Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

gilt dieß da, wo man es bei dem vielfachen wortreichen Reden und
Drängen nach "bürgerlicher Freiheit" und "deutscher Einheit" am
wenigsten erwarten sollte, beim Gemeindebürgerrecht. Hätte
man daher auch die Quellen aller bestehenden Territorialgesetzgebungen
-- und der Verfasser kennt niemanden, der sie je alle gesehen hätte
-- so würde man doch nicht zu einem einheitlichen Bilde gelangen.

Es bleibt daher, um der Darstellung des deutschen Lebens auf
diesem Gebiete dieselbe Klarheit zu geben, die wir in England und
Frankreich finden, nichts übrig, als jene Verschiedenheit so viel als
möglich auf die Grundbegriffe und Elemente zurückzuführen, die sie ge-
mein haben, und zu zeigen, wo eigentlich der Mangel in den gesetzlichen
Anordnungen, der Grund der zum Theil unglaublichen Engherzigkeit
im Gemeindebürgerrecht, und mithin das Ziel liegt, dem die unläugbar
vorhandene Bewegung entgegenstrebt. Es ist ganz und gar unmöglich,
hier bei einer rein objectiven Darstellung stehen zu bleiben, was am besten
wohl Bitzers Arbeit gezeigt hat, der namentlich über Gemeindeangehörig-
keit und Heimathwesen Deutschlands das reichhaltigste Material gesammelt
hat, das wir bisher besitzen, ohne doch zum Abschluß zu gelangen.

Dabei nun ist es keine Frage, daß der Schwerpunkt der ganzen
Auffassung im Begriffe und der Stellung der Gemeinde gegenüber
der amtlichen Organisation liegt. Die letztere ist ziemlich klar und
gleichartig, und die amtliche Bevölkerungsordnung mit den Competenzen
und Zuständigkeiten der finanziellen, richterlichen und administrativen
Behörden dürfen wir im Wesentlichen als bekannt setzen. Das, warum
es sich handelt, ist die in Gemeindeangehörigkeit und Heimathwesen
gegebene äußere Gestalt und Ordnung der Selbstverwaltungskörper,
über die man sich gesetzlich eben so wenig einig geworden, als man es
bisher über den Begriff der Selbstverwaltung selbst war.

Das Folgende muß daher dasjenige erfüllen, was wir in der Lehre
von der vollziehenden Gewalt über die deutsche Gestalt der Selbstver-
waltung gesagt haben.

Die Gemeindeangehörigkeits- und Heimathsfrage in Deutschland.

(Die historische ständische Ortsgemeinde wird die Grundlage
des ganzen Gemeindewesens und damit der gesammten Selbst-
verwaltung in Deutschland. Folgen dieser Thatsache für die
Verfassung und Verwaltung der letzteren im Allgemeinen, und
für das Heimathswesen im Besondern
.)

Allerdings hatte sich, wie oben erwähnt, die ganze ständische Ge-
stalt der Bevölkerungsordnung in Deutschland nicht bloß im vorigen

gilt dieß da, wo man es bei dem vielfachen wortreichen Reden und
Drängen nach „bürgerlicher Freiheit“ und „deutſcher Einheit“ am
wenigſten erwarten ſollte, beim Gemeindebürgerrecht. Hätte
man daher auch die Quellen aller beſtehenden Territorialgeſetzgebungen
— und der Verfaſſer kennt niemanden, der ſie je alle geſehen hätte
— ſo würde man doch nicht zu einem einheitlichen Bilde gelangen.

Es bleibt daher, um der Darſtellung des deutſchen Lebens auf
dieſem Gebiete dieſelbe Klarheit zu geben, die wir in England und
Frankreich finden, nichts übrig, als jene Verſchiedenheit ſo viel als
möglich auf die Grundbegriffe und Elemente zurückzuführen, die ſie ge-
mein haben, und zu zeigen, wo eigentlich der Mangel in den geſetzlichen
Anordnungen, der Grund der zum Theil unglaublichen Engherzigkeit
im Gemeindebürgerrecht, und mithin das Ziel liegt, dem die unläugbar
vorhandene Bewegung entgegenſtrebt. Es iſt ganz und gar unmöglich,
hier bei einer rein objectiven Darſtellung ſtehen zu bleiben, was am beſten
wohl Bitzers Arbeit gezeigt hat, der namentlich über Gemeindeangehörig-
keit und Heimathweſen Deutſchlands das reichhaltigſte Material geſammelt
hat, das wir bisher beſitzen, ohne doch zum Abſchluß zu gelangen.

