Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

zum Grunde liegt, wie beim Verlassenschaftswesen der persönliche Tod.
Als Theil des Pflegschaftswesens tritt mit dem Concurs sofort die
Pflegschaft ein, deren Aufgaben aber eben nur die gänzliche Auflösung
der Wirthschaft durch die Theilung des Vermögens ist. Das Princip
dieser Thätigkeit ist ein doppeltes: Sicherung aller Berechtigungen und
Vertheilung des Vorhandenen. Es ist kein Zweifel, daß die erste Be-
dingung einer zugleich gerechten, billigen und schnellen Erfüllung dieser
Aufgabe durch das organische Zusammenwirken des Amts (Gerichts)
als Vertreter der Gesammtheit und eines Ausschusses der Gläubiger
als Vertreter der Einzelinteressen ist. Ein langsames, theures und
kostspieliges Concurswesen ist ein großes volkswirthschaftliches Unglück
für jedes Land.

Die Aufgabe des wirthschaftlichen Concurswesens besteht dem-
gemäß wie bei der Verlassenschaft zuerst in der Besitzübertragung der
Masse an die Verwaltung mit vormundschaftlicher Thätigkeit, und
dann in der Ueberlieferung an die gerichtlich als berechtigt aner-
kannten Personen. Die Concursordnungen enthalten dabei eben
nur die öffentlichen rechtlichen Bestimmungen für das Verfahren in
Uebernahme, Streit und Vertheilung. Für das Massenvormundschafts-
recht gilt dagegen der Grundsatz, der für alle Fälle maßgebend ist, daß
die wirthschaftlichen Bedingungen des Erwerbes und selbst der Erhaltung
des Vermögens denen der leichten und klaren Theilung unter-
geordnet sein müssen
; weßhalb der Verkauf meistens die Haupt-
aufgabe ist, da nur der Werth und nicht die Sache für die volle Theil-
barkeit empfänglich erscheint.

Das Concurswesen ist zweitens ein Theil des Creditrechts.
Auf dem Grundgedanken, daß die Zahlungsfähigkeit des Einen die Be-
dingung der Zahlungsfähigkeit des Andern wird, geht der weitere Ge-
danke hervor, daß die Benützung des Credits bei bewußter Zahlungs-
unfähigkeit eine wissentliche Gefährdung des allgemeinen wirthschaftlichen
Lebens wird; und das erzeugt wieder den Grundsatz einer Bestrafung
für den selbstverschuldeten Bankerott. Diese Bestrafung erscheint zuerst
in der rohen Form der Personalhaft, die indeß allmählig die Strafe
des betrügerischen, und endlich die des bloß selbstverschuldeten
Bankerottes als die allein richtigen Formen des Creditstrafrechtes er-
zeugt, an die sich selbst bei nichtverschuldetem Bankerott die Unfähigkeit
zur Theilnahme an der Verwaltung öffentlicher Vermögen im weitesten
Sinne anreiht -- Grundsätze, mit denen das Pflegschaftswesen schon
in die Volkswirthschaftpflege und ihre Rechtsordnungen hinüber reicht.


zum Grunde liegt, wie beim Verlaſſenſchaftsweſen der perſönliche Tod.
Als Theil des Pflegſchaftsweſens tritt mit dem Concurs ſofort die
Pflegſchaft ein, deren Aufgaben aber eben nur die gänzliche Auflöſung
der Wirthſchaft durch die Theilung des Vermögens iſt. Das Princip
dieſer Thätigkeit iſt ein doppeltes: Sicherung aller Berechtigungen und
Vertheilung des Vorhandenen. Es iſt kein Zweifel, daß die erſte Be-
dingung einer zugleich gerechten, billigen und ſchnellen Erfüllung dieſer
Aufgabe durch das organiſche Zuſammenwirken des Amts (Gerichts)
als Vertreter der Geſammtheit und eines Ausſchuſſes der Gläubiger
als Vertreter der Einzelintereſſen iſt. Ein langſames, theures und
koſtſpieliges Concursweſen iſt ein großes volkswirthſchaftliches Unglück
für jedes Land.

Die Aufgabe des wirthſchaftlichen Concursweſens beſteht dem-
gemäß wie bei der Verlaſſenſchaft zuerſt in der Beſitzübertragung der
Maſſe an die Verwaltung mit vormundſchaftlicher Thätigkeit, und
dann in der Ueberlieferung an die gerichtlich als berechtigt aner-
kannten Perſonen. Die Concursordnungen enthalten dabei eben
nur die öffentlichen rechtlichen Beſtimmungen für das Verfahren in
Uebernahme, Streit und Vertheilung. Für das Maſſenvormundſchafts-
recht gilt dagegen der Grundſatz, der für alle Fälle maßgebend iſt, daß
die wirthſchaftlichen Bedingungen des Erwerbes und ſelbſt der Erhaltung
des Vermögens denen der leichten und klaren Theilung unter-
geordnet ſein müſſen
; weßhalb der Verkauf meiſtens die Haupt-
aufgabe iſt, da nur der Werth und nicht die Sache für die volle Theil-
barkeit empfänglich erſcheint.

