Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

maßgebend werden. Hier wäre daher zugleich eine der wichtigsten Auf-
gaben für das Vereinswesen der Aerzte gegeben!

Jenes System nun wird am klarsten, wenn man es in der Weise
darlegt, wie es sich in der That historisch ausgebildet hat. Man
kann diese Entwicklung auf die drei letzten Jahrhunderte zurückführen.

Das siebzehnte Jahrhundert hat aus naheliegenden Gründen sich
wesentlich mit der Polizei der Nahrungsmittel, mit der Giftpolizei
und mit der Kurpfuscherei befaßt; die erste in Verbindung mit der
allgemeinen Marktpolizei, die zweite in Verbindung mit dem Strafrecht,
die dritte in Verbindung mit dem fachmännischen Heilwesen und seiner
Wissenschaft.

Das achtzehnte Jahrhundert erzeugt dann die verordnungsmäßige
niedere, individuelle Gesundheitspolizei (Verbote der Unmäßigkeit,
sanitäre Eheverbote etc. siehe unten); daneben aber auch schon in den
verschiedenen Medicinalordnungen die allgemeinen Principien der
höheren Gesundheitspolizei, speziell die Begräbniß- und Todten-
polizei, und die Baupolizei.

Das neunzehnte Jahrhundert ist nun ohne Zweifel der Beginn der
höheren Entwicklung des Gesundheitswesens auch in diesem Gebiet. Einer-
seits nämlich entwickelt es die allgemeinen Andeutungen des vorigen Jahr-
hunderts über die Bedingungen der Gesundheit zu einem systematischen
Ganzen, namentlich indem es aus der bloßen Baupolizei die höhere
Wohnungspolizei mit der gesetzlichen Sorge für Licht, Luft und
öffentliche Reinlichkeit macht, und die Trinkwasserpolizei der großen
Städte hinzufügt. Andererseits geht dasselbe über zu positiven Maß-
regeln für die Förderung der Gesundheit, theils in den Anforderungen
an den sanitären Betrieb der Gewerbe, theils in den Vorschriften über
Kinder- und Frauenarbeiten, theils geradezu in der Einführung des
Turnunterrichts, in dem freilich noch Deutschland allein dasteht.
Endlich aber erscheint auch hier zuerst ein eigentliches Rechtssystem
der Gesundheitspolizei. Dieß Recht der Gesundheitspolizei, früher fast
ausschließlich der polizeilichen Willkür überlassen und ganz örtlich aus-
geübt, empfängt jetzt eine bestimmte Gestalt. Einerseits werden die
geltenden Vorschriften jetzt allgemein und gleichmäßig, anderseits
werden mit Anfang dieses Jahrhunderts die Uebertretungen derselben
dem allgemeinen Strafgesetz einverleibt, so daß man erst jetzt von
einem allgemeinen Polizeirecht des Gesundheitswesens reden, und das
letztere als einen nunmehr gemeingültigen Theil des öffentlichen Ver-
waltungsrechts ansehen kann, dem nur noch die fachgemäße juristische
Behandlung fehlt, um als ein großes und hochwichtiges, inneres und
äußerlich abgeschlossenes Ganzes zu erscheinen.

maßgebend werden. Hier wäre daher zugleich eine der wichtigſten Auf-
gaben für das Vereinsweſen der Aerzte gegeben!

Jenes Syſtem nun wird am klarſten, wenn man es in der Weiſe
darlegt, wie es ſich in der That hiſtoriſch ausgebildet hat. Man
kann dieſe Entwicklung auf die drei letzten Jahrhunderte zurückführen.

Das ſiebzehnte Jahrhundert hat aus naheliegenden Gründen ſich
weſentlich mit der Polizei der Nahrungsmittel, mit der Giftpolizei
und mit der Kurpfuſcherei befaßt; die erſte in Verbindung mit der
allgemeinen Marktpolizei, die zweite in Verbindung mit dem Strafrecht,
die dritte in Verbindung mit dem fachmänniſchen Heilweſen und ſeiner
Wiſſenſchaft.

Das achtzehnte Jahrhundert erzeugt dann die verordnungsmäßige
niedere, individuelle Geſundheitspolizei (Verbote der Unmäßigkeit,
ſanitäre Eheverbote ꝛc. ſiehe unten); daneben aber auch ſchon in den
verſchiedenen Medicinalordnungen die allgemeinen Principien der
höheren Geſundheitspolizei, ſpeziell die Begräbniß- und Todten-
polizei, und die Baupolizei.

