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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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zuführen. Wenn der Staat ſeinem Begriffe nach eine Perſönlichkeit iſt,
ſo iſt er in ſeiner Wirklichkeit ein Individuum, und am erſten und
meiſten gerade für die innere Verwaltung. Die abſtrakte Gränze für
die Thätigkeit der letztern liegt daher allerdings in der Perſönlichkeit,
die concrete Gränze dagegen liegt in den gegebenen Zuſtänden und
Bildungsſtufen des Volkes. Es iſt vollkommen unverſtändig, ohne wei-
teres etwas darum für allgemein richtig oder falſch zu erklären, weil
es zu einer gewiſſen Zeit in einem gewiſſen Volke richtig oder falſch
war. So wenig die Völker und Zeiten ſich gleich ſind, ſo wenig ſoll
und kann ihre Verwaltung eine gleiche ſein, und in ihrer Beziehung
zum Volke gleich weit gehen. Die Ungleichheit der gegebenen Zuſtände
ſetzt voraus, daß gerade die Gleichheit der Verwaltungsmaßregeln ihre
Ungleichheit enthält. Und man darf ſich daher auch nicht täuſchen über
den Werth der äußerlichen Vergleichung der Verwaltung und ihres
Rechts bei den verſchiedenen Völkern. Hier gibt es nichts abſolut Gutes,
und jene Vergleichung ſoll deßhalb auch nicht dahin führen, das Fremde
bloß darum als Muſter aufzuſtellen, weil es den Fremden heilſam ge-
weſen iſt. Die wahre Vergleichung hat die viel ſchwerere Aufgabe,
das Verſchiedene erſt auf die Gleichartigkeit der Zuſtände zu reduciren,
und erſt nachdem dieß geſchehen, an ſeine Benützung zu denken. Das
iſt deßhalb die ſchwierigſte aller Aufgaben, und fordert eben ſo viel
Erfahrung als wiſſenſchaftliche Bildung; und auch um ihretwillen
nennen wir die Verwaltungslehre den höchſten Theil der Staats-
wiſſenſchaft.

Faßt man nun dieſe Punkte zuſammen, ſo ergibt ſich das Weſen
desjenigen, was wir die Politik der Verwaltung oder die prak-
tiſche Staatskunſt
nennen. Dieſelbe beſteht darin, aus dem Weſen
der ſelbſtthätigen Perſönlichkeit und aus dem Verſtändniß der gegebenen
Zuſtände das richtige Maß und die zweckmäßige Form für die wirkliche
Thätigkeit der Verwaltung eines gegebenen Volkes zu beſtimmen. Und
daher dürfen wir gleich hier hinzufügen, daß nicht bloß die Verwaltung
im Ganzen und Großen, ſondern daß auch jedes Gebiet der Verwal-
tung ſeine Politik hat. Wie es eine Politik der Staatswirthſchaft
gibt und eine Politik der Rechtspflege, ſo gibt es eine innere Verwaltungs-
politik; aber innerhalb der innern Verwaltungspolitik hat wieder jeder
Theil derſelben ſeine Politik, die dann allerdings durch die perſönlichen
wirthſchaftlichen und ſocialen Zuſtände bedingt wird. Darin liegt die
Unerſchöpflichkeit der innern Verwaltungslehre; ſie iſt nicht bloß
im Ganzen, ſondern auch in jedem Theile das ewig junge Gebiet der
lebendigen Wiſſenſchaft vom Staate.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/83>, abgerufen am 23.02.2025.