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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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kennt die germanische Schule. Das Wesen der "Schule" besteht nicht
etwa darin, daß in ihr die Elemente der Bildung gelehrt werden; schon
die germanischen Sprachen unterscheiden ganz bestimmt, ohne eine durch-
greifende Verschmelzung zuzulassen, den "Unterricht" und auch die "Er-
ziehung" von der "Schule." Die "Schule" ist vielmehr ein öffentliches
Institut für die Gesammtbildung; sie kennt ihrem Wesen nach keinen
Unterschied der Gesellschaft; sie bietet, was sie zu geben hat, für alle;
sie bedeutet die große Aufgabe der Menschheit, allen die gleichen Be-
dingungen der persönlichen geistigen Entwicklung zu geben; sie ist nicht
ein Privatinstitut, nicht eine zufällige Unternehmung, die man haben kann
und auch nicht haben kann, nicht eine Unterrichtsordnung, die je nach
subjektivem Ermessen bald da ist, bald nicht, bald dieß, bald jenes
bietet; sie ist vielmehr, so wie sie auftritt, ein organischer Theil des
Gesammtlebens, eine durch sich selbst geltende öffentliche Anstalt; sie
enthält eine allenthalben gleichartige, gleichsam sich durch sich selbst voll-
ziehende Funktion; sie ist die allenthalben geforderte, allenthalben thätige
Vorbildung aller für die höchst mögliche Bildung aller. Sie geht
daher zwar aus der ständischen Gesellschaft hervor, aber ihrem höheren
Wesen nach gehört sie ihr nicht. Sie ist das erste, zugleich bewußte
Auftreten des großen Princips der staatsbürgerlichen Gesellschaft;
sie ist das ewig wirkende Element der allgemeinen und geistigen Frei-
heit. Allein, wie gesagt, bei ihrem Ursprung sind diese Keime noch nicht
entwickelt. Sie ist ihrem innersten Princip nach eine staatsbürgerliche,
ihrer Entstehung nach eine ständische Anstalt der Kirche. Daher ist sie
noch keine Volksschule, sondern sie tritt vielmehr zuerst in inniger Ver-
bindung mit der ständischen Bildung, als Vorbildungsanstalt der ge-
lehrten Schule auf. Jede schola ist ursprünglich ein Gymnasium.
Erst das Entstehen des Bürgerthums greift entscheidend in diese Orga-
nisation hinein, scheidet die reine Elementarbildung von der Vorbildung
vor dem Berufe, und begründet die Bildungsordnung der folgenden
Epoche. Die ursprünglichen scholae sind deßhalb als Keime anzusehen,
in denen eigentlich das gesammte System der Bildung noch ungeschieden
enthalten ist, die Elementarschule, die Vorbildungsschule, und zugleich
die einzige Form des allgemeinen Bildungswesens. In diesem Sinne
ist die Geschichte der scholae noch zu schreiben. Erst mit dem Auf-
treten der folgenden Epoche ändert sich dieß, jene Elemente treten selb-
ständig hervor, und eine neue Ordnung beginnt.

VIII. Diese neue Epoche ist nun die, in welcher das zweite Ele-
ment der germanisch-ständischen Epoche, die staatliche Bildung, all-
mählig sich aus dem ständischen heraus scheidet und selbständig wird.
Denn in ihr, etwa mit dem sechzehnten Jahrhundert, scheidet sich die

kennt die germaniſche Schule. Das Weſen der „Schule“ beſteht nicht
etwa darin, daß in ihr die Elemente der Bildung gelehrt werden; ſchon
die germaniſchen Sprachen unterſcheiden ganz beſtimmt, ohne eine durch-
greifende Verſchmelzung zuzulaſſen, den „Unterricht“ und auch die „Er-
ziehung“ von der „Schule.“ Die „Schule“ iſt vielmehr ein öffentliches
Inſtitut für die Geſammtbildung; ſie kennt ihrem Weſen nach keinen
Unterſchied der Geſellſchaft; ſie bietet, was ſie zu geben hat, für alle;
ſie bedeutet die große Aufgabe der Menſchheit, allen die gleichen Be-
dingungen der perſönlichen geiſtigen Entwicklung zu geben; ſie iſt nicht
ein Privatinſtitut, nicht eine zufällige Unternehmung, die man haben kann
und auch nicht haben kann, nicht eine Unterrichtsordnung, die je nach
ſubjektivem Ermeſſen bald da iſt, bald nicht, bald dieß, bald jenes
bietet; ſie iſt vielmehr, ſo wie ſie auftritt, ein organiſcher Theil des
Geſammtlebens, eine durch ſich ſelbſt geltende öffentliche Anſtalt; ſie
enthält eine allenthalben gleichartige, gleichſam ſich durch ſich ſelbſt voll-
ziehende Funktion; ſie iſt die allenthalben geforderte, allenthalben thätige
Vorbildung aller für die höchſt mögliche Bildung aller. Sie geht
daher zwar aus der ſtändiſchen Geſellſchaft hervor, aber ihrem höheren
Weſen nach gehört ſie ihr nicht. Sie iſt das erſte, zugleich bewußte
Auftreten des großen Princips der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft;
ſie iſt das ewig wirkende Element der allgemeinen und geiſtigen Frei-
heit. Allein, wie geſagt, bei ihrem Urſprung ſind dieſe Keime noch nicht
entwickelt. Sie iſt ihrem innerſten Princip nach eine ſtaatsbürgerliche,
ihrer Entſtehung nach eine ſtändiſche Anſtalt der Kirche. Daher iſt ſie
noch keine Volksſchule, ſondern ſie tritt vielmehr zuerſt in inniger Ver-
bindung mit der ſtändiſchen Bildung, als Vorbildungsanſtalt der ge-
lehrten Schule auf. Jede schola iſt urſprünglich ein Gymnaſium.
Erſt das Entſtehen des Bürgerthums greift entſcheidend in dieſe Orga-
niſation hinein, ſcheidet die reine Elementarbildung von der Vorbildung
vor dem Berufe, und begründet die Bildungsordnung der folgenden
Epoche. Die urſprünglichen scholae ſind deßhalb als Keime anzuſehen,
in denen eigentlich das geſammte Syſtem der Bildung noch ungeſchieden
enthalten iſt, die Elementarſchule, die Vorbildungsſchule, und zugleich
die einzige Form des allgemeinen Bildungsweſens. In dieſem Sinne
iſt die Geſchichte der scholae noch zu ſchreiben. Erſt mit dem Auf-
treten der folgenden Epoche ändert ſich dieß, jene Elemente treten ſelb-
ſtändig hervor, und eine neue Ordnung beginnt.

