So wendete sich der Gang der Dinge von dieser Seite von der bisherigen Anschauung der Verwaltung des Staats, von dem gutmüthigen aber beschränkt gebliebenen Wollen und Wünschen ab, und begann eine neue Richtung, die gegen das Alte nicht bloß gleichgültig, ja negativ war, sondern es auch sein mußte. Und mit ganz gleichem Resultat tritt eine zweite, wenn auch fast diametral verschiedene Erscheinung im geisti- gen Leben des Volkes neben jener ersten auf.
Jene Idee der staatsbürgerlichen Freiheit, jene Bewegung nach Selbständigkeit und Selbstbestimmung war eigentlich in jener Zeit kei- neswegs etwas Neues. Sie hat vielmehr von jeher die Grundlage des ganzen germanischen Lebens gebildet; sie begleitet die ganze Ge- schichte desselben; ihre Heimath war im Grunde keineswegs bloß, wie man zu lehren gewöhnt ist, die Stadt, sondern auch der Herr auf dem Lande zeigt uns in seinem stolzen Unabhängigkeitssinn den Grundcharak- ter eines Volksstammes, der es schwer erträgt, beherrscht zu werden, und der auch das Gute von sich stößt, wenn es ihm von fremder Gewalt befohlen wird. Nun aber lag es im Wesen gerade jener Wohlfahrts- theorie, im Bewußtsein daß sie das Gute und Heilsame wolle, dasselbe ohne Rücksicht auf die freie Wahl und Selbstbestimmung der Staats- angehörigen auch durchzusetzen. Sie drängte sich daher dem Volksleben auf; sie verlor das Verständniß seiner Eigenthümlichkeiten, seiner Beson- derheiten, seiner Interessen; sie hatte nie und nirgends die Fähigkeit, den Mangel an Bildung, die einseitige Richtung, den traditionellen Werth, der die letztern begleitet, in Anschlag zu bringen; sie verstand endlich nicht, die örtlichen Verhältnisse und ihre Anforderungen, ob sie nun äußerlich rein local auftraten, oder ob sie sich durch Jahrhunderte lange Einwirkung zu formellen Rechtssätzen krystallisirt hatten, gelten zu lassen. Sie wollte immer dasselbe, weil das Gute und Nützliche in der sich selbst gleichen Theorie immer dasselbe ist, und sie war ja die Dienerin des an sich Guten und Nützlichen. Sie wollte es unbedingt und unabhängig von der freien Zustimmung des Volkes, denn das Gute kann und soll nie von der Willkür derjenigen abhängig sein, für die es zu gelten hat. Sie stellte sich daher dem Volksleben äußerlich, als eine ihm fremde, von ihm gar nicht verstandene Gewalt gegenüber; ja sie ging in ihrer Consequenz so weit, gegen dieses Verständniß geradezu gleichgültig zu sein. Sie wollte für das Wohl des Volkes sorgen, aber nicht wie die Natur es thut, welche dem Wohlsein die Bedingungen bietet und dann es dem Menschen überläßt, sie zu benützen, sondern wie der Vater, der seinen Kindern befiehlt, dasjenige zu thun, was nach seiner Ueberzeugung ihnen heilsam ist. Sie wollte die Völker im Ganzen wie im Einzelnen zwingen, glücklich zu werden. Und das
So wendete ſich der Gang der Dinge von dieſer Seite von der bisherigen Anſchauung der Verwaltung des Staats, von dem gutmüthigen aber beſchränkt gebliebenen Wollen und Wünſchen ab, und begann eine neue Richtung, die gegen das Alte nicht bloß gleichgültig, ja negativ war, ſondern es auch ſein mußte. Und mit ganz gleichem Reſultat tritt eine zweite, wenn auch faſt diametral verſchiedene Erſcheinung im geiſti- gen Leben des Volkes neben jener erſten auf.
