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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Ausdruck dieser Freiheit erscheint in zwei Dingen. Erstlich in dem
Recht des freien Eintritts und Austritts für jeden Einzelnen in jeder
Anstalt, und damit in jedem Zweig der Berufsbildung. Das ist das
negative Moment der freien Bewegung in der letzteren. Zweitens
aber muß die Verwaltung diese Freiheit auch positiv fördern, und das
geschieht dadurch, daß die Uebergänge von einem Beruf zum andern in
selbständigen Bildungsanstalten aufgestellt werden, welche die
Vor- und Fachbildung des einen Berufes mit der des andern in sich
verbinden. Es ist dann Sache des Rechts der Lehrordnung, nament-
lich die Vorbildung hier so zu ordnen, daß sie in dieser Beziehung
ihrer Aufgaben entspreche. Denn wo der Uebergang von einer Be-
rufsbildung zur andern formell unmöglich ist, wird dieselbe unfrei; wo
sie bloß auf individueller Willkür beruht, wird sie ungenügend. Im
Ganzen aber steht fest, daß die Organisation des freien Ueberganges
von einer Berufsbildung zur andern das zweite große Moment in dem
Charakter eines jeden Berufsbildungssystems abzugeben hat.

III. Das dritte Moment ist nun das öffentliche Recht der er-
worbenen Berufsbildung
. Dasselbe besteht in dem öffentlichen
Recht der Prüfungen und in dem der Geprüften, oder besser der
Zeugnisse. Es ist von hoher Wichtigkeit, dieß Moment ins Auge zu
fassen; um so mehr, als unseres Wissens bisher die Theorie trotz einer
sehr reichen Gesetzgebung sich mit der Sache überhaupt noch nicht be-
schäftigt hat.

Das Wesen alles Prüfungsrechts enthält nämlich zwei streng zu
unterscheidende Fragen, die ihrerseits nicht etwa didaktischer, sondern in
der That rein verwaltungsrechtlicher Natur sind. Die erste Frage ist
die, ob die Prüfung die Bedingung für die Theilnahme an der Be-
rufsbildung sein solle; die zweite ist die, ob dieselbe die rechtliche Voraus-
setzung für die wirkliche Ausübung des Berufes zu enthalten habe. Die
Entscheidung über diese Fragen bildet das Recht des Prüfungswesens.
An sich nun sind die Grundlagen des letztern wohl einfacher Natur.
Insofern nämlich das Berufsbildungswesen Gegenstand der Staatsver-
waltung ist, hat dieselbe unzweifelhaft das Recht, ein gewisses Maß
von Bildung als Bedingung für die Theilnahme an den Berufsbildungs-
anstalten aufzustellen; und wo die Didaktik zeigt, daß dieses Maß die
Voraussetzung für die besondere Wirksamkeit einer solchen Anstalt über-
haupt ist, hat die Verwaltung sogar die Pflicht, eine solche Prüfung
vorzuschreiben, deren Inhalt ihr dann von der höheren Methodologie
gesetzt wird. Insofern ferner ein Minimum der Berufsbildung die
Voraussetzung für die gesicherte Vollziehung einer, als öffentlich an-
erkannten Berufsfunktion ist, muß dieß Minimum im öffentlichen

Ausdruck dieſer Freiheit erſcheint in zwei Dingen. Erſtlich in dem
Recht des freien Eintritts und Austritts für jeden Einzelnen in jeder
Anſtalt, und damit in jedem Zweig der Berufsbildung. Das iſt das
negative Moment der freien Bewegung in der letzteren. Zweitens
aber muß die Verwaltung dieſe Freiheit auch poſitiv fördern, und das
geſchieht dadurch, daß die Uebergänge von einem Beruf zum andern in
ſelbſtändigen Bildungsanſtalten aufgeſtellt werden, welche die
Vor- und Fachbildung des einen Berufes mit der des andern in ſich
verbinden. Es iſt dann Sache des Rechts der Lehrordnung, nament-
lich die Vorbildung hier ſo zu ordnen, daß ſie in dieſer Beziehung
ihrer Aufgaben entſpreche. Denn wo der Uebergang von einer Be-
rufsbildung zur andern formell unmöglich iſt, wird dieſelbe unfrei; wo
ſie bloß auf individueller Willkür beruht, wird ſie ungenügend. Im
Ganzen aber ſteht feſt, daß die Organiſation des freien Ueberganges
von einer Berufsbildung zur andern das zweite große Moment in dem
Charakter eines jeden Berufsbildungsſyſtems abzugeben hat.

III. Das dritte Moment iſt nun das öffentliche Recht der er-
worbenen Berufsbildung
. Daſſelbe beſteht in dem öffentlichen
Recht der Prüfungen und in dem der Geprüften, oder beſſer der
Zeugniſſe. Es iſt von hoher Wichtigkeit, dieß Moment ins Auge zu
faſſen; um ſo mehr, als unſeres Wiſſens bisher die Theorie trotz einer
ſehr reichen Geſetzgebung ſich mit der Sache überhaupt noch nicht be-
ſchäftigt hat.

