Hochschulen. Hier herrscht noch das große historische Princip der ständischen Körperschaften und ihrer Abgeschlossenheit. Es sind noch ganz verschiedene Welten, die Volksschule, das Gymnasium und die Universität. Und geht man gar hinüber in die Arbeit der allgemeinen Bildung, namentlich in die der Presse, wie weit ist da die Erkenntniß entfernt, daß auch sie den gleichen Beruf mit allen andern habe und daß sie deßhalb mit jenen in innerer und äußerer Gemeinschaft, in gegenseitigem Heben und Tragen, wirken müßten.
Daß nun auch in dieser Richtung ein unendlicher Fortschritt geschehen, ist nicht zweifelhaft. Allein die Hauptsache bleibt zu thun. Es muß zu einem fundamentalen Princip des öffentlichen Lebens werden, daß alle Lehrer und alle Schriftsteller als Glieder Eines großen Organismus sich in Einer und derselben großen Ge- meinschaft fühlen und wissen. Die erste Bedingung für die Er- reichung dieses Zieles ist das wissenschaftliche System, das sie alle als Einheit auffaßt und in ihrem organischen Zusammenwirken darstellt. Und es ist fast wichtiger, daß überhaupt ein solches System aufgestellt werde, als daß es gerade ein unbedingt richtiges sei. Die Wahrheit dieses Satzes liegt in dem Obigen. So habe ich versucht, das System aufzustellen, mit so viel Mitteln und Arbeits- kraft, als mir zu Gebote standen. Und dabei gebe ich Eine Hoff- nung nicht auf.
Ein großer, nicht hoch genug anzuschlagender Theil der gei- stigen Arbeit Deutschlands liegt auf seinen Lehrstühlen. Sie lehren nicht bloß, sondern sie zwingen den Lehrer zu lernen; viel mehr sogar zu lernen, als er zu lehren vermag. Daher hat erst der- jenige Theil des menschlichen Wissens, der sich seinen Platz auf einem Lehrstuhle errungen, seine wahre Bedeutung gewonnen; denn der tägliche Vortrag ist die Quelle der ewigen Jugend des Geistes. Nun haben wir allerdings Lehrstühle der Pädagogik und Metho- dologie; allein wir haben gar keinen Lehrstuhl für das Bildungs- wesen. Die ganze Arbeit unserer Wissenschaft beruht auf dem, was geschehen soll für das geistige Leben; wie es geschehen soll, das hat die Wissenschaft bisher ganz der Praxis überlassen. Und doch ist jenes ohne dieses eine Seele ohne Körper; obwohl der Staat
Hochſchulen. Hier herrſcht noch das große hiſtoriſche Princip der ſtändiſchen Körperſchaften und ihrer Abgeſchloſſenheit. Es ſind noch ganz verſchiedene Welten, die Volksſchule, das Gymnaſium und die Univerſität. Und geht man gar hinüber in die Arbeit der allgemeinen Bildung, namentlich in die der Preſſe, wie weit iſt da die Erkenntniß entfernt, daß auch ſie den gleichen Beruf mit allen andern habe und daß ſie deßhalb mit jenen in innerer und äußerer Gemeinſchaft, in gegenſeitigem Heben und Tragen, wirken müßten.
Daß nun auch in dieſer Richtung ein unendlicher Fortſchritt geſchehen, iſt nicht zweifelhaft. Allein die Hauptſache bleibt zu thun. Es muß zu einem fundamentalen Princip des öffentlichen Lebens werden, daß alle Lehrer und alle Schriftſteller als Glieder Eines großen Organismus ſich in Einer und derſelben großen Ge- meinſchaft fühlen und wiſſen. Die erſte Bedingung für die Er- reichung dieſes Zieles iſt das wiſſenſchaftliche Syſtem, das ſie alle als Einheit auffaßt und in ihrem organiſchen Zuſammenwirken darſtellt. Und es iſt faſt wichtiger, daß überhaupt ein ſolches Syſtem aufgeſtellt werde, als daß es gerade ein unbedingt richtiges ſei. Die Wahrheit dieſes Satzes liegt in dem Obigen. So habe ich verſucht, das Syſtem aufzuſtellen, mit ſo viel Mitteln und Arbeits- kraft, als mir zu Gebote ſtanden. Und dabei gebe ich Eine Hoff- nung nicht auf.
