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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Fruchtbarkeit; 3) der Erhaltung der Menschen; 4) Herstellung einer klugen
Regierungsform
. Im zweiten Theil Cap. XV. nimmt er dann den Ge-
danken Montesquieu's auf, daß die Bevölkerung mit der gesellschaftlichen Ver-
theilung des Besitzes innig zusammenhänge. (Von den Ackergesetzen der alten
Römer und der klugen Vertheilung des Landes, als dem Grunde ihrer Macht
und ihres Ansehens.) In Cap. XVI. ("Vortheile der Fabriken in Ansehung
der Bevölkerung") entwickelt er dagegen mit vollkommen richtigem Verständniß
den Satz, der durch Adam Smith in die europäische Literatur überging, und
dessen erste Begründung durch einen Deutschen wieder die Deutschen vergessen
haben, daß nämlich die Zunahme der Bevölkerung auf dem Arbeitslohne
beruhe. Das nun, was hier in einzelnen, wenig zusammenhängenden Capiteln
dargestellt wird, wird fast gleichzeitig von einem nicht minder bedeutenden deut-
schen Manne, J. H. G. Justi (1. Aufl. 1760) systematisch verarbeitet. Man
muß Justi unbedingt als den ersten Theoretiker über die Verwaltung der Be-
völkerung anerkennen. Während Montesquieu die Bewegung derselben auf die
Verfassung zurückführt, stellt Justi dagegen das erste und gut überlegte System
der administrativen Thätigkeit für die Bevölkerung auf (I. Band, 2. Buch);
nach ihm besteht die Grundlage dieser Thätigkeit theils in einer guten Regierung
("Grundreguln der Bevölkerung"), theils in der Beförderung des Ehestandes;
theils beruht sie auf polizeilichen Gesetzen (namentlich wieder Ehestandsgesetzen),
theils auf Veranlassung zur Einwanderung. Er weiß dabei sehr wohl, was
für die Zählung nothwendig ist (s. unten), und es läßt sich kaum leugnen, daß
er im Allgemeinen nicht unter der heutigen Behandlung der Frage steht. So
war mit diesen drei Männern die Grundlage der Bevölkerungslehre gelegt, und
namentlich die Verbindung derselben auch mit der Nationalökonomie gesichert.
Das Gesammtresultat dieser Auffassungen ist der Satz, daß "ein Staat nie zu
viel Einwohner haben könne" (Justi) und daß "die Glückseligkeit der Menge
des Volks proportionirt sei" (Süßmilch). Diesen Satz, den wir (s. oben) schon
vor Montesquieu von den Engländern vom rein volkswirthschaftlichen Stand-
punkt so energisch ausgesprochen finden, hat man nun (nach Mohl 1. 1. 470)
rein als einen populationistischen, ja als einen für die Wissenschaft "demüthi-
genden" erklärt. Es gibt keine einseitigere Auffassung. Jene Ueberzeugung
ging den Deutschen vielmehr aus der klaren Erkenntniß hervor, die schon Mon-
tesquieu ausspricht, daß die strenge ständische Ordnung theils durch die große
Ungleichheit der Vertheilung des Grundbesitzes, theils durch die, mit der Grund-
herrlichkeit verbundene schlechte "Regierung" die Bevölkerung zurückhalte; daß
der Mangel an Bevölkerung ein socialer Zustand sei, daß die Vermehrung
der Bevölkerung nur als Vermehrung des Bürgerthums gedacht werden
könne, und daß daher diese Vermehrung ein Segen für die Staaten sei.
