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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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haben daher eigene Gesetzgebungen über das Paßwesen. Und hier kann
man drei Gruppen unterscheiden.

Die erste Gruppe ist die des freien Paßwesens. Dahin gehören
namentlich England und die Schweiz. Hier hat der Paß vollkommen
seinen Charakter als "Erlaubniß" zum Eintritt und Austritt aus dem
Staate verloren. Es existirt daher gar keine rechtliche Nothwendigkeit,
einen Paß zu besitzen; wohl aber kann der Paß von großem Nutzen
für den Reisenden als persönliche Legitimationsurkunde sein. Der Paß
hat daher hier seinen wahren, der heutigen Gesittung entsprechenden
Charakter gefunden, und es ist mit Bestimmtheit vorherzusagen, daß mit
der Zeit das ganze Paßwesen der Welt diesen Charakter annehmen
wird. Daher kommt es denn auch, daß diese Staaten gar keine Ge-
setzgebung
über das Paßwesen haben; denn der Paß fällt hier ein-
fach unter das -- bisher noch theoretisch keineswegs gehörig behandelte
-- internationale Urkundenrecht, und wenn daher auch mit
diesen Staaten keine Paßverträge abgeschlossen werden können, so sollten
dennoch die Pässe künftig in die internationalen Proceßverträge for-
mell aufgenommen werden.

Die zweite Form des Paßwesens besteht in Frankreich. Das
Paßwesen Frankreichs hält das alte polizeiliche Princip auch noch für
die Reisen im Inlande aufrecht, und ist daher die einzige jetzt noch be-
stehende Verschmelzung von Paß- und Fremdenwesen, die sich aus
dem vorigen Jahrhundert erhalten hat. Nur muß man sich die Ent-
stehung des gegenwärtigen, so beispiellos strengen französischen Paßwesens
nicht wie in Deutschland als Maßregel der niedern Polizei denken; es
ist vielmehr als Theil der höheren, ja der revolutionären Sicherheits-
polizei zu betrachten, was mit der ohnehin bekannten neueren Ge-
schichte der französischen Revolution zusammenhängt. Die Verpflichtung
zur Führung von Pässen wurde als temporäre Maßregel nach der Flucht
Ludwigs XVI. eingeführt, obgleich, wenigstens nach Laferriere, die
ganze Institution bis 1807 einen provisorischen Charakter behielt. Das
Gesetz vom 14. September 1791 hob das ganze Paßwesen auf; das
Emigrationswesen zwang die Constituante, es durch Dekret vom 28. März
1792 für den inneren Verkehr herzustellen; und die Decrete vom
6. Februar 1793 und 10. vend. an IV bildeten es nach kurzer Unter-
brechung (vom 9. September 1792) weiter aus. Das letzte Decret ist
noch immer die Grundlage des gegenwärtigen Paßwesens. Das Gesetz
vom 17. November 1797 bestimmte dann weiter speziell den Inhalt
des Passes, namentlich auch die Fälle, in denen die Mairie den Paß
verweigern darf. Das Decret vom 18. September 1807 gab dem
ganzen Institut seine noch gegenwärtige definitive Stellung in der

haben daher eigene Geſetzgebungen über das Paßweſen. Und hier kann
man drei Gruppen unterſcheiden.

Die erſte Gruppe iſt die des freien Paßweſens. Dahin gehören
namentlich England und die Schweiz. Hier hat der Paß vollkommen
ſeinen Charakter als „Erlaubniß“ zum Eintritt und Austritt aus dem
Staate verloren. Es exiſtirt daher gar keine rechtliche Nothwendigkeit,
einen Paß zu beſitzen; wohl aber kann der Paß von großem Nutzen
für den Reiſenden als perſönliche Legitimationsurkunde ſein. Der Paß
hat daher hier ſeinen wahren, der heutigen Geſittung entſprechenden
Charakter gefunden, und es iſt mit Beſtimmtheit vorherzuſagen, daß mit
der Zeit das ganze Paßweſen der Welt dieſen Charakter annehmen
wird. Daher kommt es denn auch, daß dieſe Staaten gar keine Ge-
ſetzgebung
über das Paßweſen haben; denn der Paß fällt hier ein-
fach unter das — bisher noch theoretiſch keineswegs gehörig behandelte
internationale Urkundenrecht, und wenn daher auch mit
dieſen Staaten keine Paßverträge abgeſchloſſen werden können, ſo ſollten
dennoch die Päſſe künftig in die internationalen Proceßverträge for-
mell aufgenommen werden.

