Organismus der Träger des Rechts der vollziehenden Gewalt in ihren einzelnen Gebieten. Der Organismus derselben ist daher ein selbstän- diges Gebiet, und bildet neben dem Rechte der vollziehenden Gewalt den zweiten Theil der allgemeinen Verwaltungslehre.
Man kann nun als dritten Theil der letztern die Darstellung des positiven Rechts und des positiven Verwaltungsorganismus hinstellen. Es wird aber zweckmäßig sein, diesen Theil mit den beiden andern so zu verschmelzen, daß sie zugleich eine vergleichende Darstellung des Gel- tenden bilden. Darnach nun ist in dem Folgenden zu Werke gegangen.
Auf diese Weise werden wir nun, indem wir die Lehre von der Vollziehung in das Recht der vollziehenden Gewalt und in den Orga- nismus derselben theilen, diese ganze Lehre als ein künftig selbstän- diges Gebiet der Wissenschaft, und als die allgemeine Grundlage der Lehre von der Verwaltung im eigentlichen Sinne und ihrer drei Ge- biete betrachten dürfen. Dieß im Einzelnen auszuführen ist der Zweck des Folgenden.
Begriff und historische Gestaltung der vollziehenden Gewalt. Begriff und Bedeutung der vollziehenden Gewalt sind für das ganze Staats- leben aller Völker so wichtig, daß wir gezwungen sind, denselben eine eigene Betrachtung zu widmen, obwohl dieselbe eigentlich in die Verfassung gehört.
Um aus der großen Verwirrung hinauszukommen, die in dieser Beziehung herrscht, muß man über gewisse Punkte erst einig sein. Erstlich, daß es sich bei der vollziehenden Gewalt im Sinne des verfassungsmäßigen Staatsrechts und seiner Geschichte nicht um die trias politica des Aristoteles, sondern um etwas ganz anderes handelt, wie es sich gleich zeigen wird. Zweitens, daß es nicht möglich ist, zu einem klaren Begriffe zu gelangen, so lange man die Vollziehung mit der ganzen Verwaltung verschmilzt, wie das so oft geschieht, oder gar so lange man sie nur als die Zwangsgewalt betrachtet. Drittens endlich, daß die deutsche Literatur durch das Aufnehmen des Begriffs und des Inhalts der einzelnen Hoheitsrechte und der Verschmelzung mit den im abstrakten Wesen des Staats liegenden Gewalten nur Verwirrung erzeugte. Dazu kommt, daß auch hier die deutsche Staatsrechtslehre in dem von ihr nicht einmal klar erkannten Widerspruch lebt, ein deutsches Staatsrecht zu bilden, welches eben nicht existirt. Diesen verschiedenen Standpunkten gegenüber muß in der histo- rischen Entwicklung die einzig wahre Basis für dieß ganze Gebiet gefunden werden.
Es ist bekannt, und das Folgende wird es im Genaueren zeigen, daß die Unfreiheit der Zustände im achtzehnten Jahrhundert darin lag, daß die könig- liche Gewalt zugleich die Gesetzgebung und die Vollziehung enthielt, und daher jeder Akt der letzteren als ein gesetzlich gültiger erschien. Die unabweisbare Voraussetzung aller Freiheit ward dadurch die Selbständigkeit der gesetzgebenden Gewalt. Diese aber konnte nur dadurch erreicht werden, daß man sie erstlich von der verwaltenden und vollziehenden trennte, und zweitens den Grundsatz
Stein, die Verwaltungslehre. I. 3
Organismus der Träger des Rechts der vollziehenden Gewalt in ihren einzelnen Gebieten. Der Organismus derſelben iſt daher ein ſelbſtän- diges Gebiet, und bildet neben dem Rechte der vollziehenden Gewalt den zweiten Theil der allgemeinen Verwaltungslehre.
Man kann nun als dritten Theil der letztern die Darſtellung des poſitiven Rechts und des poſitiven Verwaltungsorganismus hinſtellen. Es wird aber zweckmäßig ſein, dieſen Theil mit den beiden andern ſo zu verſchmelzen, daß ſie zugleich eine vergleichende Darſtellung des Gel- tenden bilden. Darnach nun iſt in dem Folgenden zu Werke gegangen.
Auf dieſe Weiſe werden wir nun, indem wir die Lehre von der Vollziehung in das Recht der vollziehenden Gewalt und in den Orga- nismus derſelben theilen, dieſe ganze Lehre als ein künftig ſelbſtän- diges Gebiet der Wiſſenſchaft, und als die allgemeine Grundlage der Lehre von der Verwaltung im eigentlichen Sinne und ihrer drei Ge- biete betrachten dürfen. Dieß im Einzelnen auszuführen iſt der Zweck des Folgenden.
Begriff und hiſtoriſche Geſtaltung der vollziehenden Gewalt. Begriff und Bedeutung der vollziehenden Gewalt ſind für das ganze Staats- leben aller Völker ſo wichtig, daß wir gezwungen ſind, denſelben eine eigene Betrachtung zu widmen, obwohl dieſelbe eigentlich in die Verfaſſung gehört.
