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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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Charakter angenommen, den wir mit Beziehung auf den früher bereits
dargestellten Begriff der vollziehenden Gewalt nun mehr leicht bezeich-
nen können.

Da die Sicherung der öffentlichen Gesundheit gegen die Verletzungen
und Gefährdungen durch Einzelne als eine Pflicht der Verwaltung
und die wirkliche Gefährdung desselben durch den Einzelnen als ein
öffentliches Vergehen anerkannt worden ist, so hat die Gesetzgebung,
um die Staatsbürger gegen die Willkür der Vollzugsorgane sicher zu
stellen, fast allenthalben den Grundsatz durchgeführt, die Verletzung der
Sicherheit der Gesundheit zu einer selbständigen Kategorie der Ver-
gehen
zu machen, und dieselben daher in den meisten Ländern zu einem
Theile des Strafgesetzes gemacht, den Gerichten das Recht über-
tragend, durch gerichtlich ausgesprochene Strafurtheile die früher ein-
seitige Funktion der Gesundheitspolizei zu übernehmen, wie im O. R.
Strafgesetzbuch II. Thl. Hauptst. VIII. (Vergehen und Uebertretungen
gegen die Sicherheit des Lebens), Hauptst. IX. (Vergehen und Ueber-
tretungen gegen die Gesundheit) und Hauptst. X. (Uebertretungen
gegen die körperliche Sicherheit). Damit ist ein wesentlicher Theil
der ganzen höheren und niederen Gesundheitspolizei dem Strafrecht und
seiner Wissenschaft überwiesen, und es muß als ein neuer Gesichts-
punkt bezeichnet werden, wenn in andern Staaten, wie Bayern und
Württemberg und zuletzt in Baden eigene Polizei-Strafgesetzbücher
für diese Gebiete neben den allgemeinen Strafgesetzbüchern bestehen.
Die Darstellung des Gesundheitswesens in der Verwaltungslehre muß
sich daher darauf beschränken, nur noch diejenigen Momente hervor-
zuheben, welche von diesen Strafgesetzbüchern nicht speziell umfaßt
werden; die Frage dagegen, ob die Strafgesetzbücher jemals diese Be-
handlung der Gesundheitspolizei und der Verwaltungslehre ganz er-
setzen können
, muß verneint werden, da dieselben durchaus die
Strafe für die Handlungen Einzelner und nicht die Funktion der
Verwaltung für das Ganze enthalten kann und enthalten. Eben deßhalb
ist in diesem Gebiete wohl ziemlich allgemein der Grundsatz formell aner-
kannt, daß da, wo eigentliche Gesetze fehlen, die höchste Verwaltung
im Namen des öffentlichen Wohles auf Verordnungswege geltende Be-
stimmungen nicht bloß erlassen kann, sondern erlassen soll. Das hängt
auf das Genaueste mit dem Auftreten einer staatlichen und einheitlichen
Verwaltung des gesammten Gesundheitswesens, das sich namentlich in
den letzten Jahrzehnten die örtliche Gesundheitspflege der Gemeinden
systematisch unterordnet, auf das Engste zusammen; vergleiche über diesen
Entwicklungsproceß, was wir oben unter Organisation des Gesundheits-
wesens gesagt haben. Uebrigens ist es nicht zu verkennen, daß in allen

Charakter angenommen, den wir mit Beziehung auf den früher bereits
dargeſtellten Begriff der vollziehenden Gewalt nun mehr leicht bezeich-
nen können.

