Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Beschlüssen, welche die öffentlich rechtlichen Verhältnisse betreffen. Hier
nun entsteht die Frage nach der Verpflichtung der Direktion, einem
Beschlusse des Verwaltungsrathes zu gehorchen, der nach ihrer An-
sicht den fachmännischen Grundsätzen oder dem öffentlichen Recht
wiederspricht. Wir haben dieser Rechtsverhältnisse schon bei dem
Verwaltungsrathe erwähnt. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß
die Direktion im ersten Fall trotz ihrer entgegenstehenden Ueber-
zeugung dem Beschlusse des Verwaltungsrathes zu gehorchen, jedoch
unter Darlegung aller Gegengründe sich vor jeder Haftung sicher
zu stellen hat. Im zweiten Falle dagegen hat die Direktion die
Pflicht, den Gehorsam zu verweigern, und ist dem Gerichte selbst
dann für den Gehorsam gegen das Gesetz verantwortlich, wenn der
Verwaltungsrath seinerseits erklärt hätte, die Verantwortung für sich
übernehmen zu wollen. An diese beiden Fälle schließt sich der dritte,
wo nämlich der Beschluß des Verwaltungsrathes gegen die Statuten
oder gegen einen Beschluß der Generalversammlung zu gehen scheint.
In diesem Falle hat die Direktion, wenn es ihre zur Gewißheit ge-
wordene Ueberzeugung ist, daß der Beschluß im Widerspruch mit Statut
oder Generalversammlung steht, allerdings den Gehorsam zu verweigern,
aber auf die Gefahr hin, daß eine gerichtliche Entscheidung ihre Auf-
fassung als irrthümlich anerkennt, und sie daher selbst die Folgen tragen
muß. Diese Folgen sind nun, wenn der Verwaltungsrath seinerseits
nicht nachgibt, die Suspension oder Entlassung aus dem Dienste. Gegen
beides kann dann die Direktion entweder bei der Generalversammlung
oder bei dem Gerichte klaghaft werden. Der Ungehorsam im ersten
Falle werde die Aufhebung des Dienstverhältnisses rechtfertigen; im
zweiten Falle wäre umgekehrt diese Auffassung ungerechtfertigt; im
dritten muß von Fall zu Fall entschieden werden.

Endlich kann es nicht zweifelhaft sein, daß der Verwaltungsrath
die Disciplinargewalt über den Direktor ausübt, welche bis zur Auf-
hebung des Dienstverhältnisses geht, wenn die fachmännische und die
organische, leitende Thätigkeit des Direktors unter seiner Lebensweise
leidet. Auch hier kann der Direktor gerichtlich auf Schadensersatz
klagen; alsdann treten die gewöhnlichen Formen des bürgerlichen Pro-
cesses ein. Eine weitere Frage ist es, ob der Verwaltungsrath unbe-
dingt
das Recht zur Suspension des Direktors habe. Diese Frage
ist im Allgemeinen zu bejahen; zweifelhaft kann dieß nur in dem Falle
sein, wo die Suspension wegen Gehorsamsverweigerung eintrat, weil
das öffentliche Recht mit dem Beschlusse des Verwaltungsraths im
Widerspruch stand. Da die Aufhebung des Anstellungsvertrages unter
dieser Bedingung gar nicht hätte stipulirt werden können, so kann sie

Stein, die Verwaltungslehre. I. 39

Beſchlüſſen, welche die öffentlich rechtlichen Verhältniſſe betreffen. Hier
nun entſteht die Frage nach der Verpflichtung der Direktion, einem
Beſchluſſe des Verwaltungsrathes zu gehorchen, der nach ihrer An-
ſicht den fachmänniſchen Grundſätzen oder dem öffentlichen Recht
wiederſpricht. Wir haben dieſer Rechtsverhältniſſe ſchon bei dem
Verwaltungsrathe erwähnt. Es kann kaum zweifelhaft ſein, daß
die Direktion im erſten Fall trotz ihrer entgegenſtehenden Ueber-
zeugung dem Beſchluſſe des Verwaltungsrathes zu gehorchen, jedoch
unter Darlegung aller Gegengründe ſich vor jeder Haftung ſicher
zu ſtellen hat. Im zweiten Falle dagegen hat die Direktion die
Pflicht, den Gehorſam zu verweigern, und iſt dem Gerichte ſelbſt
dann für den Gehorſam gegen das Geſetz verantwortlich, wenn der
Verwaltungsrath ſeinerſeits erklärt hätte, die Verantwortung für ſich
übernehmen zu wollen. An dieſe beiden Fälle ſchließt ſich der dritte,
wo nämlich der Beſchluß des Verwaltungsrathes gegen die Statuten
oder gegen einen Beſchluß der Generalverſammlung zu gehen ſcheint.
