Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

von Kries hinweisen, der den Ruhm hat, zuerst den wesentlichen
Unterschied zwischen Schottland und England erkannt und hervorgehoben
zu haben, der auch dem sonst umsichtigen Bitzer gänzlich entgangen
ist. Während in England die Armenunterstützung unbedingte Staats-
pflicht ist, ist das Verhältniß in Schottland dadurch anders, daß --
was merkwürdigerweise Kries nicht gesehen hat, der Begriff der Ar-
muth ein anderer ist als in England
, und dadurch sich das
Heimathwesen anders gestaltet. In England ist arm gleich nothleidend
sein, in Schottland ist arm gleich erwerbsunfähig sein. Schottland
hat daher zwei Kategorien der Armuth, eigentliche Armuth und bloße
Erwerbslosigkeit. Und nur für die eigentliche Armuth, die auf Er-
werbsunfähigkeit beruht, übernimmt die Verwaltung die Pflicht, eine
Unterstützung zu geben. Daher denn ist von jeher auch das Princip
für den Erwerb des Heimathsrechts ein ganz anderes als in England.
Da nämlich der Erwerbsfähige keinen gesetzlichen Anspruch auf Armen-
unterstützung hatte, so ward der Erwerb der Heimath hier viel leichter,
und schon die Armenakte von Jakob II. 1576 bestimmt, daß neben der
Geburt ein siebenjähriger Aufenthalt das Heimathsrecht geben
solle. Die Entscheidung aber darüber, ob eine Person wirklich erwerbs-
unfähig sei oder nicht, ward auch hier Sache der Gerichte, bis sich
der Grundsatz Geltung verschaffte, daß jede Person bis zum 14. und
nach dem 70. Jahre als erwerbsunfähig und daher als unterstützungs-
berechtigt anzusehen sei. Keine arbeitsfähige Person hat einen gesetz-
lichen Anspruch auf Unterstützung, und also keine Armenheimath,
und noch jetzt unterscheidet das höchste Gericht in Edinburgh, die Court
of session,
ob eine Person arbeitsfähig sei oder nicht. Alle übrigen
Punkte gehören der Armenverwaltung, und nicht dem Heimathsrecht.
Die neueste Gesetzgebung vom 4. August 1845, 8. 9. Vict. 83. hat in
dieser Beziehung nichts geändert. -- Man sieht hier den tiefen Unter-
schied von England sogleich in dem Erwerb des Heimathsrechts durch
Aufenthalt, oder in der Anerkennung der wirthschaftlichen Heimath
neben der natürlichen, als natürliche Consequenz der Aufstellung des
Unterschiedes zwischen arm und nothleidend. Es ist nicht richtig, wenn
Kries meint, daß die Armenpflege keine staatliche Pflicht, ausgeübt durch
die Armengemeinde oder das Kirchspiel, sei. Für den Erwerbsunfähigen
ist sie es eben so gut als in England, und sie wird hier wie dort durch
gerichtlichen Spruch dazu angehalten. Nur die Armenunterstützung der
noch Erwerbsfähigen ist es nicht, und darauf beruht der Charakter
des schottischen Armenwesens, den wir zum Theil in Deutschland wieder
finden. (Kries, §. 35--40.)

Was endlich Irland betrifft, so beruht die neue Armenordnung

von Kries hinweiſen, der den Ruhm hat, zuerſt den weſentlichen
Unterſchied zwiſchen Schottland und England erkannt und hervorgehoben
zu haben, der auch dem ſonſt umſichtigen Bitzer gänzlich entgangen
iſt. Während in England die Armenunterſtützung unbedingte Staats-
pflicht iſt, iſt das Verhältniß in Schottland dadurch anders, daß —
was merkwürdigerweiſe Kries nicht geſehen hat, der Begriff der Ar-
muth ein anderer iſt als in England
, und dadurch ſich das
Heimathweſen anders geſtaltet. In England iſt arm gleich nothleidend
ſein, in Schottland iſt arm gleich erwerbsunfähig ſein. Schottland
hat daher zwei Kategorien der Armuth, eigentliche Armuth und bloße
Erwerbsloſigkeit. Und nur für die eigentliche Armuth, die auf Er-
werbsunfähigkeit beruht, übernimmt die Verwaltung die Pflicht, eine
Unterſtützung zu geben. Daher denn iſt von jeher auch das Princip
für den Erwerb des Heimathsrechts ein ganz anderes als in England.
