durchgreifende Ausnahme. Dieß System beruht zunächst auf dem Unter- schied der Vorprüfungen und der Fachprüfungen. Die Vor- prüfungen schließen sich an die Vorbildungsanstalten. Sie erscheinen für die gelehrte Bildung als das System der Prüfungen in allen Formen der gelehrten Schulen (Gymnasien, Lyceen, Athenäen s. unten); für die wirthschaftlichen Bildungen in dem Princip der Gesellenprüfung. der Freisprechung der Lehrburschen. Die Fachprüfungen entfalten sich dabei natürlich zu großer Mannigfaltigkeit. Jede Fakultät hat ihre Fachprüfung; sie behält den alten Namen und das alte Recht für die vollendete Fachprüfung in dem Doktorat bei, während der Laureatus und Magister mehr den Charakter einer Vorprüfung haben. Wir wissen noch zu wenig von den Einzelheiten dieses Systems der Prüfungen; im Großen und Ganzen aber ist es ein System geworden, und dieß System ist auf gleichmäßiger ständischer Grundlage selbst gleichartig. Auf allen Punkten aber behält es seinen ursprünglichen Charakter; es ist ein ständisches Prüfungswesen. Jede Körperschaft bestimmt, wor- über zu prüfen ist; jede Körperschaft ist selbst das ausschließlich zur Prüfung berechtigte Organ, und das öffentliche Recht der Prüfungen ist nach wie vor die Aufnahme in die betreffende Körperschaft selbst, und die Berufsausübung vermöge dieser Aufnahme.
Dieß ständische Prüfungswesen hat nun in der historischen Ent- wicklung in gewaltiger Weise gewirkt. Es hat namentlich im Anfange dem geistigen wie dem wirthschaftlichen Leben unendlich genützt. Es hat nicht bloß eine gewisse Tüchtigkeit und Kraft in die Berufsbildung aller Klassen hineingebracht, sondern es hat auch demselben einen mäch- tigen ethischen Halt gegeben in dem Bewußtsein, daß jeder bereits für die Sache an sich etwas geleistet haben müsse, ehe er für das Ganze etwas leistet. Es hat dadurch der persönlichen Bildung einen Werth und deren Tüchtigkeit eine Achtung verschafft, welche als eine der großen Bedingungen der geistigen Arbeit jener Epoche angesehen werden müssen. Aber es hatte nicht minder seine großen Gefahren.
Gerade jene Körperschaftlichkeit der Berufsprüfung nämlich und das Sonderinteresse, das sich an und aus der Souveränetät der ständi- schen Körper entwickelt, gibt allmählig den Organen der letzteren ver- möge der Berufsprüfung eine Gewalt, welche dem ewigen Element der wahren geistigen Jugend eines Volkes, der freien und muthigen Selbst- thätigkeit des Einzelnen, feindlich entgegentritt. Der Kern dieser Ge- walt besteht darin, daß die Prüfenden unverantwortlich sind für ihr Urtheil; der Kern der Gefahr darin, daß dieselben, welche ein Interesse an der Zulassung oder Abweisung der Geprüften zur Berufsausübung haben, auch die souveräne Entscheidung über die letztere besitzen. Das
durchgreifende Ausnahme. Dieß Syſtem beruht zunächſt auf dem Unter- ſchied der Vorprüfungen und der Fachprüfungen. Die Vor- prüfungen ſchließen ſich an die Vorbildungsanſtalten. Sie erſcheinen für die gelehrte Bildung als das Syſtem der Prüfungen in allen Formen der gelehrten Schulen (Gymnaſien, Lyceen, Athenäen ſ. unten); für die wirthſchaftlichen Bildungen in dem Princip der Geſellenprüfung. der Freiſprechung der Lehrburſchen. Die Fachprüfungen entfalten ſich dabei natürlich zu großer Mannigfaltigkeit. Jede Fakultät hat ihre Fachprüfung; ſie behält den alten Namen und das alte Recht für die vollendete Fachprüfung in dem Doktorat bei, während der Laureatus und Magiſter mehr den Charakter einer Vorprüfung haben. Wir wiſſen noch zu wenig von den Einzelheiten dieſes Syſtems der Prüfungen; im Großen und Ganzen aber iſt es ein Syſtem geworden, und dieß Syſtem iſt auf gleichmäßiger ſtändiſcher Grundlage ſelbſt gleichartig. Auf allen Punkten aber behält es ſeinen urſprünglichen Charakter; es iſt ein ſtändiſches Prüfungsweſen. Jede Körperſchaft beſtimmt, wor- über zu prüfen iſt; jede Körperſchaft iſt ſelbſt das ausſchließlich zur Prüfung berechtigte Organ, und das öffentliche Recht der Prüfungen iſt nach wie vor die Aufnahme in die betreffende Körperſchaft ſelbſt, und die Berufsausübung vermöge dieſer Aufnahme.
