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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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belustigungen der niedern fortsetzen. In Griechenland aber trat allmählig
an die Stelle jener öffentlichen Wettkämpfe die verderbliche Schaulust
der feierlichen Aufzüge, die namentlich in Athen eine gewaltsame Aus-
beutung der höhern Klasse durch das Volk enthielten, in Rom die
Gladiatorenwirthschaft und die Arena, selbst in Deutschland die Spiele
der Ringelreiter, die öffentlichen Gaukler und Gymnasten und ähn-
liches. Zu selbständigen Anstalten bringt es diese Ordnung nicht;
die rein kriegerische Aufgabe jener öffentlichen Produktionen läßt über-
haupt die Idee einer geistigen Bildung, wie sie namentlich in den
griechischen und den deutschen Sängerkämpfen sich eine Zeit lang er-
halten, allmählig untergehen; das geistige Element bedarf einer neuen
Grundlage, eines neuen Ausdruckes, und die ständische Epoche, indem
sie diese überhaupt darbietet, wird damit auch die Schöpferin einer
neuen Gestalt dieser Erscheinungen.

Die ständische Zeit nämlich schließt allerdings alle ihre Funktionen
in die festen Gränzen der Körperschaften ein; allein die Idee des Be-
rufes, auf der sie ruht, lebt in diesem fort. Sie aber fordert geistige
Nahrung, und diese wieder kann weder bei der Elementar- noch bei der
Berufsbildung stehen bleiben; sie will zugleich eine allgemeine sein.
Das ist es nun, was mit dieser Zeit die eigentlichen Bildungsanstalten
entstehen läßt. Ihr Charakter liegt in diesem Wesen der ständischen
Berufsbildung. Sie sind vorzugsweise geistiger Natur, und schließen
sich naturgemäß an die geistige Fachbildung an. Auch ihre Form
ist damit gegeben. Sie sind eben deßhalb wesentlich in der Form der
Bibliotheken und wissenschaftlichen Sammlungen gegeben,
und bilden, da sie zunächst für die Fachbildung bestimmt sind, einen
Theil der Fachbildungsanstalten, der Universitäten. Mit ihnen beginnt
eigentlich das Gebiet der selbständigen allgemeinen Bildungsanstalten.
Denn wie die Universitäten selbst ihrer ganzen Natur nach sich nicht
auf die strenge ständische Unterscheidung der Klassen beschränken, so
tragen auch jene Bibliotheken und Sammlungen gleich anfangs den
Keim öffentlicher Anstalten in sich. Dieser Charakter erhielt sich für
diejenigen Anstalten, welche sich an die Universitäten anschließen und
nicht gerade strenge Fachbildung voraussetzen, wie botanische Gärten,
Naturalienkabinette u. s. w. Gemeinsam aber ist diesen Anstalten, ver-
möge dieser ihrer ursprünglichen Bestimmung, der Gedanke, daß sie nicht
Genußmittel, sondern Arbeitsmittel sind; in dieser Gränze werden sie
strenge erhalten; dieses Princip ist ihnen geblieben und ist dasjenige,
was sie wesentlich von denen der folgenden Epoche unterscheidet.

Wir haben diese, als Uebergang und Vorbereitung der staats-
bürgerlichen Gesellschaft, die polizeiliche genannt. Das Verhältniß der

beluſtigungen der niedern fortſetzen. In Griechenland aber trat allmählig
an die Stelle jener öffentlichen Wettkämpfe die verderbliche Schauluſt
der feierlichen Aufzüge, die namentlich in Athen eine gewaltſame Aus-
beutung der höhern Klaſſe durch das Volk enthielten, in Rom die
Gladiatorenwirthſchaft und die Arena, ſelbſt in Deutſchland die Spiele
der Ringelreiter, die öffentlichen Gaukler und Gymnaſten und ähn-
liches. Zu ſelbſtändigen Anſtalten bringt es dieſe Ordnung nicht;
die rein kriegeriſche Aufgabe jener öffentlichen Produktionen läßt über-
haupt die Idee einer geiſtigen Bildung, wie ſie namentlich in den
griechiſchen und den deutſchen Sängerkämpfen ſich eine Zeit lang er-
halten, allmählig untergehen; das geiſtige Element bedarf einer neuen
Grundlage, eines neuen Ausdruckes, und die ſtändiſche Epoche, indem
ſie dieſe überhaupt darbietet, wird damit auch die Schöpferin einer
neuen Geſtalt dieſer Erſcheinungen.

