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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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sind, auch hier mit genau durchgeführter Unterscheidung des Betruges
(falsifications) und der matieres nuisibles. Die Polizei hat die Ge-
meinde. (De Fooz Droit adm. belge III. S. 133--138.) Ueber Holland
finde ich nichts. -- Was England betrifft, so ist keine eigene Gesetz-
gebung über die Polizei der Nahrungsmittel; die Public Health Act
(1848) hat den Gemeinden das Recht gegeben, dagegen zu schützen, ohne
alle bestimmte Vorschriften, ein Verhältniß, was Gneist (Englisches
Verwaltungsrecht VI. §. 113) mit großem Recht als das "bequeme Aus-
stellen eines Blanquetts" bezeichnet, "dessen Ausfüllung in der Discretion
der Gemeindebeamten liegt." Doch ist man im Fortschritt. Die Bake-
houses Regulation Act
1865 (26. 27. Vict. 40) enthält übrigens neben
den Vorschriften über Reinlichkeit der Bäckerei auch die Bestimmung,
daß Knaben unter 18 Jahren von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens
von der Arbeit frei seien, und daß die Gemeindebehörden darüber bye
laws
machen und Inspection halten können. Das Statut 26. 27. Vict. 117
gibt ferner dem Diener des Inspector of Nuisances das Recht, alle
verkäuflichen Nahrungsmittel selbst zu untersuchen, die Sache gerichtlich
anhängig zu machen, und das Justice of peace kann für jedes ver-
dorbene Stück
eine Buße bis 20 Pf. auferlegen! Baden: Polizei-
Strafgesetzbuch, §. 93 ff.

II. Giftpolizei.

In der Geschichte und Entwicklung der Giftpolizei sind zwei Stadien
zu unterscheiden, an die sich die große Masse der einzelnen Verordnungen
anschließt, und die in unserer Zeit die beiden Gebiete derselben bilden.

Das erste Stadium und mit ihm der erste Theil derselben beruht
auf der Ansicht, daß das Gift nur als spezifische Substanz existire,
und daß daher die Aufgabe der Polizei in der gesetzlich möglichst ge-
nau geregelten Bewachung dieser Substanz im Besitz und Verkehr
bestehe. Daraus sind alle Verordnungen über Gifthandel entsprun-
gen. Das zweite Stadium -- neunzehntes Jahrhundert -- beginnt mit
der Erkenntniß, daß einerseits das Gift als Beimischung anderer
Substanzen, namentlich der Farben, erscheint und hier viel gefährlicher
wirkt, was dann die Farbenpolizei in allen ihren verschiedenen For-
men erzeugt, andererseits daß eine Menge anderer, bisher nicht als
giftig erkannter Substanzen, darunter namentlich industrielle Produktions-
mittel, giftig wirken, wogegen die Polizei unmächtig ist. Die Gift-
polizei, in Gifthandel und Farbenpolizei sehr rationell und genau aus-
gebildet, muß sich daher gestehen, daß sie mit jenen beiden Punkten das
Erreichbare geleistet hat. Die Lehre von den Giften, als Theil der

ſind, auch hier mit genau durchgeführter Unterſcheidung des Betruges
(falsifications) und der matières nuisibles. Die Polizei hat die Ge-
meinde. (De Fooz Droit adm. belge III. S. 133—138.) Ueber Holland
finde ich nichts. — Was England betrifft, ſo iſt keine eigene Geſetz-
gebung über die Polizei der Nahrungsmittel; die Public Health Act
(1848) hat den Gemeinden das Recht gegeben, dagegen zu ſchützen, ohne
alle beſtimmte Vorſchriften, ein Verhältniß, was Gneiſt (Engliſches
Verwaltungsrecht VI. §. 113) mit großem Recht als das „bequeme Aus-
ſtellen eines Blanquetts“ bezeichnet, „deſſen Ausfüllung in der Discretion
der Gemeindebeamten liegt.“ Doch iſt man im Fortſchritt. Die Bake-
houses Regulation Act
1865 (26. 27. Vict. 40) enthält übrigens neben
den Vorſchriften über Reinlichkeit der Bäckerei auch die Beſtimmung,
daß Knaben unter 18 Jahren von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens
von der Arbeit frei ſeien, und daß die Gemeindebehörden darüber bye
laws
machen und Inſpection halten können. Das Statut 26. 27. Vict. 117
gibt ferner dem Diener des Inspector of Nuisances das Recht, alle
verkäuflichen Nahrungsmittel ſelbſt zu unterſuchen, die Sache gerichtlich
anhängig zu machen, und das Justice of peace kann für jedes ver-
dorbene Stück
eine Buße bis 20 Pf. auferlegen! Baden: Polizei-
Strafgeſetzbuch, §. 93 ff.

