Interesse gefordert und sein Vorhandensein durch eine Prüfung con- statirt werden. So erscheinen zwei Grundformen aller Prüfungen und zwei leitende Principien ihres Rechts, diejenige, welche wir die Studien- prüfung, und diejenige, welche wir die Berufsprüfung nennen, und zwar mit dem Grundsatz, daß die Studienprüfung als Aufnahms- und Abgangsprüfung bei allen staatlichen Bildungsanstalten Rechtens sind, und daß die Berufsprüfungen bei allen öffentlichen Berufen ge- fordert werden müssen, in denen eine Verwaltungsfunktion von den Berufsgenossen vollzogen wird, während dieselben für jeden anderen Zweig des Berufes frei bleiben. Allein es leuchtet schon hier ein, daß das ganze Prüfungswesen so eng mit dem Charakter des gesammten Berufsbildungswesens zusammenhängt, daß wir es erst bei der Dar- stellung des letzteren in seiner historischen und organischen Stellung genauer darlegen können.
Auf diesen drei Punkten beruht nun das Rechtssystem des öffent- lichen Berufsbildungswesens an sich. Und jetzt dürfen wir versuchen, dasjenige zu entwickeln, was wir den positiven Charakter desselben in den einzelnen Staaten nennen können.
III. Charakter des öffentlichen Rechts der Berufsbildung bei den großen Kulturvölkern.
1) Charakter dieses Bildungswesens nach dem Standpunkte Eng- lands, Frankreichs und Deutschlands.
Das was wir nun den positiv rechtlichen Charakter des Bildungs- wesens nennen, entsteht nun, indem die Staatsverwaltung nach den obigen Gesichtspunkten für jenes durch die Natur des Berufs gegebene Bildungswesen ein positiv geltendes Recht aufstellt. Jedes solches Recht enthält naturgemäß eine bestimmte Beschränkung der an sich freien Bil- dung für den individuellen Lebensberuf. Der Charakter desselben be- zeichnet uns daher hier die Form und das Maß, in welchem die Staatsverwaltung der abstrakten Freiheit der Berufsbildung ihre öffent- lich rechtliche Gestalt gibt.
Es ist kein Zweifel, daß das, was wir als den positiv rechtlichen Charakter des letztern bezeichnen, wesentlich von der Stellung und von dem ganzen Geiste der Staatsverwaltung überhaupt abhängt. Das Berufsbildungsrecht begleitet daher die Geschichte der letztern; es be- deutet formell den Antheil und das Anrecht, den die Staatsgewalt für die geistige Bildung der Staatsbürger in Anspruch nimmt und zeigt seinem geistigen Inhalt nach den Ausdruck für die Höhe der Auffassung des Berufswesens überhaupt, wie sie in einem gegebenen Staate lebt,
Intereſſe gefordert und ſein Vorhandenſein durch eine Prüfung con- ſtatirt werden. So erſcheinen zwei Grundformen aller Prüfungen und zwei leitende Principien ihres Rechts, diejenige, welche wir die Studien- prüfung, und diejenige, welche wir die Berufsprüfung nennen, und zwar mit dem Grundſatz, daß die Studienprüfung als Aufnahms- und Abgangsprüfung bei allen ſtaatlichen Bildungsanſtalten Rechtens ſind, und daß die Berufsprüfungen bei allen öffentlichen Berufen ge- fordert werden müſſen, in denen eine Verwaltungsfunktion von den Berufsgenoſſen vollzogen wird, während dieſelben für jeden anderen Zweig des Berufes frei bleiben. Allein es leuchtet ſchon hier ein, daß das ganze Prüfungsweſen ſo eng mit dem Charakter des geſammten Berufsbildungsweſens zuſammenhängt, daß wir es erſt bei der Dar- ſtellung des letzteren in ſeiner hiſtoriſchen und organiſchen Stellung genauer darlegen können.
Auf dieſen drei Punkten beruht nun das Rechtsſyſtem des öffent- lichen Berufsbildungsweſens an ſich. Und jetzt dürfen wir verſuchen, dasjenige zu entwickeln, was wir den poſitiven Charakter deſſelben in den einzelnen Staaten nennen können.
III. Charakter des öffentlichen Rechts der Berufsbildung bei den großen Kulturvölkern.
1) Charakter dieſes Bildungsweſens nach dem Standpunkte Eng- lands, Frankreichs und Deutſchlands.
