des Bildungswesens und seinem Recht. Während England zeigt, was der auf sich selbst angewiesene Einzelne, und Frankreich, was die fast selbstherrliche Regierungsgewalt vermag, zeigt uns Deutschlands Bildungs- wesen die bildende und erhebende Macht der Wissenschaft, und nirgends mehr, als gerade im Bildungswesen. Unsere wahre Gesetzgebung ist unsere pädagogische Literatur. Und daran wollen wir festhalten.
Was nun die übrigen Länder betrifft, so wird man folgendes sagen müssen. Die Gränzländer zwischen Frankreich und Deutschland, Belgien, Holland und Italien, haben die französischen Formen ange- nommen, zum Theil auch die französischen Namen, aber den deutschen Geist und vielfach auch das deutsche Princip der geistigen Selbstver- waltungskörper in Schule und Universität sich erhalten. Der Charakter derselben ist daher im Einzelnen oft schwierig zu bestimmen, im Ganzen aber leicht verständlich. In Holland und Belgien lebt und herrscht wesentlich die deutsche, in Italien jedoch so weit schon jetzt von einem Bildungswesen desselben die Rede sein kann, der französische Gedanke. Die Schweiz ist nach ihren einzelnen Kantonen sehr verschieden. Die Länder Skandinaviens dagegen stehen durchaus auf dem deutschen Standpunkt, während im Osten das junge Serbien sich nach deutschem Muster zu organisiren beginnt, Rußland aber noch im Anfang einer eigentlich festen Gestaltung steht, in der jedoch die deutsche Auffassung von Tage zu Tage, wenn auch unter anderem Namen, mehr Raum gewinnt.
So liegen im Großen und Ganzen diese Verhältnisse, und ehe wir nun zum besondern Theile übergehen, dürfen wir die hier bezeich- neten Allgemeinheiten wohl etwas näher für die einzelnen Staaten mit spezieller Rücksicht auf ihre positive Gesetzgebung charakterisiren.
England. Daß England, und warum es keine organische Ver- waltung und keine Gesetzgebung des Unterrichtswesens hat, welche alle Gebiete des letzteren gemeinsam umfaßte, ist bereits erwähnt. Die Betrachtung Englands hat deßhalb von jeher dahin geführt, statt einer Vergleichung des positiven Rechts vielmehr den gesammten Geist des englischen Lebens in den Vordergrund zu stellen; und das wird noch lange so bleiben müssen. Denn England hat bisher nur für die Elementarbildung eine selbst noch einseitige Gesetzgebung; das Fach- bildungswesen besteht nur in den ständischen Körpern der Universitäten und Collegien, neben welchen die freien Unterrichtsanstalten ganz
des Bildungsweſens und ſeinem Recht. Während England zeigt, was der auf ſich ſelbſt angewieſene Einzelne, und Frankreich, was die faſt ſelbſtherrliche Regierungsgewalt vermag, zeigt uns Deutſchlands Bildungs- weſen die bildende und erhebende Macht der Wiſſenſchaft, und nirgends mehr, als gerade im Bildungsweſen. Unſere wahre Geſetzgebung iſt unſere pädagogiſche Literatur. Und daran wollen wir feſthalten.
Was nun die übrigen Länder betrifft, ſo wird man folgendes ſagen müſſen. Die Gränzländer zwiſchen Frankreich und Deutſchland, Belgien, Holland und Italien, haben die franzöſiſchen Formen ange- nommen, zum Theil auch die franzöſiſchen Namen, aber den deutſchen Geiſt und vielfach auch das deutſche Princip der geiſtigen Selbſtver- waltungskörper in Schule und Univerſität ſich erhalten. Der Charakter derſelben iſt daher im Einzelnen oft ſchwierig zu beſtimmen, im Ganzen aber leicht verſtändlich. In Holland und Belgien lebt und herrſcht weſentlich die deutſche, in Italien jedoch ſo weit ſchon jetzt von einem Bildungsweſen deſſelben die Rede ſein kann, der franzöſiſche Gedanke. Die Schweiz iſt nach ihren einzelnen Kantonen ſehr verſchieden. Die Länder Skandinaviens dagegen ſtehen durchaus auf dem deutſchen Standpunkt, während im Oſten das junge Serbien ſich nach deutſchem Muſter zu organiſiren beginnt, Rußland aber noch im Anfang einer eigentlich feſten Geſtaltung ſteht, in der jedoch die deutſche Auffaſſung von Tage zu Tage, wenn auch unter anderem Namen, mehr Raum gewinnt.
