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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Es gilt zweitens der Satz, daß die Wirkung und das Recht der
Presse im umgekehrten Verhältniß zur Geltung der Volksvertre-
tung
steht. Das beruht wieder auf der psychologischen Thatsache, daß
das persönliche Wort immer mehr, und der Regel nach sogar auch einen
andern Einfluß hat als das gedruckte. Denn wenn das gedruckte
Wort Grundsätze und Forderungen gibt, so gibt das gesprochene der
durch jene entstehenden Richtung zugleich den Führer und persönlichen
Vertreter. Die Presse kann daher nie die Volksvertretung ersetzen;
wohl aber kann sie gerade durch das, was sie thut und ist, eine solche
erzwingen. Ist aber eine solche da, so wird das Recht der Preßbeschrän-
kung in dem Grade unmöglicher, in welchem die erstere die großen
socialen und politischen Fragen ernsthafter in die Hand nimmt. Es ist
dabei eine sehr bedenkliche, zu ernstem Nachdenken auffordernde Erschei-
nung, wenn die Presse im Ganzen sich gegen die Volksvertretung gleich-
gültig verhält, oder gar derselben im Allgemeinen entgegentritt; denn
das bedeutet nicht mehr eine Abweichung in Beziehung auf einzelne
mehr oder weniger große Fragen des Staats in der Gesellschaft, sondern
es bedeutet vielmehr die ersten Anzeichen eines neuen Processes der
Staatenbildung selbst
. Doch liegt es uns fern, hierauf einzugehen.

Es gilt drittens der Satz, daß die eigentliche Rechtswissen-
schaft
sich der Frage nach dem Preßrecht erst dann bemächtigt, wenn
die Preßbeschränkung aufhört
und das Preßrecht an ihre Stelle
tritt. Und zwar ist dieser Grundsatz, dessen Hauptbestätigung gerade
die deutsche Literatur bietet, darauf begründet, daß die Rechtswissen-
schaft ihrem eigensten Wesen nach mit dem Polizeirecht sich nicht ver-
mischen läßt und selbst bei geringer formeller Ausbildung sehr wohl
weiß, wo die polizeiliche Beschränkung die äußere Form des Strafrechts
annimmt, ohne doch ein wahres Strafrecht werden zu können. Die
ganze Lage der wissenschaftlichen Bearbeitung der für die Presse gelten-
den Bestimmungen in den Hauptländern Europas liefert dafür den
unverkennbaren Beweis.

Endlich liegt es viertens in der Natur der Sache, daß der Kampf
gegen die Freiheit der Presse je nach der gesellschaftlichen Ord-
nung
gegen eine andere Form der Presse gerichtet ist. In der stän-
dischen Ordnung richtet sich derselbe wesentlich gegen die geistige Be-
wegung überhaupt, daher vorzugsweise gegen das Buch, meist unter
Verachtung der Flugschrift und Tagespresse. Die polizeiliche Epoche
wird gegen das Buch gleichgültiger, denn sie hat schon Sinn für die
Bildung, die stets durch Nachdenken gefördert wird; aber da wo es sich
um öffentliches Recht handelt und ihre Mängel angegriffen werden,
greift auch sie gegen das Buch ein. Ihr Objekt ist nicht mehr die

Es gilt zweitens der Satz, daß die Wirkung und das Recht der
Preſſe im umgekehrten Verhältniß zur Geltung der Volksvertre-
tung
ſteht. Das beruht wieder auf der pſychologiſchen Thatſache, daß
das perſönliche Wort immer mehr, und der Regel nach ſogar auch einen
andern Einfluß hat als das gedruckte. Denn wenn das gedruckte
Wort Grundſätze und Forderungen gibt, ſo gibt das geſprochene der
durch jene entſtehenden Richtung zugleich den Führer und perſönlichen
Vertreter. Die Preſſe kann daher nie die Volksvertretung erſetzen;
wohl aber kann ſie gerade durch das, was ſie thut und iſt, eine ſolche
erzwingen. Iſt aber eine ſolche da, ſo wird das Recht der Preßbeſchrän-
kung in dem Grade unmöglicher, in welchem die erſtere die großen
ſocialen und politiſchen Fragen ernſthafter in die Hand nimmt. Es iſt
dabei eine ſehr bedenkliche, zu ernſtem Nachdenken auffordernde Erſchei-
nung, wenn die Preſſe im Ganzen ſich gegen die Volksvertretung gleich-
gültig verhält, oder gar derſelben im Allgemeinen entgegentritt; denn
das bedeutet nicht mehr eine Abweichung in Beziehung auf einzelne
mehr oder weniger große Fragen des Staats in der Geſellſchaft, ſondern
es bedeutet vielmehr die erſten Anzeichen eines neuen Proceſſes der
Staatenbildung ſelbſt
. Doch liegt es uns fern, hierauf einzugehen.