Dabei nun iſt es keine Frage, daß der Schwerpunkt der ganzen
Auffaſſung im Begriffe und der Stellung der Gemeinde gegenüber
der amtlichen Organiſation liegt. Die letztere iſt ziemlich klar und
gleichartig, und die amtliche Bevölkerungsordnung mit den Competenzen
und Zuſtändigkeiten der finanziellen, richterlichen und adminiſtrativen
Behörden dürfen wir im Weſentlichen als bekannt ſetzen. Das, warum
es ſich handelt, iſt die in Gemeindeangehörigkeit und Heimathweſen
gegebene äußere Geſtalt und Ordnung der Selbſtverwaltungskörper,
über die man ſich geſetzlich eben ſo wenig einig geworden, als man es
bisher über den Begriff der Selbſtverwaltung ſelbſt war.

Das Folgende muß daher dasjenige erfüllen, was wir in der Lehre
von der vollziehenden Gewalt über die deutſche Geſtalt der Selbſtver-
waltung geſagt haben.

Die Gemeindeangehörigkeits- und Heimathsfrage in Deutſchland.

(Die hiſtoriſche ſtändiſche Ortsgemeinde wird die Grundlage
des ganzen Gemeindeweſens und damit der geſammten Selbſt-
verwaltung in Deutſchland. Folgen dieſer Thatſache für die
Verfaſſung und Verwaltung der letzteren im Allgemeinen, und
für das Heimathsweſen im Beſondern
.)

