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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Presse nennen. Sie hat dabei ihre zwei durch die Natur des geistigen
Lebens selbst angedeuteten Wege. Beide sind auch für das Verständniß
des historischen Preßrechts nicht ohne Bedeutung. Der eine besteht in
der einfachen Mittheilung von Kenntnissen und geistigen Thatsachen,
der zweite besteht in der Anregung zu eigener, geistiger, selbstthätiger
Arbeit. Daraus ergibt sich, daß die Geschichte des Rechts der Preß-
freiheit in der That auch nur mit demjenigen zu thun hat, was eben
sich auf diesen Geist der Presse bezieht. Das was wir als solchen be-
zeichnet haben, enthält daher stets gesellschaftliche und staatliche
Grundsätze, Forderungen
und Darstellungen, und die
Aufgabe der Preßbeschränkung hat daher stets den Kampf der Verwal-
tung mit diesen Forderungen und Darstellungen aus Staat und Ge-
sellschaft zum Inhalt.

Daraus nun folgen gewisse allgemeine Sätze für die Geschichte des
Preßwesens, welche auch für das Verständniß einzelner Erscheinungen
desselben maßgebend werden.

Es gilt zunächst der Satz, daß die Beschränkung der Presse stets
in gradem Verhältniß zu der Schärfe der gesellschaftlichen Gegensätze
steht. Je tiefer die Kluft zwischen den einzelnen Ständen und Klassen
ist, um so strenger wird das Preßrecht. Ist der gesellschaftliche Kampf
geradezu ausgebrochen, so ändert sich zugleich der Charakter des Druck-
werkes in seiner öffentlichen Stellung. Denn da die Schlußfolgerungen
alsdann ohnehin von jedem Einzelnen gezogen werden, und der offene
Kampf seinerseits eben darin besteht, daß die bis dahin inneren Schluß-
folgerungen zur äußern That übergehen, so verschwindet thatsächlich der
Unterschied zwischen Geist und Einzelsatz, und jede Beziehung auf ge-
sellschaftliche und öffentlich rechtliche Fragen wird eine That, und unter-
liegt dem Recht der That statt dem des Geistes. Daher hält die Preß-
beschränkung stets gleichen Schritt mit dem gesellschaftlichen Kampfe.
Das erste Stadium besteht stets in dem Aufrechthalten einer großen
geistigen Entfernung von jeder praktischen Beziehung; das zweite er-
scheint in immer bestimmter formulirten Anwendungen auf gegebene
öffentliche Verhältnisse und in der Meinung der herrschenden Elemente,
daß die Presse eine Partei bilden könne, während in der Wirklichkeit
stets die Partei die Presse bildet; das dritte erscheint als unmittelbare
Verfolgung der Druckwerke und Verdammung ihres allgemeinsten Inhalts;
wo das eintritt, ist stets der gesellschaftliche Kampf nicht mehr weit
entfernt, und die Besonnenheit wird alsdann stets auf beiden Seiten
gleichmäßig verloren. Diese Erscheinungen wiederholen sich mit einer
fast gesetzlichen Regelmäßigkeit; leider wird die Bedeutung derselben
gleichfalls regelmäßig erst dann beachtet, wenn es zu spät ist.

Preſſe nennen. Sie hat dabei ihre zwei durch die Natur des geiſtigen
Lebens ſelbſt angedeuteten Wege. Beide ſind auch für das Verſtändniß
des hiſtoriſchen Preßrechts nicht ohne Bedeutung. Der eine beſteht in
der einfachen Mittheilung von Kenntniſſen und geiſtigen Thatſachen,
der zweite beſteht in der Anregung zu eigener, geiſtiger, ſelbſtthätiger
Arbeit. Daraus ergibt ſich, daß die Geſchichte des Rechts der Preß-
freiheit in der That auch nur mit demjenigen zu thun hat, was eben
ſich auf dieſen Geiſt der Preſſe bezieht. Das was wir als ſolchen be-
zeichnet haben, enthält daher ſtets geſellſchaftliche und ſtaatliche
Grundſätze, Forderungen
und Darſtellungen, und die
Aufgabe der Preßbeſchränkung hat daher ſtets den Kampf der Verwal-
tung mit dieſen Forderungen und Darſtellungen aus Staat und Ge-
ſellſchaft zum Inhalt.

Daraus nun folgen gewiſſe allgemeine Sätze für die Geſchichte des
Preßweſens, welche auch für das Verſtändniß einzelner Erſcheinungen
deſſelben maßgebend werden.