So liegen im Großen und Ganzen dieſe Verhältniſſe, und ehe wir nun zum beſondern Theile übergehen, dürfen wir die hier bezeich- neten Allgemeinheiten wohl etwas näher für die einzelnen Staaten mit ſpezieller Rückſicht auf ihre poſitive Geſetzgebung charakteriſiren.
England. Daß England, und warum es keine organiſche Ver- waltung und keine Geſetzgebung des Unterrichtsweſens hat, welche alle Gebiete des letzteren gemeinſam umfaßte, iſt bereits erwähnt. Die Betrachtung Englands hat deßhalb von jeher dahin geführt, ſtatt einer Vergleichung des poſitiven Rechts vielmehr den geſammten Geiſt des engliſchen Lebens in den Vordergrund zu ſtellen; und das wird noch lange ſo bleiben müſſen. Denn England hat bisher nur für die Elementarbildung eine ſelbſt noch einſeitige Geſetzgebung; das Fach- bildungsweſen beſteht nur in den ſtändiſchen Körpern der Univerſitäten und Collegien, neben welchen die freien Unterrichtsanſtalten ganz
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des Bildungsweſens und ſeinem Recht. Während England zeigt, was
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ſelbſtherrliche Regierungsgewalt vermag, zeigt uns Deutſchlands Bildungs-
weſen die bildende und erhebende Macht der Wiſſenſchaft, und nirgends
mehr, als gerade im Bildungsweſen. Unſere wahre Geſetzgebung
iſt unſere pädagogiſche Literatur. Und daran wollen wir
feſthalten.
Was nun die übrigen Länder betrifft, ſo wird man folgendes
ſagen müſſen. Die Gränzländer zwiſchen Frankreich und Deutſchland,
Belgien, Holland und Italien, haben die franzöſiſchen Formen ange-
nommen, zum Theil auch die franzöſiſchen Namen, aber den deutſchen
Geiſt und vielfach auch das deutſche Princip der geiſtigen Selbſtver-
waltungskörper in Schule und Univerſität ſich erhalten. Der Charakter
derſelben iſt daher im Einzelnen oft ſchwierig zu beſtimmen, im Ganzen
aber leicht verſtändlich. In Holland und Belgien lebt und herrſcht
weſentlich die deutſche, in Italien jedoch ſo weit ſchon jetzt von einem
Bildungsweſen deſſelben die Rede ſein kann, der franzöſiſche Gedanke.
Die Schweiz iſt nach ihren einzelnen Kantonen ſehr verſchieden. Die
Länder Skandinaviens dagegen ſtehen durchaus auf dem deutſchen
Standpunkt, während im Oſten das junge Serbien ſich nach deutſchem
Muſter zu organiſiren beginnt, Rußland aber noch im Anfang einer
eigentlich feſten Geſtaltung ſteht, in der jedoch die deutſche Auffaſſung
von Tage zu Tage, wenn auch unter anderem Namen, mehr Raum
gewinnt.
So liegen im Großen und Ganzen dieſe Verhältniſſe, und ehe
wir nun zum beſondern Theile übergehen, dürfen wir die hier bezeich-
neten Allgemeinheiten wohl etwas näher für die einzelnen Staaten
mit ſpezieller Rückſicht auf ihre poſitive Geſetzgebung charakteriſiren.
England. Daß England, und warum es keine organiſche Ver-
waltung und keine Geſetzgebung des Unterrichtsweſens hat, welche alle
Gebiete des letzteren gemeinſam umfaßte, iſt bereits erwähnt. Die
Betrachtung Englands hat deßhalb von jeher dahin geführt, ſtatt einer
Vergleichung des poſitiven Rechts vielmehr den geſammten Geiſt des
engliſchen Lebens in den Vordergrund zu ſtellen; und das wird noch
lange ſo bleiben müſſen. Denn England hat bisher nur für die
Elementarbildung eine ſelbſt noch einſeitige Geſetzgebung; das Fach-
bildungsweſen beſteht nur in den ſtändiſchen Körpern der Univerſitäten
und Collegien, neben welchen die freien Unterrichtsanſtalten ganz
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/71>, abgerufen am 16.02.2025.
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