Die zweite Form des Paßweſens beſteht in Frankreich. Das
Paßweſen Frankreichs hält das alte polizeiliche Princip auch noch für
die Reiſen im Inlande aufrecht, und iſt daher die einzige jetzt noch be-
ſtehende Verſchmelzung von Paß- und Fremdenweſen, die ſich aus
dem vorigen Jahrhundert erhalten hat. Nur muß man ſich die Ent-
ſtehung des gegenwärtigen, ſo beiſpiellos ſtrengen franzöſiſchen Paßweſens
nicht wie in Deutſchland als Maßregel der niedern Polizei denken; es
iſt vielmehr als Theil der höheren, ja der revolutionären Sicherheits-
polizei zu betrachten, was mit der ohnehin bekannten neueren Ge-
ſchichte der franzöſiſchen Revolution zuſammenhängt. Die Verpflichtung
zur Führung von Päſſen wurde als temporäre Maßregel nach der Flucht
Ludwigs XVI. eingeführt, obgleich, wenigſtens nach Laferrière, die
ganze Inſtitution bis 1807 einen proviſoriſchen Charakter behielt. Das
Geſetz vom 14. September 1791 hob das ganze Paßweſen auf; das
Emigrationsweſen zwang die Conſtituante, es durch Dekret vom 28. März
1792 für den inneren Verkehr herzuſtellen; und die Decrete vom
6. Februar 1793 und 10. vend. an IV bildeten es nach kurzer Unter-
brechung (vom 9. September 1792) weiter aus. Das letzte Decret iſt
noch immer die Grundlage des gegenwärtigen Paßweſens. Das Geſetz
vom 17. November 1797 beſtimmte dann weiter ſpeziell den Inhalt
des Paſſes, namentlich auch die Fälle, in denen die Mairie den Paß
verweigern darf. Das Decret vom 18. September 1807 gab dem
ganzen Inſtitut ſeine noch gegenwärtige definitive Stellung in der

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[261/0283] haben daher eigene Geſetzgebungen über das Paßweſen. Und hier kann man drei Gruppen unterſcheiden. Die erſte Gruppe iſt die des freien Paßweſens. Dahin gehören namentlich England und die Schweiz. Hier hat der Paß vollkommen ſeinen Charakter als „Erlaubniß“ zum Eintritt und Austritt aus dem Staate verloren. Es exiſtirt daher gar keine rechtliche Nothwendigkeit, einen Paß zu beſitzen; wohl aber kann der Paß von großem Nutzen für den Reiſenden als perſönliche Legitimationsurkunde ſein. Der Paß hat daher hier ſeinen wahren, der heutigen Geſittung entſprechenden Charakter gefunden, und es iſt mit Beſtimmtheit vorherzuſagen, daß mit der Zeit das ganze Paßweſen der Welt dieſen Charakter annehmen wird. Daher kommt es denn auch, daß dieſe Staaten gar keine Ge- ſetzgebung über das Paßweſen haben; denn der Paß fällt hier ein- fach unter das — bisher noch theoretiſch keineswegs gehörig behandelte — internationale Urkundenrecht, und wenn daher auch mit dieſen Staaten keine Paßverträge abgeſchloſſen werden können, ſo ſollten dennoch die Päſſe künftig in die internationalen Proceßverträge for- mell aufgenommen werden. Die zweite Form des Paßweſens beſteht in Frankreich. Das Paßweſen Frankreichs hält das alte polizeiliche Princip auch noch für die Reiſen im Inlande aufrecht, und iſt daher die einzige jetzt noch be- ſtehende Verſchmelzung von Paß- und Fremdenweſen, die ſich aus dem vorigen Jahrhundert erhalten hat. Nur muß man ſich die Ent- ſtehung des gegenwärtigen, ſo beiſpiellos ſtrengen franzöſiſchen Paßweſens nicht wie in Deutſchland als Maßregel der niedern Polizei denken; es iſt vielmehr als Theil der höheren, ja der revolutionären Sicherheits- polizei zu betrachten, was mit der ohnehin bekannten neueren Ge- ſchichte der franzöſiſchen Revolution zuſammenhängt. Die Verpflichtung zur Führung von Päſſen wurde als temporäre Maßregel nach der Flucht Ludwigs XVI. eingeführt, obgleich, wenigſtens nach Laferrière, die ganze Inſtitution bis 1807 einen proviſoriſchen Charakter behielt. Das Geſetz vom 14. September 1791 hob das ganze Paßweſen auf; das Emigrationsweſen zwang die Conſtituante, es durch Dekret vom 28. März 1792 für den inneren Verkehr herzuſtellen; und die Decrete vom 6. Februar 1793 und 10. vend. an IV bildeten es nach kurzer Unter- brechung (vom 9. September 1792) weiter aus. Das letzte Decret iſt noch immer die Grundlage des gegenwärtigen Paßweſens. Das Geſetz vom 17. November 1797 beſtimmte dann weiter ſpeziell den Inhalt des Paſſes, namentlich auch die Fälle, in denen die Mairie den Paß verweigern darf. Das Decret vom 18. September 1807 gab dem ganzen Inſtitut ſeine noch gegenwärtige definitive Stellung in der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/283>, abgerufen am 22.11.2024.