gebrachten Gesammtheit aller öffentlichen Lehranstalten, von den Ele- mentarschulen bis zu den Facultes (s. unten) und der Gesammtheit des ganzen Lehrerpersonals von dem Professor bis zum Triviallehrer. Diesen Gedanken führte das Gesetz vom 17. März 1808 aus, das bisher nie- mals geändert ward und noch gegenwärtig die Basis der ganzen Or- ganisation des Bildungswesens abgibt. Die Universite bietet demgemäß ein höchst eigenthümliches Bild, in welchem die streng militärisch-kleri- kale Subordination sich mit der bureaukratischen Form in merkwürdiger Verbindung zu einem Ganzen verschmolzen hat, wie es in Europa nicht wieder vorkommt. Die Grundzüge dieser Organisation des staatlichen Bildungswesens Frankreichs, d. i. seiner Universite, sind folgende. Ganz Frankreich wird in große Unterrichtsprovinzen getheilt, welche "Academies" heißen; 1808 in 27, jetzt seit Gesetz vom 14. Juni 1854 nur noch 16; so daß jede Akademie wieder eine gewisse Anzahl von Departements umfaßt. Daraus nun gehen zwei große Verwaltungs- systeme hervor. Das eine ist das der öffentlichen Bildung als solcher, der Instruction publique, beruhend auf der Akademie; das andere ist das der eigentlichen Administration, beruhend auf dem Präfekten und dem einzelnen Departement. Der leitende Gedanke in dieser Scheidung ist der, daß die Angelegenheiten des Unterrichts oder der eigentlichen Lehre der Akademie, die Angelegenheiten der Personen und der wirth- schaftlichen Verwaltung dem Präfekten untergeordnet sind. Der Organis- mus der Akademien ist ziemlich einfach. An der Spitze jeder Akademie steht ein Recteur, der die Oberaufsicht über das gesammte Lehrwesen seiner Akademie hat. Die Ausübung dieser Oberaufsicht ruht in den Händen eines Systemes von Inspecteurs. Der Oberinspektor (Inspec- teur general) hat die ganze Akademie zu beaufsichtigen; die Unter- inspektoren, die Inspecteurs, die örtliche Oberaufsicht. Die Inspecteurs aber stehen zugleich unter dem zweiten Organismus, dem der Präfektur. Jeder Präfekt hat nämlich die Anstellung aller öffentlichen Lehrer in seinem Departement, und die Inspecteurs sind daher die Referenten sowohl für den Rektor und seine Competenz als für den Präfekten. Mit Recht sind daher die französischen Juristen darüber einig, daß der Inspecteur die eigentlich regierende Gewalt über die Thätigkeit der gesammten Universite in der Hand hat -- "l'inspecteur exerce le veritable gouvernement" (Jourdain bei Block). Dieß System von bu- reaukratischen Organen sollte nun allerdings in seiner Machtvollkommen- heit durch eine Theilnahme der Selbstverwaltung gemildert werden. Nun haben wir schon in der Vollziehenden Gewalt (S. 341 ff.) den Charakter der specifisch französischen Selbstverwaltung bezeichnet; es ist das System der recht- und machtlosen Conseils, das die Stelle
gebrachten Geſammtheit aller öffentlichen Lehranſtalten, von den Ele- mentarſchulen bis zu den Facultés (ſ. unten) und der Geſammtheit des ganzen Lehrerperſonals von dem Profeſſor bis zum Triviallehrer. Dieſen Gedanken führte das Geſetz vom 17. März 1808 aus, das bisher nie- mals geändert ward und noch gegenwärtig die Baſis der ganzen Or- ganiſation des Bildungsweſens abgibt. Die Université bietet demgemäß ein höchſt eigenthümliches Bild, in welchem die ſtreng militäriſch-kleri- kale Subordination ſich mit der bureaukratiſchen Form in merkwürdiger Verbindung zu einem Ganzen verſchmolzen hat, wie es in Europa nicht wieder vorkommt. Die Grundzüge dieſer Organiſation des ſtaatlichen Bildungsweſens Frankreichs, d. i. ſeiner Université, ſind folgende. Ganz Frankreich wird in große Unterrichtsprovinzen getheilt, welche „Académies“ heißen; 1808 in 27, jetzt ſeit Geſetz vom 14. Juni 1854 nur noch 16; ſo daß jede Akademie wieder eine gewiſſe Anzahl von Departements umfaßt. Daraus nun gehen zwei große Verwaltungs- ſyſteme hervor. Das eine iſt das der öffentlichen Bildung als ſolcher, der Instruction publique, beruhend auf der Akademie; das andere iſt das der eigentlichen Adminiſtration, beruhend auf dem Präfekten und dem einzelnen Departement. Der leitende Gedanke in dieſer Scheidung iſt der, daß die Angelegenheiten des Unterrichts oder der eigentlichen Lehre der Akademie, die