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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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geistige Entwicklung überhaupt, sondern nur die, dem öffentlichen Recht
zugewendete Bewegung, sei es Buch oder Zeitpresse. Wenn die staats-
bürgerliche Gesellschaft sich ihrem Siege nähert, hört der Kampf gegen
das Buch auf, und es beginnt der Kampf mit der Tagespresse. Erst
wo sie definitiv gesiegt hat, verschwindet auch dieser Theil der Preß-
beschränkung und das einfache Preßstraf- und Polizeirecht tritt an
seine Stelle.

Es ist nun die Aufgabe des Folgenden, diesen großen historischen,
noch keineswegs vollendeten Proceß der Scheidung zwischen beiden
Rechtsgruppen der Presse und der allmähligen Beseitigung der Beschrän-
kung der Preßfreiheit in seinen Hauptgestaltungen darzustellen.


Dieß genaue und auch das Einzelne durchdringende Verständniß
dieser allgemeinen Gesetze der Rechtsbildung für die Presse fordert einen
Mann, der mit der literarischen Gelehrsamkeit eines Gervinus und
der juristischen eines Zöpfl die freie, künstlerisch gestaltende Kraft eines
Freitag verbindet, wie er sie in seinen schönen Neuen Bildern lebendig
über die Zustände des inneren Lebens auszubreiten und mit frischer
Wärme zu malen versteht. Denn mit bloß literarischen Citaten ist hier
freilich nicht alles gethan. Wohl aber möchten wir hier an eins der
bedeutsamsten Worte erinnern, das ein geistig hochbegabter Staatsmann
des vorigen Jahrhunderts über das Wesen der Presse und ihres Rechts
aussprach, und das wie es scheinen will, mehr wie alles andere, was
man hier sagen kann, fordern darf, daß man es zu Ende anführen sollte.
Es ist Turgot, von dem es sich handelt. Er sagt: "Ce n'est pas
l'erreur qui s'oppose a la verite!"
Ich finde den Ausspruch bei
Buckle, Geschichte der Civilisation Bd. I. S. 73 (Ruge'sche Uebersetzung).
Einen tiefsinnigeren wüßte ich nicht anzuführen.

2) Charakter des Preßrechts der ständischen Epoche.

(Kirchliches und Universitäts-Censurrecht.)

Das große Interesse, das sich an diese erste Gestalt des Preßrechts
knüpft, ist allerdings ein historisches; das Recht selber haben wir nicht
mehr. Allein es hängt so innig mit dem gesammten Bildungswesen
der vergangenen Jahrhunderte zusammen, und bildet so sehr die Grund-
lage der gegenwärtigen Rechtsbildung, daß wir es wenigstens in seinem
Charakter bezeichnen müssen.

Derselbe beruht darauf, daß wie das ganze übrige so auch das
geistige Leben dieser Zeit eine durchgreifend körperschaftliche Gestalt in

Stein, die Verwaltungslehre. VI. 7

geiſtige Entwicklung überhaupt, ſondern nur die, dem öffentlichen Recht
zugewendete Bewegung, ſei es Buch oder Zeitpreſſe. Wenn die ſtaats-
bürgerliche Geſellſchaft ſich ihrem Siege nähert, hört der Kampf gegen
das Buch auf, und es beginnt der Kampf mit der Tagespreſſe. Erſt
wo ſie definitiv geſiegt hat, verſchwindet auch dieſer Theil der Preß-
beſchränkung und das einfache Preßſtraf- und Polizeirecht tritt an
ſeine Stelle.

Es iſt nun die Aufgabe des Folgenden, dieſen großen hiſtoriſchen,
noch keineswegs vollendeten Proceß der Scheidung zwiſchen beiden
Rechtsgruppen der Preſſe und der allmähligen Beſeitigung der Beſchrän-
kung der Preßfreiheit in ſeinen Hauptgeſtaltungen darzuſtellen.


Dieß genaue und auch das Einzelne durchdringende Verſtändniß
dieſer allgemeinen Geſetze der Rechtsbildung für die Preſſe fordert einen
Mann, der mit der literariſchen Gelehrſamkeit eines Gervinus und
der juriſtiſchen eines Zöpfl die freie, künſtleriſch geſtaltende Kraft eines
Freitag verbindet, wie er ſie in ſeinen ſchönen Neuen Bildern lebendig
über die Zuſtände des inneren Lebens auszubreiten und mit friſcher
Wärme zu malen verſteht. Denn mit bloß literariſchen Citaten iſt hier
freilich nicht alles gethan. Wohl aber möchten wir hier an eins der
bedeutſamſten Worte erinnern, das ein geiſtig hochbegabter Staatsmann
des vorigen Jahrhunderts über das Weſen der Preſſe und ihres Rechts
ausſprach, und das wie es ſcheinen will, mehr wie alles andere, was
man hier ſagen kann, fordern darf, daß man es zu Ende anführen ſollte.
Es iſt Turgot, von dem es ſich handelt. Er ſagt: „Ce n’est pas
l’erreur qui s’oppose à la verité!“
Ich finde den Ausſpruch bei
Buckle, Geſchichte der Civiliſation Bd. I. S. 73 (Ruge’ſche Ueberſetzung).
Einen tiefſinnigeren wüßte ich nicht anzuführen.

