Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.die Zahl der Bevölkerung die Grundlage der Produktivität eines Volkes sei und Mit der Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt nämlich allerdings eine die Zahl der Bevölkerung die Grundlage der Produktivität eines Volkes ſei und Mit der Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt nämlich allerdings eine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0137" n="115"/> die Zahl der Bevölkerung die Grundlage der Produktivität eines Volkes ſei und<lb/> daß man daher mit Berechnung der Bevölkerung zugleich die Baſis des Volks-<lb/> reichthums habe. Aus dieſer Auffaſſung gingen die Arbeiten von <hi rendition="#g">Petty,<lb/> Graunt</hi>, ſeinem großen Nachfolger <hi rendition="#g">King</hi>, den man als den Vater der<lb/> politiſchen Arithmetik bezeichnen kann, und ſeinen Interpretator <hi rendition="#g">Davenant</hi><lb/> hervor, deſſen Werk: <hi rendition="#aq">An essay upon the probable methods of making a<lb/> people gainers in the bargains of trade Lond.</hi> 1699 alle bisherigen Berech-<lb/> nungen zuſammenfaßte, und ſchon damals zu dem Schluß kam: „das Volk oder<lb/> die Unterthanen eines Landes ſind die erſte Materie der Macht und <hi rendition="#g">auch des<lb/> Reichthums</hi> deſſelben“ — die erſte Bedingung zur Erreichung einer großen<lb/> Bevölkerung aber ſeine <hi rendition="#aq">„liberty and property.“</hi> <hi rendition="#g">Süßmilch</hi> hat ihn ſehr ſtark<lb/> benützt, und gewiß hat auch Montesquien unter ſeinem mächtigen Einfluß ge-<lb/> ſtanden. (Süßmilch <hi rendition="#aq">I.</hi> §. 277. <hi rendition="#aq">II.</hi> 552—560.) Wir müſſen der Ueberzeugung<lb/> ſein, daß die Darſtellung dieſer <hi rendition="#g">erſten</hi> populationiſtiſchen Frage eine reiche Quelle<lb/> auch für die Geſchichte der Statiſtik bieten würde, um ſo mehr, als ihr Einfluß<lb/> bis auf Malthus ein vorherrſchender geweſen iſt, wenn auch Montesquieu und<lb/> die Deutſchen einen andern Geſichtspunkt herbeibringen.</p><lb/> <p>Mit der Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt nämlich allerdings eine<lb/> neue Richtung. Man muß <hi rendition="#g">Montesquieu</hi> ohne allen Zweifel als denjenigen<lb/> betrachten, der das Bevölkerungsweſen zuerſt vom höheren ſtaatswiſſenſchaftlichen<lb/> Standpunkt aufgefaßt hat; und auch jetzt noch wird niemand ſeine Arbeit ohne<lb/> Nutzen leſen. Er widmet ihm das <hi rendition="#aq">XXIII.</hi> Buch. Es iſt bemerkenswerth, daß<lb/> nicht bloß das vorige, ſondern auch das gegenwärtige Jahrhundert auf ihn ſo<lb/> wenig Rückſicht genommen hat. Vielleicht daß die Einſeitigkeit der Nachfolger<lb/> das am beſten erklärt. Montesquieu braucht nämlich noch nicht den Ausdruck<lb/> Population, ſondern faßt das Bevölkerungsweſen ſogleich von dem letzten der<lb/> obenerwähnten drei Geſichtspunkte, dem rein adminiſtrativen, auf. <hi rendition="#aq">(Des lois<lb/> dans le rapport qu’elles ont avec le nombre des habitants.)</hi> Es iſt die<lb/> erſte adminiſtrative Bevölkerungspolitik, die wir beſitzen, und die ſich namentlich<lb/> auf die <hi rendition="#g">alte</hi> Ehegeſetzgebung bezieht (vorzugsweiſe <hi rendition="#aq">Ch.</hi> 21, römiſche Ehegeſetz-<lb/> gebung). Sein Ergebniß iſt principiell, daß „die Bevölkerung von dem Zuſtand<lb/> der Geſetzgebung abhängt“ — wobei er aber in der That doch nur an diejenige<lb/> Geſetzgebung denkt, welche ſich auf die Vertheilung des <hi rendition="#g">Grundbeſitzes</hi> bezieht.<lb/><hi rendition="#aq">(Ch. XV. Lorsqu’il y a une loi agraire, et que les terres sont également<lb/> partagées, le pays peut être tres peuplé quoiqu’il y ait peu d’arts.)</hi> Er<lb/> erkennt mit ſeinem Jahrhundert, deſſen Charakter er allerdings in der Depopu-<lb/> lation ſucht, die Größe der Bevölkerung als einen hochwichtigen Faktor des<lb/> Wohlſeins an, und gelangt <hi rendition="#aq">Ch.</hi> 28 zu dem Satz: die Regierungen mußten,<lb/> um die Bevölkerungen zu heben, <hi rendition="#aq">„distribuer les terres à toutes ces familles<lb/> qui n’ont rien leur procurer les moyens de les défricher et de les cultiver.“</hi><lb/> Das war in der That ein bedeutſames Urtheil nicht ſo ſehr über die Geſetz-<lb/> gebung an ſich, als vielmehr über das Verhältniß der ſtändiſchen Geſellſchafts-<lb/> ordnung und namentlich der Patrimonialherrſchaft zur Bevölkerung; ohne es zu<lb/> wiſſen, begründete Montesquieu hier den wichtigen Satz, daß die <hi rendition="#g">Unbeweg-<lb/> lichkeit der Vertheilung des Grundbeſitzes die Unbeweglichkeit<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [115/0137]
