Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Zwecke der sammelnden Vergleichung; dann die Charakterisirung der
Bildung dieses geltenden Gesundheitsrechts zum Zwecke der organischen
Anschauung dieses so wichtigen Rechtslebens in den verschiedenen Staaten
Europa's.

Was nun jene Kategorien und das daraus hervorgehende System
des öffentlichen Rechts der gewerblichen Gesundheitspolizei betrifft, so
sind dieselben wohl ziemlich einfach.

Die Gefährdung der Gesundheit bei dem gewerblichen Betriebe be-
ruht zuerst offenbar auf der Anlage, und zwar sowohl in Beziehung
auf die Anwohner, als auf die Arbeiter selbst. Das allgemeine Rechts-
princip ist dabei der Grundsatz der öffentlichen Bewilligung der
Anlage, mit dem für diese Bewilligung geltenden öffentlich-rechtlichen
Verfahren.

Das zweite Element ist der Betrieb des Gewerbes selbst. Dieser
Betrieb scheidet sich in Beziehung auf sein Verhältniß zur Gesundheit
in die Verhältnisse des Stoffes und die der Arbeit. Das Rechts-
princip dabei ist das der Beaufsichtigung und der bestimmten, ent-
weder durch die Natur des Stoffes oder der Arbeit hervorgerufenen
polizeilichen Vorschriften zum Schutz der Gesundheit der Arbeiter.

Die Elemente der Geschichte der allgemeinen Rechtsbildung für
diese Verhältnisse sind folgende.

Die allgemeine Grundlage und Voraussetzung alles öffentlichen
Gesundheitsrechts des Gewerbes ist die Aufhebung der Zünfte und
Innungen und die erste Proklamirung der Gewerbefreiheit in Frank-
reich, bei welcher zugleich der Grundsatz ausgesprochen ward, daß die
Gewerbe, obwohl frei, die Verpflichtung haben sollen, "a observer les
regles de police qui sont faites ou qui pourront etre faites"
(Dekret
vom 2.--17. März 1791). Daran schließt sich das Dekret vom 15. Okto-
ber 1810 an, über die Etablissements insalubres ou incommodes,
welches als die Grundlage alles gewerblichen Concessionsrechts
und der Gewerbefreiheit angesehen werden muß. Von der französischen
Revolution aus geht dann die Bewegung, welche die Gewerbefreiheit
herstellt; von dem Dekret vom 15. Oktober 1810 die Gesammtheit aller
gesundheitspolizeilichen Vorschriften über das Gewerbswesen in ganz
Europa. Nur hat diese Rechtsbildung wieder einen sehr verschiedenen
Charakter in den verschiedenen Ländern.

In Frankreich entwickelt sich dieses Recht in einer streng syste-
matischen, die Gewerbsverhältnisse für seinen Zweck mit großer Um-
ständlichkeit classificirenden Weise; das Verfahren ist ein treffliches, öffent-
liches und umsichtiges, allein die Entscheidung bleibt ganz in der Hand
der amtlichen Ortsbehörde, des Maire. In England wartet man

Stein, die Verwaltungslehre. III. 6

Zwecke der ſammelnden Vergleichung; dann die Charakteriſirung der
Bildung dieſes geltenden Geſundheitsrechts zum Zwecke der organiſchen
Anſchauung dieſes ſo wichtigen Rechtslebens in den verſchiedenen Staaten
Europa’s.

Was nun jene Kategorien und das daraus hervorgehende Syſtem
des öffentlichen Rechts der gewerblichen Geſundheitspolizei betrifft, ſo
ſind dieſelben wohl ziemlich einfach.

Die Gefährdung der Geſundheit bei dem gewerblichen Betriebe be-
ruht zuerſt offenbar auf der Anlage, und zwar ſowohl in Beziehung
auf die Anwohner, als auf die Arbeiter ſelbſt. Das allgemeine Rechts-
princip iſt dabei der Grundſatz der öffentlichen Bewilligung der
Anlage, mit dem für dieſe Bewilligung geltenden öffentlich-rechtlichen
Verfahren.

Das zweite Element iſt der Betrieb des Gewerbes ſelbſt. Dieſer
Betrieb ſcheidet ſich in Beziehung auf ſein Verhältniß zur Geſundheit
in die Verhältniſſe des Stoffes und die der Arbeit. Das Rechts-
princip dabei iſt das der Beaufſichtigung und der beſtimmten, ent-
weder durch die Natur des Stoffes oder der Arbeit hervorgerufenen
polizeilichen Vorſchriften zum Schutz der Geſundheit der Arbeiter.

Die Elemente der Geſchichte der allgemeinen Rechtsbildung für
dieſe Verhältniſſe ſind folgende.