Da die Sicherung der öffentlichen Geſundheit gegen die Verletzungen
und Gefährdungen durch Einzelne als eine Pflicht der Verwaltung
und die wirkliche Gefährdung deſſelben durch den Einzelnen als ein
öffentliches Vergehen anerkannt worden iſt, ſo hat die Geſetzgebung,
um die Staatsbürger gegen die Willkür der Vollzugsorgane ſicher zu
ſtellen, faſt allenthalben den Grundſatz durchgeführt, die Verletzung der
Sicherheit der Geſundheit zu einer ſelbſtändigen Kategorie der Ver-
gehen
zu machen, und dieſelben daher in den meiſten Ländern zu einem
Theile des Strafgeſetzes gemacht, den Gerichten das Recht über-
tragend, durch gerichtlich ausgeſprochene Strafurtheile die früher ein-
ſeitige Funktion der Geſundheitspolizei zu übernehmen, wie im O. R.
Strafgeſetzbuch II. Thl. Hauptſt. VIII. (Vergehen und Uebertretungen
gegen die Sicherheit des Lebens), Hauptſt. IX. (Vergehen und Ueber-
tretungen gegen die Geſundheit) und Hauptſt. X. (Uebertretungen
gegen die körperliche Sicherheit). Damit iſt ein weſentlicher Theil
der ganzen höheren und niederen Geſundheitspolizei dem Strafrecht und
ſeiner Wiſſenſchaft überwieſen, und es muß als ein neuer Geſichts-
punkt bezeichnet werden, wenn in andern Staaten, wie Bayern und
Württemberg und zuletzt in Baden eigene Polizei-Strafgeſetzbücher
für dieſe Gebiete neben den allgemeinen Strafgeſetzbüchern beſtehen.
Die Darſtellung des Geſundheitsweſens in der Verwaltungslehre muß
ſich daher darauf beſchränken, nur noch diejenigen Momente hervor-
zuheben, welche von dieſen Strafgeſetzbüchern nicht ſpeziell umfaßt
werden; die Frage dagegen, ob die Strafgeſetzbücher jemals dieſe Be-
handlung der Geſundheitspolizei und der Verwaltungslehre ganz er-
ſetzen können
, muß verneint werden, da dieſelben durchaus die
Strafe für die Handlungen Einzelner und nicht die Funktion der
Verwaltung für das Ganze enthalten kann und enthalten. Eben deßhalb
iſt in dieſem Gebiete wohl ziemlich allgemein der Grundſatz formell aner-
kannt, daß da, wo eigentliche Geſetze fehlen, die höchſte Verwaltung
im Namen des öffentlichen Wohles auf Verordnungswege geltende Be-
ſtimmungen nicht bloß erlaſſen kann, ſondern erlaſſen ſoll. Das hängt
auf das Genaueſte mit dem Auftreten einer ſtaatlichen und einheitlichen
Verwaltung des geſammten Geſundheitsweſens, das ſich namentlich in
den letzten Jahrzehnten die örtliche Geſundheitspflege der Gemeinden
ſyſtematiſch unterordnet, auf das Engſte zuſammen; vergleiche über dieſen
Entwicklungsproceß, was wir oben unter Organiſation des Geſundheits-
weſens geſagt haben. Uebrigens iſt es nicht zu verkennen, daß in allen

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[54/0070] Charakter angenommen, den wir mit Beziehung auf den früher bereits dargeſtellten Begriff der vollziehenden Gewalt nun mehr leicht bezeich- nen können. Da die Sicherung der öffentlichen Geſundheit gegen die Verletzungen und Gefährdungen durch Einzelne als eine Pflicht der Verwaltung und die wirkliche Gefährdung deſſelben durch den Einzelnen als ein öffentliches Vergehen anerkannt worden iſt, ſo hat die Geſetzgebung, um die Staatsbürger gegen die Willkür der Vollzugsorgane ſicher zu ſtellen, faſt allenthalben den Grundſatz durchgeführt, die Verletzung der Sicherheit der Geſundheit zu einer ſelbſtändigen Kategorie der Ver- gehen zu machen, und dieſelben daher in den meiſten Ländern zu einem Theile des Strafgeſetzes gemacht, den Gerichten das Recht über- tragend, durch gerichtlich ausgeſprochene Strafurtheile die früher ein- ſeitige Funktion der Geſundheitspolizei zu übernehmen, wie im O. R. Strafgeſetzbuch II. Thl. Hauptſt. VIII. (Vergehen und Uebertretungen gegen die Sicherheit des Lebens), Hauptſt. IX. (Vergehen und Ueber- tretungen gegen die Geſundheit) und Hauptſt. X. (Uebertretungen gegen die körperliche Sicherheit). Damit iſt ein weſentlicher Theil der ganzen höheren und niederen Geſundheitspolizei dem Strafrecht und ſeiner Wiſſenſchaft überwieſen, und es muß als ein neuer Geſichts- punkt bezeichnet werden, wenn in andern Staaten, wie Bayern und Württemberg und zuletzt in Baden eigene Polizei-Strafgeſetzbücher für dieſe Gebiete neben den allgemeinen Strafgeſetzbüchern beſtehen. Die Darſtellung des Geſundheitsweſens in der Verwaltungslehre muß ſich daher darauf beſchränken, nur noch diejenigen Momente hervor- zuheben, welche von dieſen Strafgeſetzbüchern nicht ſpeziell umfaßt werden; die Frage dagegen, ob die Strafgeſetzbücher jemals dieſe Be- handlung der Geſundheitspolizei und der Verwaltungslehre ganz er- ſetzen können, muß verneint werden, da dieſelben durchaus die Strafe für die Handlungen Einzelner und nicht die Funktion der Verwaltung für das Ganze enthalten kann und enthalten. Eben deßhalb iſt in dieſem Gebiete wohl ziemlich allgemein der Grundſatz formell aner- kannt, daß da, wo eigentliche Geſetze fehlen, die höchſte Verwaltung im Namen des öffentlichen Wohles auf Verordnungswege geltende Be- ſtimmungen nicht bloß erlaſſen kann, ſondern erlaſſen ſoll. Das hängt auf das Genaueſte mit dem Auftreten einer ſtaatlichen und einheitlichen Verwaltung des geſammten Geſundheitsweſens, das ſich namentlich in den letzten Jahrzehnten die örtliche Geſundheitspflege der Gemeinden ſyſtematiſch unterordnet, auf das Engſte zuſammen; vergleiche über dieſen Entwicklungsproceß, was wir oben unter Organiſation des Geſundheits- weſens geſagt haben. Uebrigens iſt es nicht zu verkennen, daß in allen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/70>, abgerufen am 21.11.2024.