Arbeiten der Schulmänner bei weitem einflußreicher für das Gymnasial- wesen auch in rechtlicher Beziehung sind, als die juristischen. Und zwar zum Ruhme Deutschlands deßhalb, weil die deutschen Regierungen fast ausnahmslos das öffentliche Recht der Gymnasialordnungen nach den Ergebnissen der theoretischen Diskussionen gebildet haben. Es müßte daher nur gewünscht werden, daß die Gymnasialliteratur eben das, was aus ihrer Arbeit direkt oder indirekt hervorgegangen ist, das Recht der Anstalten mehr beachteten.
Freilich hat das wieder eine andere große Voraussetzung. Wir sagen, fast merkwürdiger Weise fehlt eine Geschichte der hohen Schulen und zwar in dem Sinne, daß das Verhältniß nicht eben bloß der Lehr- pläne, sondern namentlich der hohen Schulen zu dem öffentlichen Recht und der Verwaltung ohne Berücksichtigung bleibt. Eine solche Geschichte würde allerdings die Geschichte des öffentlichen Bewußtseins über Werth und Inhalt der höheren Bildung in ihrer juristischen, legislativen Form enthalten müssen; sie würde mit den tiefsten Beziehungen des geistigen Lebens zusammenhängen, und könnte gar nicht, weder bloß für Deutsch- land, noch auch bloß für die Gymnasien geschrieben werden. Sie müßte grundsätzlich einen Theil des öffentlichen Rechts der Volksbildung und gewiß die rechtliche Stellung der Universitäten zur Berufsbildung, namentlich auch die Geschichte des Prüfungswesens umfassen. Die Ele- mente dieser neuen Geschichte sind sehr gut bei Palmer a. a. O. ge- geben, jedoch ohne Rücksicht auf das öffentliche Recht; Pfaff im Staats- wörterbuch ist sehr kurz, aber mit richtigem Verständniß. Das ältere Recht entbehrt gänzlich der Bearbeitung. Dennoch hat schon Secken- dorf in seinem deutschen Fürstenstaat Th. II. §. 4 "die dritte Art der Schulen, nämlich ein Gymnasium oder Landesschule" in ihrer ganzen damaligen Stellung sehr gut bezeichnet (1660). Wir dürfen hier den betreffenden Passus aufführen, da er den Zustand des 17. Jahr- hunderts gut kennzeichnet. Seckendorf unterscheidet die "gemeinen Stadtschulen," in denen "die lateinische Sprache nur so weit mit Nutz getrieben wird, daß die Schüler nach Erforderniß der Sprachkunst oder Grammatik etwas füglich zusammen setzen und leichte Lateinische Schrifften verstehen und erklären lernen" von dem Gymnasium. In diesem werden "die ersten und leichtesten praecepta Rhetorica et Logica, auch wohl Physica und Mathematica, nichtsweniger auch ein kurzer Auszug der Welt- und Kirchengeschichte getrieben. Eine General-Superintendenz aber, oder andere deß Landesherrn Geist- und Weltliche Räthe führen nächst denselben in solchen Gymnasiis die oberste Inspektion, fordern zu dem Ende gewisse Instructiones, und liegt Ihnen ob, die Praecep- tores Gymnasii öfters zu visitiren und Erforschung zu haben, wie sie
Arbeiten der Schulmänner bei weitem einflußreicher für das Gymnaſial- weſen auch in rechtlicher Beziehung ſind, als die juriſtiſchen. Und zwar zum Ruhme Deutſchlands deßhalb, weil die deutſchen Regierungen faſt ausnahmslos das öffentliche Recht der Gymnaſialordnungen nach den Ergebniſſen der theoretiſchen Diskuſſionen gebildet haben. Es müßte daher nur gewünſcht werden, daß die Gymnaſialliteratur eben das, was aus ihrer Arbeit direkt oder indirekt hervorgegangen iſt, das Recht der Anſtalten mehr beachteten.