In dieſem Falle hat die Direktion, wenn es ihre zur Gewißheit ge-
wordene Ueberzeugung iſt, daß der Beſchluß im Widerſpruch mit Statut
oder Generalverſammlung ſteht, allerdings den Gehorſam zu verweigern,
aber auf die Gefahr hin, daß eine gerichtliche Entſcheidung ihre Auf-
faſſung als irrthümlich anerkennt, und ſie daher ſelbſt die Folgen tragen
muß. Dieſe Folgen ſind nun, wenn der Verwaltungsrath ſeinerſeits
nicht nachgibt, die Suſpenſion oder Entlaſſung aus dem Dienſte. Gegen
beides kann dann die Direktion entweder bei der Generalverſammlung
oder bei dem Gerichte klaghaft werden. Der Ungehorſam im erſten
Falle werde die Aufhebung des Dienſtverhältniſſes rechtfertigen; im
zweiten Falle wäre umgekehrt dieſe Auffaſſung ungerechtfertigt; im
dritten muß von Fall zu Fall entſchieden werden.

Endlich kann es nicht zweifelhaft ſein, daß der Verwaltungsrath
die Disciplinargewalt über den Direktor ausübt, welche bis zur Auf-
hebung des Dienſtverhältniſſes geht, wenn die fachmänniſche und die
organiſche, leitende Thätigkeit des Direktors unter ſeiner Lebensweiſe
leidet. Auch hier kann der Direktor gerichtlich auf Schadenserſatz
klagen; alsdann treten die gewöhnlichen Formen des bürgerlichen Pro-
ceſſes ein. Eine weitere Frage iſt es, ob der Verwaltungsrath unbe-
dingt
das Recht zur Suſpenſion des Direktors habe. Dieſe Frage
iſt im Allgemeinen zu bejahen; zweifelhaft kann dieß nur in dem Falle
ſein, wo die Suſpenſion wegen Gehorſamsverweigerung eintrat, weil
das öffentliche Recht mit dem Beſchluſſe des Verwaltungsraths im
Widerſpruch ſtand. Da die Aufhebung des Anſtellungsvertrages unter
dieſer Bedingung gar nicht hätte ſtipulirt werden können, ſo kann ſie

Stein, die Verwaltungslehre. I. 39
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0633" n="609"/>
Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;en, welche die öffentlich rechtlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;e betreffen. Hier<lb/>
nun ent&#x017F;teht die Frage nach der <hi rendition="#g">Verpflichtung</hi> der Direktion, einem<lb/>
Be&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e des Verwaltungsrathes zu gehorchen, der nach ihrer An-<lb/>
&#x017F;icht den fachmänni&#x017F;chen Grund&#x017F;ätzen <hi rendition="#g">oder</hi> dem öffentlichen Recht<lb/>
wieder&#x017F;pricht. Wir haben die&#x017F;er Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;chon bei dem<lb/>
Verwaltungsrathe erwähnt. Es kann kaum zweifelhaft &#x017F;ein, daß<lb/>
die Direktion im <hi rendition="#g">er&#x017F;ten</hi> Fall trotz ihrer entgegen&#x017F;tehenden Ueber-<lb/>
zeugung dem Be&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e des Verwaltungsrathes zu gehorchen, jedoch<lb/>
unter Darlegung aller Gegengründe &#x017F;ich vor jeder Haftung &#x017F;icher<lb/>
zu &#x017F;tellen hat. Im <hi rendition="#g">zweiten</hi> Falle dagegen hat die Direktion die<lb/><hi rendition="#g">Pflicht</hi>, den Gehor&#x017F;am zu verweigern, und i&#x017F;t dem Gerichte &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
