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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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kann das, was der Staat hier zu thun und bereits gethan hat, nur
von diesem höheren Standpunkt richtig überschaut werden, wie andrer-
seits ohne denselben eine Vergleichung mit den übrigen Völkern nicht
möglich, oder wenigstens nicht fruchtbar werden kann.

Das wirthschaftliche Berufsbildungssystem Deutschlands ist nun
jung und sein Verhältniß sowohl zur Elementar- als zur gelehrten Bil-
dung nicht auf allen Punkten klar. Es hat auch eine viel tiefer ein-
greifende Geschichte durchgemacht und eigentlich erst in unserem Jahr-
hundert sich seine rechte Stellung erworben. Auch diese ist zwar praktisch,
aber wie wir gestehen müssen, noch nicht ethisch formulirt. Bei aller
Anerkennung, die es im wirklichen Leben gefunden, fehlt ihm doch noch
immer jenes höhere Element in der öffentlichen Auffassung, welches ihm
seine rechte Würde gibt. Und das ist ein Mangel, weil es die innige Ver-
bindung der gesammten wirthschaftlichen Welt mit der geistigen hindert
und das Gefühl des Gegensatzes fortsetzt, aus dem die Scheidung der
wirthschaftlichen von der gelehrten Bildung und ein nicht heilsames, gegen-
seitiges Messen und Schätzen des gegenseitigen Werthes hervorgegangen ist.
Daher muß es die Aufgabe der Verwaltungslehre sein, nicht bloß das
formelle Verhältniß der letzteren zu der ersteren darzulegen, sondern auch
das ethische. Und wir verweisen diese Darlegung am besten gerade in
den Theil, der von Deutschland redet, weil hier jene Scheidung die bei
weitem vollständigste und weil hier zugleich die Empfänglichkeit für die
tiefere Auffassung der Einheit des so Geschiedenen bei weitem die größte ist.

Die Grundlage des ethischen Verständnisses der wirthschaftlichen
Berufsbildung ist ohne Zweifel die Erkenntniß, daß das Kapital und
der Erwerb nicht bloß volkswirthschaftliche, sondern zugleich geistige
Faktoren unseres Lebens sind. Der Besitz ist die materielle Grund-
lage der Freiheit
. Keine Auffassung, keine Form der letzteren, weder
die staatliche, noch die gesellschaftliche, kann sich ohne den Besitz ver-
wirklichen. Das Streben nach dem Besitz ist daher ein Streben nach
Unabhängigkeit; das Werden des Reichthums ist für die edleren Völker
das Werden der Freiheit des Einzelnen. Der Erwerb des Besitzes ist
daher eine im höchsten ethischen Sinne staatsbürgerliche Pflicht; die
Trägheit und die Unwirthschaftlichkeit sind im höchsten ethischen Sinne
Vergehen gegen die sittliche Ordnung, da sie die Freiheit des Indivi-
duums und mit ihr die des Ganzen untergraben. Die Ehre des Be-
sitzes ist nicht Achtung vor dem Reichthum, sondern Achtung vor den
materiellen Bedingungen der geistigen Entwicklung; die Macht desselben
ist eine unabweisbare, nicht weil sie ein materielles Element enthält,
sondern weil sie der elementare Faktor der geistigen Entwicklung dar-
bietet. Der naive Zustand, in welchem die Armuth als der Boden

kann das, was der Staat hier zu thun und bereits gethan hat, nur
von dieſem höheren Standpunkt richtig überſchaut werden, wie andrer-
ſeits ohne denſelben eine Vergleichung mit den übrigen Völkern nicht
möglich, oder wenigſtens nicht fruchtbar werden kann.

Das wirthſchaftliche Berufsbildungsſyſtem Deutſchlands iſt nun
jung und ſein Verhältniß ſowohl zur Elementar- als zur gelehrten Bil-
dung nicht auf allen Punkten klar. Es hat auch eine viel tiefer ein-
greifende Geſchichte durchgemacht und eigentlich erſt in unſerem Jahr-
hundert ſich ſeine rechte Stellung erworben. Auch dieſe iſt zwar praktiſch,
aber wie wir geſtehen müſſen, noch nicht ethiſch formulirt. Bei aller
Anerkennung, die es im wirklichen Leben gefunden, fehlt ihm doch noch
immer jenes höhere Element in der öffentlichen Auffaſſung, welches ihm
ſeine rechte Würde gibt. Und das iſt ein Mangel, weil es die innige Ver-
bindung der geſammten wirthſchaftlichen Welt mit der geiſtigen hindert
und das Gefühl des Gegenſatzes fortſetzt, aus dem die Scheidung der
wirthſchaftlichen von der gelehrten Bildung und ein nicht heilſames, gegen-
ſeitiges Meſſen und Schätzen des gegenſeitigen Werthes hervorgegangen iſt.
Daher muß es die Aufgabe der Verwaltungslehre ſein, nicht bloß das
formelle Verhältniß der letzteren zu der erſteren darzulegen, ſondern auch
das ethiſche. Und wir verweiſen dieſe Darlegung am beſten gerade in
den Theil, der von Deutſchland redet, weil hier jene Scheidung die bei
weitem vollſtändigſte und weil hier zugleich die Empfänglichkeit für die
tiefere Auffaſſung der Einheit des ſo Geſchiedenen bei weitem die größte iſt.

