in der römischen dagegen die "Rechtswissenschaft" und die Stellung und Aufgabe der Anwälte. Beide vertreten die Presse unserer Zeit. Beide erwecken die Ueberzeugung von dem hohen Werth der geistigen Bildung; damit das Streben nach ihr; damit das Institut von Schulen, Privatlehrern, selbst öffentlichen Vorträgen; damit ein Schriftstellerthum, in Griechenland ein wesentlich dichterisch-philosophisches, in Rom ein juristisches; und damit endlich die Ueberzeugung, daß das Bildungs- wesen Gegenstand einer eigenen Wissenschaft sein könne und müsse. So entsteht die Paideia, die Pädagogik. Allein sie bleibt eigentlich bei der ethischen Erziehung stehen, denn die geistige Erziehung bleibt in aller Geschlechterordnung doch nur Sache des Einzelnen; sie wird nie Sache des Staats; der Begriff des bestimmten Berufes und seiner Bildung, die Unterscheidung der Elementarlehre fehlt, und das ist der Grund, weßhalb sie in der germanischen Zeit anstatt eine Pädagogik zu werden, vielmehr nur die ethischen Motive der letzteren abgibt. Darauf beruht die Stellung der griechischen Philosophie zur germani- schen Pädagogik als Wissenschaft; jene hat gewiß unendlich segensreich gewirkt, aber nicht da, wo man es nur zu oft annimmt. Sie hat uns keine Bildungslehre, sondern sie hat uns die Erziehungslehre gegeben. Wir verdanken ihr viel; aber nicht alles. Für das, was wir brauchen, gibt sie nicht einmal eine Anleitung. Das dringendste Bedürfniß unserer Zeit war und ist eben die Bildungslehre, und diese hat sich aus eigener Kraft bilden müssen. Ihre historische Grundlage aber ist die folgende.
IV. Alles Wesen der germanischen Staatsbildung beruht auf der Selbständigkeit des Staats gegenüber der Gesellschaft; dieselbe aber er- scheint darin, daß in ihr die specifische Funktion des ersteren der ge- sellschaftlichen Ordnung in ihren Interessen entgegentritt, in allen Dingen und so auch im Bildungswesen. Die Geschichte des öffentlichen Bildungs- wesens besteht daher hier in dem Zusammenwirken beider Faktoren, die man in Natur und Einfluß sehr genau verfolgen kann. Der Charakter dieser beiden Elemente aber läßt sich durch die ganze Geschichte hin- durch wohl am besten in folgende Sätze zusammenfassen. Die gesell- schaftlichen Elemente der germanischen Welt erzeugen, vertreten und ordnen wesentlich alles dasjenige, was der Berufsbildung angehört; auf die Elementarbildung hat dagegen der Staat den größten Einfluß, und die allgemeine Bildung entwickelt sich von selbst aus dem, der germanischen Welt eigenthümlichen regen Leben der Geister. Allein diese Momente stehen im Bildungswesen so wenig bloß neben einander als im übrigen öffentlichen Leben; sie greifen vielmehr auf allen Punkten nicht nur ethisch, sondern auch rechtsbildend in einander, und das ist
in der römiſchen dagegen die „Rechtswiſſenſchaft“ und die Stellung und Aufgabe der Anwälte. Beide vertreten die Preſſe unſerer Zeit. Beide erwecken die Ueberzeugung von dem hohen Werth der geiſtigen Bildung; damit das Streben nach ihr; damit das Inſtitut von Schulen, Privatlehrern, ſelbſt öffentlichen Vorträgen; damit ein Schriftſtellerthum, in Griechenland ein weſentlich dichteriſch-philoſophiſches, in Rom ein juriſtiſches; und damit endlich die Ueberzeugung, daß das Bildungs- weſen Gegenſtand einer eigenen Wiſſenſchaft ſein könne und müſſe. So entſteht die Παιδεια, die Pädagogik. Allein ſie bleibt eigentlich bei der ethiſchen Erziehung ſtehen, denn die geiſtige Erziehung bleibt in aller Geſchlechterordnung doch nur Sache des Einzelnen; ſie wird nie Sache des Staats; der Begriff des beſtimmten Berufes und ſeiner Bildung, die Unterſcheidung der Elementarlehre fehlt, und das iſt der Grund, weßhalb ſie in der germaniſchen Zeit anſtatt eine Pädagogik zu werden, vielmehr nur die ethiſchen Motive der letzteren abgibt. Darauf beruht die Stellung der griechiſchen Philoſophie zur germani- ſchen Pädagogik als Wiſſenſchaft; jene hat gewiß unendlich ſegensreich gewirkt, aber nicht da, wo man es nur zu oft annimmt. Sie hat uns keine Bildungslehre, ſondern ſie hat uns die Erziehungslehre gegeben. Wir verdanken ihr viel; aber nicht alles. Für das, was wir brauchen, gibt ſie nicht einmal eine Anleitung. Das dringendſte Bedürfniß unſerer Zeit war und iſt eben die Bildungslehre, und dieſe hat ſich aus eigener Kraft bilden müſſen. Ihre hiſtoriſche Grundlage aber iſt die folgende.