Die allgemeine Grundlage und Vorausſetzung alles öffentlichen
Geſundheitsrechts des Gewerbes iſt die Aufhebung der Zünfte und
Innungen und die erſte Proklamirung der Gewerbefreiheit in Frank-
reich, bei welcher zugleich der Grundſatz ausgeſprochen ward, daß die
Gewerbe, obwohl frei, die Verpflichtung haben ſollen, „à observer les
règles de police qui sont faites ou qui pourront être faites“
(Dekret
vom 2.—17. März 1791). Daran ſchließt ſich das Dekret vom 15. Okto-
ber 1810 an, über die Etablissements insalubres ou incommodes,
welches als die Grundlage alles gewerblichen Conceſſionsrechts
und der Gewerbefreiheit angeſehen werden muß. Von der franzöſiſchen
Revolution aus geht dann die Bewegung, welche die Gewerbefreiheit
herſtellt; von dem Dekret vom 15. Oktober 1810 die Geſammtheit aller
geſundheitspolizeilichen Vorſchriften über das Gewerbsweſen in ganz
Europa. Nur hat dieſe Rechtsbildung wieder einen ſehr verſchiedenen
Charakter in den verſchiedenen Ländern.

In Frankreich entwickelt ſich dieſes Recht in einer ſtreng ſyſte-
matiſchen, die Gewerbsverhältniſſe für ſeinen Zweck mit großer Um-
ſtändlichkeit claſſificirenden Weiſe; das Verfahren iſt ein treffliches, öffent-
liches und umſichtiges, allein die Entſcheidung bleibt ganz in der Hand
der amtlichen Ortsbehörde, des Maire. In England wartet man