Da nämlich der Erwerbsfähige keinen geſetzlichen Anſpruch auf Armen-
unterſtützung hatte, ſo ward der Erwerb der Heimath hier viel leichter,
und ſchon die Armenakte von Jakob II. 1576 beſtimmt, daß neben der
Geburt ein ſiebenjähriger Aufenthalt das Heimathsrecht geben
ſolle. Die Entſcheidung aber darüber, ob eine Perſon wirklich erwerbs-
unfähig ſei oder nicht, ward auch hier Sache der Gerichte, bis ſich
der Grundſatz Geltung verſchaffte, daß jede Perſon bis zum 14. und
nach dem 70. Jahre als erwerbsunfähig und daher als unterſtützungs-
berechtigt anzuſehen ſei. Keine arbeitsfähige Perſon hat einen geſetz-
lichen Anſpruch auf Unterſtützung, und alſo keine Armenheimath,
und noch jetzt unterſcheidet das höchſte Gericht in Edinburgh, die Court
of session,
ob eine Perſon arbeitsfähig ſei oder nicht. Alle übrigen
Punkte gehören der Armenverwaltung, und nicht dem Heimathsrecht.
Die neueſte Geſetzgebung vom 4. Auguſt 1845, 8. 9. Vict. 83. hat in
dieſer Beziehung nichts geändert. — Man ſieht hier den tiefen Unter-
ſchied von England ſogleich in dem Erwerb des Heimathsrechts durch
Aufenthalt, oder in der Anerkennung der wirthſchaftlichen Heimath
neben der natürlichen, als natürliche Conſequenz der Aufſtellung des
Unterſchiedes zwiſchen arm und nothleidend. Es iſt nicht richtig, wenn
Kries meint, daß die Armenpflege keine ſtaatliche Pflicht, ausgeübt durch
die Armengemeinde oder das Kirchſpiel, ſei. Für den Erwerbsunfähigen
iſt ſie es eben ſo gut als in England, und ſie wird hier wie dort durch
gerichtlichen Spruch dazu angehalten. Nur die Armenunterſtützung der
noch Erwerbsfähigen iſt es nicht, und darauf beruht der Charakter
des ſchottiſchen Armenweſens, den wir zum Theil in Deutſchland wieder
finden. (Kries, §. 35—40.)

Was endlich Irland betrifft, ſo beruht die neue Armenordnung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0320" n="298"/>
von <hi rendition="#g">Kries</hi> hinwei&#x017F;en, der den Ruhm hat, zuer&#x017F;t den we&#x017F;entlichen<lb/>
Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen Schottland und England erkannt und hervorgehoben<lb/>
zu haben, der auch dem &#x017F;on&#x017F;t um&#x017F;ichtigen <hi rendition="#g">Bitzer</hi> gänzlich entgangen<lb/>
i&#x017F;t. Während in England die Armenunter&#x017F;tützung unbedingte Staats-<lb/>
pflicht i&#x017F;t, i&#x017F;t das Verhältniß in Schottland dadurch anders, daß &#x2014;<lb/>
was merkwürdigerwei&#x017F;e Kries nicht ge&#x017F;ehen hat, <hi rendition="#g">der Begriff der Ar-<lb/>
muth ein anderer i&#x017F;t als in England</hi>, und <hi rendition="#g">dadurch</hi> &#x017F;ich das<lb/>
Heimathwe&#x017F;en anders ge&#x017F;taltet. In England i&#x017F;t <hi rendition="#g">arm</hi> gleich nothleidend<lb/>
&#x017F;ein, in Schottland i&#x017F;t arm gleich <hi rendition="#g">erwerbsunfähig</hi> &#x017F;ein. Schottland<lb/>
hat daher zwei Kategorien der Armuth, eigentliche Armuth und bloße<lb/>
Erwerbslo&#x017F;igkeit. Und <hi rendition="#g">nur</hi> für die eigentliche Armuth, die auf Er-<lb/>