Das Concursweſen iſt zweitens ein Theil des Creditrechts.
Auf dem Grundgedanken, daß die Zahlungsfähigkeit des Einen die Be-
dingung der Zahlungsfähigkeit des Andern wird, geht der weitere Ge-
danke hervor, daß die Benützung des Credits bei bewußter Zahlungs-
unfähigkeit eine wiſſentliche Gefährdung des allgemeinen wirthſchaftlichen
Lebens wird; und das erzeugt wieder den Grundſatz einer Beſtrafung
für den ſelbſtverſchuldeten Bankerott. Dieſe Beſtrafung erſcheint zuerſt
in der rohen Form der Perſonalhaft, die indeß allmählig die Strafe
des betrügeriſchen, und endlich die des bloß ſelbſtverſchuldeten
Bankerottes als die allein richtigen Formen des Creditſtrafrechtes er-
zeugt, an die ſich ſelbſt bei nichtverſchuldetem Bankerott die Unfähigkeit
zur Theilnahme an der Verwaltung öffentlicher Vermögen im weiteſten
Sinne anreiht — Grundſätze, mit denen das Pflegſchaftsweſen ſchon
in die Volkswirthſchaftpflege und ihre Rechtsordnungen hinüber reicht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0220" n="198"/>
zum Grunde liegt, wie beim Verla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftswe&#x017F;en der per&#x017F;önliche Tod.<lb/>
Als Theil des Pfleg&#x017F;chaftswe&#x017F;ens tritt mit dem Concurs &#x017F;ofort die<lb/>
Pfleg&#x017F;chaft ein, deren Aufgaben aber eben nur die gänzliche <hi rendition="#g">Auflö&#x017F;ung</hi><lb/>
der Wirth&#x017F;chaft durch die <hi rendition="#g">Theilung</hi> des Vermögens i&#x017F;t. Das Princip<lb/>
die&#x017F;er Thätigkeit i&#x017F;t ein doppeltes: Sicherung aller Berechtigungen und<lb/>
Vertheilung des Vorhandenen. Es i&#x017F;t kein Zweifel, daß die er&#x017F;te Be-<lb/>
dingung einer zugleich gerechten, billigen und &#x017F;chnellen Erfüllung die&#x017F;er<lb/>
Aufgabe durch das organi&#x017F;che <hi rendition="#g">Zu&#x017F;ammenwirken</hi> des Amts (Gerichts)<lb/>
als Vertreter der Ge&#x017F;ammtheit und eines Aus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es der Gläubiger<lb/>
als Vertreter der Einzelintere&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t. Ein lang&#x017F;ames, theures und<lb/>
ko&#x017F;t&#x017F;pieliges Concurswe&#x017F;en i&#x017F;t ein großes volkswirth&#x017F;chaftliches Unglück<lb/>
für jedes Land.</p><lb/>
          <p>Die Aufgabe des wirth&#x017F;chaftlichen Concurswe&#x017F;ens be&#x017F;teht dem-<lb/>
gemäß wie bei der Verla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft zuer&#x017F;t in der Be&#x017F;itzübertragung der<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;e an die Verwaltung mit vormund&#x017F;chaftlicher Thätigkeit, und<lb/>
dann in der Ueberlieferung an die gerichtlich als berechtigt aner-<lb/>
kannten Per&#x017F;onen. Die <hi rendition="#g">Concursordnungen</hi> enthalten dabei eben<lb/>
nur die öffentlichen rechtlichen Be&#x017F;timmungen für das Verfahren in<lb/>
Uebernahme, Streit und Vertheilung. Für das Ma&#x017F;&#x017F;envormund&#x017F;chafts-<lb/>
recht gilt dagegen der Grund&#x017F;atz, der für alle Fälle maßgebend i&#x017F;t, daß<lb/>
die wirth&#x017F;chaftlichen Bedingungen des Erwerbes und &#x017F;elb&#x017F;t der Erhaltung<lb/>
des Vermögens denen der <hi rendition="#g">leichten und klaren Theilung unter-<lb/>
geordnet &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;en</hi>; weßhalb der Verkauf mei&#x017F;tens die Haupt-<lb/>
aufgabe i&#x017F;t, da nur der Werth und nicht die Sache für die volle Theil-<lb/>
barkeit empfänglich er&#x017F;cheint.</p><lb/>
          <p>Das Concurswe&#x017F;en i&#x017F;t <hi rendition="#g">zweitens</hi> ein Theil des <hi rendition="#g">Creditrechts</hi>.<lb/>
Auf dem Grundgedanken, daß die Zahlungsfähigkeit des Einen die Be-<lb/>
dingung der Zahlungsfähigkeit des Andern wird, geht der weitere Ge-<lb/>
danke hervor, daß die Benützung des Credits bei bewußter Zahlungs-<lb/>