Stein, die Verwaltungslehre. III. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0097" n="81"/>
Zwecke der &#x017F;ammelnden Vergleichung; dann die Charakteri&#x017F;irung der<lb/><hi rendition="#g">Bildung</hi> die&#x017F;es geltenden Ge&#x017F;undheitsrechts zum Zwecke der organi&#x017F;chen<lb/>
An&#x017F;chauung die&#x017F;es &#x017F;o wichtigen Rechtslebens in den ver&#x017F;chiedenen Staaten<lb/>
Europa&#x2019;s.</p><lb/>
                  <p>Was nun jene Kategorien und das daraus hervorgehende <hi rendition="#g">Sy&#x017F;tem</hi><lb/>
des öffentlichen Rechts der gewerblichen Ge&#x017F;undheitspolizei betrifft, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ind die&#x017F;elben wohl ziemlich einfach.</p><lb/>
                  <p>Die Gefährdung der Ge&#x017F;undheit bei dem gewerblichen Betriebe be-<lb/>
ruht <hi rendition="#g">zuer&#x017F;t</hi> offenbar auf der <hi rendition="#g">Anlage</hi>, und zwar &#x017F;owohl in Beziehung<lb/>
auf die Anwohner, als auf die Arbeiter &#x017F;elb&#x017F;t. Das allgemeine Rechts-<lb/>
princip i&#x017F;t dabei der Grund&#x017F;atz der <hi rendition="#g">öffentlichen Bewilligung</hi> der<lb/>
Anlage, mit dem für die&#x017F;e Bewilligung geltenden öffentlich-rechtlichen<lb/><hi rendition="#g">Verfahren</hi>.</p><lb/>
                  <p>Das zweite Element i&#x017F;t der <hi rendition="#g">Betrieb</hi> des Gewerbes &#x017F;elb&#x017F;t. Die&#x017F;er<lb/>
Betrieb &#x017F;cheidet &#x017F;ich in Beziehung auf &#x017F;ein Verhältniß zur Ge&#x017F;undheit<lb/>
in die Verhältni&#x017F;&#x017F;e des <hi rendition="#g">Stoffes</hi> und die der <hi rendition="#g">Arbeit</hi>. Das Rechts-<lb/>
princip dabei i&#x017F;t das der <hi rendition="#g">Beauf&#x017F;ichtigung</hi> und der be&#x017F;timmten, ent-<lb/>
weder durch die Natur des Stoffes oder der Arbeit hervorgerufenen<lb/>
polizeilichen Vor&#x017F;chriften zum Schutz der Ge&#x017F;undheit der Arbeiter.</p><lb/>
                  <p>Die Elemente der Ge&#x017F;chichte der allgemeinen Rechtsbildung für<lb/>
die&#x017F;e Verhältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ind folgende.</p><lb/>
                  <p>Die allgemeine Grundlage und Voraus&#x017F;etzung alles öffentlichen<lb/>
Ge&#x017F;undheitsrechts des Gewerbes i&#x017F;t die Aufhebung der Zünfte und<lb/>
Innungen und die er&#x017F;te Proklamirung der <hi rendition="#g">Gewerbefreiheit</hi> in Frank-<lb/>
reich, bei welcher zugleich der Grund&#x017F;atz ausge&#x017F;prochen ward, daß die<lb/>
Gewerbe, obwohl frei, die Verpflichtung haben &#x017F;ollen, <hi rendition="#aq">&#x201E;à observer les<lb/>
règles de police qui sont faites ou qui pourront être faites&#x201C;</hi> (Dekret<lb/>
vom 2.&#x2014;17. März 1791). Daran &#x017F;chließt &#x017F;ich das Dekret vom 15. Okto-<lb/>
ber 1810 an, über die <hi rendition="#aq">Etablissements insalubres ou incommodes,</hi><lb/>
welches als die Grundlage alles <hi rendition="#g">gewerblichen Conce&#x017F;&#x017F;ionsrechts</hi><lb/>
und der Gewerbefreiheit ange&#x017F;ehen werden muß. Von der franzö&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Revolution aus geht dann die Bewegung, welche die Gewerbefreiheit<lb/>
her&#x017F;tellt; von dem Dekret vom 15. Oktober 1810 die Ge&#x017F;ammtheit <hi rendition="#g">aller</hi><lb/>
ge&#x017F;undheitspolizeilichen Vor&#x017F;chriften über das Gewerbswe&#x017F;en in ganz<lb/>
Europa. Nur hat die&#x017F;e Rechtsbildung wieder einen &#x017F;ehr ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Charakter in den ver&#x017F;chiedenen Ländern.</p><lb/>
                  <p>In <hi rendition="#g">Frankreich</hi> entwickelt &#x017F;ich die&#x017F;es Recht in einer &#x017F;treng &#x017F;y&#x017F;te-<lb/>
mati&#x017F;chen, die Gewerbsverhältni&#x017F;&#x017F;e für &#x017F;einen Zweck mit großer Um-<lb/>
&#x017F;tändlichkeit cla&#x017F;&#x017F;ificirenden Wei&#x017F;e; das Verfahren i&#x017F;t ein treffliches, öffent-<lb/>
liches und um&#x017F;ichtiges, allein die Ent&#x017F;cheidung bleibt <hi rendition="#g">ganz</hi> in der Hand<lb/>
der amtlichen Ortsbehörde, des Maire. In <hi rendition="#g">England</hi> wartet man<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hi rendition="#aq">III.</hi> 6</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0097] Zwecke der ſammelnden Vergleichung; dann die Charakteriſirung der Bildung dieſes geltenden Geſundheitsrechts zum Zwecke der organiſchen Anſchauung dieſes ſo wichtigen Rechtslebens in den verſchiedenen Staaten Europa’s. Was nun jene Kategorien und das daraus hervorgehende Syſtem des öffentlichen Rechts der gewerblichen Geſundheitspolizei betrifft, ſo ſind dieſelben wohl ziemlich einfach. Die Gefährdung der Geſundheit bei dem gewerblichen Betriebe be- ruht zuerſt offenbar auf der Anlage, und zwar ſowohl in Beziehung auf die Anwohner, als auf die Arbeiter ſelbſt. Das allgemeine Rechts- princip iſt dabei der Grundſatz der öffentlichen Bewilligung der Anlage, mit dem für dieſe Bewilligung geltenden öffentlich-rechtlichen Verfahren. Das zweite Element iſt der Betrieb des Gewerbes ſelbſt. Dieſer Betrieb ſcheidet ſich in Beziehung auf ſein Verhältniß zur Geſundheit in die Verhältniſſe des Stoffes und die der Arbeit. Das Rechts- princip dabei iſt das der Beaufſichtigung und der beſtimmten, ent- weder durch die Natur des Stoffes oder der Arbeit hervorgerufenen polizeilichen Vorſchriften zum Schutz der Geſundheit der Arbeiter. Die Elemente der Geſchichte der allgemeinen Rechtsbildung für dieſe Verhältniſſe ſind folgende. Die allgemeine Grundlage und Vorausſetzung alles öffentlichen Geſundheitsrechts des Gewerbes iſt die Aufhebung der Zünfte und Innungen und die erſte Proklamirung der Gewerbefreiheit in Frank- reich, bei welcher zugleich der Grundſatz ausgeſprochen ward, daß die Gewerbe, obwohl frei, die Verpflichtung haben ſollen, „à observer les règles de police qui sont faites ou qui pourront être faites“ (Dekret vom 2.—17. März 1791). Daran ſchließt ſich das Dekret vom 15. Okto- ber 1810 an, über die Etablissements insalubres ou incommodes, welches als die Grundlage alles gewerblichen Conceſſionsrechts und der Gewerbefreiheit angeſehen werden muß. Von der franzöſiſchen Revolution aus geht dann die Bewegung, welche die Gewerbefreiheit herſtellt; von dem Dekret vom 15. Oktober 1810 die Geſammtheit aller geſundheitspolizeilichen Vorſchriften über das Gewerbsweſen in ganz Europa. Nur hat dieſe Rechtsbildung wieder einen ſehr verſchiedenen Charakter in den verſchiedenen Ländern. In Frankreich entwickelt ſich dieſes Recht in einer ſtreng ſyſte- matiſchen, die Gewerbsverhältniſſe für ſeinen Zweck mit großer Um- ſtändlichkeit claſſificirenden Weiſe; das Verfahren iſt ein treffliches, öffent- liches und umſichtiges, allein die Entſcheidung bleibt ganz in der Hand der amtlichen Ortsbehörde, des Maire. In England wartet man Stein, die Verwaltungslehre. III. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/97
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/97>, abgerufen am 21.11.2024.