durch die Rechte der Gemeinden, bei dem Berufsbildungswesen durch die Rechte der Lehrkörper. Diese drei Elemente finden sich in allen Organisationen des Unterrichtswesens wieder, und in ihrer Wechsel- wirkung beruht die organische Entwicklung unseres geistigen Lebens, welches nur eines staatlichen Hintergrundes bedarf, um seine ganze Bedeutung für die Gesittung der Welt zu entfalten. Eben deßhalb kann keine Darstellung des Bildungswesens ausreichen, die nicht Deutsch- lands Ordnungen und Principien zum Grunde legt. Wir glauben aber eben deßhalb hier zu genügen, wenn wir den Charakter desselben auf die angeführten drei Elemente zurückführen.
-- Wir glauben nun, daß es nicht ohne Interesse sein wird, an diese drei großen Grundformen noch eine kurze Charakteristick des Bil- dungswesens der Staaten anzuschließen, welche mehr oder weniger die oben aufgestellten Elemente in eigenthümlicher Weise bei sich verarbeitet haben. Sie sind es eigentlich, an denen man, wir möchten sagen das Verständniß der elementaren Verhältnisse und Rechte des Bildungs- wesens am besten erprobt, weil bei ihnen die Formen oft die Sache verdecken, oft die Namen etwas Verschiedenes bedeuten, und doch am Ende bei genauerer Betrachtung die großen Grundformen wieder als das beherrschende Element hervortreten. Ein genaues Eingehen auf dieselben würde freilich alles Maß unserer Arbeit überschreiten; eine Uebersicht aber würde werthlos sein, wenn sie nicht eben stets alle einzelnen Verschiedenheiten mit den allgemeinen Grundlagen in Har- monie setzte. Wir rechnen dahin namentlich Belgien, Holland, Italien und Rußland. So weit es thunlich ist, werden wir im besondern Theil auf die besondern Bestimmungen derselben zurückkommen.
Belgiens Bildungswesen. Das Bildungswesen Belgiens ist seiner Form nach dem französischen nachgebildet; es bedarf aber einer besondern Berücksichtigung, weil sein Inhalt durch den, weder in Deutschland noch in England in analoger Weise bestehenden Begriff des "Enseignement libre" bedingt wird. Das Enseignement libre bedeutet nicht eben die Frage nach der Freiheit von der Schulpflicht und eben so wenig unmittelbar die Freiheit der Lehrordnung, sondern wesentlich die Frage nach dem Recht der Geistlichkeit in Beziehung auf die Errichtung und die Leitung der Schulen. Wie in ganz Belgien, so treten auch in Beziehung auf das Bildungswesen die weltliche und die geistliche Partei beständig und aufs schärfste einander entgegen und der Zustand des Reiches ist in dieser Beziehung als ein beständiges Com- promiß zwischen beiden Faktoren anzusehen. Die Geschichte der betr. Gesetz- gebung ist der Ausdruck des Kampfes dieser Elemente. Man sieht in Belgien daher zwei Systeme des Bildungswesens neben einander
durch die Rechte der Gemeinden, bei dem Berufsbildungsweſen durch die Rechte der Lehrkörper. Dieſe drei Elemente finden ſich in allen Organiſationen des Unterrichtsweſens wieder, und in ihrer Wechſel- wirkung beruht die organiſche Entwicklung unſeres geiſtigen Lebens, welches nur eines ſtaatlichen Hintergrundes bedarf, um ſeine ganze Bedeutung für die Geſittung der Welt zu entfalten. Eben deßhalb kann keine Darſtellung des Bildungsweſens ausreichen, die nicht Deutſch- lands Ordnungen und Principien zum Grunde legt. Wir glauben aber eben deßhalb hier zu genügen, wenn wir den Charakter deſſelben auf die angeführten drei Elemente zurückführen.
— Wir glauben nun, daß es nicht ohne Intereſſe ſein wird, an dieſe drei großen Grundformen noch eine kurze Charakteriſtick des Bil- dungsweſens der Staaten anzuſchließen, welche mehr oder weniger die oben aufgeſtellten Elemente in eigenthümlicher Weiſe bei ſich verarbeitet haben. Sie ſind es eigentlich, an denen man, wir möchten ſagen das Verſtändniß der elementaren Verhältniſſe und Rechte des Bildungs- weſens am beſten erprobt, weil bei ihnen die Formen oft die Sache verdecken, oft die Namen etwas Verſchiedenes bedeuten, und doch am Ende bei genauerer Betrachtung die großen Grundformen wieder als das beherrſchende Element hervortreten. Ein genaues Eingehen auf dieſelben würde freilich alles Maß unſerer Arbeit überſchreiten; eine Ueberſicht aber würde werthlos ſein, wenn ſie nicht eben ſtets alle einzelnen Verſchiedenheiten mit den allgemeinen Grundlagen in Har- monie ſetzte. Wir rechnen dahin namentlich Belgien, Holland, Italien und Rußland. So weit es thunlich iſt, werden wir im beſondern Theil auf die beſondern Beſtimmungen derſelben zurückkommen.
