liegt nämlich allerdings im Wesen der Persönlichkeit überhaupt; die Vereine beginnen daher schon mit der Geschlechterordnung; allein da die staatsbürgerliche Gesellschaft unbedingt mit der Entwicklung der freien individuellen Persönlichkeit und des gewerblichen Besitzes im Gegensatz zum Grundbesitze überhaupt verbunden ist, so erzeugt erst das Entstehen des gewerblichen Besitzes das Vereinswesen als allgemeine Form des Gesammtlebens, schreitet Hand in Hand mit demselben vorwärts, und findet seine Vollendung erst in der Herrschaft der staatsbürgerlichen Ge- sellschaftsordnung, das ist, in unserem Jahrhundert. Die Entwicklung des Vereinswesens in unserem Jahrhundert ist daher kein zufälliges, sondern ein organisches Verhältniß; es ist zugleich mit seiner materiellen Basis, diesem gewerblichen Besitze, in unwiderstehlicher Entwicklung begriffen, und verbreitet sich damit auch über den Grundbesitz in dem Maße, in welchem die rationelle Landwirthschaft den Grund und Boden als ein gewerbliches Capital behandeln lernt, während es andererseits die ständischen Elemente durch den Werth ergreift, den der gewerbliche Verdienst auch für diese hat. Allein andererseits nimmt das Vereins- wesen eben dadurch auch die gesellschaftlichen Elemente der Zeit in sich auf, in der es entsteht. Die Menschen, die den Verein bilden, die Zwecke, für die er gebildet wird, sind nicht bloß freie Persönlichkeiten und Zwecke, sondern sie gehören auch ihrer gesellschaftlichen Epoche an. Mit den gesellschaftlichen Unterschieden kommen daher auch die ge- sellschaftlichen Gegensätze und Interessen in das Vereinsleben selbst hinein; dasselbe wird je nach der Zeit, in der und für welche es da ist, reicher, tiefer, aber auch einseitiger; es entwickelt sich durch das Zu- sammenwirken des abstrakten reinen Wesens des Vereins und der gesell- schaftlichen Faktoren jenes Etwas, das wir den Charakter des Vereins- wesens einer bestimmten Epoche nennen, und das uns seinen Inhalt nur zeigt, indem wir es auf die socialen Zustände und Gegensätze zu- rückführen. Das ist nicht schwer, indem wir die großen Grundformen der gesellschaftlichen Welt vor Augen haben; es ist aber der einzige Weg des wahren Verständnisses dieser wichtigen Erscheinungen, und läßt uns zugleich einen sehr ernsten Blick in die Zukunft thun, dessen Trag- weite schwerlich schon jetzt jemand verkennen wird. Denn es zeigt sich allenthalben, daß die Vereine stets allmählig die Gegensätze in der ge- sellschaftlichen Welt zum organischen Ausdruck gebracht haben und auch künftig bringen werden; darin liegt die einzige, aber auch die wahre Gefahr des Vereinswesens; und wo diese Gegensätze wie in der staats- bürgerlichen Gesellschaft namentlich in dem Maße des Besitzes und in der Hoffnung wurzeln, durch die Staatsgewalt diese wirthschaftliche Classenordnung und damit auch die gesellschaftliche ändern zu können,
liegt nämlich allerdings im Weſen der Perſönlichkeit überhaupt; die Vereine beginnen daher ſchon mit der Geſchlechterordnung; allein da die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft unbedingt mit der Entwicklung der freien individuellen Perſönlichkeit und des gewerblichen Beſitzes im Gegenſatz zum Grundbeſitze überhaupt verbunden iſt, ſo erzeugt erſt das Entſtehen des gewerblichen Beſitzes das Vereinsweſen als allgemeine Form des Geſammtlebens, ſchreitet Hand in Hand mit demſelben vorwärts, und findet ſeine Vollendung erſt in der Herrſchaft der ſtaatsbürgerlichen Ge- ſellſchaftsordnung, das iſt, in unſerem Jahrhundert. Die Entwicklung des Vereinsweſens in unſerem Jahrhundert iſt daher kein zufälliges, ſondern ein organiſches Verhältniß; es iſt zugleich mit ſeiner materiellen Baſis, dieſem gewerblichen Beſitze, in unwiderſtehlicher Entwicklung begriffen, und verbreitet ſich damit auch über den Grundbeſitz in dem Maße, in welchem die rationelle Landwirthſchaft den Grund und Boden als ein gewerbliches Capital behandeln lernt, während es andererſeits die ſtändiſchen Elemente durch den Werth ergreift, den der gewerbliche Verdienſt auch für dieſe hat. Allein andererſeits nimmt das Vereins- weſen eben dadurch auch die geſellſchaftlichen Elemente der Zeit in ſich auf, in der es entſteht. Die Menſchen, die den Verein bilden, die Zwecke, für die er gebildet wird, ſind nicht bloß freie Perſönlichkeiten und Zwecke, ſondern ſie gehören auch ihrer geſellſchaftlichen Epoche an. Mit den geſellſchaftlichen Unterſchieden kommen daher