Die ſtändiſche Zeit nämlich ſchließt allerdings alle ihre Funktionen
in die feſten Gränzen der Körperſchaften ein; allein die Idee des Be-
rufes, auf der ſie ruht, lebt in dieſem fort. Sie aber fordert geiſtige
Nahrung, und dieſe wieder kann weder bei der Elementar- noch bei der
Berufsbildung ſtehen bleiben; ſie will zugleich eine allgemeine ſein.
Das iſt es nun, was mit dieſer Zeit die eigentlichen Bildungsanſtalten
entſtehen läßt. Ihr Charakter liegt in dieſem Weſen der ſtändiſchen
Berufsbildung. Sie ſind vorzugsweiſe geiſtiger Natur, und ſchließen
ſich naturgemäß an die geiſtige Fachbildung an. Auch ihre Form
iſt damit gegeben. Sie ſind eben deßhalb weſentlich in der Form der
Bibliotheken und wiſſenſchaftlichen Sammlungen gegeben,
und bilden, da ſie zunächſt für die Fachbildung beſtimmt ſind, einen
Theil der Fachbildungsanſtalten, der Univerſitäten. Mit ihnen beginnt
eigentlich das Gebiet der ſelbſtändigen allgemeinen Bildungsanſtalten.
Denn wie die Univerſitäten ſelbſt ihrer ganzen Natur nach ſich nicht
auf die ſtrenge ſtändiſche Unterſcheidung der Klaſſen beſchränken, ſo
tragen auch jene Bibliotheken und Sammlungen gleich anfangs den
Keim öffentlicher Anſtalten in ſich. Dieſer Charakter erhielt ſich für
diejenigen Anſtalten, welche ſich an die Univerſitäten anſchließen und
nicht gerade ſtrenge Fachbildung vorausſetzen, wie botaniſche Gärten,
Naturalienkabinette u. ſ. w. Gemeinſam aber iſt dieſen Anſtalten, ver-
möge dieſer ihrer urſprünglichen Beſtimmung, der Gedanke, daß ſie nicht
Genußmittel, ſondern Arbeitsmittel ſind; in dieſer Gränze werden ſie
ſtrenge erhalten; dieſes Princip iſt ihnen geblieben und iſt dasjenige,
was ſie weſentlich von denen der folgenden Epoche unterſcheidet.

Wir haben dieſe, als Uebergang und Vorbereitung der ſtaats-
bürgerlichen Geſellſchaft, die polizeiliche genannt. Das Verhältniß der

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[29/0045] beluſtigungen der niedern fortſetzen. In Griechenland aber trat allmählig an die Stelle jener öffentlichen Wettkämpfe die verderbliche Schauluſt der feierlichen Aufzüge, die namentlich in Athen eine gewaltſame Aus- beutung der höhern Klaſſe durch das Volk enthielten, in Rom die Gladiatorenwirthſchaft und die Arena, ſelbſt in Deutſchland die Spiele der Ringelreiter, die öffentlichen Gaukler und Gymnaſten und ähn- liches. Zu ſelbſtändigen Anſtalten bringt es dieſe Ordnung nicht; die rein kriegeriſche Aufgabe jener öffentlichen Produktionen läßt über- haupt die Idee einer geiſtigen Bildung, wie ſie namentlich in den griechiſchen und den deutſchen Sängerkämpfen ſich eine Zeit lang er- halten, allmählig untergehen; das geiſtige Element bedarf einer neuen Grundlage, eines neuen Ausdruckes, und die ſtändiſche Epoche, indem ſie dieſe überhaupt darbietet, wird damit auch die Schöpferin einer neuen Geſtalt dieſer Erſcheinungen. Die ſtändiſche Zeit nämlich ſchließt allerdings alle ihre Funktionen in die feſten Gränzen der Körperſchaften ein; allein die Idee des Be- rufes, auf der ſie ruht, lebt in dieſem fort. Sie aber fordert geiſtige Nahrung, und dieſe wieder kann weder bei der Elementar- noch bei der Berufsbildung ſtehen bleiben; ſie will zugleich eine allgemeine ſein. Das iſt es nun, was mit dieſer Zeit die eigentlichen Bildungsanſtalten entſtehen läßt. Ihr Charakter liegt in dieſem Weſen der ſtändiſchen Berufsbildung. Sie ſind vorzugsweiſe geiſtiger Natur, und ſchließen ſich naturgemäß an die geiſtige Fachbildung an. Auch ihre Form iſt damit gegeben. Sie ſind eben deßhalb weſentlich in der Form der Bibliotheken und wiſſenſchaftlichen Sammlungen gegeben, und bilden, da ſie zunächſt für die Fachbildung beſtimmt ſind, einen Theil der Fachbildungsanſtalten, der Univerſitäten. Mit ihnen beginnt eigentlich das Gebiet der ſelbſtändigen allgemeinen Bildungsanſtalten. Denn wie die Univerſitäten ſelbſt ihrer ganzen Natur nach ſich nicht auf die ſtrenge ſtändiſche Unterſcheidung der Klaſſen beſchränken, ſo tragen auch jene Bibliotheken und Sammlungen gleich anfangs den Keim öffentlicher Anſtalten in ſich. Dieſer Charakter erhielt ſich für diejenigen Anſtalten, welche ſich an die Univerſitäten anſchließen und nicht gerade ſtrenge Fachbildung vorausſetzen, wie botaniſche Gärten, Naturalienkabinette u. ſ. w. Gemeinſam aber iſt dieſen Anſtalten, ver- möge dieſer ihrer urſprünglichen Beſtimmung, der Gedanke, daß ſie nicht Genußmittel, ſondern Arbeitsmittel ſind; in dieſer Gränze werden ſie ſtrenge erhalten; dieſes Princip iſt ihnen geblieben und iſt dasjenige, was ſie weſentlich von denen der folgenden Epoche unterſcheidet. Wir haben dieſe, als Uebergang und Vorbereitung der ſtaats- bürgerlichen Geſellſchaft, die polizeiliche genannt. Das Verhältniß der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/45>, abgerufen am 27.04.2024.