Belgiens Bildungsweſen. Das Bildungsweſen Belgiens iſt ſeiner Form nach dem franzöſiſchen nachgebildet; es bedarf aber einer beſondern Berückſichtigung, weil ſein Inhalt durch den, weder in Deutſchland noch in England in analoger Weiſe beſtehenden Begriff des „Enseignement libre“ bedingt wird. Das Enseignement libre bedeutet nicht eben die Frage nach der Freiheit von der Schulpflicht und eben ſo wenig unmittelbar die Freiheit der Lehrordnung, ſondern weſentlich die Frage nach dem Recht der Geiſtlichkeit in Beziehung auf die Errichtung und die Leitung der Schulen. Wie in ganz Belgien, ſo treten auch in Beziehung auf das Bildungsweſen die weltliche und die geiſtliche Partei beſtändig und aufs ſchärfſte einander entgegen und der Zuſtand des Reiches iſt in dieſer Beziehung als ein beſtändiges Com- promiß zwiſchen beiden Faktoren anzuſehen. Die Geſchichte der betr. Geſetz- gebung iſt der Ausdruck des Kampfes dieſer Elemente. Man ſieht in Belgien daher zwei Syſteme des Bildungsweſens neben einander
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[53/0081]
durch die Rechte der Gemeinden, bei dem Berufsbildungsweſen durch
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Organiſationen des Unterrichtsweſens wieder, und in ihrer Wechſel-
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welches nur eines ſtaatlichen Hintergrundes bedarf, um ſeine ganze
Bedeutung für die Geſittung der Welt zu entfalten. Eben deßhalb
kann keine Darſtellung des Bildungsweſens ausreichen, die nicht Deutſch-
lands Ordnungen und Principien zum Grunde legt. Wir glauben
aber eben deßhalb hier zu genügen, wenn wir den Charakter deſſelben
auf die angeführten drei Elemente zurückführen.
— Wir glauben nun, daß es nicht ohne Intereſſe ſein wird, an
dieſe drei großen Grundformen noch eine kurze Charakteriſtick des Bil-
dungsweſens der Staaten anzuſchließen, welche mehr oder weniger die
oben aufgeſtellten Elemente in eigenthümlicher Weiſe bei ſich verarbeitet
haben. Sie ſind es eigentlich, an denen man, wir möchten ſagen das
Verſtändniß der elementaren Verhältniſſe und Rechte des Bildungs-
weſens am beſten erprobt, weil bei ihnen die Formen oft die Sache
verdecken, oft die Namen etwas Verſchiedenes bedeuten, und doch am
Ende bei genauerer Betrachtung die großen Grundformen wieder als
das beherrſchende Element hervortreten. Ein genaues Eingehen auf
dieſelben würde freilich alles Maß unſerer Arbeit überſchreiten; eine
Ueberſicht aber würde werthlos ſein, wenn ſie nicht eben ſtets alle
einzelnen Verſchiedenheiten mit den allgemeinen Grundlagen in Har-
monie ſetzte. Wir rechnen dahin namentlich Belgien, Holland, Italien
und Rußland. So weit es thunlich iſt, werden wir im beſondern
Theil auf die beſondern Beſtimmungen derſelben zurückkommen.
Belgiens Bildungsweſen. Das Bildungsweſen Belgiens iſt
ſeiner Form nach dem franzöſiſchen nachgebildet; es bedarf aber einer
beſondern Berückſichtigung, weil ſein Inhalt durch den, weder in
Deutſchland noch in England in analoger Weiſe beſtehenden Begriff
des „Enseignement libre“ bedingt wird. Das Enseignement libre
bedeutet nicht eben die Frage nach der Freiheit von der Schulpflicht
und eben ſo wenig unmittelbar die Freiheit der Lehrordnung, ſondern
weſentlich die Frage nach dem Recht der Geiſtlichkeit in Beziehung
auf die Errichtung und die Leitung der Schulen. Wie in ganz Belgien,
ſo treten auch in Beziehung auf das Bildungsweſen die weltliche und die
geiſtliche Partei beſtändig und aufs ſchärfſte einander entgegen und der
Zuſtand des Reiches iſt in dieſer Beziehung als ein beſtändiges Com-
promiß zwiſchen beiden Faktoren anzuſehen. Die Geſchichte der betr. Geſetz-
gebung iſt der Ausdruck des Kampfes dieſer Elemente. Man ſieht
in Belgien daher zwei Syſteme des Bildungsweſens neben einander
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/81>, abgerufen am 21.11.2024.
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