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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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trotzdem das Wesen des Strafrechts mißverstehen lassen, indem er die
peinliche und die polizeiliche Strafordnung als ihrer Natur nach
identisch
hinstellte, was wiederum erst durch die deutsche Wissenschaft
überwunden werden soll. Dabei war übrigens die praktische Folge die,
daß der Maire als Ortspolizei nunmehr in jener Bestimmung nur die
Maximalgränze seiner, auf dem Code Penal begründeten Strafan-
drohung fand, woher denn auch die ortspolizeilichen Verfügungen in
Frankreich durchaus nicht seltener, oft aber viel willkürlicher sind als
in Deutschland. Nur das ward festgehalten und mußte den deutschen
Zuständen gegenüber als ein großer Fortschritt gelten, daß das Ur-
theil
über diese Verwaltungsstrafen gerichtlich in der Police cor-
rectionnelle
ausgesprochen, und die Verbindung von Polizei und Ge-
richtsbarkeit darin beseitigt wird.

(Vergleiche die Organisation communale bei Laferriere, Droit
publ. T. I.
und bei Balbie Dr. administr. T. II. Das Hauptwerk
ist noch jetzt N. de Champagny, Traite de la police municipale,
ou de l'autorite des maires, de l'administration et du gouvernement
reglementaire
2. Bd. 1844. 47. Kurz bei Mohl, Literatur der Staats-
wissenschaft III. 263. 264. Eng zusammengestellt in Block, Dict. de
l'Adm. v. Organ. crim.
nebst Literatur. Edel, Vortrag über den
allgemeinen Theil des bayerischen Polizeistrafgesetzbuchs, Verhandl. der
Kammer der Abgeordneten II. S. 149 ff.)

An dieß französische System hat sich nun zunächst die belgische
Gesetzgebung angeschlossen. Belgien hat französische Principien in seinem
Recht, aber deutsche in seiner gesellschaftlichen Ordnung. Das erste
Element ist für das Strafrecht, das zweite für das Verfügungsrecht
entscheidend geworden. Das belgische Recht hat gleich anfangs das Ge-
setz von der Verordnung und ihrem Recht als "droit reglementaire"
oder "pouvoir reglementaire" sehr bestimmt geschieden, und daher auch
das peinliche Strafrecht dem verwaltungsrechtlichen scharf getrennt zur
Seite gestellt. In dem letztern ist aber die allgemeine Ordnungsstrafe
wieder von den einzelnen, im Code Penal enthaltenen Polizeistrafen ge-
schieden
, und zwar hier zum erstenmale mit klarem Bewußtsein ihrer
besonderen Stellung. Das betreffende Gesetz ist so klar, daß wir mit
seinen Worten alles erschöpft sehen. Das Gesetz vom 6. März 1818
sagt: Art. 1. "Les infractions aux reglements d'administration gene-
rale, a l'egard desquelles la loi ne determine pas des peines par-
ticulieres
, sont punies d'une amende de dix a cent florins ou
d'un emprisonnement d'un jour au moins ou de quatorze jours au
plus, meme cumulativement d'une amende et d'un emprisonnement."

Dabei wird jedoch wieder festgehalten, daß "keine Handlung bestraft werden

trotzdem das Weſen des Strafrechts mißverſtehen laſſen, indem er die
peinliche und die polizeiliche Strafordnung als ihrer Natur nach
identiſch
hinſtellte, was wiederum erſt durch die deutſche Wiſſenſchaft
überwunden werden ſoll. Dabei war übrigens die praktiſche Folge die,
daß der Maire als Ortspolizei nunmehr in jener Beſtimmung nur die
Maximalgränze ſeiner, auf dem Code Pénal begründeten Strafan-
drohung fand, woher denn auch die ortspolizeilichen Verfügungen in
Frankreich durchaus nicht ſeltener, oft aber viel willkürlicher ſind als
in Deutſchland. Nur das ward feſtgehalten und mußte den deutſchen
Zuſtänden gegenüber als ein großer Fortſchritt gelten, daß das Ur-
theil
über dieſe Verwaltungsſtrafen gerichtlich in der Police cor-
rectionnelle
ausgeſprochen, und die Verbindung von Polizei und Ge-
richtsbarkeit darin beſeitigt wird.

(Vergleiche die Organisation communale bei Laferrière, Droit
publ. T. I.
und bei Balbie Dr. administr. T. II. Das Hauptwerk
iſt noch jetzt N. de Champagny, Traité de la police municipale,
ou de l’autorité des maires, de l’administration et du gouvernement
réglementaire
2. Bd. 1844. 47. Kurz bei Mohl, Literatur der Staats-
wiſſenſchaft III. 263. 264. Eng zuſammengeſtellt in Block, Dict. de
l’Adm. v. Organ. crim.
nebſt Literatur. Edel, Vortrag über den
allgemeinen Theil des bayeriſchen Polizeiſtrafgeſetzbuchs, Verhandl. der
Kammer der Abgeordneten II. S. 149 ff.)

