den organischen Begriff des Staats aufzunehmen, obwohl sie so viel von dem Begriffe der "Gemeinde" und dem der "Gesellschaft" redet. Der Grund liegt eben darin, daß zum wissenschaftlichen Begriffe des Vereins der Begriff und das Wesen der einzelnen Persönlichkeit gegenüber der Mehrheit gehört, wäh- rend man mit dem Begriff der Gemeinschaft hier nicht weiter gelangt, und daß andererseits der Begriff der "Staatsverwaltung" ein vollkommen klarer sein muß, da an ihm erst der Verein seinen objektiven Inhalt und sein System empfängt. Das Vereinswesen ist unter allen Theilen des Staatsrechts ohne allen Zweifel derjenige, der uns am deutlichsten beweist, daß die bisherige persönlichkeitslose Anschauung des Staatsbegriffes nicht genügt. Der französische Begriff der Association hat auf dem Gebiete der Staatswissenschaften nicht durchschlagen können, weil man keinen rechten Begriff der Verwaltung hatte, der aus ihm das Vereinswesen gemacht hätte. So blieb er in der socialen Sphäre stecken (s. z. B. J. H. Fichte, Ethik II, §. 97), wozu die noch enge und unent- wickelte Auffassung des Verfassers, der die französischen Anschauungen über das Associationswesen zuerst in Deutschland in seinem Socialismus und Commu- nismus, und später in seiner Geschichte der socialen Bewegung bekannt machte, viel beigetragen hat. Ich gestehe, daß auch mir erst durch den Begriff der Verwaltung der Begriff des Vereins aus dem der Association klar geworden. Es wird auch Andern so geschehen.
II. Historische Entwicklung des Vereinswesens und des Vereinsrechts.
Hält man den oben aufgestellten Begriff des Vereinswesens fest, so ergeben sich die Grundlagen für die Geschichte der Vereine in ihrer äußern und inneren Gestaltung, eine Geschichte, von der wir nur in sehr einzelnen Punkten die Bruchstücke besitzen, die aber nirgends zu einem lebendigen Ganzen verarbeitet ist. Und dennoch bildet das Ver- einswesen in seinen verschiedenen Formen einen hochwichtigen Theil des Gesammtlebens, namentlich in der germanischen Welt. Denn die orien- talische Welt macht durch die absolute Herrschaft des Staats den Verein der freien Staatsbürger unmöglich, die alte Welt macht ihn durch die Selbstherrschaft des Staatsbürgerthums und ihren Mangel an Verwal- tung überflüssig; erst in der germanischen Welt kann das Vereinswesen entstehen. Und das Folgende soll die Elemente der Entwicklung desselben als Grundlage des Verständnisses unserer Gegenwart und wenigstens unserer nächsten Zukunft darbieten.
Alles Vereinswesen nämlich beruht, da es die Gemeinschaft Gleich- berechtigter für einen gemeinsamen Zweck organisirt, selbst auf dem Princip der bürgerlichen Gleichheit. Wo immer daher ein Vereinswesen entsteht, wird es stets nur in den Elementen dieser bürgerlichen Gleich- heit, und damit in den Elementen der staatsbürgerlichen Gesellschafts- ordnung seine Entwicklung finden. Das Bedürfniß der Vereinigung
den organiſchen Begriff des Staats aufzunehmen, obwohl ſie ſo viel von dem Begriffe der „Gemeinde“ und dem der „Geſellſchaft“ redet. Der Grund liegt eben darin, daß zum wiſſenſchaftlichen Begriffe des Vereins der Begriff und das Weſen der einzelnen Perſönlichkeit gegenüber der Mehrheit gehört, wäh- rend man mit dem Begriff der Gemeinſchaft hier nicht weiter gelangt, und daß andererſeits der Begriff der „Staatsverwaltung“ ein vollkommen klarer ſein muß, da an ihm erſt der Verein ſeinen objektiven Inhalt und ſein Syſtem empfängt. Das Vereinsweſen iſt unter allen Theilen des Staatsrechts ohne allen Zweifel derjenige, der uns am deutlichſten beweist, daß die bisherige perſönlichkeitsloſe Anſchauung des Staatsbegriffes nicht genügt. Der franzöſiſche Begriff der Aſſociation hat auf dem Gebiete der Staatswiſſenſchaften nicht durchſchlagen können, weil man keinen rechten Begriff der Verwaltung hatte, der aus ihm das Vereinsweſen gemacht hätte. So blieb er in der ſocialen Sphäre ſtecken (ſ. z. B. J. H. Fichte, Ethik II, §. 97), wozu die noch enge und unent- wickelte Auffaſſung des Verfaſſers, der die franzöſiſchen Anſchauungen über das Aſſociationsweſen zuerſt in Deutſchland in ſeinem Socialismus und Commu- nismus, und ſpäter in ſeiner Geſchichte der ſocialen Bewegung bekannt machte, viel beigetragen hat. Ich geſtehe, daß auch mir erſt durch den Begriff der Verwaltung der Begriff des Vereins aus dem der Aſſociation klar geworden. Es wird auch Andern ſo geſchehen.
