Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.kirchlichen Organismus; am deutlichsten zeigen dieß die österreichischen Der geistige Aufschwung des Volksschulwesens mußte daher in dieser II. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gelangt die Das, was diese Richtung vorbereitet, fand nun einen festen Boden kirchlichen Organismus; am deutlichſten zeigen dieß die öſterreichiſchen Der geiſtige Aufſchwung des Volksſchulweſens mußte daher in dieſer II. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gelangt die Das, was dieſe Richtung vorbereitet, fand nun einen feſten Boden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0112" n="84"/> kirchlichen Organismus; am deutlichſten zeigen dieß die öſterreichiſchen<lb/> Schulordnungen und die preußiſchen aus der Mitte des vorigen Jahr-<lb/> hunderts.</p><lb/> <p>Der geiſtige Aufſchwung des Volksſchulweſens mußte daher in dieſer<lb/> Epoche von einer andern als der rechtlichen Seite kommen.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">II.</hi> In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gelangt die<lb/> ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft zum Bewußtſein ihres Princips, und damit<lb/> zur Erkenntniß der geiſtigen Bedingungen aller Entwicklung. Die Idee<lb/> der gleichen geiſtigen Berechtigung und Beſtimmung tritt auch in das<lb/> Bildungsweſen über. Hier erſcheint ſie negativ allerdings zuerſt in<lb/> dem Haß und Kampf gegen die auf ſtändiſchen Grundlagen ruhende<lb/> gelehrte Bildung; viel wichtiger aber iſt ihre poſitive Richtung. Die<lb/> letztere fordert zuerſt und zumeiſt, daß mit und durch den Erwerb der<lb/> Kenntniſſe zugleich der <hi rendition="#g">Charakter</hi>, die perſönliche geiſtige Selbſtändig-<lb/> keit und Selbſtthätigkeit ausgebildet werde. Dieſe Charakterbildung<lb/> erhebt ſich zur eigenen Wiſſenſchaft, und dieſe Wiſſenſchaft iſt die Pä-<lb/> dagogik. Für ſie iſt die Kenntniß nur ein Mittel zum Zweck, die<lb/> Bildung nur ein Moment der Erziehung. Die Aufgabe des Lehrers,<lb/> aber auch <hi rendition="#g">jedes</hi> Lehrers, alſo weſentlich auch des Volksſchullehrers,<lb/> iſt das Heranbilden des Individuums zu einem tüchtigen Manne. Er<lb/> ſelbſt muß daher zuerſt ein tüchtiger Mann ſein, und in ihm ſchätze<lb/> und ehre ich dann die lebendige Grundkraft der wahren <hi rendition="#g">Volkserzie-<lb/> hung</hi>, die alle Staatsbürger durch gleiche Bildung zu gleicher Stellung<lb/> erhebt. Das iſt das Element, welches die Pädagogik des vorigen Jahr-<lb/> hunderts in das Volksſchulweſen hinein bringt, und mit dem es daſſelbe<lb/> erhebt, veredelt, in ſeiner kläglichen Stellung zu muthiger Arbeit be-<lb/> geiſtert. In ihm lag der Keim der Befreiung von ſtändiſcher Beſchränkt-<lb/> heit; es konnte zwar das öffentliche Recht der Volksſchule noch nicht<lb/> ändern, aber es bereitete den Aufſchwung der nächſten Zeit vor, und<lb/> die Namen von Männern wie Peſtalozzi, Baſedow, Dinter und andern<lb/> werden in der Geſchichte des menſchlichen Geiſtes ewig ihren Platz<lb/> behalten.</p><lb/> <p>Das, was dieſe Richtung vorbereitet, fand nun einen feſten Boden<lb/> in der mit dem neunzehnten Jahrhundert ſich umgeſtaltenden öffent-<lb/> lichen Rechtsordnung. Dieſe forderte eine Vertretung des Volkes. Was<lb/> aber nützt die Vertretung, wenn der Vertretene und der Vertretende<lb/> kein <hi rendition="#g">gemeinſames</hi> ſtaatliches Bewußtſein haben? Wird ein Volk<lb/> frei durch die Formen der Freiheit? Will der Staat wirklich frei ſein,<lb/> ſo mache er zunächſt freie Männer aus ſeinen Staatsangehörigen. Und<lb/> welches iſt das Mittel dafür? Es iſt kein Zweifel — Bildung und Er-<lb/> ziehung müſſen den Bürger <hi rendition="#g">für den Staat</hi> erziehen; nicht bloß die<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0112]
kirchlichen Organismus; am deutlichſten zeigen dieß die öſterreichiſchen
Schulordnungen und die preußiſchen aus der Mitte des vorigen Jahr-
hunderts.