Das Weſen alles Prüfungsrechts enthält nämlich zwei ſtreng zu
unterſcheidende Fragen, die ihrerſeits nicht etwa didaktiſcher, ſondern in
der That rein verwaltungsrechtlicher Natur ſind. Die erſte Frage iſt
die, ob die Prüfung die Bedingung für die Theilnahme an der Be-
rufsbildung ſein ſolle; die zweite iſt die, ob dieſelbe die rechtliche Voraus-
ſetzung für die wirkliche Ausübung des Berufes zu enthalten habe. Die
Entſcheidung über dieſe Fragen bildet das Recht des Prüfungsweſens.
An ſich nun ſind die Grundlagen des letztern wohl einfacher Natur.
Inſofern nämlich das Berufsbildungsweſen Gegenſtand der Staatsver-
waltung iſt, hat dieſelbe unzweifelhaft das Recht, ein gewiſſes Maß
von Bildung als Bedingung für die Theilnahme an den Berufsbildungs-
anſtalten aufzuſtellen; und wo die Didaktik zeigt, daß dieſes Maß die
Vorausſetzung für die beſondere Wirkſamkeit einer ſolchen Anſtalt über-
haupt iſt, hat die Verwaltung ſogar die Pflicht, eine ſolche Prüfung
vorzuſchreiben, deren Inhalt ihr dann von der höheren Methodologie
geſetzt wird. Inſofern ferner ein Minimum der Berufsbildung die
Vorausſetzung für die geſicherte Vollziehung einer, als öffentlich an-
erkannten Berufsfunktion iſt, muß dieß Minimum im öffentlichen

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[164/0192] Ausdruck dieſer Freiheit erſcheint in zwei Dingen. Erſtlich in dem Recht des freien Eintritts und Austritts für jeden Einzelnen in jeder Anſtalt, und damit in jedem Zweig der Berufsbildung. Das iſt das negative Moment der freien Bewegung in der letzteren. Zweitens aber muß die Verwaltung dieſe Freiheit auch poſitiv fördern, und das geſchieht dadurch, daß die Uebergänge von einem Beruf zum andern in ſelbſtändigen Bildungsanſtalten aufgeſtellt werden, welche die Vor- und Fachbildung des einen Berufes mit der des andern in ſich verbinden. Es iſt dann Sache des Rechts der Lehrordnung, nament- lich die Vorbildung hier ſo zu ordnen, daß ſie in dieſer Beziehung ihrer Aufgaben entſpreche. Denn wo der Uebergang von einer Be- rufsbildung zur andern formell unmöglich iſt, wird dieſelbe unfrei; wo ſie bloß auf individueller Willkür beruht, wird ſie ungenügend. Im Ganzen aber ſteht feſt, daß die Organiſation des freien Ueberganges von einer Berufsbildung zur andern das zweite große Moment in dem Charakter eines jeden Berufsbildungsſyſtems abzugeben hat. III. Das dritte Moment iſt nun das öffentliche Recht der er- worbenen Berufsbildung. Daſſelbe beſteht in dem öffentlichen Recht der Prüfungen und in dem der Geprüften, oder beſſer der Zeugniſſe. Es iſt von hoher Wichtigkeit, dieß Moment ins Auge zu faſſen; um ſo mehr, als unſeres Wiſſens bisher die Theorie trotz einer ſehr reichen Geſetzgebung ſich mit der Sache überhaupt noch nicht be- ſchäftigt hat. Das Weſen alles Prüfungsrechts enthält nämlich zwei ſtreng zu unterſcheidende Fragen, die ihrerſeits nicht etwa didaktiſcher, ſondern in der That rein verwaltungsrechtlicher Natur ſind. Die erſte Frage iſt die, ob die Prüfung die Bedingung für die Theilnahme an der Be- rufsbildung ſein ſolle; die zweite iſt die, ob dieſelbe die rechtliche Voraus- ſetzung für die wirkliche Ausübung des Berufes zu enthalten habe. Die Entſcheidung über dieſe Fragen bildet das Recht des Prüfungsweſens. An ſich nun ſind die Grundlagen des letztern wohl einfacher Natur. Inſofern nämlich das Berufsbildungsweſen Gegenſtand der Staatsver- waltung iſt, hat dieſelbe unzweifelhaft das Recht, ein gewiſſes Maß von Bildung als Bedingung für die Theilnahme an den Berufsbildungs- anſtalten aufzuſtellen; und wo die Didaktik zeigt, daß dieſes Maß die Vorausſetzung für die beſondere Wirkſamkeit einer ſolchen Anſtalt über- haupt iſt, hat die Verwaltung ſogar die Pflicht, eine ſolche Prüfung vorzuſchreiben, deren Inhalt ihr dann von der höheren Methodologie geſetzt wird. Inſofern ferner ein Minimum der Berufsbildung die Vorausſetzung für die geſicherte Vollziehung einer, als öffentlich an- erkannten Berufsfunktion iſt, muß dieß Minimum im öffentlichen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/192>, abgerufen am 24.11.2024.