Polizeirechts IV. 13 u. IV. 31). Jedenfalls bestand weder eine Pflicht einen Geleitsbrief zu nehmen, noch eine Pflicht ihn gelten zu lassen. Von dem Paßwesen der folgenden Zeit ist daher jetzt noch keine Rede. Dieses eigentliche Paßwesen, das polizeiliche, entsteht nur mit dem Grundsatz, daß jeder, der seinen regelmäßigen Aufenthaltsort verläßt, mit einem solchen obrigkeitlichen Geleitsbriefe versehen sein, und daß daher auch jede Obrigkeit verpflichtet sein muß ihn auszustellen. Um seinen Zweck zu erfüllen, muß ein solcher Paß daher zwei Dinge ent- halten. Er muß erstlich die Identität der Person durch ein Signale- ment constatiren, und zweitens die Reiseroute angeben. Sowie dies feststeht, folgt von selbst, daß das Nichtbesitzen eines Passes an und für sich verdächtig wird, und daß mit diesem neuen Paßwesen das Mittel einer strengen und scheinbar höchst zuverlässigen Aufsicht auf die Bewegung der Personen gegeben ist. Jedoch entsteht dies Paßsystem erst langsam. Erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts scheint sich dasselbe entwickelt zu haben, und zwar einerseits auf Grund des Aus- wanderungsrechts, andrerseits als eine immer nothwendiger werdende Sicherheitsmaßregel. Die Gesetzgebungen über Auswanderungen (s. oben) zwangen nämlich jeden Reisenden auch im Inlande sich durch eine obrigkeitliche Erklärung über seine Reise auszuweisen, wenn er sich vor den Unbequemlichkeiten einer Untersuchung wegen unbefugter Aus- wanderung schützen wollte. Diesen innigen Zusammenhang mit dem Auswanderungsrecht zeigt namentlich die österreichische Gesetzgebung des vorigen Jahrhunderts. Jede Reise erscheint nämlich zuerst als Mög- lichkeit sich der Militärpflicht zu entziehen, und ebenso wird hier schon im Werbebezirkssysteme von 1781 §. 4 als Grundsatz ausge- sprochen, daß jede Reise in die sogenannten unconscribirten Länder "vom Kreisamt einverständlich mit dem Werbbezirk" erlaubt werden muß. Derselbe Grundsatz wird im Auswanderungspatent von 1784 dahin erweitert, daß, mit Ausnahme des Adels und der Handelsleute, jeder zur Reise von einem Bezirk zum andern die Erlaubniß nöthig hat. ib. §. 8--10 (S. Kopetz Oester. poliz. Gesetze I. §. 91. 93.) Es mangeln mir die Quellen, um zu sagen, wie dieß in andern Ländern war. Gewiß ist nur, daß der zweite Grund der Entstehung des Paßwesens, die Vagabundenpolizei, wahrscheinlich viel allgemeiner im übrigen Deutschland gewirkt hat. An diese erst hat sich das eigentliche Paßwesen angeschlossen. Die Polizei der kleinen Staaten fand nämlich kein anderes Mittel, dem Eintritt fremder Vaga- bunden entgegenzutreten, als die Verpflichtung eines jeden Reisenden, einen Paß zu führen. Wie bedeutsam das Vagabundenwesen schon im Anfange des vorigen Jahrhunderts war, selbst in den bestverwalteten
Polizeirechts IV. 13 u. IV. 31). Jedenfalls beſtand weder eine Pflicht einen Geleitsbrief zu nehmen, noch eine Pflicht ihn gelten zu laſſen. Von dem Paßweſen der folgenden Zeit iſt daher jetzt noch keine Rede. Dieſes eigentliche Paßweſen, das polizeiliche, entſteht nur mit dem Grundſatz, daß jeder, der ſeinen regelmäßigen Aufenthaltsort verläßt, mit einem ſolchen obrigkeitlichen Geleitsbriefe verſehen ſein, und daß daher auch jede Obrigkeit verpflichtet ſein muß ihn auszuſtellen. Um ſeinen Zweck zu erfüllen, muß ein ſolcher Paß daher zwei Dinge ent- halten. Er muß erſtlich die Identität der Perſon durch ein Signale- ment conſtatiren, und zweitens die Reiſeroute angeben. Sowie dies feſtſteht, folgt von ſelbſt, daß das Nichtbeſitzen eines Paſſes an und für ſich verdächtig wird, und daß mit dieſem neuen Paßweſen das Mittel einer ſtrengen und ſcheinbar höchſt zuverläſſigen Aufſicht auf die Bewegung der Perſonen gegeben iſt. Jedoch entſteht dies Paßſyſtem erſt langſam. Erſt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ſcheint ſich daſſelbe entwickelt zu haben, und zwar einerſeits auf Grund des Aus- wanderungsrechts, andrerſeits als eine immer nothwendiger werdende Sicherheitsmaßregel. Die Geſetzgebungen über Auswanderungen (ſ. oben) zwangen nämlich jeden Reiſenden auch im Inlande ſich durch eine obrigkeitliche Erklärung über ſeine Reiſe auszuweiſen, wenn er ſich vor den Unbequemlichkeiten einer Unterſuchung wegen unbefugter Aus- wanderung ſchützen wollte. Dieſen innigen Zuſammenhang mit dem Auswanderungsrecht zeigt namentlich die öſterreichiſche Geſetzgebung des vorigen Jahrhunderts. Jede Reiſe erſcheint nämlich zuerſt als Mög- lichkeit ſich der Militärpflicht zu entziehen, und ebenſo wird hier ſchon im Werbebezirksſyſteme von 1781 §. 