Freilich hat das wieder eine andere große Vorausſetzung. Wir ſagen, faſt merkwürdiger Weiſe fehlt eine Geſchichte der hohen Schulen und zwar in dem Sinne, daß das Verhältniß nicht eben bloß der Lehr- pläne, ſondern namentlich der hohen Schulen zu dem öffentlichen Recht und der Verwaltung ohne Berückſichtigung bleibt. Eine ſolche Geſchichte würde allerdings die Geſchichte des öffentlichen Bewußtſeins über Werth und Inhalt der höheren Bildung in ihrer juriſtiſchen, legislativen Form enthalten müſſen; ſie würde mit den tiefſten Beziehungen des geiſtigen Lebens zuſammenhängen, und könnte gar nicht, weder bloß für Deutſch- land, noch auch bloß für die Gymnaſien geſchrieben werden. Sie müßte grundſätzlich einen Theil des öffentlichen Rechts der Volksbildung und gewiß die rechtliche Stellung der Univerſitäten zur Berufsbildung, namentlich auch die Geſchichte des Prüfungsweſens umfaſſen. Die Ele- mente dieſer neuen Geſchichte ſind ſehr gut bei Palmer a. a. O. ge- geben, jedoch ohne Rückſicht auf das öffentliche Recht; Pfaff im Staats- wörterbuch iſt ſehr kurz, aber mit richtigem Verſtändniß. Das ältere Recht entbehrt gänzlich der Bearbeitung. Dennoch hat ſchon Secken- dorf in ſeinem deutſchen Fürſtenſtaat Th. II. §. 4 „die dritte Art der Schulen, nämlich ein Gymnaſium oder Landesſchule“ in ihrer ganzen damaligen Stellung ſehr gut bezeichnet (1660). Wir dürfen hier den betreffenden Paſſus aufführen, da er den Zuſtand des 17. Jahr- hunderts gut kennzeichnet. Seckendorf unterſcheidet die „gemeinen Stadtſchulen,“ in denen „die lateiniſche Sprache nur ſo weit mit Nutz getrieben wird, daß die Schüler nach Erforderniß der Sprachkunſt oder Grammatik etwas füglich zuſammen ſetzen und leichte Lateiniſche Schrifften verſtehen und erklären lernen“ von dem Gymnaſium. In dieſem werden „die erſten und leichteſten praecepta Rhetorica et Logica, auch wohl Physica und Mathematica, nichtsweniger auch ein kurzer Auszug der Welt- und Kirchengeſchichte getrieben. Eine General-Superintendenz aber, oder andere deß Landesherrn Geiſt- und Weltliche Räthe führen nächſt denſelben in ſolchen Gymnasiis die oberſte Inſpektion, fordern zu dem Ende gewiſſe Instructiones, und liegt Ihnen ob, die Praecep- tores Gymnasii öfters zu viſitiren und Erforſchung zu haben, wie ſie
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Arbeiten der Schulmänner bei weitem einflußreicher für das Gymnaſial-
weſen auch in rechtlicher Beziehung ſind, als die juriſtiſchen. Und zwar
zum Ruhme Deutſchlands deßhalb, weil die deutſchen Regierungen faſt
ausnahmslos das öffentliche Recht der Gymnaſialordnungen nach den
Ergebniſſen der theoretiſchen Diskuſſionen gebildet haben. Es müßte
daher nur gewünſcht werden, daß die Gymnaſialliteratur eben das,
was aus ihrer Arbeit direkt oder indirekt hervorgegangen iſt, das Recht
der Anſtalten mehr beachteten.
Freilich hat das wieder eine andere große Vorausſetzung. Wir
ſagen, faſt merkwürdiger Weiſe fehlt eine Geſchichte der hohen Schulen
und zwar in dem Sinne, daß das Verhältniß nicht eben bloß der Lehr-
pläne, ſondern namentlich der hohen Schulen zu dem öffentlichen Recht
und der Verwaltung ohne Berückſichtigung bleibt. Eine ſolche Geſchichte
würde allerdings die Geſchichte des öffentlichen Bewußtſeins über Werth
und Inhalt der höheren Bildung in ihrer juriſtiſchen, legislativen Form
enthalten müſſen; ſie würde mit den tiefſten Beziehungen des geiſtigen
Lebens zuſammenhängen, und könnte gar nicht, weder bloß für Deutſch-
land, noch auch bloß für die Gymnaſien geſchrieben werden. Sie müßte
grundſätzlich einen Theil des öffentlichen Rechts der Volksbildung und
gewiß die rechtliche Stellung der Univerſitäten zur Berufsbildung,
namentlich auch die Geſchichte des Prüfungsweſens umfaſſen. Die Ele-
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geben, jedoch ohne Rückſicht auf das öffentliche Recht; Pfaff im Staats-
wörterbuch iſt ſehr kurz, aber mit richtigem Verſtändniß. Das ältere
Recht entbehrt gänzlich der Bearbeitung. Dennoch hat ſchon Secken-
dorf in ſeinem deutſchen Fürſtenſtaat Th. II. §. 4 „die dritte
Art der Schulen, nämlich ein Gymnaſium oder Landesſchule“ in ihrer
ganzen damaligen Stellung ſehr gut bezeichnet (1660). Wir dürfen hier
den betreffenden Paſſus aufführen, da er den Zuſtand des 17. Jahr-
hunderts gut kennzeichnet. Seckendorf unterſcheidet die „gemeinen
Stadtſchulen,“ in denen „die lateiniſche Sprache nur ſo weit mit Nutz
getrieben wird, daß die Schüler nach Erforderniß der Sprachkunſt oder
Grammatik etwas füglich zuſammen ſetzen und leichte Lateiniſche Schrifften
verſtehen und erklären lernen“ von dem Gymnaſium. In dieſem werden
„die erſten und leichteſten praecepta Rhetorica et Logica, auch wohl
Physica und Mathematica, nichtsweniger auch ein kurzer Auszug der
Welt- und Kirchengeſchichte getrieben. Eine General-Superintendenz
aber, oder andere deß Landesherrn Geiſt- und Weltliche Räthe führen
nächſt denſelben in ſolchen Gymnasiis die oberſte Inſpektion, fordern
zu dem Ende gewiſſe Instructiones, und liegt Ihnen ob, die Praecep-
tores Gymnasii öfters zu viſitiren und Erforſchung zu haben, wie ſie
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/235>, abgerufen am 16.02.2025.
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