dann für den Gehor&#x017F;am gegen das Ge&#x017F;etz verantwortlich, wenn der<lb/>
Verwaltungsrath &#x017F;einer&#x017F;eits erklärt hätte, die Verantwortung für &#x017F;ich<lb/>
übernehmen zu wollen. An die&#x017F;e beiden Fälle &#x017F;chließt &#x017F;ich der dritte,<lb/>
wo nämlich der Be&#x017F;chluß des Verwaltungsrathes gegen die Statuten<lb/>
oder gegen einen Be&#x017F;chluß der Generalver&#x017F;ammlung zu gehen &#x017F;cheint.<lb/>
In die&#x017F;em Falle hat die Direktion, wenn es ihre zur Gewißheit ge-<lb/>
wordene Ueberzeugung i&#x017F;t, daß der Be&#x017F;chluß im Wider&#x017F;pruch mit Statut<lb/>
oder Generalver&#x017F;ammlung &#x017F;teht, allerdings den Gehor&#x017F;am zu verweigern,<lb/>
aber auf die Gefahr hin, daß eine gerichtliche Ent&#x017F;cheidung ihre Auf-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung als irrthümlich anerkennt, und &#x017F;ie daher &#x017F;elb&#x017F;t die Folgen tragen<lb/>
muß. Die&#x017F;e Folgen &#x017F;ind nun, wenn der Verwaltungsrath &#x017F;einer&#x017F;eits<lb/>
nicht nachgibt, die Su&#x017F;pen&#x017F;ion oder Entla&#x017F;&#x017F;ung aus dem Dien&#x017F;te. Gegen<lb/>
beides kann dann die Direktion entweder bei der Generalver&#x017F;ammlung<lb/>
oder bei dem Gerichte klaghaft werden. Der Ungehor&#x017F;am im <hi rendition="#g">er&#x017F;ten</hi><lb/>
Falle werde die Aufhebung des Dien&#x017F;tverhältni&#x017F;&#x017F;es rechtfertigen; im<lb/><hi rendition="#g">zweiten</hi> Falle wäre umgekehrt die&#x017F;e Auffa&#x017F;&#x017F;ung ungerechtfertigt; im<lb/><hi rendition="#g">dritten</hi> muß von Fall zu Fall ent&#x017F;chieden werden.</p><lb/>
                    <p>Endlich kann es nicht zweifelhaft &#x017F;ein, daß der Verwaltungsrath<lb/>
die Disciplinargewalt über den Direktor ausübt, welche bis zur Auf-<lb/>
hebung des Dien&#x017F;tverhältni&#x017F;&#x017F;es geht, wenn die fachmänni&#x017F;che und die<lb/>
organi&#x017F;che, leitende Thätigkeit des Direktors unter &#x017F;einer Lebenswei&#x017F;e<lb/>
leidet. Auch hier kann der Direktor gerichtlich auf Schadenser&#x017F;atz<lb/>
klagen; alsdann treten die gewöhnlichen Formen des bürgerlichen Pro-<lb/>
ce&#x017F;&#x017F;es ein. Eine weitere Frage i&#x017F;t es, ob der Verwaltungsrath <hi rendition="#g">unbe-<lb/>
dingt</hi> das Recht zur <hi rendition="#g">Su&#x017F;pen&#x017F;ion</hi> des Direktors habe. Die&#x017F;e Frage<lb/>
i&#x017F;t im Allgemeinen zu bejahen; zweifelhaft kann dieß nur in dem Falle<lb/>
&#x017F;ein, wo die Su&#x017F;pen&#x017F;ion wegen Gehor&#x017F;amsverweigerung eintrat, weil<lb/>
das öffentliche Recht mit dem Be&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e des Verwaltungsraths im<lb/>
Wider&#x017F;pruch &#x017F;tand. Da die Aufhebung des An&#x017F;tellungsvertrages unter<lb/>