Es gilt zunächſt der Satz, daß die Beſchränkung der Preſſe ſtets
in gradem Verhältniß zu der Schärfe der geſellſchaftlichen Gegenſätze
ſteht. Je tiefer die Kluft zwiſchen den einzelnen Ständen und Klaſſen
iſt, um ſo ſtrenger wird das Preßrecht. Iſt der geſellſchaftliche Kampf
geradezu ausgebrochen, ſo ändert ſich zugleich der Charakter des Druck-
werkes in ſeiner öffentlichen Stellung. Denn da die Schlußfolgerungen
alsdann ohnehin von jedem Einzelnen gezogen werden, und der offene
Kampf ſeinerſeits eben darin beſteht, daß die bis dahin inneren Schluß-
folgerungen zur äußern That übergehen, ſo verſchwindet thatſächlich der
Unterſchied zwiſchen Geiſt und Einzelſatz, und jede Beziehung auf ge-
ſellſchaftliche und öffentlich rechtliche Fragen wird eine That, und unter-
liegt dem Recht der That ſtatt dem des Geiſtes. Daher hält die Preß-
beſchränkung ſtets gleichen Schritt mit dem geſellſchaftlichen Kampfe.
Das erſte Stadium beſteht ſtets in dem Aufrechthalten einer großen
geiſtigen Entfernung von jeder praktiſchen Beziehung; das zweite er-
ſcheint in immer beſtimmter formulirten Anwendungen auf gegebene
öffentliche Verhältniſſe und in der Meinung der herrſchenden Elemente,
daß die Preſſe eine Partei bilden könne, während in der Wirklichkeit
ſtets die Partei die Preſſe bildet; das dritte erſcheint als unmittelbare
Verfolgung der Druckwerke und Verdammung ihres allgemeinſten Inhalts;
wo das eintritt, iſt ſtets der geſellſchaftliche Kampf nicht mehr weit
entfernt, und die Beſonnenheit wird alsdann ſtets auf beiden Seiten
gleichmäßig verloren. Dieſe Erſcheinungen wiederholen ſich mit einer
faſt geſetzlichen Regelmäßigkeit; leider wird die Bedeutung derſelben
gleichfalls regelmäßig erſt dann beachtet, wenn es zu ſpät iſt.

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[95/0111] Preſſe nennen. Sie hat dabei ihre zwei durch die Natur des geiſtigen Lebens ſelbſt angedeuteten Wege. Beide ſind auch für das Verſtändniß des hiſtoriſchen Preßrechts nicht ohne Bedeutung. Der eine beſteht in der einfachen Mittheilung von Kenntniſſen und geiſtigen Thatſachen, der zweite beſteht in der Anregung zu eigener, geiſtiger, ſelbſtthätiger Arbeit. Daraus ergibt ſich, daß die Geſchichte des Rechts der Preß- freiheit in der That auch nur mit demjenigen zu thun hat, was eben ſich auf dieſen Geiſt der Preſſe bezieht. Das was wir als ſolchen be- zeichnet haben, enthält daher ſtets geſellſchaftliche und ſtaatliche Grundſätze, Forderungen und Darſtellungen, und die Aufgabe der Preßbeſchränkung hat daher ſtets den Kampf der Verwal- tung mit dieſen Forderungen und Darſtellungen aus Staat und Ge- ſellſchaft zum Inhalt. Daraus nun folgen gewiſſe allgemeine Sätze für die Geſchichte des Preßweſens, welche auch für das Verſtändniß einzelner Erſcheinungen deſſelben maßgebend werden. Es gilt zunächſt der Satz, daß die Beſchränkung der Preſſe ſtets in gradem Verhältniß zu der Schärfe der geſellſchaftlichen Gegenſätze ſteht. Je tiefer die Kluft zwiſchen den einzelnen Ständen und Klaſſen iſt, um ſo ſtrenger wird das Preßrecht. Iſt der geſellſchaftliche Kampf geradezu ausgebrochen, ſo ändert ſich zugleich der Charakter des Druck- werkes in ſeiner öffentlichen Stellung. Denn da die Schlußfolgerungen alsdann ohnehin von jedem Einzelnen gezogen werden, und der offene Kampf ſeinerſeits eben darin beſteht, daß die bis dahin inneren Schluß- folgerungen zur äußern That übergehen, ſo verſchwindet thatſächlich der Unterſchied zwiſchen Geiſt und Einzelſatz, und jede Beziehung auf ge- ſellſchaftliche und öffentlich rechtliche Fragen wird eine That, und unter- liegt dem Recht der That ſtatt dem des Geiſtes. Daher hält die Preß- beſchränkung ſtets gleichen Schritt mit dem geſellſchaftlichen Kampfe. Das erſte Stadium beſteht ſtets in dem Aufrechthalten einer großen geiſtigen Entfernung von jeder praktiſchen Beziehung; das zweite er- ſcheint in immer beſtimmter formulirten Anwendungen auf gegebene öffentliche Verhältniſſe und in der Meinung der herrſchenden Elemente, daß die Preſſe eine Partei bilden könne, während in der Wirklichkeit ſtets die Partei die Preſſe bildet; das dritte erſcheint als unmittelbare Verfolgung der Druckwerke und Verdammung ihres allgemeinſten Inhalts; wo das eintritt, iſt ſtets der geſellſchaftliche Kampf nicht mehr weit entfernt, und die Beſonnenheit wird alsdann ſtets auf beiden Seiten gleichmäßig verloren. Dieſe Erſcheinungen wiederholen ſich mit einer faſt geſetzlichen Regelmäßigkeit; leider wird die Bedeutung derſelben gleichfalls regelmäßig erſt dann beachtet, wenn es zu ſpät iſt.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/111>, abgerufen am 21.11.2024.