Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

der Bevölkerungsstatistik" (Zeitschrift des statistischen Bureaus für
das Königreich Sachsen, 1855. Nr. 9.) dargelegt; das von ihm wesentlich
begründete Zählungswesen (1855) hat eben deßhalb dem Vorwurf einer
gewissen Einseitigkeit nicht entgehen können (vergl. Mohl, S. 429).
Es darf dabei allerdings nicht vergessen werden, daß sich die deutsche
Staatswissenschaft auch jetzt noch nicht einig ist, ob oder in welchem
Umfang sie das Zählungswesen behandeln soll. Mohl hat es im
württembergischen Verwaltungsrecht ganz weggelassen, dagegen in seiner
Polizeiwissenschaft sehr oberflächlich aufgenommen, und dann in der
Literatur der Staatswissenschaften behandelt, während es in der
Encyklopädie wieder weggelassen ist. Rönne spricht gar nicht davon,
Pötzl und Funke gleichfalls nicht; Stubenrauch dagegen hat es
aufgenommen, und eben so Gerstner. Und doch ist die Theorie hier
von der höchsten Wichtigkeit.

Diesen Zuständen Deutschlands gegenüber erscheinen nun Oester-
reich, England
und Frankreich in einem ganz andern Lichte.

c) Das Zählungswesen in Oesterreich. Das Volkszählungsgesetz
von 1856.

Die Zählungen in Oesterreich schlossen sich schon im vorigen
Jahrhundert an das Heerwesen, und erscheinen anfangs nur als Con-
scriptionszählungen, die dann natürlich nach Werbebezirken aufgenommen
und nur auf die Constatirung der wehrpflichtigen Mannschaft beschränkt
waren. Diesen Charakter behielt das österreichische Zählungswesen bis
in die neueste Zeit. Den Beginn desselben bildet das Hofdekret vom
19. Januar und 16. Februar 1754; erst das Patent vom 18. Sep-
tember 1777 und die ihm beigefügte Instruktion stellen bestimmtere Vor-
schriften auf, bei denen gewiß die Ideen Justis von großem Einfluß
gewesen sind; der Gedanke war eine vollständige amtliche Zählung
("Seelenbeschreibung") nach den Justi'schen Kategorien. Offenbar reichte
aber der amtliche Mechanismus dazu nicht aus, und man mußte sich
auf die militärische Zählung beschränken, die durch das Conscrip-
tions- und Werbebezirks-System
v. 27. April 1781 mit besonderer
Rücksicht auf die Rekrutirungsverhältnisse geordnet wurden und daher kaum
zu den eigentlichen Volkszählungsgesetzen gerechnet werden dürfen, zumal
da die Rekrutirungsverpflichtung in den verschiedenen Kronländern ver-
schieden war, und daher der Unterschied zwischen den sogen. altcon-
scribirten
und den übrigen Provinzen auf diese Zählung wesentlich
Einfluß übte (Dekret vom 7. Mai 1787; Patent vom 25. October 1804;
Dekret vom 31. Mai 1818). Gesammelt sind alle darauf bezüglichen Vor-
schriften von Schopf (Sammlung aller in Conscriptions-, Rekrutirungs-

Stein, die Verwaltungslehre. II. 15

der Bevölkerungsſtatiſtik“ (Zeitſchrift des ſtatiſtiſchen Bureaus für
das Königreich Sachſen, 1855. Nr. 9.) dargelegt; das von ihm weſentlich
begründete Zählungsweſen (1855) hat eben deßhalb dem Vorwurf einer
gewiſſen Einſeitigkeit nicht entgehen können (vergl. Mohl, S. 429).
Es darf dabei allerdings nicht vergeſſen werden, daß ſich die deutſche
Staatswiſſenſchaft auch jetzt noch nicht einig iſt, ob oder in welchem
Umfang ſie das Zählungsweſen behandeln ſoll. Mohl hat es im
württembergiſchen Verwaltungsrecht ganz weggelaſſen, dagegen in ſeiner
Polizeiwiſſenſchaft ſehr oberflächlich aufgenommen, und dann in der
Literatur der Staatswiſſenſchaften behandelt, während es in der
Encyklopädie wieder weggelaſſen iſt. Rönne ſpricht gar nicht davon,
Pötzl und Funke gleichfalls nicht; Stubenrauch dagegen hat es
aufgenommen, und eben ſo Gerſtner. Und doch iſt die Theorie hier
von der höchſten Wichtigkeit.