Der geiſtige Aufſchwung des Volksſchulweſens mußte daher in dieſer
Epoche von einer andern als der rechtlichen Seite kommen.
II. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gelangt die
ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft zum Bewußtſein ihres Princips, und damit
zur Erkenntniß der geiſtigen Bedingungen aller Entwicklung. Die Idee
der gleichen geiſtigen Berechtigung und Beſtimmung tritt auch in das
Bildungsweſen über. Hier erſcheint ſie negativ allerdings zuerſt in
dem Haß und Kampf gegen die auf ſtändiſchen Grundlagen ruhende
gelehrte Bildung; viel wichtiger aber iſt ihre poſitive Richtung. Die
letztere fordert zuerſt und zumeiſt, daß mit und durch den Erwerb der
Kenntniſſe zugleich der Charakter, die perſönliche geiſtige Selbſtändig-
keit und Selbſtthätigkeit ausgebildet werde. Dieſe Charakterbildung
erhebt ſich zur eigenen Wiſſenſchaft, und dieſe Wiſſenſchaft iſt die Pä-
dagogik. Für ſie iſt die Kenntniß nur ein Mittel zum Zweck, die
Bildung nur ein Moment der Erziehung. Die Aufgabe des Lehrers,
aber auch jedes Lehrers, alſo weſentlich auch des Volksſchullehrers,
iſt das Heranbilden des Individuums zu einem tüchtigen Manne. Er
ſelbſt muß daher zuerſt ein tüchtiger Mann ſein, und in ihm ſchätze
und ehre ich dann die lebendige Grundkraft der wahren Volkserzie-
hung, die alle Staatsbürger durch gleiche Bildung zu gleicher Stellung
erhebt. Das iſt das Element, welches die Pädagogik des vorigen Jahr-
hunderts in das Volksſchulweſen hinein bringt, und mit dem es daſſelbe
erhebt, veredelt, in ſeiner kläglichen Stellung zu muthiger Arbeit be-
geiſtert. In ihm lag der Keim der Befreiung von ſtändiſcher Beſchränkt-
heit; es konnte zwar das öffentliche Recht der Volksſchule noch nicht
ändern, aber es bereitete den Aufſchwung der nächſten Zeit vor, und
die Namen von Männern wie Peſtalozzi, Baſedow, Dinter und andern
werden in der Geſchichte des menſchlichen Geiſtes ewig ihren Platz
behalten.
Das, was dieſe Richtung vorbereitet, fand nun einen feſten Boden
in der mit dem neunzehnten Jahrhundert ſich umgeſtaltenden öffent-
lichen Rechtsordnung. Dieſe forderte eine Vertretung des Volkes. Was
aber nützt die Vertretung, wenn der Vertretene und der Vertretende
kein gemeinſames ſtaatliches Bewußtſein haben? Wird ein Volk
frei durch die Formen der Freiheit? Will der Staat wirklich frei ſein,
ſo mache er zunächſt freie Männer aus ſeinen Staatsangehörigen. Und
welches iſt das Mittel dafür? Es iſt kein Zweifel — Bildung und Er-
ziehung müſſen den Bürger für den Staat erziehen; nicht bloß die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |