Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.
der Bevölkerung erzeugt, und daß daher die Entwicklung der Bevölke-
der Bevölkerung erzeugt, und daß daher die Entwicklung der Bevölke- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0138" n="116"/> der Bevölkerung erzeugt</hi>, und daß daher die Entwicklung der Bevölke-<lb/> rung weſentlich von der geſellſchaftlichen Ordnung abhängt — nicht durch ihr<lb/> ſociales Princip an ſich, ſondern durch die aus demſelben folgende Verthei-<lb/> lung des Beſitzes. Es iſt höchſt bezeichnend für die folgende Literatur und für<lb/> die unſeres Jahrhunderts, daß nicht einmal <hi rendition="#g">Roſcher</hi> und ſelbſt nicht <hi rendition="#g">Mohl</hi><lb/> in ſeiner Geſchichte und Literatur der Staatswiſſenſchaft (Bd. <hi rendition="#aq">III. XVI:</hi> Geſchichte<lb/> und Literatur der Bevölkerungslehre) auf dieſen ſo bedeutſamen Standpunkt<lb/> Montesquieu’s irgend welche Rückſicht nehmen; ja ſie führen ihn gar nicht ein-<lb/> mal an. Dennoch hat er im vorigen Jahrhundert weſentlich auf die Auffaſ-<lb/> ſungen eingewirkt. Freilich hat er keine Ziffern angegeben, und iſt daher direkt<lb/> mit ſeinen Nachfolgern nicht zu vergleichen. Denn mit <hi rendition="#g">Süßmilch</hi> in ſeiner<lb/> „Göttlichen Ordnung in den Veränderungen des menſchlichen Geſchlechts“ (erſte<lb/> Ausgabe 1761) beginnt eine weſentlich neue Richtung, obgleich er Montesquieu<lb/> noch vollſtändig zu würdigen weiß. Süßmilch iſt nämlich der erſte, der auf<lb/> Grundlage ziffermäßiger Angaben dasjenige aufzuſtellen ſucht, was wir die<lb/> natürlichen Geſetze der Bewegung der Bevölkerung nennen. Er begründet da-<lb/> mit die <hi rendition="#g">ſtatiſtiſche</hi> Richtung der Bevölkerungslehre, die alsbald zu einer<lb/> gewaltigen, ſelbſt die Malthus’ſche Bewegung überdauernden Geltung und Aus-<lb/> dehnung gelangt. Seine Bedeutung in dieſer Beziehung iſt weder von Mohl<lb/> noch von andern gehörig gewürdigt, und es iſt ein ächt deutſches Schickſal, daß<lb/> Malthus, ohne den alle Deutſchen vom Bevölkerungsweſen gar nicht reden zu<lb/> können glauben, ſeinerſeits faſt keine Seite ſchreibt, ohne auf <hi rendition="#g">Süßmilch</hi> zu-<lb/> rückzugreifen. Süßmilch hat mit ſeinen Gedanken die ganze Hälfte des vorigen<lb/> Jahrhunderts beherrſcht, und Mohl hat das in ſeiner Geſchichte der Literatur<lb/> wieder ganz überſehen, denn erſt in den dreißiger Jahren <hi rendition="#g">unſeres</hi> Jahrhunderts<lb/> beginnt die neue, <hi rendition="#g">rein ſtatiſtiſche</hi> Richtung der Bevölkerungslehre, welche,<lb/> mit <hi rendition="#g">Bikes, Caſpar, Bernoulli</hi> und <hi rendition="#g">Moſer</hi> ſich auf die rein mathematiſche<lb/><hi rendition="#g">Berechnung des Durchſchnitts</hi> beſchränkt, und jeden weitern Geſichts-<lb/> kreis, den nationalökonomiſchen und am meiſten den adminiſtrativen, zur Seite<lb/> ſchieben. Durch ſie iſt die Bevölkerungslehre großentheils in die Mathematik<lb/> gefallen, nicht durchaus zu ihrem Vortheil, und umſonſt hat <hi rendition="#g">Quetelet</hi>, der-<lb/> jenige unter den Statiſtikern, der den höhern Auffaſſungen ihr Recht faſt allein<lb/> zukommen läßt, an einem weiteren Geſichtskreis feſtgehalten, indem er den Men-<lb/> ſchen nicht als eine ziffermäßige, ſondern als eine lebendige Thatſache erfaßte<lb/> und maß. Es war ein Uebelſtand, daß er ſein <hi rendition="#aq">„Système social“</hi> (1857)<lb/> ſchrieb, ohne ſich über das, was er als <hi rendition="#aq">„social“</hi> bezeichnet, recht klar zu ſein.<lb/> Jedenfalls iſt die ſtatiſtiſche Bewegung mit ihrem ſtreng ziffermäßigen, auf Ta-<lb/> bellen ſich reducirenden, großen aber einſeitigen Werth durch <hi rendition="#g">Süßmilch</hi> be-<lb/> gründet; aber ſie iſt nicht von ihm in dieſer Beſchränkung aufgefaßt. Er begriff<lb/> das Bevölkerungsweſen noch zugleich als einen Gegenſtand der <hi rendition="#g">Verwaltung</hi>,<lb/> und während er in Cap. <hi rendition="#aq">X.</hi> „Von der Bevölkerung eines Staats als nothwen-<lb/> diger Pflicht eines Regenten“ ſpricht, indem „jeder Unterthan <hi rendition="#g">einen gewiſſen<lb/> Werth</hi> hat, und der Staat durch ihn gewinnt oder verliert“ (§. 209), geht er<lb/> ſo weit, in §. 215 „Vier Hauptregeln“ anzunehmen, durch welche die Verwal-<lb/> tung die Bevölkerung befördern kann: 1) Beförderung der Ehen; 2) der ehelichen<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [116/0138]