Dieſen Zuſtänden Deutſchlands gegenüber erſcheinen nun Oeſter-
reich, England
und Frankreich in einem ganz andern Lichte.

c) Das Zählungsweſen in Oeſterreich. Das Volkszählungsgeſetz
von 1856.

Die Zählungen in Oeſterreich ſchloſſen ſich ſchon im vorigen
Jahrhundert an das Heerweſen, und erſcheinen anfangs nur als Con-
ſcriptionszählungen, die dann natürlich nach Werbebezirken aufgenommen
und nur auf die Conſtatirung der wehrpflichtigen Mannſchaft beſchränkt
waren. Dieſen Charakter behielt das öſterreichiſche Zählungsweſen bis
in die neueſte Zeit. Den Beginn deſſelben bildet das Hofdekret vom
19. Januar und 16. Februar 1754; erſt das Patent vom 18. Sep-
tember 1777 und die ihm beigefügte Inſtruktion ſtellen beſtimmtere Vor-
ſchriften auf, bei denen gewiß die Ideen Juſtis von großem Einfluß
geweſen ſind; der Gedanke war eine vollſtändige amtliche Zählung
(„Seelenbeſchreibung“) nach den Juſti’ſchen Kategorien. Offenbar reichte
aber der amtliche Mechanismus dazu nicht aus, und man mußte ſich
auf die militäriſche Zählung beſchränken, die durch das Conſcrip-
tions- und Werbebezirks-Syſtem
v. 27. April 1781 mit beſonderer
Rückſicht auf die Rekrutirungsverhältniſſe geordnet wurden und daher kaum
zu den eigentlichen Volkszählungsgeſetzen gerechnet werden dürfen, zumal
da die Rekrutirungsverpflichtung in den verſchiedenen Kronländern ver-
ſchieden war, und daher der Unterſchied zwiſchen den ſogen. altcon-
ſcribirten
und den übrigen Provinzen auf dieſe Zählung weſentlich
Einfluß übte (Dekret vom 7. Mai 1787; Patent vom 25. October 1804;
Dekret vom 31. Mai 1818). Geſammelt ſind alle darauf bezüglichen Vor-
ſchriften von Schopf (Sammlung aller in Conſcriptions-, Rekrutirungs-