Angelegenheiten der Perſonen und der wirth- ſchaftlichen Verwaltung dem Präfekten untergeordnet ſind. Der Organis- mus der Akademien iſt ziemlich einfach. An der Spitze jeder Akademie ſteht ein Recteur, der die Oberaufſicht über das geſammte Lehrweſen ſeiner Akademie hat. Die Ausübung dieſer Oberaufſicht ruht in den Händen eines Syſtemes von Inspecteurs. Der Oberinſpektor (Inspec- teur général) hat die ganze Akademie zu beaufſichtigen; die Unter- inſpektoren, die Inspecteurs, die örtliche Oberaufſicht. Die Inspecteurs aber ſtehen zugleich unter dem zweiten Organismus, dem der Präfektur. Jeder Präfekt hat nämlich die Anſtellung aller öffentlichen Lehrer in ſeinem Departement, und die Inspecteurs ſind daher die Referenten ſowohl für den Rektor und ſeine Competenz als für den Präfekten. Mit Recht ſind daher die franzöſiſchen Juriſten darüber einig, daß der Inspecteur die eigentlich regierende Gewalt über die Thätigkeit der geſammten Université in der Hand hat — „l’inspecteur exerce le véritable gouvernement“ (Jourdain bei Block). Dieß Syſtem von bu- reaukratiſchen Organen ſollte nun allerdings in ſeiner Machtvollkommen- heit durch eine Theilnahme der Selbſtverwaltung gemildert werden. Nun haben wir ſchon in der Vollziehenden Gewalt (S. 341 ff.) den Charakter der ſpecifiſch franzöſiſchen Selbſtverwaltung bezeichnet; es iſt das Syſtem der recht- und machtloſen Conſeils, das die Stelle
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Gedanken führte das Geſetz vom 17. März 1808 aus, das bisher nie-
mals geändert ward und noch gegenwärtig die Baſis der ganzen Or-
ganiſation des Bildungsweſens abgibt. Die Université bietet demgemäß
ein höchſt eigenthümliches Bild, in welchem die ſtreng militäriſch-kleri-
kale Subordination ſich mit der bureaukratiſchen Form in merkwürdiger
Verbindung zu einem Ganzen verſchmolzen hat, wie es in Europa nicht
wieder vorkommt. Die Grundzüge dieſer Organiſation des ſtaatlichen
Bildungsweſens Frankreichs, d. i. ſeiner Université, ſind folgende.
Ganz Frankreich wird in große Unterrichtsprovinzen getheilt, welche
„Académies“ heißen; 1808 in 27, jetzt ſeit Geſetz vom 14. Juni 1854
nur noch 16; ſo daß jede Akademie wieder eine gewiſſe Anzahl von
Departements umfaßt. Daraus nun gehen zwei große Verwaltungs-
ſyſteme hervor. Das eine iſt das der öffentlichen Bildung als ſolcher,
der Instruction publique, beruhend auf der Akademie; das andere iſt
das der eigentlichen Adminiſtration, beruhend auf dem Präfekten und
dem einzelnen Departement. Der leitende Gedanke in dieſer Scheidung
iſt der, daß die Angelegenheiten des Unterrichts oder der eigentlichen
Lehre der Akademie, die Angelegenheiten der Perſonen und der wirth-
ſchaftlichen Verwaltung dem Präfekten untergeordnet ſind. Der Organis-
mus der Akademien iſt ziemlich einfach. An der Spitze jeder Akademie
ſteht ein Recteur, der die Oberaufſicht über das geſammte Lehrweſen
ſeiner Akademie hat. Die Ausübung dieſer Oberaufſicht ruht in den
Händen eines Syſtemes von Inspecteurs. Der Oberinſpektor (Inspec-
teur général) hat die ganze Akademie zu beaufſichtigen; die Unter-
inſpektoren, die Inspecteurs, die örtliche Oberaufſicht. Die Inspecteurs
aber ſtehen zugleich unter dem zweiten Organismus, dem der Präfektur.
Jeder Präfekt hat nämlich die Anſtellung aller öffentlichen Lehrer in
ſeinem Departement, und die Inspecteurs ſind daher die Referenten
ſowohl für den Rektor und ſeine Competenz als für den Präfekten.
Mit Recht ſind daher die franzöſiſchen Juriſten darüber einig, daß der
Inspecteur die eigentlich regierende Gewalt über die Thätigkeit der
geſammten Université in der Hand hat — „l’inspecteur exerce le
véritable gouvernement“ (Jourdain bei Block). Dieß Syſtem von bu-
reaukratiſchen Organen ſollte nun allerdings in ſeiner Machtvollkommen-
heit durch eine Theilnahme der Selbſtverwaltung gemildert werden.
Nun haben wir ſchon in der Vollziehenden Gewalt (S. 341 ff.)
den Charakter der ſpecifiſch franzöſiſchen Selbſtverwaltung bezeichnet;
es iſt das Syſtem der recht- und machtloſen Conſeils, das die Stelle
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/78>, abgerufen am 21.11.2024.
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