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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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überhaupt; die Vereine werden als etwas an und für sich Bedenkliches
angesehen, und der Name "Verein" identificirt sich mit dem politischen
Vereinswesen überhaupt. Doch geht dabei die wahre Idee der Vereine
nicht zu Grunde. Während das politische Leben sie bekämpft, erzeugt
das volkswirthschaftliche Princip der Association sie aufs neue auf einem
andern Gebiete wieder, und der Unterschied beider erscheint auch in dem
Namen, indem man diese Richtung die Bildung der Gesellschaften
nennt. Während daher das Vereinswesen im obigen Sinne ernstlichst
bekämpft wird, entwickelt sich das Gesellschaftswesen zu einer steigenden
Blüthe; die Volkswirthschaft wird der Boden dieser neuen mächtigen Ge-
staltung der Vereine, und das um so entschiedener, als hier die wahre
Aufgabe der letzteren, das Gebiet der Verwaltung, wiedergefunden wird.
Ja, während die Regierungen dem Vereinswesen im obigen Sinne auf
allen Punkten engste Gränzen ziehen, helfen und fördern sie das Gesell-
schaftswesen, so viel sie vermögen. Das ist der Charakter der Jahre, welche
mit der Julirevolution beginnen. Es ist seit dieser Zeit unmöglich, die
Verwaltung der Länder darzustellen, ohne diesem Theile des Vereins-
wesens sich mit allem Ernste zuzuwenden. Allein gerade aus der raschen
Entwicklung dieser volkswirthschaftlichen Welt entsteht nun ein zweites
Element. Die Gegensätze der staatsbürgerlichen Gesellschaft beruhen
allerdings nicht mehr, wie die der ständischen, auf Vorrechten und Un-
freiheiten; wohl aber erzeugt der gewerbliche Besitz das, was wir den
socialen Gegensatz der Klassen genannt haben. Dieses rein socialen
Gegensatzes bemächtigt sich nun auch das Vereinswesen, und zwar im
guten, wie im üblen Sinne. Es entstehen mit ihm zwei zum Theil
ganz neue Richtungen des Vereinswesens, die unsere Gegenwart als
solche charakterisiren. Die eine Richtung ist die edlere; sie will den
niedern Klassen durch die vereinte Kraft der höhern helfen, und die
freie Klassenbewegung herstellen; es ist das weite und so unendlich
wichtige Gebiet der Hülfsvereine aller Art, welche hier erscheinen.
Die zweite Richtung ist dagegen die, welche die gesonderten und oft
entgegengesetzten Interessen von Kapital und Arbeit zum Ausdruck bringt,
und zur Organisirung dieser beiden, noch immer nicht ganz vermittelten
Elemente in ihrem gegenseitigen Kampfe wird. Die Hauptform dieser
Richtung bilden die Arbeitervereine. Mit beiden tritt das, bis
dahin fast allein herrschende Element des Gesellschaftswesens aus dem
engen Kreise der Erwerbsvereine hinaus, und man kann wieder von
einem wahren Vereinswesen reden. Aber damit wird auch die Regierung
wieder gezwungen, demselben auch außerhalb der politischen Vereine
ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es entsteht eine neue Gruppe von
Bestrebungen und Ordnungen, von Gesetzen und Verboten; und während

überhaupt; die Vereine werden als etwas an und für ſich Bedenkliches
angeſehen, und der Name „Verein“ identificirt ſich mit dem politiſchen
Vereinsweſen überhaupt. Doch geht dabei die wahre Idee der Vereine
nicht zu Grunde. Während das politiſche Leben ſie bekämpft, erzeugt
das volkswirthſchaftliche Princip der Aſſociation ſie aufs neue auf einem
andern Gebiete wieder, und der Unterſchied beider erſcheint auch in dem
Namen, indem man dieſe Richtung die Bildung der Geſellſchaften
nennt. Während daher das Vereinsweſen im obigen Sinne ernſtlichſt
bekämpft wird, entwickelt ſich das Geſellſchaftsweſen zu einer ſteigenden
Blüthe; die Volkswirthſchaft wird der Boden dieſer neuen mächtigen Ge-
ſtaltung der Vereine, und das um ſo entſchiedener, als hier die wahre
Aufgabe der letzteren, das Gebiet der Verwaltung, wiedergefunden wird.
Ja, während die Regierungen dem Vereinsweſen im obigen Sinne auf
allen Punkten engſte Gränzen ziehen, helfen und fördern ſie das Geſell-
ſchaftsweſen, ſo viel ſie vermögen. Das iſt der Charakter der Jahre, welche
mit der Julirevolution beginnen. Es iſt ſeit dieſer Zeit unmöglich, die
Verwaltung der Länder darzuſtellen, ohne dieſem Theile des Vereins-
weſens ſich mit allem Ernſte zuzuwenden. Allein gerade aus der raſchen
Entwicklung dieſer volkswirthſchaftlichen Welt entſteht nun ein zweites
Element. Die Gegenſätze der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft beruhen
allerdings nicht mehr, wie die der ſtändiſchen, auf Vorrechten und Un-
freiheiten; wohl aber erzeugt der gewerbliche Beſitz das, was wir den
ſocialen Gegenſatz der Klaſſen genannt haben. Dieſes rein ſocialen
Gegenſatzes bemächtigt ſich nun auch das Vereinsweſen, und zwar im
guten, wie im üblen Sinne. Es entſtehen mit ihm zwei zum Theil
ganz neue Richtungen des Vereinsweſens, die unſere Gegenwart als
ſolche charakteriſiren. Die eine Richtung iſt die edlere; ſie will den
niedern Klaſſen durch die vereinte Kraft der höhern helfen, und die
freie Klaſſenbewegung herſtellen; es iſt das weite und ſo unendlich
wichtige Gebiet der Hülfsvereine aller Art, welche hier erſcheinen.
Die zweite Richtung iſt dagegen die, welche die geſonderten und oft
entgegengeſetzten Intereſſen von Kapital und Arbeit zum Ausdruck bringt,
und zur Organiſirung dieſer beiden, noch immer nicht ganz vermittelten
Elemente in ihrem gegenſeitigen Kampfe wird. Die Hauptform dieſer
Richtung bilden die Arbeitervereine. Mit beiden tritt das, bis
dahin faſt allein herrſchende Element des Geſellſchaftsweſens aus dem
engen Kreiſe der Erwerbsvereine hinaus, und man kann wieder von
einem wahren Vereinsweſen reden. Aber damit wird auch die Regierung
wieder gezwungen, demſelben auch außerhalb der politiſchen Vereine
ihre Aufmerkſamkeit zuzuwenden. Es entſteht eine neue Gruppe von
Beſtrebungen und Ordnungen, von Geſetzen und Verboten; und während