Es gilt drittens der Satz, daß die eigentliche Rechtswiſſen-
ſchaft
ſich der Frage nach dem Preßrecht erſt dann bemächtigt, wenn
die Preßbeſchränkung aufhört
und das Preßrecht an ihre Stelle
tritt. Und zwar iſt dieſer Grundſatz, deſſen Hauptbeſtätigung gerade
die deutſche Literatur bietet, darauf begründet, daß die Rechtswiſſen-
ſchaft ihrem eigenſten Weſen nach mit dem Polizeirecht ſich nicht ver-
miſchen läßt und ſelbſt bei geringer formeller Ausbildung ſehr wohl
weiß, wo die polizeiliche Beſchränkung die äußere Form des Strafrechts
annimmt, ohne doch ein wahres Strafrecht werden zu können. Die
ganze Lage der wiſſenſchaftlichen Bearbeitung der für die Preſſe gelten-
den Beſtimmungen in den Hauptländern Europas liefert dafür den
unverkennbaren Beweis.

Endlich liegt es viertens in der Natur der Sache, daß der Kampf
gegen die Freiheit der Preſſe je nach der geſellſchaftlichen Ord-
nung
gegen eine andere Form der Preſſe gerichtet iſt. In der ſtän-
diſchen Ordnung richtet ſich derſelbe weſentlich gegen die geiſtige Be-
wegung überhaupt, daher vorzugsweiſe gegen das Buch, meiſt unter
Verachtung der Flugſchrift und Tagespreſſe. Die polizeiliche Epoche
wird gegen das Buch gleichgültiger, denn ſie hat ſchon Sinn für die
Bildung, die ſtets durch Nachdenken gefördert wird; aber da wo es ſich
um öffentliches Recht handelt und ihre Mängel angegriffen werden,
greift auch ſie gegen das Buch ein. Ihr Objekt iſt nicht mehr die

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[96/0112] Es gilt zweitens der Satz, daß die Wirkung und das Recht der Preſſe im umgekehrten Verhältniß zur Geltung der Volksvertre- tung ſteht. Das beruht wieder auf der pſychologiſchen Thatſache, daß das perſönliche Wort immer mehr, und der Regel nach ſogar auch einen andern Einfluß hat als das gedruckte. Denn wenn das gedruckte Wort Grundſätze und Forderungen gibt, ſo gibt das geſprochene der durch jene entſtehenden Richtung zugleich den Führer und perſönlichen Vertreter. Die Preſſe kann daher nie die Volksvertretung erſetzen; wohl aber kann ſie gerade durch das, was ſie thut und iſt, eine ſolche erzwingen. Iſt aber eine ſolche da, ſo wird das Recht der Preßbeſchrän- kung in dem Grade unmöglicher, in welchem die erſtere die großen ſocialen und politiſchen Fragen ernſthafter in die Hand nimmt. Es iſt dabei eine ſehr bedenkliche, zu ernſtem Nachdenken auffordernde Erſchei- nung, wenn die Preſſe im Ganzen ſich gegen die Volksvertretung gleich- gültig verhält, oder gar derſelben im Allgemeinen entgegentritt; denn das bedeutet nicht mehr eine Abweichung in Beziehung auf einzelne mehr oder weniger große Fragen des Staats in der Geſellſchaft, ſondern es bedeutet vielmehr die erſten Anzeichen eines neuen Proceſſes der Staatenbildung ſelbſt. Doch liegt es uns fern, hierauf einzugehen. Es gilt drittens der Satz, daß die eigentliche Rechtswiſſen- ſchaft ſich der Frage nach dem Preßrecht erſt dann bemächtigt, wenn die Preßbeſchränkung aufhört und das Preßrecht an ihre Stelle tritt. Und zwar iſt dieſer Grundſatz, deſſen Hauptbeſtätigung gerade die deutſche Literatur bietet, darauf begründet, daß die Rechtswiſſen- ſchaft ihrem eigenſten Weſen nach mit dem Polizeirecht ſich nicht ver- miſchen läßt und ſelbſt bei geringer formeller Ausbildung ſehr wohl weiß, wo die polizeiliche Beſchränkung die äußere Form des Strafrechts annimmt, ohne doch ein wahres Strafrecht werden zu können. Die ganze Lage der wiſſenſchaftlichen Bearbeitung der für die Preſſe gelten- den Beſtimmungen in den Hauptländern Europas liefert dafür den unverkennbaren Beweis. Endlich liegt es viertens in der Natur der Sache, daß der Kampf gegen die Freiheit der Preſſe je nach der geſellſchaftlichen Ord- nung gegen eine andere Form der Preſſe gerichtet iſt. In der ſtän- diſchen Ordnung richtet ſich derſelbe weſentlich gegen die geiſtige Be- wegung überhaupt, daher vorzugsweiſe gegen das Buch, meiſt unter Verachtung der Flugſchrift und Tagespreſſe. Die polizeiliche Epoche wird gegen das Buch gleichgültiger, denn ſie hat ſchon Sinn für die Bildung, die ſtets durch Nachdenken gefördert wird; aber da wo es ſich um öffentliches Recht handelt und ihre Mängel angegriffen werden, greift auch ſie gegen das Buch ein. Ihr Objekt iſt nicht mehr die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/112>, abgerufen am 21.11.2024.