Das neunzehnte Jahrhundert iſt nun ohne Zweifel der Beginn der
höheren Entwicklung des Geſundheitsweſens auch in dieſem Gebiet. Einer-
ſeits nämlich entwickelt es die allgemeinen Andeutungen des vorigen Jahr-
hunderts über die Bedingungen der Geſundheit zu einem ſyſtematiſchen
Ganzen, namentlich indem es aus der bloßen Baupolizei die höhere
Wohnungspolizei mit der geſetzlichen Sorge für Licht, Luft und
öffentliche Reinlichkeit macht, und die Trinkwaſſerpolizei der großen
Städte hinzufügt. Andererſeits geht daſſelbe über zu poſitiven Maß-
regeln für die Förderung der Geſundheit, theils in den Anforderungen
an den ſanitären Betrieb der Gewerbe, theils in den Vorſchriften über
Kinder- und Frauenarbeiten, theils geradezu in der Einführung des
Turnunterrichts, in dem freilich noch Deutſchland allein daſteht.
Endlich aber erſcheint auch hier zuerſt ein eigentliches Rechtsſyſtem
der Geſundheitspolizei. Dieß Recht der Geſundheitspolizei, früher faſt
ausſchließlich der polizeilichen Willkür überlaſſen und ganz örtlich aus-
geübt, empfängt jetzt eine beſtimmte Geſtalt. Einerſeits werden die
geltenden Vorſchriften jetzt allgemein und gleichmäßig, anderſeits
werden mit Anfang dieſes Jahrhunderts die Uebertretungen derſelben
dem allgemeinen Strafgeſetz einverleibt, ſo daß man erſt jetzt von
einem allgemeinen Polizeirecht des Geſundheitsweſens reden, und das
letztere als einen nunmehr gemeingültigen Theil des öffentlichen Ver-
waltungsrechts anſehen kann, dem nur noch die fachgemäße juriſtiſche
Behandlung fehlt, um als ein großes und hochwichtiges, inneres und
äußerlich abgeſchloſſenes Ganzes zu erſcheinen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0068" n="52"/>
maßgebend werden. <hi rendition="#g">Hier</hi> wäre daher zugleich eine der wichtig&#x017F;ten Auf-<lb/>
gaben für das <hi rendition="#g">Vereinswe&#x017F;en der Aerzte</hi> gegeben!</p><lb/>
              <p>Jenes Sy&#x017F;tem nun wird am klar&#x017F;ten, wenn man es in der Wei&#x017F;e<lb/>
darlegt, wie es &#x017F;ich in der That <hi rendition="#g">hi&#x017F;tori&#x017F;ch</hi> ausgebildet hat. Man<lb/>
kann die&#x017F;e Entwicklung auf die drei letzten Jahrhunderte zurückführen.</p><lb/>
              <p>Das &#x017F;iebzehnte Jahrhundert hat aus naheliegenden Gründen &#x017F;ich<lb/>
we&#x017F;entlich mit der Polizei der <hi rendition="#g">Nahrungsmittel</hi>, mit der <hi rendition="#g">Giftpolizei</hi><lb/>
und mit der <hi rendition="#g">Kurpfu&#x017F;cherei</hi> befaßt; die er&#x017F;te in Verbindung mit der<lb/>
allgemeinen Marktpolizei, die zweite in Verbindung mit dem Strafrecht,<lb/>
die dritte in Verbindung mit dem fachmänni&#x017F;chen Heilwe&#x017F;en und &#x017F;einer<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft.</p><lb/>
              <p>Das achtzehnte Jahrhundert erzeugt dann die verordnungsmäßige<lb/>
niedere, <hi rendition="#g">individuelle</hi> Ge&#x017F;undheitspolizei (Verbote der Unmäßigkeit,<lb/>
&#x017F;anitäre Eheverbote &#xA75B;c. &#x017F;iehe unten); daneben aber auch &#x017F;chon in den<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Medicinalordnungen die <hi rendition="#g">allgemeinen</hi> Principien der<lb/>
höheren Ge&#x017F;undheitspolizei, &#x017F;peziell die <hi rendition="#g">Begräbniß-</hi> und <hi rendition="#g">Todten-</hi><lb/>
polizei, und die <hi rendition="#g">Baupolizei</hi>.</p><lb/>
              <p>Das neunzehnte Jahrhundert i&#x017F;t nun ohne Zweifel der Beginn der<lb/>
höheren Entwicklung des Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;ens auch in die&#x017F;em Gebiet. Einer-<lb/>
&#x017F;eits nämlich entwickelt es die allgemeinen Andeutungen des vorigen Jahr-<lb/>
hunderts über die Bedingungen der Ge&#x017F;undheit zu einem &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen<lb/>
Ganzen, namentlich indem es aus der bloßen Baupolizei die höhere<lb/><hi rendition="#g">Wohnungspolizei</hi> mit der ge&#x017F;etzlichen Sorge für Licht, Luft und<lb/><hi rendition="#g">öffentliche Reinlichkeit</hi> macht, und die Trinkwa&#x017F;&#x017F;erpolizei der großen<lb/>
Städte hinzufügt. Anderer&#x017F;eits geht da&#x017F;&#x017F;elbe über zu <hi rendition="#g">po&#x017F;itiven</hi> Maß-<lb/>
regeln für die Förderung der Ge&#x017F;undheit, theils in den Anforderungen<lb/>