der Bevölkerung erzeugt, und daß daher die Entwicklung der Bevölke-
rung weſentlich von der geſellſchaftlichen Ordnung abhängt — nicht durch ihr
ſociales Princip an ſich, ſondern durch die aus demſelben folgende Verthei-
lung des Beſitzes. Es iſt höchſt bezeichnend für die folgende Literatur und für
die unſeres Jahrhunderts, daß nicht einmal Roſcher und ſelbſt nicht Mohl
in ſeiner Geſchichte und Literatur der Staatswiſſenſchaft (Bd. III. XVI: Geſchichte
und Literatur der Bevölkerungslehre) auf dieſen ſo bedeutſamen Standpunkt
Montesquieu’s irgend welche Rückſicht nehmen; ja ſie führen ihn gar nicht ein-
mal an. Dennoch hat er im vorigen Jahrhundert weſentlich auf die Auffaſ-
ſungen eingewirkt. Freilich hat er keine Ziffern angegeben, und iſt daher direkt
mit ſeinen Nachfolgern nicht zu vergleichen. Denn mit Süßmilch in ſeiner
„Göttlichen Ordnung in den Veränderungen des menſchlichen Geſchlechts“ (erſte
Ausgabe 1761) beginnt eine weſentlich neue Richtung, obgleich er Montesquieu
noch vollſtändig zu würdigen weiß. Süßmilch iſt nämlich der erſte, der auf
Grundlage ziffermäßiger Angaben dasjenige aufzuſtellen ſucht, was wir die
natürlichen Geſetze der Bewegung der Bevölkerung nennen. Er begründet da-
mit die ſtatiſtiſche Richtung der Bevölkerungslehre, die alsbald zu einer
gewaltigen, ſelbſt die Malthus’ſche Bewegung überdauernden Geltung und Aus-
dehnung gelangt. Seine Bedeutung in dieſer Beziehung iſt weder von Mohl
noch von andern gehörig gewürdigt, und es iſt ein ächt deutſches Schickſal, daß
Malthus, ohne den alle Deutſchen vom Bevölkerungsweſen gar nicht reden zu
können glauben, ſeinerſeits faſt keine Seite ſchreibt, ohne auf Süßmilch zu-
rückzugreifen. Süßmilch hat mit ſeinen Gedanken die ganze Hälfte des vorigen
Jahrhunderts beherrſcht, und Mohl hat das in ſeiner Geſchichte der Literatur
wieder ganz überſehen, denn erſt in den dreißiger Jahren unſeres Jahrhunderts
beginnt die neue, rein ſtatiſtiſche Richtung der Bevölkerungslehre, welche,
mit Bikes, Caſpar, Bernoulli und Moſer ſich auf die rein mathematiſche
Berechnung des Durchſchnitts beſchränkt, und jeden weitern Geſichts-
kreis, den nationalökonomiſchen und am meiſten den adminiſtrativen, zur Seite
ſchieben. Durch ſie iſt die Bevölkerungslehre großentheils in die Mathematik
gefallen, nicht durchaus zu ihrem Vortheil, und umſonſt hat Quetelet, der-
jenige unter den Statiſtikern, der den höhern Auffaſſungen ihr Recht faſt allein
zukommen läßt, an einem weiteren Geſichtskreis feſtgehalten, indem er den Men-
ſchen nicht als eine ziffermäßige, ſondern als eine lebendige Thatſache erfaßte
und maß. Es war ein Uebelſtand, daß er ſein „Système social“ (1857)
ſchrieb, ohne ſich über das, was er als „social“ bezeichnet, recht klar zu ſein.
Jedenfalls iſt die ſtatiſtiſche Bewegung mit ihrem ſtreng ziffermäßigen, auf Ta-
bellen ſich reducirenden, großen aber einſeitigen Werth durch Süßmilch be-
gründet; aber ſie iſt nicht von ihm in dieſer Beſchränkung aufgefaßt. Er begriff
das Bevölkerungsweſen noch zugleich als einen Gegenſtand der Verwaltung,
und während er in Cap. X. „Von der Bevölkerung eines Staats als nothwen-
diger Pflicht eines Regenten“ ſpricht, indem „jeder Unterthan einen gewiſſen
Werth hat, und der Staat durch ihn gewinnt oder verliert“ (§. 209), geht er
ſo weit, in §. 215 „Vier Hauptregeln“ anzunehmen, durch welche die Verwal-
tung die Bevölkerung befördern kann: 1) Beförderung der Ehen; 2) der ehelichen
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