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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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die Vollziehung mit ihrem Verständniß der wirklichen Dinge und ihrer
Postulate den Körper gibt. Die halbe Mißachtung und das Mißtrauen
gegen die Vollziehung sind daher nur historisch zu erklären; in Wahr-
heit ist die Funktion derselben eine jedenfalls nicht leichtere, und eben
so ernste, als die der Gesetzgebung. Wer das Staatsleben begreifen will,
sollte sich als erste Aufgabe diese Anschauung des hohen Berufes der
Vollziehung in diesem Sinne eigen machen. Nur dieß Verständniß kann
aller Thätigkeit, welche dazu gehört, die geistige Spannkraft und Trag-
weite geben, deren sie gerade in unserer Zeit bedarf, wo der historische
Standpunkt, auf welchem wir stehen, es mit sich gebracht hat, daß man
stets geneigt ist, alles Gute was geschieht, der Gesetzgebung, und alles
Ueble der Vollziehung zuzuschreiben.

Die folgende Darstellung wird zeigen, daß diese allgemeinen Sätze
auch im Einzelnen ihre volle Berechtigung finden.

Die ganze Lehre von der Vollziehung muß nämlich in zwei Theile
zerfallen, die im Wesen der That liegen. Jede That erscheint nämlich
zuerst als Kraft, und dann als Mittel der Ausführung. Beide,
Kraft und Mittel, sind aber in der Persönlichkeit des Staats nicht wie
bei dem einzelnen Menschen ununterscheidbar verschmolzen; das höhere
Wesen der Persönlichkeit des Staats zeigt sich auch hier darin, daß
beide Momente der That nicht bloß abstrakt in der Theorie geschieden
werden, sondern in der Wirklichkeit geschieden sind. Und jedes dieser
Momente zeigt sich bei näherer Betrachtung wieder als ein System von
Begriffen, deren Darlegung einen reichen Inhalt bietet, und die wiederum
für das ganze Gebiet der eigentlichen Verwaltung gültig
sind
. Die Darstellung dieser, als selbständig gedachten Kraft des
Staats, oder der vollziehenden Gewalt, in allen ihren einzelnen
Momenten nennen wir kurz das Recht der vollziehenden Gewalt, weil
sich diese Selbständigkeit sowohl des Ganzen als der einzelnen Momente,
die es bilden, erst am Rechte bestimmt und äußerlich scheidet, und das
Verständniß des Rechts zum Verständniß der Natur derselben führen
muß. Das Mittel aber, dessen sich diese Kraft bedient und in welchem
sie lebt, ist das Organ der Vollziehung. An sich bedarf die Voll-
ziehung des Staats wie jede Kraft eines Organes, und es ist nicht
schwer, es von der Kraft äußerlich zu trennen. Allein in dem groß-
artigen persönlichen Leben des Staats tritt diese vollziehende Gewalt
nicht als ein einzelnes Organ, sondern vielmehr als ein System von
Organen
, darin jedes wieder in Gestalt und Umfang bedingt ist durch
das Objekt, welche die Vollziehung ihm übergeben hat, um den Staats-
willen in ihm zu vollziehen. Die Bildung dieses Organismus der voll-
ziehenden Gewalt hat wieder ihre besondere Gesetze; immer aber ist der

die Vollziehung mit ihrem Verſtändniß der wirklichen Dinge und ihrer
Poſtulate den Körper gibt. Die halbe Mißachtung und das Mißtrauen
gegen die Vollziehung ſind daher nur hiſtoriſch zu erklären; in Wahr-
heit iſt die Funktion derſelben eine jedenfalls nicht leichtere, und eben
ſo ernſte, als die der Geſetzgebung. Wer das Staatsleben begreifen will,
ſollte ſich als erſte Aufgabe dieſe Anſchauung des hohen Berufes der
Vollziehung in dieſem Sinne eigen machen. Nur dieß Verſtändniß kann
aller Thätigkeit, welche dazu gehört, die geiſtige Spannkraft und Trag-
weite geben, deren ſie gerade in unſerer Zeit bedarf, wo der hiſtoriſche
Standpunkt, auf welchem wir ſtehen, es mit ſich gebracht hat, daß man
ſtets geneigt iſt, alles Gute was geſchieht, der Geſetzgebung, und alles
Ueble der Vollziehung zuzuſchreiben.

Die folgende Darſtellung wird zeigen, daß dieſe allgemeinen Sätze
auch im Einzelnen ihre volle Berechtigung finden.