Dieß ſtändiſche Prüfungsweſen hat nun in der hiſtoriſchen Ent- wicklung in gewaltiger Weiſe gewirkt. Es hat namentlich im Anfange dem geiſtigen wie dem wirthſchaftlichen Leben unendlich genützt. Es hat nicht bloß eine gewiſſe Tüchtigkeit und Kraft in die Berufsbildung aller Klaſſen hineingebracht, ſondern es hat auch demſelben einen mäch- tigen ethiſchen Halt gegeben in dem Bewußtſein, daß jeder bereits für die Sache an ſich etwas geleiſtet haben müſſe, ehe er für das Ganze etwas leiſtet. Es hat dadurch der perſönlichen Bildung einen Werth und deren Tüchtigkeit eine Achtung verſchafft, welche als eine der großen Bedingungen der geiſtigen Arbeit jener Epoche angeſehen werden müſſen. Aber es hatte nicht minder ſeine großen Gefahren.
Gerade jene Körperſchaftlichkeit der Berufsprüfung nämlich und das Sonderintereſſe, das ſich an und aus der Souveränetät der ſtändi- ſchen Körper entwickelt, gibt allmählig den Organen der letzteren ver- möge der Berufsprüfung eine Gewalt, welche dem ewigen Element der wahren geiſtigen Jugend eines Volkes, der freien und muthigen Selbſt- thätigkeit des Einzelnen, feindlich entgegentritt. Der Kern dieſer Ge- walt beſteht darin, daß die Prüfenden unverantwortlich ſind für ihr Urtheil; der Kern der Gefahr darin, daß dieſelben, welche ein Intereſſe an der Zulaſſung oder Abweiſung der Geprüften zur Berufsausübung haben, auch die ſouveräne Entſcheidung über die letztere beſitzen. Das
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durchgreifende Ausnahme. Dieß Syſtem beruht zunächſt auf dem Unter-
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prüfungen ſchließen ſich an die Vorbildungsanſtalten. Sie erſcheinen für
die gelehrte Bildung als das Syſtem der Prüfungen in allen Formen
der gelehrten Schulen (Gymnaſien, Lyceen, Athenäen ſ. unten); für
die wirthſchaftlichen Bildungen in dem Princip der Geſellenprüfung.
der Freiſprechung der Lehrburſchen. Die Fachprüfungen entfalten
ſich dabei natürlich zu großer Mannigfaltigkeit. Jede Fakultät hat
ihre Fachprüfung; ſie behält den alten Namen und das alte Recht für
die vollendete Fachprüfung in dem Doktorat bei, während der Laureatus
und Magiſter mehr den Charakter einer Vorprüfung haben. Wir wiſſen
noch zu wenig von den Einzelheiten dieſes Syſtems der Prüfungen;
im Großen und Ganzen aber iſt es ein Syſtem geworden, und dieß
Syſtem iſt auf gleichmäßiger ſtändiſcher Grundlage ſelbſt gleichartig.
Auf allen Punkten aber behält es ſeinen urſprünglichen Charakter; es
iſt ein ſtändiſches Prüfungsweſen. Jede Körperſchaft beſtimmt, wor-
über zu prüfen iſt; jede Körperſchaft iſt ſelbſt das ausſchließlich zur
Prüfung berechtigte Organ, und das öffentliche Recht der Prüfungen iſt
nach wie vor die Aufnahme in die betreffende Körperſchaft ſelbſt, und
die Berufsausübung vermöge dieſer Aufnahme.
Dieß ſtändiſche Prüfungsweſen hat nun in der hiſtoriſchen Ent-
wicklung in gewaltiger Weiſe gewirkt. Es hat namentlich im Anfange
dem geiſtigen wie dem wirthſchaftlichen Leben unendlich genützt. Es
hat nicht bloß eine gewiſſe Tüchtigkeit und Kraft in die Berufsbildung
aller Klaſſen hineingebracht, ſondern es hat auch demſelben einen mäch-
tigen ethiſchen Halt gegeben in dem Bewußtſein, daß jeder bereits für
die Sache an ſich etwas geleiſtet haben müſſe, ehe er für das Ganze
etwas leiſtet. Es hat dadurch der perſönlichen Bildung einen Werth
und deren Tüchtigkeit eine Achtung verſchafft, welche als eine der großen
Bedingungen der geiſtigen Arbeit jener Epoche angeſehen werden
müſſen. Aber es hatte nicht minder ſeine großen Gefahren.
Gerade jene Körperſchaftlichkeit der Berufsprüfung nämlich und
das Sonderintereſſe, das ſich an und aus der Souveränetät der ſtändi-
ſchen Körper entwickelt, gibt allmählig den Organen der letzteren ver-
möge der Berufsprüfung eine Gewalt, welche dem ewigen Element der
wahren geiſtigen Jugend eines Volkes, der freien und muthigen Selbſt-
thätigkeit des Einzelnen, feindlich entgegentritt. Der Kern dieſer Ge-
walt beſteht darin, daß die Prüfenden unverantwortlich ſind für ihr
Urtheil; der Kern der Gefahr darin, daß dieſelben, welche ein Intereſſe
an der Zulaſſung oder Abweiſung der Geprüften zur Berufsausübung
haben, auch die ſouveräne Entſcheidung über die letztere beſitzen. Das
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/202>, abgerufen am 16.02.2025.
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