II. Hiſtoriſche Entwicklung des Vereinsweſens und des Vereinsrechts.
Hält man den oben aufgeſtellten Begriff des Vereinsweſens feſt, ſo ergeben ſich die Grundlagen für die Geſchichte der Vereine in ihrer äußern und inneren Geſtaltung, eine Geſchichte, von der wir nur in ſehr einzelnen Punkten die Bruchſtücke beſitzen, die aber nirgends zu einem lebendigen Ganzen verarbeitet iſt. Und dennoch bildet das Ver- einsweſen in ſeinen verſchiedenen Formen einen hochwichtigen Theil des Geſammtlebens, namentlich in der germaniſchen Welt. Denn die orien- taliſche Welt macht durch die abſolute Herrſchaft des Staats den Verein der freien Staatsbürger unmöglich, die alte Welt macht ihn durch die Selbſtherrſchaft des Staatsbürgerthums und ihren Mangel an Verwal- tung überflüſſig; erſt in der germaniſchen Welt kann das Vereinsweſen entſtehen. Und das Folgende ſoll die Elemente der Entwicklung deſſelben als Grundlage des Verſtändniſſes unſerer Gegenwart und wenigſtens unſerer nächſten Zukunft darbieten.
Alles Vereinsweſen nämlich beruht, da es die Gemeinſchaft Gleich- berechtigter für einen gemeinſamen Zweck organiſirt, ſelbſt auf dem Princip der bürgerlichen Gleichheit. Wo immer daher ein Vereinsweſen entſteht, wird es ſtets nur in den Elementen dieſer bürgerlichen Gleich- heit, und damit in den Elementen der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchafts- ordnung ſeine Entwicklung finden. Das Bedürfniß der Vereinigung
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[527/0551]
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eben darin, daß zum wiſſenſchaftlichen Begriffe des Vereins der Begriff und
das Weſen der einzelnen Perſönlichkeit gegenüber der Mehrheit gehört, wäh-
rend man mit dem Begriff der Gemeinſchaft hier nicht weiter gelangt, und daß
andererſeits der Begriff der „Staatsverwaltung“ ein vollkommen klarer ſein muß,
da an ihm erſt der Verein ſeinen objektiven Inhalt und ſein Syſtem empfängt.
Das Vereinsweſen iſt unter allen Theilen des Staatsrechts ohne allen Zweifel
derjenige, der uns am deutlichſten beweist, daß die bisherige perſönlichkeitsloſe
Anſchauung des Staatsbegriffes nicht genügt. Der franzöſiſche Begriff der
Aſſociation hat auf dem Gebiete der Staatswiſſenſchaften nicht durchſchlagen
können, weil man keinen rechten Begriff der Verwaltung hatte, der aus ihm
das Vereinsweſen gemacht hätte. So blieb er in der ſocialen Sphäre ſtecken
(ſ. z. B. J. H. Fichte, Ethik II, §. 97), wozu die noch enge und unent-
wickelte Auffaſſung des Verfaſſers, der die franzöſiſchen Anſchauungen über
das Aſſociationsweſen zuerſt in Deutſchland in ſeinem Socialismus und Commu-
nismus, und ſpäter in ſeiner Geſchichte der ſocialen Bewegung bekannt machte,
viel beigetragen hat. Ich geſtehe, daß auch mir erſt durch den Begriff der
Verwaltung der Begriff des Vereins aus dem der Aſſociation klar geworden.
Es wird auch Andern ſo geſchehen.
II. Hiſtoriſche Entwicklung des Vereinsweſens und des Vereinsrechts.
Hält man den oben aufgeſtellten Begriff des Vereinsweſens feſt,
ſo ergeben ſich die Grundlagen für die Geſchichte der Vereine in ihrer
äußern und inneren Geſtaltung, eine Geſchichte, von der wir nur in
ſehr einzelnen Punkten die Bruchſtücke beſitzen, die aber nirgends zu
einem lebendigen Ganzen verarbeitet iſt. Und dennoch bildet das Ver-
einsweſen in ſeinen verſchiedenen Formen einen hochwichtigen Theil des
Geſammtlebens, namentlich in der germaniſchen Welt. Denn die orien-
taliſche Welt macht durch die abſolute Herrſchaft des Staats den Verein
der freien Staatsbürger unmöglich, die alte Welt macht ihn durch die
Selbſtherrſchaft des Staatsbürgerthums und ihren Mangel an Verwal-
tung überflüſſig; erſt in der germaniſchen Welt kann das Vereinsweſen
entſtehen. Und das Folgende ſoll die Elemente der Entwicklung deſſelben
als Grundlage des Verſtändniſſes unſerer Gegenwart und wenigſtens
unſerer nächſten Zukunft darbieten.
Alles Vereinsweſen nämlich beruht, da es die Gemeinſchaft Gleich-
berechtigter für einen gemeinſamen Zweck organiſirt, ſelbſt auf dem
Princip der bürgerlichen Gleichheit. Wo immer daher ein Vereinsweſen
entſteht, wird es ſtets nur in den Elementen dieſer bürgerlichen Gleich-
heit, und damit in den Elementen der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchafts-
ordnung ſeine Entwicklung finden. Das Bedürfniß der Vereinigung
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/551>, abgerufen am 22.11.2024.
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