Die Grundlage des ethiſchen Verſtändniſſes der wirthſchaftlichen
Berufsbildung iſt ohne Zweifel die Erkenntniß, daß das Kapital und
der Erwerb nicht bloß volkswirthſchaftliche, ſondern zugleich geiſtige
Faktoren unſeres Lebens ſind. Der Beſitz iſt die materielle Grund-
lage der Freiheit
. Keine Auffaſſung, keine Form der letzteren, weder
die ſtaatliche, noch die geſellſchaftliche, kann ſich ohne den Beſitz ver-
wirklichen. Das Streben nach dem Beſitz iſt daher ein Streben nach
Unabhängigkeit; das Werden des Reichthums iſt für die edleren Völker
das Werden der Freiheit des Einzelnen. Der Erwerb des Beſitzes iſt
daher eine im höchſten ethiſchen Sinne ſtaatsbürgerliche Pflicht; die
Trägheit und die Unwirthſchaftlichkeit ſind im höchſten ethiſchen Sinne
Vergehen gegen die ſittliche Ordnung, da ſie die Freiheit des Indivi-
duums und mit ihr die des Ganzen untergraben. Die Ehre des Be-
ſitzes iſt nicht Achtung vor dem Reichthum, ſondern Achtung vor den
materiellen Bedingungen der geiſtigen Entwicklung; die Macht deſſelben
iſt eine unabweisbare, nicht weil ſie ein materielles Element enthält,
ſondern weil ſie der elementare Faktor der geiſtigen Entwicklung dar-
bietet. Der naive Zuſtand, in welchem die Armuth als der Boden

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[234/0262] kann das, was der Staat hier zu thun und bereits gethan hat, nur von dieſem höheren Standpunkt richtig überſchaut werden, wie andrer- ſeits ohne denſelben eine Vergleichung mit den übrigen Völkern nicht möglich, oder wenigſtens nicht fruchtbar werden kann. Das wirthſchaftliche Berufsbildungsſyſtem Deutſchlands iſt nun jung und ſein Verhältniß ſowohl zur Elementar- als zur gelehrten Bil- dung nicht auf allen Punkten klar. Es hat auch eine viel tiefer ein- greifende Geſchichte durchgemacht und eigentlich erſt in unſerem Jahr- hundert ſich ſeine rechte Stellung erworben. Auch dieſe iſt zwar praktiſch, aber wie wir geſtehen müſſen, noch nicht ethiſch formulirt. Bei aller Anerkennung, die es im wirklichen Leben gefunden, fehlt ihm doch noch immer jenes höhere Element in der öffentlichen Auffaſſung, welches ihm ſeine rechte Würde gibt. Und das iſt ein Mangel, weil es die innige Ver- bindung der geſammten wirthſchaftlichen Welt mit der geiſtigen hindert und das Gefühl des Gegenſatzes fortſetzt, aus dem die Scheidung der wirthſchaftlichen von der gelehrten Bildung und ein nicht heilſames, gegen- ſeitiges Meſſen und Schätzen des gegenſeitigen Werthes hervorgegangen iſt. Daher muß es die Aufgabe der Verwaltungslehre ſein, nicht bloß das formelle Verhältniß der letzteren zu der erſteren darzulegen, ſondern auch das ethiſche. Und wir verweiſen dieſe Darlegung am beſten gerade in den Theil, der von Deutſchland redet, weil hier jene Scheidung die bei weitem vollſtändigſte und weil hier zugleich die Empfänglichkeit für die tiefere Auffaſſung der Einheit des ſo Geſchiedenen bei weitem die größte iſt. Die Grundlage des ethiſchen Verſtändniſſes der wirthſchaftlichen Berufsbildung iſt ohne Zweifel die Erkenntniß, daß das Kapital und der Erwerb nicht bloß volkswirthſchaftliche, ſondern zugleich geiſtige Faktoren unſeres Lebens ſind. Der Beſitz iſt die materielle Grund- lage der Freiheit. Keine Auffaſſung, keine Form der letzteren, weder die ſtaatliche, noch die geſellſchaftliche, kann ſich ohne den Beſitz ver- wirklichen. Das Streben nach dem Beſitz iſt daher ein Streben nach Unabhängigkeit; das Werden des Reichthums iſt für die edleren Völker das Werden der Freiheit des Einzelnen. Der Erwerb des Beſitzes iſt daher eine im höchſten ethiſchen Sinne ſtaatsbürgerliche Pflicht; die Trägheit und die Unwirthſchaftlichkeit ſind im höchſten ethiſchen Sinne Vergehen gegen die ſittliche Ordnung, da ſie die Freiheit des Indivi- duums und mit ihr die des Ganzen untergraben. Die Ehre des Be- ſitzes iſt nicht Achtung vor dem Reichthum, ſondern Achtung vor den materiellen Bedingungen der geiſtigen Entwicklung; die Macht deſſelben iſt eine unabweisbare, nicht weil ſie ein materielles Element enthält, ſondern weil ſie der elementare Faktor der geiſtigen Entwicklung dar- bietet. Der naive Zuſtand, in welchem die Armuth als der Boden

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/262>, abgerufen am 22.11.2024.