Allerdings hatte ſich, wie oben erwähnt, die ganze ſtändiſche Ge-
ſtalt der Bevölkerungsordnung in Deutſchland nicht bloß im vorigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0350" n="328"/>
gilt dieß da, wo man es bei dem vielfachen wortreichen Reden und<lb/>
Drängen nach &#x201E;bürgerlicher Freiheit&#x201C; und &#x201E;deut&#x017F;cher Einheit&#x201C; am<lb/>
wenig&#x017F;ten erwarten &#x017F;ollte, beim <hi rendition="#g">Gemeindebürgerrecht. Hätte</hi><lb/>
man daher auch die Quellen aller be&#x017F;tehenden Territorialge&#x017F;etzgebungen<lb/>
&#x2014; und der Verfa&#x017F;&#x017F;er kennt <hi rendition="#g">niemanden</hi>, der &#x017F;ie je alle ge&#x017F;ehen hätte<lb/>
&#x2014; &#x017F;o würde man doch nicht zu einem einheitlichen Bilde gelangen.</p><lb/>
                        <p>Es bleibt daher, um der Dar&#x017F;tellung des deut&#x017F;chen Lebens auf<lb/>
die&#x017F;em Gebiete die&#x017F;elbe Klarheit zu geben, die wir in England und<lb/>
Frankreich finden, nichts übrig, als jene Ver&#x017F;chiedenheit &#x017F;o viel als<lb/>
möglich auf die Grundbegriffe und Elemente zurückzuführen, die &#x017F;ie ge-<lb/>
mein haben, und zu zeigen, <hi rendition="#g">wo</hi> eigentlich der Mangel in den ge&#x017F;etzlichen<lb/>
Anordnungen, der Grund der zum Theil unglaublichen Engherzigkeit<lb/>
im Gemeindebürgerrecht, und mithin das Ziel liegt, dem die unläugbar<lb/>
vorhandene Bewegung entgegen&#x017F;trebt. Es i&#x017F;t ganz und gar unmöglich,<lb/>
hier bei einer rein objectiven Dar&#x017F;tellung &#x017F;tehen zu bleiben, was am be&#x017F;ten<lb/>
wohl <hi rendition="#g">Bitzers</hi> Arbeit gezeigt hat, der namentlich über Gemeindeangehörig-<lb/>
keit und Heimathwe&#x017F;en Deut&#x017F;chlands das reichhaltig&#x017F;te Material ge&#x017F;ammelt<lb/>
hat, das wir bisher be&#x017F;itzen, ohne doch zum Ab&#x017F;chluß zu gelangen.</p><lb/>
                        <p>Dabei nun i&#x017F;t es keine Frage, daß der Schwerpunkt der ganzen<lb/>
Auffa&#x017F;&#x017F;ung im Begriffe und der Stellung der <hi rendition="#g">Gemeinde</hi> gegenüber<lb/>
der amtlichen Organi&#x017F;ation liegt. Die letztere i&#x017F;t ziemlich klar und<lb/>
gleichartig, und die amtliche Bevölkerungsordnung mit den Competenzen<lb/>
und Zu&#x017F;tändigkeiten der finanziellen, richterlichen und admini&#x017F;trativen<lb/>
Behörden dürfen wir im We&#x017F;entlichen als bekannt &#x017F;etzen. Das, warum<lb/>
es &#x017F;ich handelt, i&#x017F;t die in Gemeindeangehörigkeit und Heimathwe&#x017F;en<lb/>
gegebene äußere Ge&#x017F;talt und Ordnung der <hi rendition="#g">Selb&#x017F;tverwaltungskörper</hi>,<lb/>
über die man &#x017F;ich ge&#x017F;etzlich eben &#x017F;o wenig einig geworden, als man es<lb/>
bisher über den Begriff der Selb&#x017F;tverwaltung &#x017F;elb&#x017F;t war.</p><lb/>
                        <p>Das Folgende muß daher dasjenige erfüllen, was wir in der Lehre<lb/>
von der vollziehenden Gewalt über die deut&#x017F;che Ge&#x017F;talt der Selb&#x017F;tver-<lb/>
waltung ge&#x017F;agt haben.</p>
                      </div><lb/>
                      <div n="9">
                        <head> <hi rendition="#b">Die Gemeindeangehörigkeits- und Heimathsfrage in Deut&#x017F;chland.</hi> </head><lb/>
                        <argument>
                          <p>(<hi rendition="#g">Die hi&#x017F;tori&#x017F;che &#x017F;tändi&#x017F;che Ortsgemeinde wird die Grundlage<lb/>
des ganzen Gemeindewe&#x017F;ens und damit der ge&#x017F;ammten Selb&#x017F;t-<lb/>
verwaltung in Deut&#x017F;chland. Folgen die&#x017F;er That&#x017F;ache für die<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung und Verwaltung der letzteren im Allgemeinen, und<lb/>
für das Heimathswe&#x017F;en im Be&#x017F;ondern</hi>.)</p>
                        </argument><lb/>
                        <p>Allerdings hatte &#x017F;ich, wie oben erwähnt, die ganze &#x017F;tändi&#x017F;che Ge-<lb/>
&#x017F;talt der Bevölkerungsordnung in Deut&#x017F;chland nicht bloß im vorigen<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[328/0350] gilt dieß da, wo man es bei dem vielfachen wortreichen Reden und Drängen nach „bürgerlicher Freiheit“ und „deutſcher Einheit“ am wenigſten erwarten ſollte, beim Gemeindebürgerrecht. Hätte man daher auch die Quellen aller beſtehenden Territorialgeſetzgebungen — und der Verfaſſer kennt niemanden, der ſie je alle geſehen hätte — ſo würde man doch nicht zu einem einheitlichen Bilde gelangen. Es bleibt daher, um der Darſtellung des deutſchen Lebens auf dieſem Gebiete dieſelbe Klarheit zu geben, die wir in England und Frankreich finden, nichts übrig, als jene Verſchiedenheit ſo viel als möglich auf die Grundbegriffe und Elemente zurückzuführen, die ſie ge- mein haben, und zu zeigen, wo eigentlich der Mangel in den geſetzlichen Anordnungen, der Grund der zum Theil unglaublichen Engherzigkeit im Gemeindebürgerrecht, und mithin das Ziel liegt, dem die unläugbar vorhandene Bewegung entgegenſtrebt. Es iſt ganz und gar unmöglich, hier bei einer rein objectiven Darſtellung ſtehen zu bleiben, was am beſten wohl Bitzers Arbeit gezeigt hat, der namentlich über Gemeindeangehörig- keit und Heimathweſen Deutſchlands das reichhaltigſte Material geſammelt hat, das wir bisher beſitzen, ohne doch zum Abſchluß zu gelangen. Dabei nun iſt es keine Frage, daß der Schwerpunkt der ganzen Auffaſſung im Begriffe und der Stellung der Gemeinde gegenüber der amtlichen Organiſation liegt. Die letztere iſt ziemlich klar und gleichartig, und die amtliche Bevölkerungsordnung mit den Competenzen und Zuſtändigkeiten der finanziellen, richterlichen und adminiſtrativen Behörden dürfen wir im Weſentlichen als bekannt ſetzen. Das, warum es ſich handelt, iſt die in Gemeindeangehörigkeit und Heimathweſen gegebene äußere Geſtalt und Ordnung der Selbſtverwaltungskörper, über die man ſich geſetzlich eben ſo wenig einig geworden, als man es bisher über den Begriff der Selbſtverwaltung ſelbſt war. Das Folgende muß daher dasjenige erfüllen, was wir in der Lehre von der vollziehenden Gewalt über die deutſche Geſtalt der Selbſtver- waltung geſagt haben. Die Gemeindeangehörigkeits- und Heimathsfrage in Deutſchland. (Die hiſtoriſche ſtändiſche Ortsgemeinde wird die Grundlage des ganzen Gemeindeweſens und damit der geſammten Selbſt- verwaltung in Deutſchland. Folgen dieſer Thatſache für die Verfaſſung und Verwaltung der letzteren im Allgemeinen, und für das Heimathsweſen im Beſondern.) Allerdings hatte ſich, wie oben erwähnt, die ganze ſtändiſche Ge- ſtalt der Bevölkerungsordnung in Deutſchland nicht bloß im vorigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/350
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/350>, abgerufen am 24.11.2024.