Daher vor allen Dingen jenes Drängen nach Bevölkerung, als der Ausdruck
des Wunsches nach der materiellen Basis der neuen socialen und freien Ordnung,
die man mit richtigem Verständniß in der Zahl der Menschen fand; und darum
konnte die Annahme jener Grundsätze keinem Zweifel unterliegen. In diese
Bewegung tritt nun der Anfang der dritten großen Epoche, eine zweite Auf-
fassung hinein, die wir die populationistische nennen, obwohl sie in ihrem

Fruchtbarkeit; 3) der Erhaltung der Menſchen; 4) Herſtellung einer klugen
Regierungsform
. Im zweiten Theil Cap. XV. nimmt er dann den Ge-
danken Montesquieu’s auf, daß die Bevölkerung mit der geſellſchaftlichen Ver-
theilung des Beſitzes innig zuſammenhänge. (Von den Ackergeſetzen der alten
Römer und der klugen Vertheilung des Landes, als dem Grunde ihrer Macht
und ihres Anſehens.) In Cap. XVI. („Vortheile der Fabriken in Anſehung
der Bevölkerung“) entwickelt er dagegen mit vollkommen richtigem Verſtändniß
den Satz, der durch Adam Smith in die europäiſche Literatur überging, und
deſſen erſte Begründung durch einen Deutſchen wieder die Deutſchen vergeſſen
haben, daß nämlich die Zunahme der Bevölkerung auf dem Arbeitslohne
beruhe. Das nun, was hier in einzelnen, wenig zuſammenhängenden Capiteln
dargeſtellt wird, wird faſt gleichzeitig von einem nicht minder bedeutenden deut-
ſchen Manne, J. H. G. Juſti (1. Aufl. 1760) ſyſtematiſch verarbeitet. Man
muß Juſti unbedingt als den erſten Theoretiker über die Verwaltung der Be-
völkerung anerkennen. Während Montesquieu die Bewegung derſelben auf die
Verfaſſung zurückführt, ſtellt Juſti dagegen das erſte und gut überlegte Syſtem
der adminiſtrativen Thätigkeit für die Bevölkerung auf (I. Band, 2. Buch);
nach ihm beſteht die Grundlage dieſer Thätigkeit theils in einer guten Regierung
(„Grundreguln der Bevölkerung“), theils in der Beförderung des Eheſtandes;
theils beruht ſie auf polizeilichen Geſetzen (namentlich wieder Eheſtandsgeſetzen),
theils auf Veranlaſſung zur Einwanderung. Er weiß dabei ſehr wohl, was
für die Zählung nothwendig iſt (ſ. unten), und es läßt ſich kaum leugnen, daß
er im Allgemeinen nicht unter der heutigen Behandlung der Frage ſteht. So
war mit dieſen drei Männern die Grundlage der Bevölkerungslehre gelegt, und
namentlich die Verbindung derſelben auch mit der Nationalökonomie geſichert.
Das Geſammtreſultat dieſer Auffaſſungen iſt der Satz, daß „ein Staat nie zu
viel Einwohner haben könne“ (Juſti) und daß „die Glückſeligkeit der Menge
des Volks proportionirt ſei“ (Süßmilch). Dieſen Satz, den wir (ſ. oben) ſchon
vor Montesquieu von den Engländern vom rein volkswirthſchaftlichen Stand-
punkt ſo energiſch ausgeſprochen finden, hat man nun (nach Mohl 1. 1. 470)
rein als einen populationiſtiſchen, ja als einen für die Wiſſenſchaft „demüthi-
genden“ erklärt. Es gibt keine einſeitigere Auffaſſung. Jene Ueberzeugung
ging den Deutſchen vielmehr aus der klaren Erkenntniß hervor, die ſchon Mon-
tesquieu ausſpricht, daß die ſtrenge ſtändiſche Ordnung theils durch die große
Ungleichheit der Vertheilung des Grundbeſitzes, theils durch die, mit der Grund-
herrlichkeit verbundene ſchlechte „Regierung“ die Bevölkerung zurückhalte; daß
der Mangel an Bevölkerung ein ſocialer Zuſtand ſei, daß die Vermehrung
der Bevölkerung nur als Vermehrung des Bürgerthums gedacht werden
könne, und daß daher dieſe Vermehrung ein Segen für die Staaten ſei.