II. Giftpolizei.

In der Geſchichte und Entwicklung der Giftpolizei ſind zwei Stadien
zu unterſcheiden, an die ſich die große Maſſe der einzelnen Verordnungen
anſchließt, und die in unſerer Zeit die beiden Gebiete derſelben bilden.

Das erſte Stadium und mit ihm der erſte Theil derſelben beruht
auf der Anſicht, daß das Gift nur als ſpezifiſche Subſtanz exiſtire,
und daß daher die Aufgabe der Polizei in der geſetzlich möglichſt ge-
nau geregelten Bewachung dieſer Subſtanz im Beſitz und Verkehr
beſtehe. Daraus ſind alle Verordnungen über Gifthandel entſprun-
gen. Das zweite Stadium — neunzehntes Jahrhundert — beginnt mit
der Erkenntniß, daß einerſeits das Gift als Beimiſchung anderer
Subſtanzen, namentlich der Farben, erſcheint und hier viel gefährlicher
wirkt, was dann die Farbenpolizei in allen ihren verſchiedenen For-
men erzeugt, andererſeits daß eine Menge anderer, bisher nicht als
giftig erkannter Subſtanzen, darunter namentlich induſtrielle Produktions-
mittel, giftig wirken, wogegen die Polizei unmächtig iſt. Die Gift-
polizei, in Gifthandel und Farbenpolizei ſehr rationell und genau aus-
gebildet, muß ſich daher geſtehen, daß ſie mit jenen beiden Punkten das
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[58/0074] ſind, auch hier mit genau durchgeführter Unterſcheidung des Betruges (falsifications) und der matières nuisibles. Die Polizei hat die Ge- meinde. (De Fooz Droit adm. belge III. S. 133—138.) Ueber Holland finde ich nichts. — Was England betrifft, ſo iſt keine eigene Geſetz- gebung über die Polizei der Nahrungsmittel; die Public Health Act (1848) hat den Gemeinden das Recht gegeben, dagegen zu ſchützen, ohne alle beſtimmte Vorſchriften, ein Verhältniß, was Gneiſt (Engliſches Verwaltungsrecht VI. §. 113) mit großem Recht als das „bequeme Aus- ſtellen eines Blanquetts“ bezeichnet, „deſſen Ausfüllung in der Discretion der Gemeindebeamten liegt.“ Doch iſt man im Fortſchritt. Die Bake- houses Regulation Act 1865 (26. 27. Vict. 40) enthält übrigens neben den Vorſchriften über Reinlichkeit der Bäckerei auch die Beſtimmung, daß Knaben unter 18 Jahren von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens von der Arbeit frei ſeien, und daß die Gemeindebehörden darüber bye laws machen und Inſpection halten können. Das Statut 26. 27. Vict. 117 gibt ferner dem Diener des Inspector of Nuisances das Recht, alle verkäuflichen Nahrungsmittel ſelbſt zu unterſuchen, die Sache gerichtlich anhängig zu machen, und das Justice of peace kann für jedes ver- dorbene Stück eine Buße bis 20 Pf. auferlegen! Baden: Polizei- Strafgeſetzbuch, §. 93 ff. II. Giftpolizei. In der Geſchichte und Entwicklung der Giftpolizei ſind zwei Stadien zu unterſcheiden, an die ſich die große Maſſe der einzelnen Verordnungen anſchließt, und die in unſerer Zeit die beiden Gebiete derſelben bilden. Das erſte Stadium und mit ihm der erſte Theil derſelben beruht auf der Anſicht, daß das Gift nur als ſpezifiſche Subſtanz exiſtire, und daß daher die Aufgabe der Polizei in der geſetzlich möglichſt ge- nau geregelten Bewachung dieſer Subſtanz im Beſitz und Verkehr beſtehe. Daraus ſind alle Verordnungen über Gifthandel entſprun- gen. Das zweite Stadium — neunzehntes Jahrhundert — beginnt mit der Erkenntniß, daß einerſeits das Gift als Beimiſchung anderer Subſtanzen, namentlich der Farben, erſcheint und hier viel gefährlicher wirkt, was dann die Farbenpolizei in allen ihren verſchiedenen For- men erzeugt, andererſeits daß eine Menge anderer, bisher nicht als giftig erkannter Subſtanzen, darunter namentlich induſtrielle Produktions- mittel, giftig wirken, wogegen die Polizei unmächtig iſt. Die Gift- polizei, in Gifthandel und Farbenpolizei ſehr rationell und genau aus- gebildet, muß ſich daher geſtehen, daß ſie mit jenen beiden Punkten das Erreichbare geleiſtet hat. Die Lehre von den Giften, als Theil der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/74>, abgerufen am 24.11.2024.