Jene Idee der ſtaatsbürgerlichen Freiheit, jene Bewegung nach Selbſtändigkeit und Selbſtbeſtimmung war eigentlich in jener Zeit kei- neswegs etwas Neues. Sie hat vielmehr von jeher die Grundlage des ganzen germaniſchen Lebens gebildet; ſie begleitet die ganze Ge- ſchichte deſſelben; ihre Heimath war im Grunde keineswegs bloß, wie man zu lehren gewöhnt iſt, die Stadt, ſondern auch der Herr auf dem Lande zeigt uns in ſeinem ſtolzen Unabhängigkeitsſinn den Grundcharak- ter eines Volksſtammes, der es ſchwer erträgt, beherrſcht zu werden, und der auch das Gute von ſich ſtößt, wenn es ihm von fremder Gewalt befohlen wird. Nun aber lag es im Weſen gerade jener Wohlfahrts- theorie, im Bewußtſein daß ſie das Gute und Heilſame wolle, daſſelbe ohne Rückſicht auf die freie Wahl und Selbſtbeſtimmung der Staats- angehörigen auch durchzuſetzen. Sie drängte ſich daher dem Volksleben auf; ſie verlor das Verſtändniß ſeiner Eigenthümlichkeiten, ſeiner Beſon- derheiten, ſeiner Intereſſen; ſie hatte nie und nirgends die Fähigkeit, den Mangel an Bildung, die einſeitige Richtung, den traditionellen Werth, der die letztern begleitet, in Anſchlag zu bringen; ſie verſtand endlich nicht, die örtlichen Verhältniſſe und ihre Anforderungen, ob ſie nun äußerlich rein local auftraten, oder ob ſie ſich durch Jahrhunderte lange Einwirkung zu formellen Rechtsſätzen kryſtalliſirt hatten, gelten zu laſſen. Sie wollte immer daſſelbe, weil das Gute und Nützliche in der ſich ſelbſt gleichen Theorie immer daſſelbe iſt, und ſie war ja die Dienerin des an ſich Guten und Nützlichen. Sie wollte es unbedingt und unabhängig von der freien Zuſtimmung des Volkes, denn das Gute kann und ſoll nie von der Willkür derjenigen abhängig ſein, für die es zu gelten hat. Sie ſtellte ſich daher dem Volksleben äußerlich, als eine ihm fremde, von ihm gar nicht verſtandene Gewalt gegenüber; ja ſie ging in ihrer Conſequenz ſo weit, gegen dieſes Verſtändniß geradezu gleichgültig zu ſein. Sie wollte für das Wohl des Volkes ſorgen, aber nicht wie die Natur es thut, welche dem Wohlſein die Bedingungen bietet und dann es dem Menſchen überläßt, ſie zu benützen, ſondern wie der Vater, der ſeinen Kindern befiehlt, dasjenige zu thun, was nach ſeiner Ueberzeugung ihnen heilſam iſt. Sie wollte die Völker im Ganzen wie im Einzelnen zwingen, glücklich zu werden. Und das
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So wendete ſich der Gang der Dinge von dieſer Seite von der
bisherigen Anſchauung der Verwaltung des Staats, von dem gutmüthigen
aber beſchränkt gebliebenen Wollen und Wünſchen ab, und begann eine
neue Richtung, die gegen das Alte nicht bloß gleichgültig, ja negativ
war, ſondern es auch ſein mußte. Und mit ganz gleichem Reſultat tritt
eine zweite, wenn auch faſt diametral verſchiedene Erſcheinung im geiſti-
gen Leben des Volkes neben jener erſten auf.
Jene Idee der ſtaatsbürgerlichen Freiheit, jene Bewegung nach
Selbſtändigkeit und Selbſtbeſtimmung war eigentlich in jener Zeit kei-
neswegs etwas Neues. Sie hat vielmehr von jeher die Grundlage
des ganzen germaniſchen Lebens gebildet; ſie begleitet die ganze Ge-
ſchichte deſſelben; ihre Heimath war im Grunde keineswegs bloß, wie
man zu lehren gewöhnt iſt, die Stadt, ſondern auch der Herr auf dem
Lande zeigt uns in ſeinem ſtolzen Unabhängigkeitsſinn den Grundcharak-
ter eines Volksſtammes, der es ſchwer erträgt, beherrſcht zu werden, und
der auch das Gute von ſich ſtößt, wenn es ihm von fremder Gewalt
befohlen wird. Nun aber lag es im Weſen gerade jener Wohlfahrts-
theorie, im Bewußtſein daß ſie das Gute und Heilſame wolle, daſſelbe
ohne Rückſicht auf die freie Wahl und Selbſtbeſtimmung der Staats-
angehörigen auch durchzuſetzen. Sie drängte ſich daher dem Volksleben
auf; ſie verlor das Verſtändniß ſeiner Eigenthümlichkeiten, ſeiner Beſon-
derheiten, ſeiner Intereſſen; ſie hatte nie und nirgends die Fähigkeit,
den Mangel an Bildung, die einſeitige Richtung, den traditionellen
Werth, der die letztern begleitet, in Anſchlag zu bringen; ſie verſtand
endlich nicht, die örtlichen Verhältniſſe und ihre Anforderungen, ob ſie
nun äußerlich rein local auftraten, oder ob ſie ſich durch Jahrhunderte
lange Einwirkung zu formellen Rechtsſätzen kryſtalliſirt hatten, gelten zu
laſſen. Sie wollte immer daſſelbe, weil das Gute und Nützliche in
der ſich ſelbſt gleichen Theorie immer daſſelbe iſt, und ſie war ja die
Dienerin des an ſich Guten und Nützlichen. Sie wollte es unbedingt und
unabhängig von der freien Zuſtimmung des Volkes, denn das Gute
kann und ſoll nie von der Willkür derjenigen abhängig ſein, für die
es zu gelten hat. Sie ſtellte ſich daher dem Volksleben äußerlich, als
eine ihm fremde, von ihm gar nicht verſtandene Gewalt gegenüber; ja
ſie ging in ihrer Conſequenz ſo weit, gegen dieſes Verſtändniß geradezu
gleichgültig zu ſein. Sie wollte für das Wohl des Volkes ſorgen, aber
nicht wie die Natur es thut, welche dem Wohlſein die Bedingungen
bietet und dann es dem Menſchen überläßt, ſie zu benützen, ſondern
wie der Vater, der ſeinen Kindern befiehlt, dasjenige zu thun, was
nach ſeiner Ueberzeugung ihnen heilſam iſt. Sie wollte die Völker im
Ganzen wie im Einzelnen zwingen, glücklich zu werden. Und das
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/41>, abgerufen am 03.12.2024.
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