IV. Alles Weſen der germaniſchen Staatsbildung beruht auf der Selbſtändigkeit des Staats gegenüber der Geſellſchaft; dieſelbe aber er- ſcheint darin, daß in ihr die ſpecifiſche Funktion des erſteren der ge- ſellſchaftlichen Ordnung in ihren Intereſſen entgegentritt, in allen Dingen und ſo auch im Bildungsweſen. Die Geſchichte des öffentlichen Bildungs- weſens beſteht daher hier in dem Zuſammenwirken beider Faktoren, die man in Natur und Einfluß ſehr genau verfolgen kann. Der Charakter dieſer beiden Elemente aber läßt ſich durch die ganze Geſchichte hin- durch wohl am beſten in folgende Sätze zuſammenfaſſen. Die geſell- ſchaftlichen Elemente der germaniſchen Welt erzeugen, vertreten und ordnen weſentlich alles dasjenige, was der Berufsbildung angehört; auf die Elementarbildung hat dagegen der Staat den größten Einfluß, und die allgemeine Bildung entwickelt ſich von ſelbſt aus dem, der germaniſchen Welt eigenthümlichen regen Leben der Geiſter. Allein dieſe Momente ſtehen im Bildungsweſen ſo wenig bloß neben einander als im übrigen öffentlichen Leben; ſie greifen vielmehr auf allen Punkten nicht nur ethiſch, ſondern auch rechtsbildend in einander, und das iſt
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[25/0053]
in der römiſchen dagegen die „Rechtswiſſenſchaft“ und die Stellung
und Aufgabe der Anwälte. Beide vertreten die Preſſe unſerer Zeit.
Beide erwecken die Ueberzeugung von dem hohen Werth der geiſtigen
Bildung; damit das Streben nach ihr; damit das Inſtitut von Schulen,
Privatlehrern, ſelbſt öffentlichen Vorträgen; damit ein Schriftſtellerthum,
in Griechenland ein weſentlich dichteriſch-philoſophiſches, in Rom ein
juriſtiſches; und damit endlich die Ueberzeugung, daß das Bildungs-
weſen Gegenſtand einer eigenen Wiſſenſchaft ſein könne und müſſe. So
entſteht die Παιδεια, die Pädagogik. Allein ſie bleibt eigentlich bei
der ethiſchen Erziehung ſtehen, denn die geiſtige Erziehung bleibt in
aller Geſchlechterordnung doch nur Sache des Einzelnen; ſie wird
nie Sache des Staats; der Begriff des beſtimmten Berufes und ſeiner
Bildung, die Unterſcheidung der Elementarlehre fehlt, und das iſt der
Grund, weßhalb ſie in der germaniſchen Zeit anſtatt eine Pädagogik
zu werden, vielmehr nur die ethiſchen Motive der letzteren abgibt.
Darauf beruht die Stellung der griechiſchen Philoſophie zur germani-
ſchen Pädagogik als Wiſſenſchaft; jene hat gewiß unendlich ſegensreich
gewirkt, aber nicht da, wo man es nur zu oft annimmt. Sie hat uns
keine Bildungslehre, ſondern ſie hat uns die Erziehungslehre gegeben.
Wir verdanken ihr viel; aber nicht alles. Für das, was wir brauchen,
gibt ſie nicht einmal eine Anleitung. Das dringendſte Bedürfniß unſerer
Zeit war und iſt eben die Bildungslehre, und dieſe hat ſich aus
eigener Kraft bilden müſſen. Ihre hiſtoriſche Grundlage aber iſt die
folgende.
IV. Alles Weſen der germaniſchen Staatsbildung beruht auf der
Selbſtändigkeit des Staats gegenüber der Geſellſchaft; dieſelbe aber er-
ſcheint darin, daß in ihr die ſpecifiſche Funktion des erſteren der ge-
ſellſchaftlichen Ordnung in ihren Intereſſen entgegentritt, in allen Dingen
und ſo auch im Bildungsweſen. Die Geſchichte des öffentlichen Bildungs-
weſens beſteht daher hier in dem Zuſammenwirken beider Faktoren, die
man in Natur und Einfluß ſehr genau verfolgen kann. Der Charakter
dieſer beiden Elemente aber läßt ſich durch die ganze Geſchichte hin-
durch wohl am beſten in folgende Sätze zuſammenfaſſen. Die geſell-
ſchaftlichen Elemente der germaniſchen Welt erzeugen, vertreten und
ordnen weſentlich alles dasjenige, was der Berufsbildung angehört;
auf die Elementarbildung hat dagegen der Staat den größten Einfluß,
und die allgemeine Bildung entwickelt ſich von ſelbſt aus dem, der
germaniſchen Welt eigenthümlichen regen Leben der Geiſter. Allein
dieſe Momente ſtehen im Bildungsweſen ſo wenig bloß neben einander
als im übrigen öffentlichen Leben; ſie greifen vielmehr auf allen Punkten
nicht nur ethiſch, ſondern auch rechtsbildend in einander, und das iſt
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/53>, abgerufen am 24.11.2024.
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