die&#x017F;er Bedingung gar nicht hätte &#x017F;tipulirt werden können, &#x017F;o kann &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hi rendition="#aq">I.</hi> 39</fw><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[609/0633] Beſchlüſſen, welche die öffentlich rechtlichen Verhältniſſe betreffen. Hier nun entſteht die Frage nach der Verpflichtung der Direktion, einem Beſchluſſe des Verwaltungsrathes zu gehorchen, der nach ihrer An- ſicht den fachmänniſchen Grundſätzen oder dem öffentlichen Recht wiederſpricht. Wir haben dieſer Rechtsverhältniſſe ſchon bei dem Verwaltungsrathe erwähnt. Es kann kaum zweifelhaft ſein, daß die Direktion im erſten Fall trotz ihrer entgegenſtehenden Ueber- zeugung dem Beſchluſſe des Verwaltungsrathes zu gehorchen, jedoch unter Darlegung aller Gegengründe ſich vor jeder Haftung ſicher zu ſtellen hat. Im zweiten Falle dagegen hat die Direktion die Pflicht, den Gehorſam zu verweigern, und iſt dem Gerichte ſelbſt dann für den Gehorſam gegen das Geſetz verantwortlich, wenn der Verwaltungsrath ſeinerſeits erklärt hätte, die Verantwortung für ſich übernehmen zu wollen. An dieſe beiden Fälle ſchließt ſich der dritte, wo nämlich der Beſchluß des Verwaltungsrathes gegen die Statuten oder gegen einen Beſchluß der Generalverſammlung zu gehen ſcheint. In dieſem Falle hat die Direktion, wenn es ihre zur Gewißheit ge- wordene Ueberzeugung iſt, daß der Beſchluß im Widerſpruch mit Statut oder Generalverſammlung ſteht, allerdings den Gehorſam zu verweigern, aber auf die Gefahr hin, daß eine gerichtliche Entſcheidung ihre Auf- faſſung als irrthümlich anerkennt, und ſie daher ſelbſt die Folgen tragen muß. Dieſe Folgen ſind nun, wenn der Verwaltungsrath ſeinerſeits nicht nachgibt, die Suſpenſion oder Entlaſſung aus dem Dienſte. Gegen beides kann dann die Direktion entweder bei der Generalverſammlung oder bei dem Gerichte klaghaft werden. Der Ungehorſam im erſten Falle werde die Aufhebung des Dienſtverhältniſſes rechtfertigen; im zweiten Falle wäre umgekehrt dieſe Auffaſſung ungerechtfertigt; im dritten muß von Fall zu Fall entſchieden werden. Endlich kann es nicht zweifelhaft ſein, daß der Verwaltungsrath die Disciplinargewalt über den Direktor ausübt, welche bis zur Auf- hebung des Dienſtverhältniſſes geht, wenn die fachmänniſche und die organiſche, leitende Thätigkeit des Direktors unter ſeiner Lebensweiſe leidet. Auch hier kann der Direktor gerichtlich auf Schadenserſatz klagen; alsdann treten die gewöhnlichen Formen des bürgerlichen Pro- ceſſes ein. Eine weitere Frage iſt es, ob der Verwaltungsrath unbe- dingt das Recht zur Suſpenſion des Direktors habe. Dieſe Frage iſt im Allgemeinen zu bejahen; zweifelhaft kann dieß nur in dem Falle ſein, wo die Suſpenſion wegen Gehorſamsverweigerung eintrat, weil das öffentliche Recht mit dem Beſchluſſe des Verwaltungsraths im Widerſpruch ſtand. Da die Aufhebung des Anſtellungsvertrages unter dieſer Bedingung gar nicht hätte ſtipulirt werden können, ſo kann ſie Stein, die Verwaltungslehre. I. 39

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/633
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/633>, abgerufen am 22.11.2024.