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[536/0560] überhaupt; die Vereine werden als etwas an und für ſich Bedenkliches angeſehen, und der Name „Verein“ identificirt ſich mit dem politiſchen Vereinsweſen überhaupt. Doch geht dabei die wahre Idee der Vereine nicht zu Grunde. Während das politiſche Leben ſie bekämpft, erzeugt das volkswirthſchaftliche Princip der Aſſociation ſie aufs neue auf einem andern Gebiete wieder, und der Unterſchied beider erſcheint auch in dem Namen, indem man dieſe Richtung die Bildung der Geſellſchaften nennt. Während daher das Vereinsweſen im obigen Sinne ernſtlichſt bekämpft wird, entwickelt ſich das Geſellſchaftsweſen zu einer ſteigenden Blüthe; die Volkswirthſchaft wird der Boden dieſer neuen mächtigen Ge- ſtaltung der Vereine, und das um ſo entſchiedener, als hier die wahre Aufgabe der letzteren, das Gebiet der Verwaltung, wiedergefunden wird. Ja, während die Regierungen dem Vereinsweſen im obigen Sinne auf allen Punkten engſte Gränzen ziehen, helfen und fördern ſie das Geſell- ſchaftsweſen, ſo viel ſie vermögen. Das iſt der Charakter der Jahre, welche mit der Julirevolution beginnen. Es iſt ſeit dieſer Zeit unmöglich, die Verwaltung der Länder darzuſtellen, ohne dieſem Theile des Vereins- weſens ſich mit allem Ernſte zuzuwenden. Allein gerade aus der raſchen Entwicklung dieſer volkswirthſchaftlichen Welt entſteht nun ein zweites Element. Die Gegenſätze der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft beruhen allerdings nicht mehr, wie die der ſtändiſchen, auf Vorrechten und Un- freiheiten; wohl aber erzeugt der gewerbliche Beſitz das, was wir den ſocialen Gegenſatz der Klaſſen genannt haben. Dieſes rein ſocialen Gegenſatzes bemächtigt ſich nun auch das Vereinsweſen, und zwar im guten, wie im üblen Sinne. Es entſtehen mit ihm zwei zum Theil ganz neue Richtungen des Vereinsweſens, die unſere Gegenwart als ſolche charakteriſiren. Die eine Richtung iſt die edlere; ſie will den niedern Klaſſen durch die vereinte Kraft der höhern helfen, und die freie Klaſſenbewegung herſtellen; es iſt das weite und ſo unendlich wichtige Gebiet der Hülfsvereine aller Art, welche hier erſcheinen. Die zweite Richtung iſt dagegen die, welche die geſonderten und oft entgegengeſetzten Intereſſen von Kapital und Arbeit zum Ausdruck bringt, und zur Organiſirung dieſer beiden, noch immer nicht ganz vermittelten Elemente in ihrem gegenſeitigen Kampfe wird. Die Hauptform dieſer Richtung bilden die Arbeitervereine. Mit beiden tritt das, bis dahin faſt allein herrſchende Element des Geſellſchaftsweſens aus dem engen Kreiſe der Erwerbsvereine hinaus, und man kann wieder von einem wahren Vereinsweſen reden. Aber damit wird auch die Regierung wieder gezwungen, demſelben auch außerhalb der politiſchen Vereine ihre Aufmerkſamkeit zuzuwenden. Es entſteht eine neue Gruppe von Beſtrebungen und Ordnungen, von Geſetzen und Verboten; und während

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/560>, abgerufen am 22.11.2024.