auch die ge- ſellſchaftlichen Gegenſätze und Intereſſen in das Vereinsleben ſelbſt hinein; daſſelbe wird je nach der Zeit, in der und für welche es da iſt, reicher, tiefer, aber auch einſeitiger; es entwickelt ſich durch das Zu- ſammenwirken des abſtrakten reinen Weſens des Vereins und der geſell- ſchaftlichen Faktoren jenes Etwas, das wir den Charakter des Vereins- weſens einer beſtimmten Epoche nennen, und das uns ſeinen Inhalt nur zeigt, indem wir es auf die ſocialen Zuſtände und Gegenſätze zu- rückführen. Das iſt nicht ſchwer, indem wir die großen Grundformen der geſellſchaftlichen Welt vor Augen haben; es iſt aber der einzige Weg des wahren Verſtändniſſes dieſer wichtigen Erſcheinungen, und läßt uns zugleich einen ſehr ernſten Blick in die Zukunft thun, deſſen Trag- weite ſchwerlich ſchon jetzt jemand verkennen wird. Denn es zeigt ſich allenthalben, daß die Vereine ſtets allmählig die Gegenſätze in der ge- ſellſchaftlichen Welt zum organiſchen Ausdruck gebracht haben und auch künftig bringen werden; darin liegt die einzige, aber auch die wahre Gefahr des Vereinsweſens; und wo dieſe Gegenſätze wie in der ſtaats- bürgerlichen Geſellſchaft namentlich in dem Maße des Beſitzes und in der Hoffnung wurzeln, durch die Staatsgewalt dieſe wirthſchaftliche Claſſenordnung und damit auch die geſellſchaftliche ändern zu können,
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liegt nämlich allerdings im Weſen der Perſönlichkeit überhaupt; die
Vereine beginnen daher ſchon mit der Geſchlechterordnung; allein da die
ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft unbedingt mit der Entwicklung der freien
individuellen Perſönlichkeit und des gewerblichen Beſitzes im Gegenſatz
zum Grundbeſitze überhaupt verbunden iſt, ſo erzeugt erſt das Entſtehen
des gewerblichen Beſitzes das Vereinsweſen als allgemeine Form des
Geſammtlebens, ſchreitet Hand in Hand mit demſelben vorwärts, und
findet ſeine Vollendung erſt in der Herrſchaft der ſtaatsbürgerlichen Ge-
ſellſchaftsordnung, das iſt, in unſerem Jahrhundert. Die Entwicklung
des Vereinsweſens in unſerem Jahrhundert iſt daher kein zufälliges,
ſondern ein organiſches Verhältniß; es iſt zugleich mit ſeiner materiellen
Baſis, dieſem gewerblichen Beſitze, in unwiderſtehlicher Entwicklung
begriffen, und verbreitet ſich damit auch über den Grundbeſitz in dem
Maße, in welchem die rationelle Landwirthſchaft den Grund und Boden
als ein gewerbliches Capital behandeln lernt, während es andererſeits
die ſtändiſchen Elemente durch den Werth ergreift, den der gewerbliche
Verdienſt auch für dieſe hat. Allein andererſeits nimmt das Vereins-
weſen eben dadurch auch die geſellſchaftlichen Elemente der Zeit in ſich
auf, in der es entſteht. Die Menſchen, die den Verein bilden, die
Zwecke, für die er gebildet wird, ſind nicht bloß freie Perſönlichkeiten
und Zwecke, ſondern ſie gehören auch ihrer geſellſchaftlichen Epoche
an. Mit den geſellſchaftlichen Unterſchieden kommen daher auch die ge-
ſellſchaftlichen Gegenſätze und Intereſſen in das Vereinsleben ſelbſt
hinein; daſſelbe wird je nach der Zeit, in der und für welche es da iſt,
reicher, tiefer, aber auch einſeitiger; es entwickelt ſich durch das Zu-
ſammenwirken des abſtrakten reinen Weſens des Vereins und der geſell-
ſchaftlichen Faktoren jenes Etwas, das wir den Charakter des Vereins-
weſens einer beſtimmten Epoche nennen, und das uns ſeinen Inhalt
nur zeigt, indem wir es auf die ſocialen Zuſtände und Gegenſätze zu-
rückführen. Das iſt nicht ſchwer, indem wir die großen Grundformen
der geſellſchaftlichen Welt vor Augen haben; es iſt aber der einzige
Weg des wahren Verſtändniſſes dieſer wichtigen Erſcheinungen, und läßt
uns zugleich einen ſehr ernſten Blick in die Zukunft thun, deſſen Trag-
weite ſchwerlich ſchon jetzt jemand verkennen wird. Denn es zeigt ſich
allenthalben, daß die Vereine ſtets allmählig die Gegenſätze in der ge-
ſellſchaftlichen Welt zum organiſchen Ausdruck gebracht haben und auch
künftig bringen werden; darin liegt die einzige, aber auch die wahre
Gefahr des Vereinsweſens; und wo dieſe Gegenſätze wie in der ſtaats-
bürgerlichen Geſellſchaft namentlich in dem Maße des Beſitzes und in
der Hoffnung wurzeln, durch die Staatsgewalt dieſe wirthſchaftliche
Claſſenordnung und damit auch die geſellſchaftliche ändern zu können,
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/552>, abgerufen am 22.11.2024.
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