werbs<hi rendition="#g">unfähigkeit</hi> beruht, übernimmt die Verwaltung die Pflicht, eine<lb/>
Unter&#x017F;tützung zu geben. Daher denn i&#x017F;t von jeher auch das Princip<lb/>
für den Erwerb des Heimathsrechts ein ganz anderes als in England.<lb/>
Da nämlich der Erwerbsfähige keinen ge&#x017F;etzlichen An&#x017F;pruch auf Armen-<lb/>
unter&#x017F;tützung hatte, &#x017F;o ward der Erwerb der Heimath hier viel leichter,<lb/>
und &#x017F;chon die Armenakte von Jakob <hi rendition="#aq">II.</hi> 1576 be&#x017F;timmt, daß neben der<lb/>
Geburt ein <hi rendition="#g">&#x017F;iebenjähriger Aufenthalt</hi> das Heimathsrecht geben<lb/>
&#x017F;olle. Die Ent&#x017F;cheidung aber darüber, <hi rendition="#g">ob</hi> eine Per&#x017F;on wirklich erwerbs-<lb/>
unfähig &#x017F;ei oder nicht, ward auch hier Sache der <hi rendition="#g">Gerichte</hi>, bis &#x017F;ich<lb/>
der Grund&#x017F;atz Geltung ver&#x017F;chaffte, daß <hi rendition="#g">jede</hi> Per&#x017F;on bis zum 14. und<lb/>
nach dem 70. Jahre als erwerbsunfähig und daher als unter&#x017F;tützungs-<lb/>
berechtigt anzu&#x017F;ehen &#x017F;ei. Keine arbeitsfähige Per&#x017F;on hat einen ge&#x017F;etz-<lb/>
lichen An&#x017F;pruch auf Unter&#x017F;tützung, und al&#x017F;o <hi rendition="#g">keine Armenheimath</hi>,<lb/>
und noch jetzt unter&#x017F;cheidet das höch&#x017F;te Gericht in Edinburgh, die <hi rendition="#aq">Court<lb/>
of session,</hi> <hi rendition="#g">ob</hi> eine Per&#x017F;on arbeitsfähig &#x017F;ei oder nicht. Alle übrigen<lb/>
Punkte gehören der Armenverwaltung, und nicht dem Heimathsrecht.<lb/>
Die neue&#x017F;te Ge&#x017F;etzgebung vom 4. Augu&#x017F;t 1845, 8. 9. <hi rendition="#aq">Vict.</hi> 83. hat in<lb/>
die&#x017F;er Beziehung nichts geändert. &#x2014; Man &#x017F;ieht hier den tiefen Unter-<lb/>
&#x017F;chied von England &#x017F;ogleich in dem <hi rendition="#g">Erwerb</hi> des Heimathsrechts durch<lb/>
Aufenthalt, oder in der Anerkennung der wirth&#x017F;chaftlichen Heimath<lb/>
neben der natürlichen, als natürliche Con&#x017F;equenz der Auf&#x017F;tellung des<lb/>
Unter&#x017F;chiedes zwi&#x017F;chen arm und nothleidend. Es i&#x017F;t <hi rendition="#g">nicht</hi> richtig, wenn<lb/>
Kries meint, daß die Armenpflege keine &#x017F;taatliche Pflicht, ausgeübt durch<lb/>
die Armengemeinde oder das Kirch&#x017F;piel, &#x017F;ei. Für den Erwerbsunfähigen<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ie es eben &#x017F;o gut als in England, und &#x017F;ie wird hier wie dort durch<lb/>
gerichtlichen Spruch dazu angehalten. Nur die Armenunter&#x017F;tützung der<lb/>
noch Erwerbsfähigen i&#x017F;t es nicht, und darauf beruht der Charakter<lb/>
des &#x017F;chotti&#x017F;chen Armenwe&#x017F;ens, den wir zum Theil in Deut&#x017F;chland wieder<lb/>
finden. (<hi rendition="#g">Kries</hi>, §. 35&#x2014;40.)</p><lb/>
