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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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auf freie Unterrichtsanstalten gewährleistet. Mit diesen Bestimmungen
tritt das Bildungswesen aus den Verfassungen heraus, denn der Art. 88
der Constitution von 1799 ist nur ein unvollständiger Nachklang des
Ganzen, und geht in die eigentliche Verwaltung über. Denn trotz
aller Reden und Verfassungen war in Wirklichkeit nichts für das
Unterrichtswesen geschehen. Der Gedanke aber, daß das Ganze eine
organische Staatsangelegenheit und damit eine große Einheit mit der
obigen Dreitheilung sein müsse, stand fest, und es war schon damals
klar, daß es nur des Eintretens einer tüchtigen Verwaltung bedürfe,
um jene abstrakten Principien der Revolution praktisch ins Leben zu
rufen.

Der Mann, dem auch dieß gelang, war Napoleon. Mit ihm be-
ginnt die zweite Epoche der Geschichte des Bildungswesens in Frank-
reich. Wir haben schon oft und immer mit Nachdruck darauf hin-
gewiesen, daß man in Napoleon neben dem Feldherrn vor allen auch
den Gründer der neuen Verwaltung in Frankreich erkennen muß. Das
gilt in hohem Grade auch vom französischen Bildungswesen. Napoleon
hat allerdings keinen einzigen neuen, ihm eigenthümlichen Gedanken
für dasselbe gefunden, wohl aber einen neuen Namen, und der Orga-
nisation, die er ins Leben rief, so sehr den Stempel seines autokratischen
Geistes aufgedrückt, daß auch jetzt noch Frankreich darunter leidet.
Ausgesprochen war nämlich, wie gesagt, das große Princip der Volks-
bildung als Pflicht der Verwaltung schon seit 1791; ausgesprochen war
die noch heute geltende Dreitheilung in instruction primaire, secon-
daire
und superieure seit 1791; es kam jetzt nur darauf an, die Sache
administrativ zu organisiren. Und hier mußte Napoleon wählen. Er
konnte der Selbstverwaltung, wie sie in Deutschland bestand, ihr
Recht namentlich in den Gemeinden für den Elementarunterricht, und
der geistigen Selbstverwaltung, wie die höheren Lehranstalten sie be-
sitzen, ihre Stellung geben. Er that es nicht. Ihm war das Bildungs-
wesen nichts als eine große administrative Aufgabe, und die bildende
Kraft eine große gouvernementale Maschine. Vortrefflich bezeichnet diese
Auffassung Morin (Block, Dict. de Polit. v. Instr.). "Napoleon
adorant la discipline, fut frappe de celle du clerge, et sa premiere
idee fut de constituer sous le nom de l'Universite une sorte de
clerge semi-laique et semi-religieux;"
und diese Gesammtheit von
halbweltlichen und halbgeistlichen Organen sollte nun als eine große
Einheit das ganze Unterrichtswesen Frankreichs übernehmen. Jener
große Lehrkörper ward auf diese Weise der corps enseignant, und
das Lehrwesen Frankreichs selbst nannte Napoleon die "Universite."
Die Universite besteht daher aus der in eine staatliche Verwaltung

Stein, die Verwaltungslehre. V. 4

auf freie Unterrichtsanſtalten gewährleiſtet. Mit dieſen Beſtimmungen
tritt das Bildungsweſen aus den Verfaſſungen heraus, denn der Art. 88
der Conſtitution von 1799 iſt nur ein unvollſtändiger Nachklang des
Ganzen, und geht in die eigentliche Verwaltung über. Denn trotz
aller Reden und Verfaſſungen war in Wirklichkeit nichts für das
Unterrichtsweſen geſchehen. Der Gedanke aber, daß das Ganze eine
organiſche Staatsangelegenheit und damit eine große Einheit mit der
obigen Dreitheilung ſein müſſe, ſtand feſt, und es war ſchon damals
klar, daß es nur des Eintretens einer tüchtigen Verwaltung bedürfe,
um jene abſtrakten Principien der Revolution praktiſch ins Leben zu
rufen.

