eben dadurch weder jetzt von großer Bedeutung iſt, noch
auch es jemals werden kann, ſelbſt dann nicht, wenn die ſtändiſche Orts-
gemeinde einmal gänzlich beſeitigt ſein ſollte — was übrigens bei dem höchſt
beſchränkten Standpunkt, den die preußiſche Grundentlaſtung einnimmt, ſo lange
nicht möglich ſein wird, bis das freie öſterreichiſche Princip in Preußen zur
Anwendung kommt. Möge man in Preußen nie vergeſſen, daß die wahre Baſis
der örtlichen Selbſtverwaltung nicht in der einfachen Negation der ſtändiſchen
Rechte, ſondern weſentlich in der Herſtellung eines vollkommen freien, bäuer-
lichen Grundbeſitzes liegt!

Wir wollen jetzt zur Vergleichung einige andere Syſteme der örtlichen
Selbſtverwaltung hinzufügen.

Bayern. Bayern iſt das erſte Land, welches die ſtändiſchen und ſtaats-
bürgerlichen Elemente ſeiner Bevölkerung theils in ſocialer, theils aber in
adminiſtrativer Beziehung geſetzlich regelte. Daraus ging dann das erſte
Syſtem ſeiner örtlichen Selbſtverwaltung hervor, welches auf den verſchiedenen
Edikten von 1818 beruhte. In ihm war der Unterſchied zwiſchen den ſtändiſchen
und ſtaatsbürgerlichen Körpern der Selbſtverwaltung noch ſehr ſcharf beſtimmt.
Erſt mit dem Jahre 1848 trat der mächtige Proceß der Grundentlaſtung nach-
drücklich in Thätigkeit, und damit zugleich eine Bewegung, welche mit einer
faſt vollſtändigen Auflöſung der herrſchaftlichen Landgemeinde mit den gutsherr-
lichen Rechten begonnen hat, und mit der Beſeitigung auch der ſtandesherrlichen
Verwaltungsrechte ſeiner Zeit enden wird. Das nun hat für das zweite,
gegenwärtig geltende Syſtem entſcheidend gewirkt, indem daſſelbe nunmehr ein
eigenes Mittelorgan der örtlichen Selbſtverwaltung in den Diſtriktsgemeinden
erzeugt, und damit die gegenwärtige Epoche zu einer feſten Geſtalt gebracht
hat. Dieß Syſtem iſt folgendes.

A. Ortsgemeinden. Die Ortsgemeinden zeigen auch hier die beiden
Gruppen, die ſtaatsbürgerliche in den Stadt- und Landgemeinden, und
die ſtändiſche in den Guts- und Standesherrſchaften. Die erſteren ſind
hier jedoch wieder in drei Klaſſen getheilt, die ſich durch ein verſchiedenes
Maß der Selbſtverwaltung unterſcheiden; die ganze Abtheilung der Land-
gemeinden iſt ihrerſeits im Grunde nichts anderes, als die vierte Klaſſe der
Stadtgemeinden, mit noch geringerem Recht. Die ſtändiſchen Gemeinden haben
ihre Selbſtändigkeit weſentlich in Ortspolizei und Gerichtsbarkeit. In der
Pfalz gilt das franzöſiſche Municipalſyſtem. Es iſt auf den erſten Blick klar,
daß wir in dieſem Syſtem nur einen Uebergangszuſtand vor uns haben, der

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[506/0530] Dieß ſind die Grundzüge des preußiſchen Syſtems der örtlichen Selbſt- verwaltung, für die wir im Allgemeinen auf Rönnes vortreffliches Werk ver- weiſen. Es iſt wichtig, weil es in der That der Ausdruck der geſammten Auf- faſſung der letzteren in Deutſchland bietet, und zeigt uns auf allen Punkten zwei Hauptthatſachen, welche eben die letztere überall charakteriſiren. Die erſte iſt, daß das Syſtem der ſelbſtändigen Ortsgemeinden das Syſtem der mittleren und oberen Organe der örtlichen Selbſtverwaltung bedingt; das zweite iſt, daß in dieſem Syſtem durch das Wegfallen der Ver- waltungsgemeinden die eigentliche Selbſtverwaltung in dem Kreiſe der Orts- gemeinden liegt, und eben dadurch weder jetzt von großer Bedeutung iſt, noch auch es jemals werden kann, ſelbſt dann nicht, wenn die ſtändiſche Orts- gemeinde einmal gänzlich beſeitigt ſein ſollte — was übrigens bei dem höchſt beſchränkten Standpunkt, den die preußiſche Grundentlaſtung einnimmt, ſo lange nicht möglich ſein wird, bis das freie öſterreichiſche Princip in Preußen zur Anwendung kommt. Möge man in Preußen nie vergeſſen, daß die wahre Baſis der örtlichen Selbſtverwaltung nicht in der einfachen Negation der ſtändiſchen Rechte, ſondern weſentlich in der Herſtellung eines vollkommen freien, bäuer- lichen Grundbeſitzes liegt! Wir wollen jetzt zur Vergleichung einige andere Syſteme der örtlichen Selbſtverwaltung hinzufügen. Bayern. Bayern iſt das erſte Land, welches die ſtändiſchen und ſtaats- bürgerlichen Elemente ſeiner Bevölkerung theils in ſocialer, theils aber in adminiſtrativer Beziehung geſetzlich regelte. Daraus ging dann das erſte Syſtem ſeiner örtlichen Selbſtverwaltung hervor, welches auf den verſchiedenen Edikten von 1818 beruhte. In ihm war der Unterſchied zwiſchen den ſtändiſchen und ſtaatsbürgerlichen Körpern der Selbſtverwaltung noch ſehr ſcharf beſtimmt. Erſt mit dem Jahre 1848 trat der mächtige Proceß der Grundentlaſtung nach- drücklich in Thätigkeit, und damit zugleich eine Bewegung, welche mit einer faſt vollſtändigen Auflöſung der herrſchaftlichen Landgemeinde mit den gutsherr- lichen Rechten begonnen hat, und mit der Beſeitigung auch der ſtandesherrlichen Verwaltungsrechte ſeiner Zeit enden wird. Das nun hat für das zweite, gegenwärtig geltende Syſtem entſcheidend gewirkt, indem daſſelbe nunmehr ein eigenes Mittelorgan der örtlichen Selbſtverwaltung in den Diſtriktsgemeinden erzeugt, und damit die gegenwärtige Epoche zu einer feſten Geſtalt gebracht hat. Dieß Syſtem iſt folgendes. A. Ortsgemeinden. Die Ortsgemeinden zeigen auch hier die beiden Gruppen, die ſtaatsbürgerliche in den Stadt- und Landgemeinden, und die ſtändiſche in den Guts- und Standesherrſchaften. Die erſteren ſind hier jedoch wieder in drei Klaſſen getheilt, die ſich durch ein verſchiedenes Maß der Selbſtverwaltung unterſcheiden; die ganze Abtheilung der Land- gemeinden iſt ihrerſeits im Grunde nichts anderes, als die vierte Klaſſe der Stadtgemeinden, mit noch geringerem Recht. Die ſtändiſchen Gemeinden haben ihre Selbſtändigkeit weſentlich in Ortspolizei und Gerichtsbarkeit. In der Pfalz gilt das franzöſiſche Municipalſyſtem. Es iſt auf den erſten Blick klar, daß wir in dieſem Syſtem nur einen Uebergangszuſtand vor uns haben, der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/530>, abgerufen am 22.11.2024.