4 als Grundſatz ausge- ſprochen, daß jede Reiſe in die ſogenannten unconſcribirten Länder „vom Kreisamt einverſtändlich mit dem Werbbezirk“ erlaubt werden muß. Derſelbe Grundſatz wird im Auswanderungspatent von 1784 dahin erweitert, daß, mit Ausnahme des Adels und der Handelsleute, jeder zur Reiſe von einem Bezirk zum andern die Erlaubniß nöthig hat. ib. §. 8—10 (S. Kopetz Oeſter. poliz. Geſetze I. §. 91. 93.) Es mangeln mir die Quellen, um zu ſagen, wie dieß in andern Ländern war. Gewiß iſt nur, daß der zweite Grund der Entſtehung des Paßweſens, die Vagabundenpolizei, wahrſcheinlich viel allgemeiner im übrigen Deutſchland gewirkt hat. An dieſe erſt hat ſich das eigentliche Paßweſen angeſchloſſen. Die Polizei der kleinen Staaten fand nämlich kein anderes Mittel, dem Eintritt fremder Vaga- bunden entgegenzutreten, als die Verpflichtung eines jeden Reiſenden, einen Paß zu führen. Wie bedeutſam das Vagabundenweſen ſchon im Anfange des vorigen Jahrhunderts war, ſelbſt in den beſtverwalteten
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Polizeirechts IV. 13 u. IV. 31). Jedenfalls beſtand weder eine Pflicht
einen Geleitsbrief zu nehmen, noch eine Pflicht ihn gelten zu laſſen.
Von dem Paßweſen der folgenden Zeit iſt daher jetzt noch keine Rede.
Dieſes eigentliche Paßweſen, das polizeiliche, entſteht nur mit dem
Grundſatz, daß jeder, der ſeinen regelmäßigen Aufenthaltsort verläßt,
mit einem ſolchen obrigkeitlichen Geleitsbriefe verſehen ſein, und daß
daher auch jede Obrigkeit verpflichtet ſein muß ihn auszuſtellen. Um
ſeinen Zweck zu erfüllen, muß ein ſolcher Paß daher zwei Dinge ent-
halten. Er muß erſtlich die Identität der Perſon durch ein Signale-
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dies feſtſteht, folgt von ſelbſt, daß das Nichtbeſitzen eines Paſſes an
und für ſich verdächtig wird, und daß mit dieſem neuen Paßweſen das
Mittel einer ſtrengen und ſcheinbar höchſt zuverläſſigen Aufſicht auf die
Bewegung der Perſonen gegeben iſt. Jedoch entſteht dies Paßſyſtem
erſt langſam. Erſt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ſcheint ſich
daſſelbe entwickelt zu haben, und zwar einerſeits auf Grund des Aus-
wanderungsrechts, andrerſeits als eine immer nothwendiger werdende
Sicherheitsmaßregel. Die Geſetzgebungen über Auswanderungen
(ſ. oben) zwangen nämlich jeden Reiſenden auch im Inlande ſich durch
eine obrigkeitliche Erklärung über ſeine Reiſe auszuweiſen, wenn er ſich
vor den Unbequemlichkeiten einer Unterſuchung wegen unbefugter Aus-
wanderung ſchützen wollte. Dieſen innigen Zuſammenhang mit dem
Auswanderungsrecht zeigt namentlich die öſterreichiſche Geſetzgebung
des vorigen Jahrhunderts. Jede Reiſe erſcheint nämlich zuerſt als Mög-
lichkeit ſich der Militärpflicht zu entziehen, und ebenſo wird hier ſchon
im Werbebezirksſyſteme von 1781 §. 4 als Grundſatz ausge-
ſprochen, daß jede Reiſe in die ſogenannten unconſcribirten Länder
„vom Kreisamt einverſtändlich mit dem Werbbezirk“ erlaubt werden
muß. Derſelbe Grundſatz wird im Auswanderungspatent von
1784 dahin erweitert, daß, mit Ausnahme des Adels und der
Handelsleute, jeder zur Reiſe von einem Bezirk zum andern
die Erlaubniß nöthig hat. ib. §. 8—10 (S. Kopetz Oeſter. poliz.
Geſetze I. §. 91. 93.) Es mangeln mir die Quellen, um zu ſagen, wie
dieß in andern Ländern war. Gewiß iſt nur, daß der zweite Grund
der Entſtehung des Paßweſens, die Vagabundenpolizei, wahrſcheinlich
viel allgemeiner im übrigen Deutſchland gewirkt hat. An dieſe erſt hat
ſich das eigentliche Paßweſen angeſchloſſen. Die Polizei der kleinen
Staaten fand nämlich kein anderes Mittel, dem Eintritt fremder Vaga-
bunden entgegenzutreten, als die Verpflichtung eines jeden Reiſenden,
einen Paß zu führen. Wie bedeutſam das Vagabundenweſen ſchon im
Anfange des vorigen Jahrhunderts war, ſelbſt in den beſtverwalteten
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/277>, abgerufen am 21.11.2024.
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