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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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lassen, und welche zugleich die Heimath der geselligen Sitte werden,
indem sie die Beobachtung der gebildeten Sitte als eine geistige Be-
dingung der Zulassung des Einzelnen fordern. Ihre Wirkung ist daher
trotz ihrer äußeren Unscheinbarkeit eine große; sie ist zwar vorwiegend
eine negative, indem sie die Unsitte ausschließt; aber sie zeigt auch
gerade hier, daß jede gesellschaftliche Ordnung selbst in diesen scheinbar
ganz zufälligen Formationen die Trägerin eines höhern ethischen Mo-
mentes ist. Und man soll daher auch dieses Gebiet, obgleich es das
von der Verwaltung entfernteste ist, keinesweges als ein unbedeutendes
betrachten.

Allerdings ist die zweite große Richtung, die der eigentlich gesell-
schaftlichen Vereine, von einem ganz anderen, und wenigstens äußerlich
weit mächtigeren Einfluß.

B. Wir verstehen unter den gesellschaftlichen Vereinen
(im engeren Sinne) diejenigen, welche aus den organischen Gegensätzen
der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung hervorgehen, und sich die
Lösung derselben als ihre Aufgabe gestellt haben.

Diese Gegensätze nun beruhen, wie die Lehre von der Gesellschaft
und ihren Klassen zeigt, auf den Verhältnissen des Besitzes. Die große,
die ganze staatsbürgerliche Gesellschaft durchziehende Scheidung ist die
zwischen den Besitzenden und den Nichtbesitzenden. In dieser Scheidung
liegt der eigentliche Widerspruch dieser, auf dem abstrakten Principe der
Gleichheit beruhenden Gesellschaftsordnung. Mit diesem Widerspruche
entstehen die Gefahren, welche derselben eigenthümlich sind. Diese Ge-
fahren sind Gefahren der Gesammtheit, aber sie berühren auch den
Einzelnen aufs Tiefste. Sie fordern daher, daß einerseits der Staat
sich mit seiner Gewalt derselben annehme und die gesellschaftlichen
Verhältnisse zu einem Gegenstande der Verwaltung mache; andererseits
veranlassen sie die Einzelnen, aus freiem Beschlusse das Ihrige zu thun.
So entstehen die gesellschaftlichen Vereine, deren gemeinsamer Zweck es
ist, durch die Thätigkeit der höheren besitzenden Klasse auf wirthschaft-
lichem Gebiete die nichtbesitzende Klasse in ihrer gesellschaftlichen Stellung
zu fördern, und damit den Gegensatz zwischen diesen Klassen aus-
zugleichen.

Eben nun wegen des innigen, schon im Begriff der Verfassungs-
bildung durch die Gesellschaftsordnung gegebenen Zusammenhanges
zwischen dem Staat und jenem gesellschaftlichen Gegensatz leuchtet es
ein, daß die Staatsverwaltung dem in Entstehen und Umfang doch
immer zufälligen Vereinswesen jene Aufgabe nicht allein überlassen
kann. Unter allen Arten der Vereine haben daher gerade die gesell-
schaftlichen Vereine am meisten den Charakter von Verwaltungsanstalten;

laſſen, und welche zugleich die Heimath der geſelligen Sitte werden,
indem ſie die Beobachtung der gebildeten Sitte als eine geiſtige Be-
dingung der Zulaſſung des Einzelnen fordern. Ihre Wirkung iſt daher
trotz ihrer äußeren Unſcheinbarkeit eine große; ſie iſt zwar vorwiegend
eine negative, indem ſie die Unſitte ausſchließt; aber ſie zeigt auch
gerade hier, daß jede geſellſchaftliche Ordnung ſelbſt in dieſen ſcheinbar
ganz zufälligen Formationen die Trägerin eines höhern ethiſchen Mo-
mentes iſt. Und man ſoll daher auch dieſes Gebiet, obgleich es das
von der Verwaltung entfernteſte iſt, keinesweges als ein unbedeutendes
betrachten.

Allerdings iſt die zweite große Richtung, die der eigentlich geſell-
ſchaftlichen Vereine, von einem ganz anderen, und wenigſtens äußerlich
weit mächtigeren Einfluß.

B. Wir verſtehen unter den geſellſchaftlichen Vereinen
(im engeren Sinne) diejenigen, welche aus den organiſchen Gegenſätzen
der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung hervorgehen, und ſich die
Löſung derſelben als ihre Aufgabe geſtellt haben.