an den &#x017F;anitären Betrieb der Gewerbe, theils in den Vor&#x017F;chriften über<lb/>
Kinder- und Frauenarbeiten, theils geradezu in der Einführung des<lb/><hi rendition="#g">Turnunterrichts</hi>, in dem freilich noch Deut&#x017F;chland allein da&#x017F;teht.<lb/><hi rendition="#g">Endlich</hi> aber er&#x017F;cheint auch hier zuer&#x017F;t ein eigentliches <hi rendition="#g">Rechts&#x017F;y&#x017F;tem</hi><lb/>
der Ge&#x017F;undheitspolizei. Dieß Recht der Ge&#x017F;undheitspolizei, früher fa&#x017F;t<lb/>
aus&#x017F;chließlich der polizeilichen Willkür überla&#x017F;&#x017F;en und ganz örtlich aus-<lb/>
geübt, empfängt jetzt eine be&#x017F;timmte Ge&#x017F;talt. Einer&#x017F;eits werden die<lb/>
geltenden Vor&#x017F;chriften jetzt <hi rendition="#g">allgemein</hi> und gleichmäßig, ander&#x017F;eits<lb/>
werden mit Anfang die&#x017F;es Jahrhunderts die Uebertretungen der&#x017F;elben<lb/>
dem allgemeinen <hi rendition="#g">Strafge&#x017F;etz</hi> einverleibt, &#x017F;o daß man er&#x017F;t jetzt von<lb/>
einem allgemeinen Polizeirecht des Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;ens reden, und das<lb/>
letztere als einen nunmehr gemeingültigen Theil des öffentlichen Ver-<lb/>
waltungsrechts an&#x017F;ehen kann, dem nur noch die fachgemäße juri&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Behandlung fehlt, um als ein großes und hochwichtiges, inneres und<lb/>
äußerlich abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enes Ganzes zu er&#x017F;cheinen.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0068] maßgebend werden. Hier wäre daher zugleich eine der wichtigſten Auf- gaben für das Vereinsweſen der Aerzte gegeben! Jenes Syſtem nun wird am klarſten, wenn man es in der Weiſe darlegt, wie es ſich in der That hiſtoriſch ausgebildet hat. Man kann dieſe Entwicklung auf die drei letzten Jahrhunderte zurückführen. Das ſiebzehnte Jahrhundert hat aus naheliegenden Gründen ſich weſentlich mit der Polizei der Nahrungsmittel, mit der Giftpolizei und mit der Kurpfuſcherei befaßt; die erſte in Verbindung mit der allgemeinen Marktpolizei, die zweite in Verbindung mit dem Strafrecht, die dritte in Verbindung mit dem fachmänniſchen Heilweſen und ſeiner Wiſſenſchaft. Das achtzehnte Jahrhundert erzeugt dann die verordnungsmäßige niedere, individuelle Geſundheitspolizei (Verbote der Unmäßigkeit, ſanitäre Eheverbote ꝛc. ſiehe unten); daneben aber auch ſchon in den verſchiedenen Medicinalordnungen die allgemeinen Principien der höheren Geſundheitspolizei, ſpeziell die Begräbniß- und Todten- polizei, und die Baupolizei. Das neunzehnte Jahrhundert iſt nun ohne Zweifel der Beginn der höheren Entwicklung des Geſundheitsweſens auch in dieſem Gebiet. Einer- ſeits nämlich entwickelt es die allgemeinen Andeutungen des vorigen Jahr- hunderts über die Bedingungen der Geſundheit zu einem ſyſtematiſchen Ganzen, namentlich indem es aus der bloßen Baupolizei die höhere Wohnungspolizei mit der geſetzlichen Sorge für Licht, Luft und öffentliche Reinlichkeit macht, und die Trinkwaſſerpolizei der großen Städte hinzufügt. Andererſeits geht daſſelbe über zu poſitiven Maß- regeln für die Förderung der Geſundheit, theils in den Anforderungen an den ſanitären Betrieb der Gewerbe, theils in den Vorſchriften über Kinder- und Frauenarbeiten, theils geradezu in der Einführung des Turnunterrichts, in dem freilich noch Deutſchland allein daſteht. Endlich aber erſcheint auch hier zuerſt ein eigentliches Rechtsſyſtem der Geſundheitspolizei. Dieß Recht der Geſundheitspolizei, früher faſt ausſchließlich der polizeilichen Willkür überlaſſen und ganz örtlich aus- geübt, empfängt jetzt eine beſtimmte Geſtalt. Einerſeits werden die geltenden Vorſchriften jetzt allgemein und gleichmäßig, anderſeits werden mit Anfang dieſes Jahrhunderts die Uebertretungen derſelben dem allgemeinen Strafgeſetz einverleibt, ſo daß man erſt jetzt von einem allgemeinen Polizeirecht des Geſundheitsweſens reden, und das letztere als einen nunmehr gemeingültigen Theil des öffentlichen Ver- waltungsrechts anſehen kann, dem nur noch die fachgemäße juriſtiſche Behandlung fehlt, um als ein großes und hochwichtiges, inneres und äußerlich abgeſchloſſenes Ganzes zu erſcheinen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/68
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/68>, abgerufen am 21.11.2024.