Das was wir nun den poſitiv rechtlichen Charakter des Bildungs- weſens nennen, entſteht nun, indem die Staatsverwaltung nach den obigen Geſichtspunkten für jenes durch die Natur des Berufs gegebene Bildungsweſen ein poſitiv geltendes Recht aufſtellt. Jedes ſolches Recht enthält naturgemäß eine beſtimmte Beſchränkung der an ſich freien Bil- dung für den individuellen Lebensberuf. Der Charakter deſſelben be- zeichnet uns daher hier die Form und das Maß, in welchem die Staatsverwaltung der abſtrakten Freiheit der Berufsbildung ihre öffent- lich rechtliche Geſtalt gibt.
Es iſt kein Zweifel, daß das, was wir als den poſitiv rechtlichen Charakter des letztern bezeichnen, weſentlich von der Stellung und von dem ganzen Geiſte der Staatsverwaltung überhaupt abhängt. Das Berufsbildungsrecht begleitet daher die Geſchichte der letztern; es be- deutet formell den Antheil und das Anrecht, den die Staatsgewalt für die geiſtige Bildung der Staatsbürger in Anſpruch nimmt und zeigt ſeinem geiſtigen Inhalt nach den Ausdruck für die Höhe der Auffaſſung des Berufsweſens überhaupt, wie ſie in einem gegebenen Staate lebt,
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Intereſſe gefordert und ſein Vorhandenſein durch eine Prüfung con-
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zwei leitende Principien ihres Rechts, diejenige, welche wir die Studien-
prüfung, und diejenige, welche wir die Berufsprüfung nennen,
und zwar mit dem Grundſatz, daß die Studienprüfung als Aufnahms-
und Abgangsprüfung bei allen ſtaatlichen Bildungsanſtalten Rechtens
ſind, und daß die Berufsprüfungen bei allen öffentlichen Berufen ge-
fordert werden müſſen, in denen eine Verwaltungsfunktion von den
Berufsgenoſſen vollzogen wird, während dieſelben für jeden anderen
Zweig des Berufes frei bleiben. Allein es leuchtet ſchon hier ein, daß
das ganze Prüfungsweſen ſo eng mit dem Charakter des geſammten
Berufsbildungsweſens zuſammenhängt, daß wir es erſt bei der Dar-
ſtellung des letzteren in ſeiner hiſtoriſchen und organiſchen Stellung
genauer darlegen können.
Auf dieſen drei Punkten beruht nun das Rechtsſyſtem des öffent-
lichen Berufsbildungsweſens an ſich. Und jetzt dürfen wir verſuchen,
dasjenige zu entwickeln, was wir den poſitiven Charakter deſſelben
in den einzelnen Staaten nennen können.
III. Charakter des öffentlichen Rechts der Berufsbildung bei den großen
Kulturvölkern.
1) Charakter dieſes Bildungsweſens nach dem Standpunkte Eng-
lands, Frankreichs und Deutſchlands.
Das was wir nun den poſitiv rechtlichen Charakter des Bildungs-
weſens nennen, entſteht nun, indem die Staatsverwaltung nach den
obigen Geſichtspunkten für jenes durch die Natur des Berufs gegebene
Bildungsweſen ein poſitiv geltendes Recht aufſtellt. Jedes ſolches Recht
enthält naturgemäß eine beſtimmte Beſchränkung der an ſich freien Bil-
dung für den individuellen Lebensberuf. Der Charakter deſſelben be-
zeichnet uns daher hier die Form und das Maß, in welchem die
Staatsverwaltung der abſtrakten Freiheit der Berufsbildung ihre öffent-
lich rechtliche Geſtalt gibt.
Es iſt kein Zweifel, daß das, was wir als den poſitiv rechtlichen
Charakter des letztern bezeichnen, weſentlich von der Stellung und von
dem ganzen Geiſte der Staatsverwaltung überhaupt abhängt. Das
Berufsbildungsrecht begleitet daher die Geſchichte der letztern; es be-
deutet formell den Antheil und das Anrecht, den die Staatsgewalt für
die geiſtige Bildung der Staatsbürger in Anſpruch nimmt und zeigt
ſeinem geiſtigen Inhalt nach den Ausdruck für die Höhe der Auffaſſung
des Berufsweſens überhaupt, wie ſie in einem gegebenen Staate lebt,
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/193>, abgerufen am 16.02.2025.
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