2) Charakter des Preßrechts der ſtändiſchen Epoche.

(Kirchliches und Univerſitäts-Cenſurrecht.)

Das große Intereſſe, das ſich an dieſe erſte Geſtalt des Preßrechts
knüpft, iſt allerdings ein hiſtoriſches; das Recht ſelber haben wir nicht
mehr. Allein es hängt ſo innig mit dem geſammten Bildungsweſen
der vergangenen Jahrhunderte zuſammen, und bildet ſo ſehr die Grund-
lage der gegenwärtigen Rechtsbildung, daß wir es wenigſtens in ſeinem
Charakter bezeichnen müſſen.

Derſelbe beruht darauf, daß wie das ganze übrige ſo auch das
geiſtige Leben dieſer Zeit eine durchgreifend körperſchaftliche Geſtalt in

Stein, die Verwaltungslehre. VI. 7
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[97/0113] geiſtige Entwicklung überhaupt, ſondern nur die, dem öffentlichen Recht zugewendete Bewegung, ſei es Buch oder Zeitpreſſe. Wenn die ſtaats- bürgerliche Geſellſchaft ſich ihrem Siege nähert, hört der Kampf gegen das Buch auf, und es beginnt der Kampf mit der Tagespreſſe. Erſt wo ſie definitiv geſiegt hat, verſchwindet auch dieſer Theil der Preß- beſchränkung und das einfache Preßſtraf- und Polizeirecht tritt an ſeine Stelle. Es iſt nun die Aufgabe des Folgenden, dieſen großen hiſtoriſchen, noch keineswegs vollendeten Proceß der Scheidung zwiſchen beiden Rechtsgruppen der Preſſe und der allmähligen Beſeitigung der Beſchrän- kung der Preßfreiheit in ſeinen Hauptgeſtaltungen darzuſtellen. Dieß genaue und auch das Einzelne durchdringende Verſtändniß dieſer allgemeinen Geſetze der Rechtsbildung für die Preſſe fordert einen Mann, der mit der literariſchen Gelehrſamkeit eines Gervinus und der juriſtiſchen eines Zöpfl die freie, künſtleriſch geſtaltende Kraft eines Freitag verbindet, wie er ſie in ſeinen ſchönen Neuen Bildern lebendig über die Zuſtände des inneren Lebens auszubreiten und mit friſcher Wärme zu malen verſteht. Denn mit bloß literariſchen Citaten iſt hier freilich nicht alles gethan. Wohl aber möchten wir hier an eins der bedeutſamſten Worte erinnern, das ein geiſtig hochbegabter Staatsmann des vorigen Jahrhunderts über das Weſen der Preſſe und ihres Rechts ausſprach, und das wie es ſcheinen will, mehr wie alles andere, was man hier ſagen kann, fordern darf, daß man es zu Ende anführen ſollte. Es iſt Turgot, von dem es ſich handelt. Er ſagt: „Ce n’est pas l’erreur qui s’oppose à la verité!“ Ich finde den Ausſpruch bei Buckle, Geſchichte der Civiliſation Bd. I. S. 73 (Ruge’ſche Ueberſetzung). Einen tiefſinnigeren wüßte ich nicht anzuführen. 2) Charakter des Preßrechts der ſtändiſchen Epoche. (Kirchliches und Univerſitäts-Cenſurrecht.) Das große Intereſſe, das ſich an dieſe erſte Geſtalt des Preßrechts knüpft, iſt allerdings ein hiſtoriſches; das Recht ſelber haben wir nicht mehr. Allein es hängt ſo innig mit dem geſammten Bildungsweſen der vergangenen Jahrhunderte zuſammen, und bildet ſo ſehr die Grund- lage der gegenwärtigen Rechtsbildung, daß wir es wenigſtens in ſeinem Charakter bezeichnen müſſen. Derſelbe beruht darauf, daß wie das ganze übrige ſo auch das geiſtige Leben dieſer Zeit eine durchgreifend körperſchaftliche Geſtalt in Stein, die Verwaltungslehre. VI. 7

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/113>, abgerufen am 24.11.2024.