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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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gesetzlichen Statuten und allmählig die gesetzlichen Lehrpläne und mit
dem achtzehnten Jahrhundert gibt es auf diese Weise ein öffentlich
rechtliches Gymnasialwesen.

Dieß ist nun der Begriff, auf dessen Grundlage es nicht mehr
schwierig ist, sich über die Entstehung und Bedeutung der "Gymnasial-
frage" einig zu werden.

Trotz jener Stellung nämlich als Vorbildungsanstalt für die Uni-
versität bleibt die hohe Schule und speciell auch das Gymnasium eine
allgemeine Bildungsanstalt. Für jede Bildung, die über die Volks-
bildung hinausgeht, gibt es noch keine andere Institution. Die hohe
Schule muß daher allein mit ihrer höchst strengen, scharf auf die gram-
matische Classicität begränzten Lehrordnung allen Anforderungen der
wachsenden Bildung genügen. Hier entsteht nun der erste Zweifel, ob
sie das vermag. Und dieser Zweifel ist ein wohlbegründeter.

Während nämlich einerseits die gelehrte Fachbildung sich immer
bestimmter entwickelt, schreitet nicht bloß im Allgemeinen die Wissen-
schaft vorwärts, sondern die mächtigen Elemente der staatsbürgerlichen
Gesellschaft beginnen fast gleichzeitig sich zu regen. Die freie Selbst-
thätigkeit des entstehenden Bürgerthums fordert allmählig auch für das-
jenige eine Bildung, was nicht gerade den wissenschaftlichen Fächern
angehört. Damit entsteht das Bedürfniß nach einer, nicht mehr an
die ausschließliche Classicität gebundenen Bildung und mit ihm das Ver-
ständniß derselben. Man will eine praktische Bildung; man beginnt
die rein classische zu bekämpfen; man kann nicht mehr bei der classischen
Vorbildung stehen bleiben; das gesammte alte, auf der strengen Classi-
cität ruhende und selbst gesetzlich anerkannte Bildungswesen wird er-
schüttert und die Frage entsteht, wie sich das in seiner Stellung abge-
schlossene, festgeordnete Gymnasialwesen zu diesen Anforderungen der
allgemeinen bürgerlichen Bildung zu verhalten habe. Diese Frage ist
die "Gymnasialfrage."

Diese Frage hat in der ganzen folgenden Zeit zwar denselben In-
halt, aber nicht dieselbe Form gehabt. Es ist von großer Bedeutung,
die verschiedenen Epochen derselben zu unterscheiden.

Die erste Gestalt der ganzen Frage besteht in der Aufstellung neuer
Methoden für die Vorbildung, aber noch innerhalb der bestehenden
gelehrten Schulen. Schon das sechzehnte Jahrhundert bringt die noch
sehr unklaren Anfänge derselben mit Ratich (1531--1635), Comenius
(1592--1623) und andern, die, wie das stets in solchen Fällen ge-
schieht, die richtige Gränze überschreiten und die Funktionen des bloßen
Verstandes ganz an die Stelle der theoretischen Erarbeitung des wissen-
schaftlichen Stoffes setzen. Allerdings wurden diese Bestrebungen von

geſetzlichen Statuten und allmählig die geſetzlichen Lehrpläne und mit
dem achtzehnten Jahrhundert gibt es auf dieſe Weiſe ein öffentlich
rechtliches Gymnaſialweſen.

Dieß iſt nun der Begriff, auf deſſen Grundlage es nicht mehr
ſchwierig iſt, ſich über die Entſtehung und Bedeutung der „Gymnaſial-
frage“ einig zu werden.

Trotz jener Stellung nämlich als Vorbildungsanſtalt für die Uni-
verſität bleibt die hohe Schule und ſpeciell auch das Gymnaſium eine
allgemeine Bildungsanſtalt. Für jede Bildung, die über die Volks-
bildung hinausgeht, gibt es noch keine andere Inſtitution. Die hohe
Schule muß daher allein mit ihrer höchſt ſtrengen, ſcharf auf die gram-
matiſche Claſſicität begränzten Lehrordnung allen Anforderungen der
wachſenden Bildung genügen. Hier entſteht nun der erſte Zweifel, ob
ſie das vermag. Und dieſer Zweifel iſt ein wohlbegründeter.