unfähigkeit eine wi&#x017F;&#x017F;entliche Gefährdung des allgemeinen wirth&#x017F;chaftlichen<lb/>
Lebens wird; und das erzeugt wieder den Grund&#x017F;atz einer <hi rendition="#g">Be&#x017F;trafung</hi><lb/>
für den &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;chuldeten Bankerott. Die&#x017F;e Be&#x017F;trafung er&#x017F;cheint zuer&#x017F;t<lb/>
in der rohen Form der <hi rendition="#g">Per&#x017F;onalhaft</hi>, die indeß allmählig die Strafe<lb/>
des <hi rendition="#g">betrügeri&#x017F;chen</hi>, und endlich die des bloß <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;chuldeten</hi><lb/>
Bankerottes als die allein richtigen Formen des Credit&#x017F;trafrechtes er-<lb/>
zeugt, an die &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t bei nichtver&#x017F;chuldetem Bankerott die Unfähigkeit<lb/>
zur Theilnahme an der Verwaltung <hi rendition="#g">öffentlicher</hi> Vermögen im weite&#x017F;ten<lb/>
Sinne anreiht &#x2014; Grund&#x017F;ätze, mit denen das Pfleg&#x017F;chaftswe&#x017F;en &#x017F;chon<lb/>
in die Volkswirth&#x017F;chaftpflege und ihre Rechtsordnungen hinüber reicht.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
    <back>
</back>
  </text>
</TEI>
[198/0220] zum Grunde liegt, wie beim Verlaſſenſchaftsweſen der perſönliche Tod. Als Theil des Pflegſchaftsweſens tritt mit dem Concurs ſofort die Pflegſchaft ein, deren Aufgaben aber eben nur die gänzliche Auflöſung der Wirthſchaft durch die Theilung des Vermögens iſt. Das Princip dieſer Thätigkeit iſt ein doppeltes: Sicherung aller Berechtigungen und Vertheilung des Vorhandenen. Es iſt kein Zweifel, daß die erſte Be- dingung einer zugleich gerechten, billigen und ſchnellen Erfüllung dieſer Aufgabe durch das organiſche Zuſammenwirken des Amts (Gerichts) als Vertreter der Geſammtheit und eines Ausſchuſſes der Gläubiger als Vertreter der Einzelintereſſen iſt. Ein langſames, theures und koſtſpieliges Concursweſen iſt ein großes volkswirthſchaftliches Unglück für jedes Land. Die Aufgabe des wirthſchaftlichen Concursweſens beſteht dem- gemäß wie bei der Verlaſſenſchaft zuerſt in der Beſitzübertragung der Maſſe an die Verwaltung mit vormundſchaftlicher Thätigkeit, und dann in der Ueberlieferung an die gerichtlich als berechtigt aner- kannten Perſonen. Die Concursordnungen enthalten dabei eben nur die öffentlichen rechtlichen Beſtimmungen für das Verfahren in Uebernahme, Streit und Vertheilung. Für das Maſſenvormundſchafts- recht gilt dagegen der Grundſatz, der für alle Fälle maßgebend iſt, daß die wirthſchaftlichen Bedingungen des Erwerbes und ſelbſt der Erhaltung des Vermögens denen der leichten und klaren Theilung unter- geordnet ſein müſſen; weßhalb der Verkauf meiſtens die Haupt- aufgabe iſt, da nur der Werth und nicht die Sache für die volle Theil- barkeit empfänglich erſcheint. Das Concursweſen iſt zweitens ein Theil des Creditrechts. Auf dem Grundgedanken, daß die Zahlungsfähigkeit des Einen die Be- dingung der Zahlungsfähigkeit des Andern wird, geht der weitere Ge- danke hervor, daß die Benützung des Credits bei bewußter Zahlungs- unfähigkeit eine wiſſentliche Gefährdung des allgemeinen wirthſchaftlichen Lebens wird; und das erzeugt wieder den Grundſatz einer Beſtrafung für den ſelbſtverſchuldeten Bankerott. Dieſe Beſtrafung erſcheint zuerſt in der rohen Form der Perſonalhaft, die indeß allmählig die Strafe des betrügeriſchen, und endlich die des bloß ſelbſtverſchuldeten Bankerottes als die allein richtigen Formen des Creditſtrafrechtes er- zeugt, an die ſich ſelbſt bei nichtverſchuldetem Bankerott die Unfähigkeit zur Theilnahme an der Verwaltung öffentlicher Vermögen im weiteſten Sinne anreiht — Grundſätze, mit denen das Pflegſchaftsweſen ſchon in die Volkswirthſchaftpflege und ihre Rechtsordnungen hinüber reicht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/220
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/220>, abgerufen am 27.11.2024.