                    <p>Was endlich <hi rendition="#g">Irland</hi> betrifft, &#x017F;o beruht die neue Armenordnung<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0320] von Kries hinweiſen, der den Ruhm hat, zuerſt den weſentlichen Unterſchied zwiſchen Schottland und England erkannt und hervorgehoben zu haben, der auch dem ſonſt umſichtigen Bitzer gänzlich entgangen iſt. Während in England die Armenunterſtützung unbedingte Staats- pflicht iſt, iſt das Verhältniß in Schottland dadurch anders, daß — was merkwürdigerweiſe Kries nicht geſehen hat, der Begriff der Ar- muth ein anderer iſt als in England, und dadurch ſich das Heimathweſen anders geſtaltet. In England iſt arm gleich nothleidend ſein, in Schottland iſt arm gleich erwerbsunfähig ſein. Schottland hat daher zwei Kategorien der Armuth, eigentliche Armuth und bloße Erwerbsloſigkeit. Und nur für die eigentliche Armuth, die auf Er- werbsunfähigkeit beruht, übernimmt die Verwaltung die Pflicht, eine Unterſtützung zu geben. Daher denn iſt von jeher auch das Princip für den Erwerb des Heimathsrechts ein ganz anderes als in England. Da nämlich der Erwerbsfähige keinen geſetzlichen Anſpruch auf Armen- unterſtützung hatte, ſo ward der Erwerb der Heimath hier viel leichter, und ſchon die Armenakte von Jakob II. 1576 beſtimmt, daß neben der Geburt ein ſiebenjähriger Aufenthalt das Heimathsrecht geben ſolle. Die Entſcheidung aber darüber, ob eine Perſon wirklich erwerbs- unfähig ſei oder nicht, ward auch hier Sache der Gerichte, bis ſich der Grundſatz Geltung verſchaffte, daß jede Perſon bis zum 14. und nach dem 70. Jahre als erwerbsunfähig und daher als unterſtützungs- berechtigt anzuſehen ſei. Keine arbeitsfähige Perſon hat einen geſetz- lichen Anſpruch auf Unterſtützung, und alſo keine Armenheimath, und noch jetzt unterſcheidet das höchſte Gericht in Edinburgh, die Court of session, ob eine Perſon arbeitsfähig ſei oder nicht. Alle übrigen Punkte gehören der Armenverwaltung, und nicht dem Heimathsrecht. Die neueſte Geſetzgebung vom 4. Auguſt 1845, 8. 9. Vict. 83. hat in dieſer Beziehung nichts geändert. — Man ſieht hier den tiefen Unter- ſchied von England ſogleich in dem Erwerb des Heimathsrechts durch Aufenthalt, oder in der Anerkennung der wirthſchaftlichen Heimath neben der natürlichen, als natürliche Conſequenz der Aufſtellung des Unterſchiedes zwiſchen arm und nothleidend. Es iſt nicht richtig, wenn Kries meint, daß die Armenpflege keine ſtaatliche Pflicht, ausgeübt durch die Armengemeinde oder das Kirchſpiel, ſei. Für den Erwerbsunfähigen iſt ſie es eben ſo gut als in England, und ſie wird hier wie dort durch gerichtlichen Spruch dazu angehalten. Nur die Armenunterſtützung der noch Erwerbsfähigen iſt es nicht, und darauf beruht der Charakter des ſchottiſchen Armenweſens, den wir zum Theil in Deutſchland wieder finden. (Kries, §. 35—40.) Was endlich Irland betrifft, ſo beruht die neue Armenordnung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/320
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/320>, abgerufen am 24.11.2024.