Dieſe Gegenſätze nun beruhen, wie die Lehre von der Geſellſchaft
und ihren Klaſſen zeigt, auf den Verhältniſſen des Beſitzes. Die große,
die ganze ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft durchziehende Scheidung iſt die
zwiſchen den Beſitzenden und den Nichtbeſitzenden. In dieſer Scheidung
liegt der eigentliche Widerſpruch dieſer, auf dem abſtrakten Principe der
Gleichheit beruhenden Geſellſchaftsordnung. Mit dieſem Widerſpruche
entſtehen die Gefahren, welche derſelben eigenthümlich ſind. Dieſe Ge-
fahren ſind Gefahren der Geſammtheit, aber ſie berühren auch den
Einzelnen aufs Tiefſte. Sie fordern daher, daß einerſeits der Staat
ſich mit ſeiner Gewalt derſelben annehme und die geſellſchaftlichen
Verhältniſſe zu einem Gegenſtande der Verwaltung mache; andererſeits
veranlaſſen ſie die Einzelnen, aus freiem Beſchluſſe das Ihrige zu thun.
So entſtehen die geſellſchaftlichen Vereine, deren gemeinſamer Zweck es
iſt, durch die Thätigkeit der höheren beſitzenden Klaſſe auf wirthſchaft-
lichem Gebiete die nichtbeſitzende Klaſſe in ihrer geſellſchaftlichen Stellung
zu fördern, und damit den Gegenſatz zwiſchen dieſen Klaſſen aus-
zugleichen.

Eben nun wegen des innigen, ſchon im Begriff der Verfaſſungs-
bildung durch die Geſellſchaftsordnung gegebenen Zuſammenhanges
zwiſchen dem Staat und jenem geſellſchaftlichen Gegenſatz leuchtet es
ein, daß die Staatsverwaltung dem in Entſtehen und Umfang doch
immer zufälligen Vereinsweſen jene Aufgabe nicht allein überlaſſen
kann. Unter allen Arten der Vereine haben daher gerade die geſell-
ſchaftlichen Vereine am meiſten den Charakter von Verwaltungsanſtalten;

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[559/0583] laſſen, und welche zugleich die Heimath der geſelligen Sitte werden, indem ſie die Beobachtung der gebildeten Sitte als eine geiſtige Be- dingung der Zulaſſung des Einzelnen fordern. Ihre Wirkung iſt daher trotz ihrer äußeren Unſcheinbarkeit eine große; ſie iſt zwar vorwiegend eine negative, indem ſie die Unſitte ausſchließt; aber ſie zeigt auch gerade hier, daß jede geſellſchaftliche Ordnung ſelbſt in dieſen ſcheinbar ganz zufälligen Formationen die Trägerin eines höhern ethiſchen Mo- mentes iſt. Und man ſoll daher auch dieſes Gebiet, obgleich es das von der Verwaltung entfernteſte iſt, keinesweges als ein unbedeutendes betrachten. Allerdings iſt die zweite große Richtung, die der eigentlich geſell- ſchaftlichen Vereine, von einem ganz anderen, und wenigſtens äußerlich weit mächtigeren Einfluß. B. Wir verſtehen unter den geſellſchaftlichen Vereinen (im engeren Sinne) diejenigen, welche aus den organiſchen Gegenſätzen der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung hervorgehen, und ſich die Löſung derſelben als ihre Aufgabe geſtellt haben. Dieſe Gegenſätze nun beruhen, wie die Lehre von der Geſellſchaft und ihren Klaſſen zeigt, auf den Verhältniſſen des Beſitzes. Die große, die ganze ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft durchziehende Scheidung iſt die zwiſchen den Beſitzenden und den Nichtbeſitzenden. In dieſer Scheidung liegt der eigentliche Widerſpruch dieſer, auf dem abſtrakten Principe der Gleichheit beruhenden Geſellſchaftsordnung. Mit dieſem Widerſpruche entſtehen die Gefahren, welche derſelben eigenthümlich ſind. Dieſe Ge- fahren ſind Gefahren der Geſammtheit, aber ſie berühren auch den Einzelnen aufs Tiefſte. Sie fordern daher, daß einerſeits der Staat ſich mit ſeiner Gewalt derſelben annehme und die geſellſchaftlichen Verhältniſſe zu einem Gegenſtande der Verwaltung mache; andererſeits veranlaſſen ſie die Einzelnen, aus freiem Beſchluſſe das Ihrige zu thun. So entſtehen die geſellſchaftlichen Vereine, deren gemeinſamer Zweck es iſt, durch die Thätigkeit der höheren beſitzenden Klaſſe auf wirthſchaft- lichem Gebiete die nichtbeſitzende Klaſſe in ihrer geſellſchaftlichen Stellung zu fördern, und damit den Gegenſatz zwiſchen dieſen Klaſſen aus- zugleichen. Eben nun wegen des innigen, ſchon im Begriff der Verfaſſungs- bildung durch die Geſellſchaftsordnung gegebenen Zuſammenhanges zwiſchen dem Staat und jenem geſellſchaftlichen Gegenſatz leuchtet es ein, daß die Staatsverwaltung dem in Entſtehen und Umfang doch immer zufälligen Vereinsweſen jene Aufgabe nicht allein überlaſſen kann. Unter allen Arten der Vereine haben daher gerade die geſell- ſchaftlichen Vereine am meiſten den Charakter von Verwaltungsanſtalten;

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/583>, abgerufen am 22.11.2024.