VIII. Dieſe neue Epoche iſt nun die, in welcher das zweite Ele-
ment der germaniſch-ſtändiſchen Epoche, die ſtaatliche Bildung, all-
mählig ſich aus dem ſtändiſchen heraus ſcheidet und ſelbſtändig wird.
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[29/0057] kennt die germaniſche Schule. Das Weſen der „Schule“ beſteht nicht etwa darin, daß in ihr die Elemente der Bildung gelehrt werden; ſchon die germaniſchen Sprachen unterſcheiden ganz beſtimmt, ohne eine durch- greifende Verſchmelzung zuzulaſſen, den „Unterricht“ und auch die „Er- ziehung“ von der „Schule.“ Die „Schule“ iſt vielmehr ein öffentliches Inſtitut für die Geſammtbildung; ſie kennt ihrem Weſen nach keinen Unterſchied der Geſellſchaft; ſie bietet, was ſie zu geben hat, für alle; ſie bedeutet die große Aufgabe der Menſchheit, allen die gleichen Be- dingungen der perſönlichen geiſtigen Entwicklung zu geben; ſie iſt nicht ein Privatinſtitut, nicht eine zufällige Unternehmung, die man haben kann und auch nicht haben kann, nicht eine Unterrichtsordnung, die je nach ſubjektivem Ermeſſen bald da iſt, bald nicht, bald dieß, bald jenes bietet; ſie iſt vielmehr, ſo wie ſie auftritt, ein organiſcher Theil des Geſammtlebens, eine durch ſich ſelbſt geltende öffentliche Anſtalt; ſie enthält eine allenthalben gleichartige, gleichſam ſich durch ſich ſelbſt voll- ziehende Funktion; ſie iſt die allenthalben geforderte, allenthalben thätige Vorbildung aller für die höchſt mögliche Bildung aller. Sie geht daher zwar aus der ſtändiſchen Geſellſchaft hervor, aber ihrem höheren Weſen nach gehört ſie ihr nicht. Sie iſt das erſte, zugleich bewußte Auftreten des großen Princips der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft; ſie iſt das ewig wirkende Element der allgemeinen und geiſtigen Frei- heit. Allein, wie geſagt, bei ihrem Urſprung ſind dieſe Keime noch nicht entwickelt. Sie iſt ihrem innerſten Princip nach eine ſtaatsbürgerliche, ihrer Entſtehung nach eine ſtändiſche Anſtalt der Kirche. Daher iſt ſie noch keine Volksſchule, ſondern ſie tritt vielmehr zuerſt in inniger Ver- bindung mit der ſtändiſchen Bildung, als Vorbildungsanſtalt der ge- lehrten Schule auf. Jede schola iſt urſprünglich ein Gymnaſium. Erſt das Entſtehen des Bürgerthums greift entſcheidend in dieſe Orga- niſation hinein, ſcheidet die reine Elementarbildung von der Vorbildung vor dem Berufe, und begründet die Bildungsordnung der folgenden Epoche. Die urſprünglichen scholae ſind deßhalb als Keime anzuſehen, in denen eigentlich das geſammte Syſtem der Bildung noch ungeſchieden enthalten iſt, die Elementarſchule, die Vorbildungsſchule, und zugleich die einzige Form des allgemeinen Bildungsweſens. In dieſem Sinne iſt die Geſchichte der scholae noch zu ſchreiben. Erſt mit dem Auf- treten der folgenden Epoche ändert ſich dieß, jene Elemente treten ſelb- ſtändig hervor, und eine neue Ordnung beginnt. VIII. Dieſe neue Epoche iſt nun die, in welcher das zweite Ele- ment der germaniſch-ſtändiſchen Epoche, die ſtaatliche Bildung, all- mählig ſich aus dem ſtändiſchen heraus ſcheidet und ſelbſtändig wird. Denn in ihr, etwa mit dem ſechzehnten Jahrhundert, ſcheidet ſich die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/57>, abgerufen am 21.11.2024.