Daher vor allen Dingen jenes Drängen nach Bevölkerung, als der Ausdruck
des Wunſches nach der materiellen Baſis der neuen ſocialen und freien Ordnung,
die man mit richtigem Verſtändniß in der Zahl der Menſchen fand; und darum
konnte die Annahme jener Grundſätze keinem Zweifel unterliegen. In dieſe
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[117/0139] Fruchtbarkeit; 3) der Erhaltung der Menſchen; 4) Herſtellung einer klugen Regierungsform. Im zweiten Theil Cap. XV. nimmt er dann den Ge- danken Montesquieu’s auf, daß die Bevölkerung mit der geſellſchaftlichen Ver- theilung des Beſitzes innig zuſammenhänge. (Von den Ackergeſetzen der alten Römer und der klugen Vertheilung des Landes, als dem Grunde ihrer Macht und ihres Anſehens.) In Cap. XVI. („Vortheile der Fabriken in Anſehung der Bevölkerung“) entwickelt er dagegen mit vollkommen richtigem Verſtändniß den Satz, der durch Adam Smith in die europäiſche Literatur überging, und deſſen erſte Begründung durch einen Deutſchen wieder die Deutſchen vergeſſen haben, daß nämlich die Zunahme der Bevölkerung auf dem Arbeitslohne beruhe. Das nun, was hier in einzelnen, wenig zuſammenhängenden Capiteln dargeſtellt wird, wird faſt gleichzeitig von einem nicht minder bedeutenden deut- ſchen Manne, J. H. G. Juſti (1. Aufl. 1760) ſyſtematiſch verarbeitet. Man muß Juſti unbedingt als den erſten Theoretiker über die Verwaltung der Be- völkerung anerkennen. Während Montesquieu die Bewegung derſelben auf die Verfaſſung zurückführt, ſtellt Juſti dagegen das erſte und gut überlegte Syſtem der adminiſtrativen Thätigkeit für die Bevölkerung auf (I. Band, 2. Buch); nach ihm beſteht die Grundlage dieſer Thätigkeit theils in einer guten Regierung („Grundreguln der Bevölkerung“), theils in der Beförderung des Eheſtandes; theils beruht ſie auf polizeilichen Geſetzen (namentlich wieder Eheſtandsgeſetzen), theils auf Veranlaſſung zur Einwanderung. Er weiß dabei ſehr wohl, was für die Zählung nothwendig iſt (ſ. unten), und es läßt ſich kaum leugnen, daß er im Allgemeinen nicht unter der heutigen Behandlung der Frage ſteht. So war mit dieſen drei Männern die Grundlage der Bevölkerungslehre gelegt, und namentlich die Verbindung derſelben auch mit der Nationalökonomie geſichert. Das Geſammtreſultat dieſer Auffaſſungen iſt der Satz, daß „ein Staat nie zu viel Einwohner haben könne“ (Juſti) und daß „die Glückſeligkeit der Menge des Volks proportionirt ſei“ (Süßmilch). Dieſen Satz, den wir (ſ. oben) ſchon vor Montesquieu von den Engländern vom rein volkswirthſchaftlichen Stand- punkt ſo energiſch ausgeſprochen finden, hat man nun (nach Mohl 1. 1. 470) rein als einen populationiſtiſchen, ja als einen für die Wiſſenſchaft „demüthi- genden“ erklärt. Es gibt keine einſeitigere Auffaſſung. Jene Ueberzeugung ging den Deutſchen vielmehr aus der klaren Erkenntniß hervor, die ſchon Mon- tesquieu ausſpricht, daß die ſtrenge ſtändiſche Ordnung theils durch die große Ungleichheit der Vertheilung des Grundbeſitzes, theils durch die, mit der Grund- herrlichkeit verbundene ſchlechte „Regierung“ die Bevölkerung zurückhalte; daß der Mangel an Bevölkerung ein ſocialer Zuſtand ſei, daß die Vermehrung der Bevölkerung nur als Vermehrung des Bürgerthums gedacht werden könne, und daß daher dieſe Vermehrung ein Segen für die Staaten ſei. Daher vor allen Dingen jenes Drängen nach Bevölkerung, als der Ausdruck des Wunſches nach der materiellen Baſis der neuen ſocialen und freien Ordnung, die man mit richtigem Verſtändniß in der Zahl der Menſchen fand; und darum konnte die Annahme jener Grundſätze keinem Zweifel unterliegen. In dieſe Bewegung tritt nun der Anfang der dritten großen Epoche, eine zweite Auf- faſſung hinein, die wir die populationiſtiſche nennen, obwohl ſie in ihrem

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/139>, abgerufen am 04.12.2024.