Während nämlich einerſeits die gelehrte Fachbildung ſich immer
beſtimmter entwickelt, ſchreitet nicht bloß im Allgemeinen die Wiſſen-
ſchaft vorwärts, ſondern die mächtigen Elemente der ſtaatsbürgerlichen
Geſellſchaft beginnen faſt gleichzeitig ſich zu regen. Die freie Selbſt-
thätigkeit des entſtehenden Bürgerthums fordert allmählig auch für das-
jenige eine Bildung, was nicht gerade den wiſſenſchaftlichen Fächern
angehört. Damit entſteht das Bedürfniß nach einer, nicht mehr an
die ausſchließliche Claſſicität gebundenen Bildung und mit ihm das Ver-
ſtändniß derſelben. Man will eine praktiſche Bildung; man beginnt
die rein claſſiſche zu bekämpfen; man kann nicht mehr bei der claſſiſchen
Vorbildung ſtehen bleiben; das geſammte alte, auf der ſtrengen Claſſi-
cität ruhende und ſelbſt geſetzlich anerkannte Bildungsweſen wird er-
ſchüttert und die Frage entſteht, wie ſich das in ſeiner Stellung abge-
ſchloſſene, feſtgeordnete Gymnaſialweſen zu dieſen Anforderungen der
allgemeinen bürgerlichen Bildung zu verhalten habe. Dieſe Frage iſt
die „Gymnaſialfrage.“

Dieſe Frage hat in der ganzen folgenden Zeit zwar denſelben In-
halt, aber nicht dieſelbe Form gehabt. Es iſt von großer Bedeutung,
die verſchiedenen Epochen derſelben zu unterſcheiden.

Die erſte Geſtalt der ganzen Frage beſteht in der Aufſtellung neuer
Methoden für die Vorbildung, aber noch innerhalb der beſtehenden
gelehrten Schulen. Schon das ſechzehnte Jahrhundert bringt die noch
ſehr unklaren Anfänge derſelben mit Ratich (1531—1635), Comenius
(1592—1623) und andern, die, wie das ſtets in ſolchen Fällen ge-
ſchieht, die richtige Gränze überſchreiten und die Funktionen des bloßen
Verſtandes ganz an die Stelle der theoretiſchen Erarbeitung des wiſſen-
ſchaftlichen Stoffes ſetzen. Allerdings wurden dieſe Beſtrebungen von

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[200/0228] geſetzlichen Statuten und allmählig die geſetzlichen Lehrpläne und mit dem achtzehnten Jahrhundert gibt es auf dieſe Weiſe ein öffentlich rechtliches Gymnaſialweſen. Dieß iſt nun der Begriff, auf deſſen Grundlage es nicht mehr ſchwierig iſt, ſich über die Entſtehung und Bedeutung der „Gymnaſial- frage“ einig zu werden. Trotz jener Stellung nämlich als Vorbildungsanſtalt für die Uni- verſität bleibt die hohe Schule und ſpeciell auch das Gymnaſium eine allgemeine Bildungsanſtalt. Für jede Bildung, die über die Volks- bildung hinausgeht, gibt es noch keine andere Inſtitution. Die hohe Schule muß daher allein mit ihrer höchſt ſtrengen, ſcharf auf die gram- matiſche Claſſicität begränzten Lehrordnung allen Anforderungen der wachſenden Bildung genügen. Hier entſteht nun der erſte Zweifel, ob ſie das vermag. Und dieſer Zweifel iſt ein wohlbegründeter. Während nämlich einerſeits die gelehrte Fachbildung ſich immer beſtimmter entwickelt, ſchreitet nicht bloß im Allgemeinen die Wiſſen- ſchaft vorwärts, ſondern die mächtigen Elemente der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft beginnen faſt gleichzeitig ſich zu regen. Die freie Selbſt- thätigkeit des entſtehenden Bürgerthums fordert allmählig auch für das- jenige eine Bildung, was nicht gerade den wiſſenſchaftlichen Fächern angehört. Damit entſteht das Bedürfniß nach einer, nicht mehr an die ausſchließliche Claſſicität gebundenen Bildung und mit ihm das Ver- ſtändniß derſelben. Man will eine praktiſche Bildung; man beginnt die rein claſſiſche zu bekämpfen; man kann nicht mehr bei der claſſiſchen Vorbildung ſtehen bleiben; das geſammte alte, auf der ſtrengen Claſſi- cität ruhende und ſelbſt geſetzlich anerkannte Bildungsweſen wird er- ſchüttert und die Frage entſteht, wie ſich das in ſeiner Stellung abge- ſchloſſene, feſtgeordnete Gymnaſialweſen zu dieſen Anforderungen der allgemeinen bürgerlichen Bildung zu verhalten habe. Dieſe Frage iſt die „Gymnaſialfrage.“ Dieſe Frage hat in der ganzen folgenden Zeit zwar denſelben In- halt, aber nicht dieſelbe Form gehabt. Es iſt von großer Bedeutung, die verſchiedenen Epochen derſelben zu unterſcheiden. Die erſte Geſtalt der ganzen Frage beſteht in der Aufſtellung neuer Methoden für die Vorbildung, aber noch innerhalb der beſtehenden gelehrten Schulen. Schon das ſechzehnte Jahrhundert bringt die noch ſehr unklaren Anfänge derſelben mit Ratich (1531—1635), Comenius (1592—1623) und andern, die, wie das ſtets in ſolchen Fällen ge- ſchieht, die richtige Gränze überſchreiten und die Funktionen des bloßen Verſtandes ganz an die Stelle der theoretiſchen Erarbeitung des wiſſen- ſchaftlichen Stoffes ſetzen. Allerdings wurden dieſe Beſtrebungen von

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/228>, abgerufen am 21.11.2024.