Stein, die Verwaltungslehre. II. 15
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0247" n="225"/>
der Bevölkerungs&#x017F;tati&#x017F;tik&#x201C; (<hi rendition="#g">Zeit&#x017F;chrift</hi> des &#x017F;tati&#x017F;ti&#x017F;chen Bureaus für<lb/>
das Königreich Sach&#x017F;en, 1855. Nr. 9.) dargelegt; das von ihm we&#x017F;entlich<lb/>
begründete Zählungswe&#x017F;en (1855) hat eben deßhalb dem Vorwurf einer<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Ein&#x017F;eitigkeit nicht entgehen können (vergl. <hi rendition="#g">Mohl</hi>, S. 429).<lb/>
Es darf dabei allerdings nicht verge&#x017F;&#x017F;en werden, daß &#x017F;ich die deut&#x017F;che<lb/>
Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft auch jetzt noch nicht einig i&#x017F;t, ob oder in welchem<lb/>
Umfang &#x017F;ie das Zählungswe&#x017F;en behandeln &#x017F;oll. <hi rendition="#g">Mohl</hi> hat es im<lb/>
württembergi&#x017F;chen Verwaltungsrecht ganz weggela&#x017F;&#x017F;en, dagegen in &#x017F;einer<lb/>
Polizeiwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;ehr oberflächlich aufgenommen, und dann in der<lb/><hi rendition="#g">Literatur</hi> der Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften behandelt, während es in der<lb/>
Encyklopädie wieder weggela&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t. <hi rendition="#g">Rönne</hi> &#x017F;pricht gar nicht davon,<lb/><hi rendition="#g">Pötzl</hi> und <hi rendition="#g">Funke</hi> gleichfalls nicht; <hi rendition="#g">Stubenrauch</hi> dagegen hat es<lb/>
aufgenommen, und eben &#x017F;o <hi rendition="#g">Ger&#x017F;tner</hi>. Und doch i&#x017F;t die Theorie hier<lb/>
von der höch&#x017F;ten Wichtigkeit.</p><lb/>
                      <p>Die&#x017F;en Zu&#x017F;tänden Deut&#x017F;chlands gegenüber er&#x017F;cheinen nun <hi rendition="#g">Oe&#x017F;ter-<lb/>
reich, England</hi> und <hi rendition="#g">Frankreich</hi> in einem ganz andern Lichte.</p>
                    </div><lb/>
                    <div n="8">
                      <head><hi rendition="#aq">c</hi>) Das Zählungswe&#x017F;en in <hi rendition="#g">Oe&#x017F;terreich</hi>. Das Volkszählungsge&#x017F;etz<lb/>
von 1856.</head><lb/>
                      <p>Die Zählungen in <hi rendition="#g">Oe&#x017F;terreich</hi> &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich &#x017F;chon im vorigen<lb/>
Jahrhundert an das Heerwe&#x017F;en, und er&#x017F;cheinen anfangs nur als Con-<lb/>
&#x017F;criptionszählungen, die dann natürlich nach Werbebezirken aufgenommen<lb/>
und nur auf die Con&#x017F;tatirung der wehrpflichtigen Mann&#x017F;chaft be&#x017F;chränkt<lb/>
waren. Die&#x017F;en Charakter behielt das ö&#x017F;terreichi&#x017F;che Zählungswe&#x017F;en bis<lb/>
in die neue&#x017F;te Zeit. Den Beginn de&#x017F;&#x017F;elben bildet das Hofdekret vom<lb/>
19. Januar und 16. Februar 1754; er&#x017F;t das Patent vom 18. Sep-<lb/>
tember 1777 und die ihm beigefügte In&#x017F;truktion &#x017F;tellen be&#x017F;timmtere Vor-<lb/>
&#x017F;chriften auf, bei denen gewiß die Ideen Ju&#x017F;tis von großem Einfluß<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;ind; der Gedanke war eine voll&#x017F;tändige <hi rendition="#g">amtliche</hi> Zählung<lb/>
(&#x201E;Seelenbe&#x017F;chreibung&#x201C;) nach den Ju&#x017F;ti&#x2019;&#x017F;chen Kategorien. Offenbar reichte<lb/>
aber der amtliche Mechanismus dazu nicht aus, und man mußte &#x017F;ich<lb/>
auf die militäri&#x017F;che Zählung be&#x017F;chränken, die durch das <hi rendition="#g">Con&#x017F;crip-<lb/>
tions- und Werbebezirks-Sy&#x017F;tem</hi> v. 27. April 1781 mit be&#x017F;onderer<lb/>