Der Mann, dem auch dieß gelang, war Napoleon. Mit ihm be-
ginnt die zweite Epoche der Geſchichte des Bildungsweſens in Frank-
reich. Wir haben ſchon oft und immer mit Nachdruck darauf hin-
gewieſen, daß man in Napoleon neben dem Feldherrn vor allen auch
den Gründer der neuen Verwaltung in Frankreich erkennen muß. Das
gilt in hohem Grade auch vom franzöſiſchen Bildungsweſen. Napoleon
hat allerdings keinen einzigen neuen, ihm eigenthümlichen Gedanken
für daſſelbe gefunden, wohl aber einen neuen Namen, und der Orga-
niſation, die er ins Leben rief, ſo ſehr den Stempel ſeines autokratiſchen
Geiſtes aufgedrückt, daß auch jetzt noch Frankreich darunter leidet.
Ausgeſprochen war nämlich, wie geſagt, das große Princip der Volks-
bildung als Pflicht der Verwaltung ſchon ſeit 1791; ausgeſprochen war
die noch heute geltende Dreitheilung in instruction primaire, secon-
daire
und supérieure ſeit 1791; es kam jetzt nur darauf an, die Sache
adminiſtrativ zu organiſiren. Und hier mußte Napoleon wählen. Er
konnte der Selbſtverwaltung, wie ſie in Deutſchland beſtand, ihr
Recht namentlich in den Gemeinden für den Elementarunterricht, und
der geiſtigen Selbſtverwaltung, wie die höheren Lehranſtalten ſie be-
ſitzen, ihre Stellung geben. Er that es nicht. Ihm war das Bildungs-
weſen nichts als eine große adminiſtrative Aufgabe, und die bildende
Kraft eine große gouvernementale Maſchine. Vortrefflich bezeichnet dieſe
Auffaſſung Morin (Block, Dict. de Polit. v. Instr.). „Napoléon
adorant la discipline, fut frappé de celle du clergé, et sa première
idée fut de constituer sous le nom de l’Université une sorte de
clergé semi-laïque et semi-religieux;“
und dieſe Geſammtheit von
halbweltlichen und halbgeiſtlichen Organen ſollte nun als eine große
Einheit das ganze Unterrichtsweſen Frankreichs übernehmen. Jener
große Lehrkörper ward auf dieſe Weiſe der corps enseignant, und
das Lehrweſen Frankreichs ſelbſt nannte Napoleon die „Université.“
Die Université beſteht daher aus der in eine ſtaatliche Verwaltung

Stein, die Verwaltungslehre. V. 4
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[49/0077] auf freie Unterrichtsanſtalten gewährleiſtet. Mit dieſen Beſtimmungen tritt das Bildungsweſen aus den Verfaſſungen heraus, denn der Art. 88 der Conſtitution von 1799 iſt nur ein unvollſtändiger Nachklang des Ganzen, und geht in die eigentliche Verwaltung über. Denn trotz aller Reden und Verfaſſungen war in Wirklichkeit nichts für das Unterrichtsweſen geſchehen. Der Gedanke aber, daß das Ganze eine organiſche Staatsangelegenheit und damit eine große Einheit mit der obigen Dreitheilung ſein müſſe, ſtand feſt, und es war ſchon damals klar, daß es nur des Eintretens einer tüchtigen Verwaltung bedürfe, um jene abſtrakten Principien der Revolution praktiſch ins Leben zu rufen. Der Mann, dem auch dieß gelang, war Napoleon. Mit ihm be- ginnt die zweite Epoche der Geſchichte des Bildungsweſens in Frank- reich. Wir haben ſchon oft und immer mit Nachdruck darauf hin- gewieſen, daß man in Napoleon neben dem Feldherrn vor allen auch den Gründer der neuen Verwaltung in Frankreich erkennen muß. Das gilt in hohem Grade auch vom franzöſiſchen Bildungsweſen. Napoleon hat allerdings keinen einzigen neuen, ihm eigenthümlichen Gedanken für daſſelbe gefunden, wohl aber einen neuen Namen, und der Orga- niſation, die er ins Leben rief, ſo ſehr den Stempel ſeines autokratiſchen Geiſtes aufgedrückt, daß auch jetzt noch Frankreich darunter leidet. Ausgeſprochen war nämlich, wie geſagt, das große Princip der Volks- bildung als Pflicht der Verwaltung ſchon ſeit 1791; ausgeſprochen war die noch heute geltende Dreitheilung in instruction primaire, secon- daire und supérieure ſeit 1791; es kam jetzt nur darauf an, die Sache adminiſtrativ zu organiſiren. Und hier mußte Napoleon wählen. Er konnte der Selbſtverwaltung, wie ſie in Deutſchland beſtand, ihr Recht namentlich in den Gemeinden für den Elementarunterricht, und der geiſtigen Selbſtverwaltung, wie die höheren Lehranſtalten ſie be- ſitzen, ihre Stellung geben. Er that es nicht. Ihm war das Bildungs- weſen nichts als eine große adminiſtrative Aufgabe, und die bildende Kraft eine große gouvernementale Maſchine. Vortrefflich bezeichnet dieſe Auffaſſung Morin (Block, Dict. de Polit. v. Instr.). „Napoléon adorant la discipline, fut frappé de celle du clergé, et sa première idée fut de constituer sous le nom de l’Université une sorte de clergé semi-laïque et semi-religieux;“ und dieſe Geſammtheit von halbweltlichen und halbgeiſtlichen Organen ſollte nun als eine große Einheit das ganze Unterrichtsweſen Frankreichs übernehmen. Jener große Lehrkörper ward auf dieſe Weiſe der corps enseignant, und das Lehrweſen Frankreichs ſelbſt nannte Napoleon die „Université.“ Die Université beſteht daher aus der in eine ſtaatliche Verwaltung Stein, die Verwaltungslehre. V. 4

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/77>, abgerufen am 24.11.2024.