Ein großer, nicht hoch genug anzuſchlagender Theil der gei- ſtigen Arbeit Deutſchlands liegt auf ſeinen Lehrſtühlen. Sie lehren nicht bloß, ſondern ſie zwingen den Lehrer zu lernen; viel mehr ſogar zu lernen, als er zu lehren vermag. Daher hat erſt der- jenige Theil des menſchlichen Wiſſens, der ſich ſeinen Platz auf einem Lehrſtuhle errungen, ſeine wahre Bedeutung gewonnen; denn der tägliche Vortrag iſt die Quelle der ewigen Jugend des Geiſtes. Nun haben wir allerdings Lehrſtühle der Pädagogik und Metho- dologie; allein wir haben gar keinen Lehrſtuhl für das Bildungs- weſen. Die ganze Arbeit unſerer Wiſſenſchaft beruht auf dem, was geſchehen ſoll für das geiſtige Leben; wie es geſchehen ſoll, das hat die Wiſſenſchaft bisher ganz der Praxis überlaſſen. Und doch iſt jenes ohne dieſes eine Seele ohne Körper; obwohl der Staat
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[VII/0013]
Hochſchulen. Hier herrſcht noch das große hiſtoriſche Princip der
ſtändiſchen Körperſchaften und ihrer Abgeſchloſſenheit. Es ſind noch
ganz verſchiedene Welten, die Volksſchule, das Gymnaſium und
die Univerſität. Und geht man gar hinüber in die Arbeit der
allgemeinen Bildung, namentlich in die der Preſſe, wie weit iſt da
die Erkenntniß entfernt, daß auch ſie den gleichen Beruf mit allen
andern habe und daß ſie deßhalb mit jenen in innerer und äußerer
Gemeinſchaft, in gegenſeitigem Heben und Tragen, wirken müßten.
Daß nun auch in dieſer Richtung ein unendlicher Fortſchritt
geſchehen, iſt nicht zweifelhaft. Allein die Hauptſache bleibt zu
thun. Es muß zu einem fundamentalen Princip des öffentlichen
Lebens werden, daß alle Lehrer und alle Schriftſteller als Glieder
Eines großen Organismus ſich in Einer und derſelben großen Ge-
meinſchaft fühlen und wiſſen. Die erſte Bedingung für die Er-
reichung dieſes Zieles iſt das wiſſenſchaftliche Syſtem, das ſie alle
als Einheit auffaßt und in ihrem organiſchen Zuſammenwirken
darſtellt. Und es iſt faſt wichtiger, daß überhaupt ein ſolches Syſtem
aufgeſtellt werde, als daß es gerade ein unbedingt richtiges ſei.
Die Wahrheit dieſes Satzes liegt in dem Obigen. So habe ich
verſucht, das Syſtem aufzuſtellen, mit ſo viel Mitteln und Arbeits-
kraft, als mir zu Gebote ſtanden. Und dabei gebe ich Eine Hoff-
nung nicht auf.
Ein großer, nicht hoch genug anzuſchlagender Theil der gei-
ſtigen Arbeit Deutſchlands liegt auf ſeinen Lehrſtühlen. Sie lehren
nicht bloß, ſondern ſie zwingen den Lehrer zu lernen; viel mehr
ſogar zu lernen, als er zu lehren vermag. Daher hat erſt der-
jenige Theil des menſchlichen Wiſſens, der ſich ſeinen Platz auf
einem Lehrſtuhle errungen, ſeine wahre Bedeutung gewonnen; denn
der tägliche Vortrag iſt die Quelle der ewigen Jugend des Geiſtes.
Nun haben wir allerdings Lehrſtühle der Pädagogik und Metho-
dologie; allein wir haben gar keinen Lehrſtuhl für das Bildungs-
weſen. Die ganze Arbeit unſerer Wiſſenſchaft beruht auf dem,
was geſchehen ſoll für das geiſtige Leben; wie es geſchehen ſoll,
das hat die Wiſſenſchaft bisher ganz der Praxis überlaſſen. Und
doch iſt jenes ohne dieſes eine Seele ohne Körper; obwohl der Staat
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/13>, abgerufen am 21.11.2024.
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