An dieß franzöſiſche Syſtem hat ſich nun zunächſt die belgiſche
Geſetzgebung angeſchloſſen. Belgien hat franzöſiſche Principien in ſeinem
Recht, aber deutſche in ſeiner geſellſchaftlichen Ordnung. Das erſte
Element iſt für das Strafrecht, das zweite für das Verfügungsrecht
entſcheidend geworden. Das belgiſche Recht hat gleich anfangs das Ge-
ſetz von der Verordnung und ihrem Recht als „droit réglementaire“
oder „pouvoir réglementaire“ ſehr beſtimmt geſchieden, und daher auch
das peinliche Strafrecht dem verwaltungsrechtlichen ſcharf getrennt zur
Seite geſtellt. In dem letztern iſt aber die allgemeine Ordnungsſtrafe
wieder von den einzelnen, im Code Pénal enthaltenen Polizeiſtrafen ge-
ſchieden
, und zwar hier zum erſtenmale mit klarem Bewußtſein ihrer
beſonderen Stellung. Das betreffende Geſetz iſt ſo klar, daß wir mit
ſeinen Worten alles erſchöpft ſehen. Das Geſetz vom 6. März 1818
ſagt: Art. 1. „Les infractions aux réglements d’administration géné-
rale, à l’égard desquelles la loi ne détermine pas des peines par-
ticulières
, sont punies d’une amende de dix à cent florins ou
d’un emprisonnement d’un jour au moins ou de quatorze jours au
plus, même cumulativement d’une amende et d’un emprisonnement.“

Dabei wird jedoch wieder feſtgehalten, daß „keine Handlung beſtraft werden

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[41/0063] trotzdem das Weſen des Strafrechts mißverſtehen laſſen, indem er die peinliche und die polizeiliche Strafordnung als ihrer Natur nach identiſch hinſtellte, was wiederum erſt durch die deutſche Wiſſenſchaft überwunden werden ſoll. Dabei war übrigens die praktiſche Folge die, daß der Maire als Ortspolizei nunmehr in jener Beſtimmung nur die Maximalgränze ſeiner, auf dem Code Pénal begründeten Strafan- drohung fand, woher denn auch die ortspolizeilichen Verfügungen in Frankreich durchaus nicht ſeltener, oft aber viel willkürlicher ſind als in Deutſchland. Nur das ward feſtgehalten und mußte den deutſchen Zuſtänden gegenüber als ein großer Fortſchritt gelten, daß das Ur- theil über dieſe Verwaltungsſtrafen gerichtlich in der Police cor- rectionnelle ausgeſprochen, und die Verbindung von Polizei und Ge- richtsbarkeit darin beſeitigt wird. (Vergleiche die Organisation communale bei Laferrière, Droit publ. T. I. und bei Balbie Dr. administr. T. II. Das Hauptwerk iſt noch jetzt N. de Champagny, Traité de la police municipale, ou de l’autorité des maires, de l’administration et du gouvernement réglementaire 2. Bd. 1844. 47. Kurz bei Mohl, Literatur der Staats- wiſſenſchaft III. 263. 264. Eng zuſammengeſtellt in Block, Dict. de l’Adm. v. Organ. crim. nebſt Literatur. Edel, Vortrag über den allgemeinen Theil des bayeriſchen Polizeiſtrafgeſetzbuchs, Verhandl. der Kammer der Abgeordneten II. S. 149 ff.) An dieß franzöſiſche Syſtem hat ſich nun zunächſt die belgiſche Geſetzgebung angeſchloſſen. Belgien hat franzöſiſche Principien in ſeinem Recht, aber deutſche in ſeiner geſellſchaftlichen Ordnung. Das erſte Element iſt für das Strafrecht, das zweite für das Verfügungsrecht entſcheidend geworden. Das belgiſche Recht hat gleich anfangs das Ge- ſetz von der Verordnung und ihrem Recht als „droit réglementaire“ oder „pouvoir réglementaire“ ſehr beſtimmt geſchieden, und daher auch das peinliche Strafrecht dem verwaltungsrechtlichen ſcharf getrennt zur Seite geſtellt. In dem letztern iſt aber die allgemeine Ordnungsſtrafe wieder von den einzelnen, im Code Pénal enthaltenen Polizeiſtrafen ge- ſchieden, und zwar hier zum erſtenmale mit klarem Bewußtſein ihrer beſonderen Stellung. Das betreffende Geſetz iſt ſo klar, daß wir mit ſeinen Worten alles erſchöpft ſehen. Das Geſetz vom 6. März 1818 ſagt: Art. 1. „Les infractions aux réglements d’administration géné- rale, à l’égard desquelles la loi ne détermine pas des peines par- ticulières, sont punies d’une amende de dix à cent florins ou d’un emprisonnement d’un jour au moins ou de quatorze jours au plus, même cumulativement d’une amende et d’un emprisonnement.“ Dabei wird jedoch wieder feſtgehalten, daß „keine Handlung beſtraft werden

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/63>, abgerufen am 25.11.2024.