die Zahl der Bevölkerung die Grundlage der Produktivität eines Volkes ſei und
daß man daher mit Berechnung der Bevölkerung zugleich die Baſis des Volks-
reichthums habe. Aus dieſer Auffaſſung gingen die Arbeiten von Petty,
Graunt, ſeinem großen Nachfolger King, den man als den Vater der
politiſchen Arithmetik bezeichnen kann, und ſeinen Interpretator Davenant
hervor, deſſen Werk: An essay upon the probable methods of making a
people gainers in the bargains of trade Lond. 1699 alle bisherigen Berech-
nungen zuſammenfaßte, und ſchon damals zu dem Schluß kam: „das Volk oder
die Unterthanen eines Landes ſind die erſte Materie der Macht und auch des
Reichthums deſſelben“ — die erſte Bedingung zur Erreichung einer großen
Bevölkerung aber ſeine „liberty and property.“ Süßmilch hat ihn ſehr ſtark
benützt, und gewiß hat auch Montesquien unter ſeinem mächtigen Einfluß ge-
ſtanden. (Süßmilch I. §. 277. II. 552—560.) Wir müſſen der Ueberzeugung
ſein, daß die Darſtellung dieſer erſten populationiſtiſchen Frage eine reiche Quelle
auch für die Geſchichte der Statiſtik bieten würde, um ſo mehr, als ihr Einfluß
bis auf Malthus ein vorherrſchender geweſen iſt, wenn auch Montesquieu und
die Deutſchen einen andern Geſichtspunkt herbeibringen.
Mit der Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt nämlich allerdings eine
neue Richtung. Man muß Montesquieu ohne allen Zweifel als denjenigen
betrachten, der das Bevölkerungsweſen zuerſt vom höheren ſtaatswiſſenſchaftlichen
Standpunkt aufgefaßt hat; und auch jetzt noch wird niemand ſeine Arbeit ohne
Nutzen leſen. Er widmet ihm das XXIII. Buch. Es iſt bemerkenswerth, daß
nicht bloß das vorige, ſondern auch das gegenwärtige Jahrhundert auf ihn ſo
wenig Rückſicht genommen hat. Vielleicht daß die Einſeitigkeit der Nachfolger
das am beſten erklärt. Montesquieu braucht nämlich noch nicht den Ausdruck
Population, ſondern faßt das Bevölkerungsweſen ſogleich von dem letzten der
obenerwähnten drei Geſichtspunkte, dem rein adminiſtrativen, auf. (Des lois
dans le rapport qu’elles ont avec le nombre des habitants.) Es iſt die
erſte adminiſtrative Bevölkerungspolitik, die wir beſitzen, und die ſich namentlich
auf die alte Ehegeſetzgebung bezieht (vorzugsweiſe Ch. 21, römiſche Ehegeſetz-
gebung). Sein Ergebniß iſt principiell, daß „die Bevölkerung von dem Zuſtand
der Geſetzgebung abhängt“ — wobei er aber in der That doch nur an diejenige
Geſetzgebung denkt, welche ſich auf die Vertheilung des Grundbeſitzes bezieht.
(Ch. XV. Lorsqu’il y a une loi agraire, et que les terres sont également
partagées, le pays peut être tres peuplé quoiqu’il y ait peu d’arts.) Er
erkennt mit ſeinem Jahrhundert, deſſen Charakter er allerdings in der Depopu-
lation ſucht, die Größe der Bevölkerung als einen hochwichtigen Faktor des
Wohlſeins an, und gelangt Ch. 28 zu dem Satz: die Regierungen mußten,
um die Bevölkerungen zu heben, „distribuer les terres à toutes ces familles
qui n’ont rien leur procurer les moyens de les défricher et de les cultiver.“
Das war in der That ein bedeutſames Urtheil nicht ſo ſehr über die Geſetz-
gebung an ſich, als vielmehr über das Verhältniß der ſtändiſchen Geſellſchafts-
ordnung und namentlich der Patrimonialherrſchaft zur Bevölkerung; ohne es zu
wiſſen, begründete Montesquieu hier den wichtigen Satz, daß die Unbeweg-
lichkeit der Vertheilung des Grundbeſitzes die Unbeweglichkeit
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