Rück&#x017F;icht auf die Rekrutirungsverhältni&#x017F;&#x017F;e geordnet wurden und daher kaum<lb/>
zu den eigentlichen Volkszählungsge&#x017F;etzen gerechnet werden dürfen, zumal<lb/>
da die Rekrutirungsverpflichtung in den ver&#x017F;chiedenen Kronländern ver-<lb/>
&#x017F;chieden war, und daher der Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen den &#x017F;ogen. <hi rendition="#g">altcon-<lb/>
&#x017F;cribirten</hi> und den übrigen Provinzen auf die&#x017F;e Zählung we&#x017F;entlich<lb/>
Einfluß übte (Dekret vom 7. Mai 1787; Patent vom 25. October 1804;<lb/>
Dekret vom 31. Mai 1818). Ge&#x017F;ammelt &#x017F;ind alle darauf bezüglichen Vor-<lb/>
&#x017F;chriften von <hi rendition="#g">Schopf</hi> (Sammlung aller in Con&#x017F;criptions-, Rekrutirungs-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hi rendition="#aq">II.</hi> 15</fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0247] der Bevölkerungsſtatiſtik“ (Zeitſchrift des ſtatiſtiſchen Bureaus für das Königreich Sachſen, 1855. Nr. 9.) dargelegt; das von ihm weſentlich begründete Zählungsweſen (1855) hat eben deßhalb dem Vorwurf einer gewiſſen Einſeitigkeit nicht entgehen können (vergl. Mohl, S. 429). Es darf dabei allerdings nicht vergeſſen werden, daß ſich die deutſche Staatswiſſenſchaft auch jetzt noch nicht einig iſt, ob oder in welchem Umfang ſie das Zählungsweſen behandeln ſoll. Mohl hat es im württembergiſchen Verwaltungsrecht ganz weggelaſſen, dagegen in ſeiner Polizeiwiſſenſchaft ſehr oberflächlich aufgenommen, und dann in der Literatur der Staatswiſſenſchaften behandelt, während es in der Encyklopädie wieder weggelaſſen iſt. Rönne ſpricht gar nicht davon, Pötzl und Funke gleichfalls nicht; Stubenrauch dagegen hat es aufgenommen, und eben ſo Gerſtner. Und doch iſt die Theorie hier von der höchſten Wichtigkeit. Dieſen Zuſtänden Deutſchlands gegenüber erſcheinen nun Oeſter- reich, England und Frankreich in einem ganz andern Lichte. c) Das Zählungsweſen in Oeſterreich. Das Volkszählungsgeſetz von 1856. Die Zählungen in Oeſterreich ſchloſſen ſich ſchon im vorigen Jahrhundert an das Heerweſen, und erſcheinen anfangs nur als Con- ſcriptionszählungen, die dann natürlich nach Werbebezirken aufgenommen und nur auf die Conſtatirung der wehrpflichtigen Mannſchaft beſchränkt waren. Dieſen Charakter behielt das öſterreichiſche Zählungsweſen bis in die neueſte Zeit. Den Beginn deſſelben bildet das Hofdekret vom 19. Januar und 16. Februar 1754; erſt das Patent vom 18. Sep- tember 1777 und die ihm beigefügte Inſtruktion ſtellen beſtimmtere Vor- ſchriften auf, bei denen gewiß die Ideen Juſtis von großem Einfluß geweſen ſind; der Gedanke war eine vollſtändige amtliche Zählung („Seelenbeſchreibung“) nach den Juſti’ſchen Kategorien. Offenbar reichte aber der amtliche Mechanismus dazu nicht aus, und man mußte ſich auf die militäriſche Zählung beſchränken, die durch das Conſcrip- tions- und Werbebezirks-Syſtem v. 27. April 1781 mit beſonderer Rückſicht auf die Rekrutirungsverhältniſſe geordnet wurden und daher kaum zu den eigentlichen Volkszählungsgeſetzen gerechnet werden dürfen, zumal da die Rekrutirungsverpflichtung in den verſchiedenen Kronländern ver- ſchieden war, und daher der Unterſchied zwiſchen den ſogen. altcon- ſcribirten und den übrigen Provinzen auf dieſe Zählung weſentlich Einfluß übte (Dekret vom 7. Mai 1787; Patent vom 25. October 1804; Dekret vom 31. Mai 1818). Geſammelt ſind alle darauf bezüglichen Vor- ſchriften von Schopf (Sammlung aller in Conſcriptions-, Rekrutirungs- Stein, die Verwaltungslehre. II. 15

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/247
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/247>, abgerufen am 22.11.2024.