Um aus der großen Verwirrung hinauszukommen, die in dieſer Beziehung herrſcht, muß man über gewiſſe Punkte erſt einig ſein. Erſtlich, daß es ſich bei der vollziehenden Gewalt im Sinne des verfaſſungsmäßigen Staatsrechts und ſeiner Geſchichte nicht um die trias politica des Ariſtoteles, ſondern um etwas ganz anderes handelt, wie es ſich gleich zeigen wird. Zweitens, daß es nicht möglich iſt, zu einem klaren Begriffe zu gelangen, ſo lange man die Vollziehung mit der ganzen Verwaltung verſchmilzt, wie das ſo oft geſchieht, oder gar ſo lange man ſie nur als die Zwangsgewalt betrachtet. Drittens endlich, daß die deutſche Literatur durch das Aufnehmen des Begriffs und des Inhalts der einzelnen Hoheitsrechte und der Verſchmelzung mit den im abſtrakten Weſen des Staats liegenden Gewalten nur Verwirrung erzeugte. Dazu kommt, daß auch hier die deutſche Staatsrechtslehre in dem von ihr nicht einmal klar erkannten Widerſpruch lebt, ein deutſches Staatsrecht zu bilden, welches eben nicht exiſtirt. Dieſen verſchiedenen Standpunkten gegenüber muß in der hiſto- riſchen Entwicklung die einzig wahre Baſis für dieß ganze Gebiet gefunden werden.
Es iſt bekannt, und das Folgende wird es im Genaueren zeigen, daß die Unfreiheit der Zuſtände im achtzehnten Jahrhundert darin lag, daß die könig- liche Gewalt zugleich die Geſetzgebung und die Vollziehung enthielt, und daher jeder Akt der letzteren als ein geſetzlich gültiger erſchien. Die unabweisbare Vorausſetzung aller Freiheit ward dadurch die Selbſtändigkeit der geſetzgebenden Gewalt. Dieſe aber konnte nur dadurch erreicht werden, daß man ſie erſtlich von der verwaltenden und vollziehenden trennte, und zweitens den Grundſatz
Stein, die Verwaltungslehre. I. 3
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Organismus der Träger des Rechts der vollziehenden Gewalt in ihren
einzelnen Gebieten. Der Organismus derſelben iſt daher ein ſelbſtän-
diges Gebiet, und bildet neben dem Rechte der vollziehenden Gewalt
den zweiten Theil der allgemeinen Verwaltungslehre.
Man kann nun als dritten Theil der letztern die Darſtellung des
poſitiven Rechts und des poſitiven Verwaltungsorganismus hinſtellen.
Es wird aber zweckmäßig ſein, dieſen Theil mit den beiden andern ſo
zu verſchmelzen, daß ſie zugleich eine vergleichende Darſtellung des Gel-
tenden bilden. Darnach nun iſt in dem Folgenden zu Werke gegangen.
Auf dieſe Weiſe werden wir nun, indem wir die Lehre von der
Vollziehung in das Recht der vollziehenden Gewalt und in den Orga-
nismus derſelben theilen, dieſe ganze Lehre als ein künftig ſelbſtän-
diges Gebiet der Wiſſenſchaft, und als die allgemeine Grundlage der
Lehre von der Verwaltung im eigentlichen Sinne und ihrer drei Ge-
biete betrachten dürfen. Dieß im Einzelnen auszuführen iſt der Zweck
des Folgenden.
Begriff und hiſtoriſche Geſtaltung der vollziehenden Gewalt.
Begriff und Bedeutung der vollziehenden Gewalt ſind für das ganze Staats-
leben aller Völker ſo wichtig, daß wir gezwungen ſind, denſelben eine eigene
Betrachtung zu widmen, obwohl dieſelbe eigentlich in die Verfaſſung gehört.
Um aus der großen Verwirrung hinauszukommen, die in dieſer Beziehung
herrſcht, muß man über gewiſſe Punkte erſt einig ſein. Erſtlich, daß es ſich
bei der vollziehenden Gewalt im Sinne des verfaſſungsmäßigen Staatsrechts
und ſeiner Geſchichte nicht um die trias politica des Ariſtoteles, ſondern um
etwas ganz anderes handelt, wie es ſich gleich zeigen wird. Zweitens, daß
es nicht möglich iſt, zu einem klaren Begriffe zu gelangen, ſo lange man die
Vollziehung mit der ganzen Verwaltung verſchmilzt, wie das ſo oft geſchieht,
oder gar ſo lange man ſie nur als die Zwangsgewalt betrachtet. Drittens
endlich, daß die deutſche Literatur durch das Aufnehmen des Begriffs und des
Inhalts der einzelnen Hoheitsrechte und der Verſchmelzung mit den im abſtrakten
Weſen des Staats liegenden Gewalten nur Verwirrung erzeugte. Dazu kommt,
daß auch hier die deutſche Staatsrechtslehre in dem von ihr nicht einmal klar
erkannten Widerſpruch lebt, ein deutſches Staatsrecht zu bilden, welches eben
nicht exiſtirt. Dieſen verſchiedenen Standpunkten gegenüber muß in der hiſto-
riſchen Entwicklung die einzig wahre Baſis für dieß ganze Gebiet gefunden
werden.
Es iſt bekannt, und das Folgende wird es im Genaueren zeigen, daß die
Unfreiheit der Zuſtände im achtzehnten Jahrhundert darin lag, daß die könig-
liche Gewalt zugleich die Geſetzgebung und die Vollziehung enthielt, und daher
jeder Akt der letzteren als ein geſetzlich gültiger erſchien. Die unabweisbare
Vorausſetzung aller Freiheit ward dadurch die Selbſtändigkeit der geſetzgebenden
Gewalt. Dieſe aber konnte nur dadurch erreicht werden, daß man ſie erſtlich
von der verwaltenden und vollziehenden trennte, und zweitens den Grundſatz
Stein, die Verwaltungslehre. I. 3
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/57>, abgerufen am 24.11.2024.
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