Die ganze Lehre von der Vollziehung muß nämlich in zwei Theile
zerfallen, die im Weſen der That liegen. Jede That erſcheint nämlich
zuerſt als Kraft, und dann als Mittel der Ausführung. Beide,
Kraft und Mittel, ſind aber in der Perſönlichkeit des Staats nicht wie
bei dem einzelnen Menſchen ununterſcheidbar verſchmolzen; das höhere
Weſen der Perſönlichkeit des Staats zeigt ſich auch hier darin, daß
beide Momente der That nicht bloß abſtrakt in der Theorie geſchieden
werden, ſondern in der Wirklichkeit geſchieden ſind. Und jedes dieſer
Momente zeigt ſich bei näherer Betrachtung wieder als ein Syſtem von
Begriffen, deren Darlegung einen reichen Inhalt bietet, und die wiederum
für das ganze Gebiet der eigentlichen Verwaltung gültig
ſind
. Die Darſtellung dieſer, als ſelbſtändig gedachten Kraft des
Staats, oder der vollziehenden Gewalt, in allen ihren einzelnen
Momenten nennen wir kurz das Recht der vollziehenden Gewalt, weil
ſich dieſe Selbſtändigkeit ſowohl des Ganzen als der einzelnen Momente,
die es bilden, erſt am Rechte beſtimmt und äußerlich ſcheidet, und das
Verſtändniß des Rechts zum Verſtändniß der Natur derſelben führen
muß. Das Mittel aber, deſſen ſich dieſe Kraft bedient und in welchem
ſie lebt, iſt das Organ der Vollziehung. An ſich bedarf die Voll-
ziehung des Staats wie jede Kraft eines Organes, und es iſt nicht
ſchwer, es von der Kraft äußerlich zu trennen. Allein in dem groß-
artigen perſönlichen Leben des Staats tritt dieſe vollziehende Gewalt
nicht als ein einzelnes Organ, ſondern vielmehr als ein Syſtem von
Organen
, darin jedes wieder in Geſtalt und Umfang bedingt iſt durch
das Objekt, welche die Vollziehung ihm übergeben hat, um den Staats-
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[32/0056] die Vollziehung mit ihrem Verſtändniß der wirklichen Dinge und ihrer Poſtulate den Körper gibt. Die halbe Mißachtung und das Mißtrauen gegen die Vollziehung ſind daher nur hiſtoriſch zu erklären; in Wahr- heit iſt die Funktion derſelben eine jedenfalls nicht leichtere, und eben ſo ernſte, als die der Geſetzgebung. Wer das Staatsleben begreifen will, ſollte ſich als erſte Aufgabe dieſe Anſchauung des hohen Berufes der Vollziehung in dieſem Sinne eigen machen. Nur dieß Verſtändniß kann aller Thätigkeit, welche dazu gehört, die geiſtige Spannkraft und Trag- weite geben, deren ſie gerade in unſerer Zeit bedarf, wo der hiſtoriſche Standpunkt, auf welchem wir ſtehen, es mit ſich gebracht hat, daß man ſtets geneigt iſt, alles Gute was geſchieht, der Geſetzgebung, und alles Ueble der Vollziehung zuzuſchreiben. Die folgende Darſtellung wird zeigen, daß dieſe allgemeinen Sätze auch im Einzelnen ihre volle Berechtigung finden. Die ganze Lehre von der Vollziehung muß nämlich in zwei Theile zerfallen, die im Weſen der That liegen. Jede That erſcheint nämlich zuerſt als Kraft, und dann als Mittel der Ausführung. Beide, Kraft und Mittel, ſind aber in der Perſönlichkeit des Staats nicht wie bei dem einzelnen Menſchen ununterſcheidbar verſchmolzen; das höhere Weſen der Perſönlichkeit des Staats zeigt ſich auch hier darin, daß beide Momente der That nicht bloß abſtrakt in der Theorie geſchieden werden, ſondern in der Wirklichkeit geſchieden ſind. Und jedes dieſer Momente zeigt ſich bei näherer Betrachtung wieder als ein Syſtem von Begriffen, deren Darlegung einen reichen Inhalt bietet, und die wiederum für das ganze Gebiet der eigentlichen Verwaltung gültig ſind. Die Darſtellung dieſer, als ſelbſtändig gedachten Kraft des Staats, oder der vollziehenden Gewalt, in allen ihren einzelnen Momenten nennen wir kurz das Recht der vollziehenden Gewalt, weil ſich dieſe Selbſtändigkeit ſowohl des Ganzen als der einzelnen Momente, die es bilden, erſt am Rechte beſtimmt und äußerlich ſcheidet, und das Verſtändniß des Rechts zum Verſtändniß der Natur derſelben führen muß. Das Mittel aber, deſſen ſich dieſe Kraft bedient und in welchem ſie lebt, iſt das Organ der Vollziehung. An ſich bedarf die Voll- ziehung des Staats wie jede Kraft eines Organes, und es iſt nicht ſchwer, es von der Kraft äußerlich zu trennen. Allein in dem groß- artigen perſönlichen Leben des Staats tritt dieſe vollziehende Gewalt nicht als ein einzelnes Organ, ſondern vielmehr als ein Syſtem von Organen, darin jedes wieder in Geſtalt und Umfang bedingt iſt durch das Objekt, welche die Vollziehung ihm übergeben hat, um den Staats- willen in ihm zu vollziehen. Die Bildung dieſes Organismus der voll- ziehenden Gewalt hat wieder ihre beſondere Geſetze; immer aber iſt der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/56>, abgerufen am 24.11.2024.